„Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft“
Parlamentarische Enquete des Nationalrates
Mittwoch, 4. Mai 2011
(Stenographisches Protokoll)
Parlamentarische Enquete
Mittwoch, 4. Mai 2011
(XXIV. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)
Thema
„Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft“
Dauer der Enquete
Mittwoch, 4. Mai 2011: 13.03 – 16.32 Uhr
*****
Tagesordnung
I. Einleitungsstatements
Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Dr. Claudia Schmied
Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Dr. Karlheinz Töchterle
II. Impulsreferate
Univ.-Prof. Dr. Anton Bucher, Universität Salzburg: „Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus den Schulversuchen auf der Basis der offiziellen Evaluation im Auftrag des BMUKK“
Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann, Universität Wien: „Ethikunterricht im Spannungsfeld zwischen Religionsersatz und säkularer Moral“
Emer. o. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner, Institut für Praktische Theologie der Universität Wien: „Religion und Ethik in der Schule einer pluralistischen Gesellschaft“
III. Panel
Prof. MMMag. DDr. Karl Heinz Auer, Pädagogische Hochschule Tirol
Mag. Martin Kühnl, Universität Wien
Dr. Kurt Greussing, Sozialwissenschaftler; Vorarlberg
Mag. Maria Neuberger-Schmidt, „Elternwerkstatt“; Wien
IV. Allgemeine Diskussion
V. Resümee
*****
Inhalt
I. Einleitungsstatements ............................................................................................... 5
Bundesministerin Dr. Claudia Schmied ...................................................................... 5
Bundesminister Dr. Karlheinz Töchterle ..................................................................... 7
II. Impulsreferate ............................................................................................................ 7
Univ.-Prof. Dr. Anton Bucher ....................................................................................... 8
Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann .................................................................... 10
Emer. o. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner ..................................................... 13
III. Panel ......................................................................................................................... 16
Prof. MMMag. DDr. Karl Heinz Auer .......................................................................... 16
Mag. Martin Kühnl ........................................................................................................ 19
Dr. Kurt Greussing ....................................................................................................... 19
Mag. Maria Neuberger-Schmidt ................................................................................. 22
IV. Allgemeine Diskussion ........................................................................................... 24
HR Dr. Dieter Braunstein ............................................................................................ 24
Univ.-Prof. Dr. Peter Kampits ..................................................................................... 25
Mag. Dr. Michael Jahn ................................................................................................. 26
Abg. Anneliese Kitzmüller .......................................................................................... 27
Emer. Univ.-Prof. Dr. Heinz Oberhummer ................................................................ 28
Mag. Karl Schiefermair ................................................................................................ 28
Dr. Anita Kitzberger ..................................................................................................... 29
Univ. Prof. Dr. Christian Friesl ................................................................................... 30
Abg. Dr. Andreas Karlsböck ....................................................................................... 30
Abg. Mag. Alev Korun ................................................................................................. 31
Mag. Amena Shakir ...................................................................................................... 32
Abg. Mag. Katharina Cortolezis-Schlager ................................................................. 33
Erzbischof Dr. Michael Staikos .................................................................................. 34
Heidi Jütte ..................................................................................................................... 34
Chorbischof Dr. Emanuel Aydin ................................................................................ 35
Abg. Mag. Daniela Musiol ........................................................................................... 36
Prof. Anas Schakfeh .................................................................................................... 37
Abg. Sonja Ablinger ..................................................................................................... 38
Dr. Walter Hessler ........................................................................................................ 39
Abg. Dr. Franz-Joseph Huainigg ................................................................................ 40
Andreas Kastner .......................................................................................................... 40
Bundesrätin Monika Mühlwerth ................................................................................. 41
Elisabeth Pietsch .......................................................................................................... 42
Abg. Mag. Rosa Lohfeyer ............................................................................................ 43
Gerhard Weißgrab ........................................................................................................ 43
Bundesrat Stefan Schennach ..................................................................................... 44
Iris Schwarzenbacher .................................................................................................. 45
Mag. Dr. Eckehard Quin .............................................................................................. 46
Mag. Horst Schachtner ................................................................................................ 47
Mag. Isabella Zins ......................................................................................................... 47
V. Resümee ................................................................................................................... 48
Abg. Elmar Mayer ........................................................................................................ 48
Abg. Mag. Silvia Fuhrmann ........................................................................................ 49
Abg. Dr. Walter Rosenkranz ....................................................................................... 51
Abg. Dr. Harald Walser ................................................................................................ 52
Abg. Stefan Petzner ..................................................................................................... 53
Geschäftsbehandlung
Antrag im Sinne des § 98a Abs. 5 GOG, das Stenographische Protokoll dieser Enquete dem Nationalrat als Verhandlungsgegenstand vorzulegen – Annahme ..................................................... 5, 5
Vorsitzende: Präsidentin Mag. Barbara Prammer, Zweiter Präsident Fritz Neugebauer.
*****
eine Damen und Herren, ich darf Sie alle sehr herzlich begrüßen.
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : MIch eröffne die parlamentarische Enquete des Nationalrates „Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft“ und begrüße dazu alle Anwesenden sowie auch die Zuhörerinnen und Zuhörer.
Im Vorfeld von parlamentarischen Enqueten gibt es immer wieder Zurufe von außen beziehungsweise auch Irritationen. Daher darf ich zu Beginn dieser Enquete einige grundsätzliche Erklärungen abgeben, Erklärungen bezüglich der Vorbereitung und Durchführung von parlamentarischen Enqueten.
Die Geschäftsordnung besagt, dass die Mitglieder des Hauptausschusses des Nationalrates gemäß der Geschäftsordnung einen Antrag auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete stellen können beziehungsweise stellen. Dieser Antrag wird in der Regel im Konsens aller Fraktionen vorbereitet. Das heißt, dass sich die Fraktionen auf ein Thema, auf den Ablauf und auf den Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einigen. Der Hauptausschuss beschließt das letztlich und kann diesen Vorschlag der Fraktionen natürlich auch noch abändern. Das ist ja auch bei dieser Enquete geschehen.
Wenn der Hauptausschuss eine Enquete beschlossen hat, ist diese von der Parlamentsdirektion in meinem Auftrag zu organisieren. Als Präsidentin kann ich aber keinen Einfluss nehmen: weder auf das Thema noch auf den Ablauf, auch nicht auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer; das ist allein die Angelegenheit des Hauptausschusses.
Wie Sie wissen, ist mir die Abhaltung von parlamentarischen Enqueten ein sehr großes Anliegen. Sie geben dem Nationalrat die Möglichkeit, sich in einer sehr grundsätzlichen Weise mit wichtigen Themen zu befassen und in einen Austausch mit Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertretern von wichtigen Organisationen zu treten.
Es ist mir daher auch wichtig, dass solche Enqueten für die Öffentlichkeit zugänglich sind, nicht nur, was die Abhaltung der Enquete betrifft, sondern vor allen Dingen auch, dass diese Enqueten im Internetangebot des Parlaments dokumentiert werden. Das wird auch dieses Mal wieder so geschehen.
Das gibt allen, auch jenen, die heute nicht sprechen können, die Möglichkeit, die Diskussion fortzusetzen, in einen Austausch mit den Mitgliedern des Nationalrates zu treten und sich auch weiter für ihre Anliegen einzusetzen.
Ich möchte Sie auch darauf aufmerksam machen, dass in der Programmgestaltung dieser Enquete aufgrund der kürzlich erfolgten Regierungsumbildung kleinere Veränderungen vorgenommen wurden. Die neue Programmfolge können Sie der auf den Tischen aufgelegten Unterlage entnehmen. Da eine Teilnehmerin und ein Teilnehmer an der Panel-Diskussion erst sehr knapp gemeldet wurden, scheinen diese leider nicht in diesen Unterlagen auf. Ich bitte, das zu entschuldigen.
(Es folgen technische Mitteilungen durch die Vorsitzende.)
Entsprechend der Geschäftsordnung des Nationalrates wird über die heutige Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst. Ich darf daher ersuchen, die Beiträge über dieses Mikrophon hier am Rednerpult abzugeben.
Das Stenographische Protokoll wird selbstverständlich im Internet des Parlaments zur Verfügung stehen. Ebenso wird es die Parlamentsdirektion an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Enquete versenden.
Im Vorsitz werde ich um 14.30 Uhr durch den Zweiten Präsidenten, Kollegen Fritz Neugebauer, abgelöst.
Es ist nun noch ein geschäftsordnungsmäßiger Beschluss zu fassen.
Es liegt mir ein Antrag gemäß § 98a Abs. 5 der Geschäftsordnung vor, das Stenographische Protokoll als Verhandlungsgegenstand dem Nationalrat vorzulegen. Der diesbezügliche Beschluss ist gemäß der erwähnten Geschäftsordnungsbestimmung durch die dem Teilnehmerkreis der Enquete angehörenden Abgeordneten zum Nationalrat zu fassen.
Ich bringe diesen Antrag auch gleich zur Abstimmung.
Ich ersuche jene Abgeordneten zum Nationalrat, die an der Enquete teilnehmen, um ein Zeichen der Zustimmung. – Ich sehe keine Gegenstimme. Der Antrag ist somit einstimmig angenommen.
Wir gehen in die Tagesordnung ein, und ich darf Frau Bundesministerin Dr. Schmied um die einleitende Stellungnahme bitten. Wir haben uns geeinigt, diese sollte sehr knapp sein, also 5 Minuten betragen. – Bitte.
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer :13.10.07
Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Dr. Claudia Schmied : Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser parlamentarischen Enquete. Ich freue mich sehr, dass dieser Termin zustande gekommen ist.
Ich darf Sie darüber informieren, dass wir seit dem Schuljahr 1997/98 Schulversuche im Fach „Ethik“ durchführen und in diesem Jahr etwa 15 000 Schülerinnen und Schüler an etwa 200 Standorten in Österreich an diesem Unterricht teilnehmen. Herr Univ.-Prof. Bucher von der Universität Salzburg wird über die Erfahrungen aus diesen Schulversuchen heute auch hier berichten.
Ich möchte daher einige wenige, aber, wie ich glaube, wichtige Punkte reflektieren. Vor allem möchte ich auf den Punkt eingehen, welche Bedeutung „Ethik“ in der heutigen Zeit hat und haben kann.
Es wird, meine sehr geehrten Damen und Herren – das ist jedenfalls mein Eindruck –, für junge Menschen in einer Gesellschaft, die mitunter zu einseitig und bedingungslos auf Wettbewerb, auf Konkurrenz setzt, zunehmend schwierig, die Bedeutung von Kooperation, sozialem Handeln, Solidarität und Mitmenschlichkeit zu verstehen. Wenn wir hier nicht auch als Verantwortliche für Bildung gegensteuern, setzen wir den Zusammenhalt und den sozialen Frieden unserer Gesellschaft aufs Spiel. Über diese Gedanken können wir, denke ich, sehr schnell Einigkeit erzielen.
Schon Albert Schweitzer hat uns gewarnt, als er gesagt hat – ich darf ihn zitieren –: „Wo das Bewusstsein schwindet, dass jeder Mensch uns als Mensch etwas angeht, kommen Kultur und Ethik ins Wanken.“ – So weit dürfen wir es nicht kommen lassen.
Wenn wir nun aber von Ethik sprechen, müssen wir uns auch und im Besonderen darauf verständigen, welche Beiträge unsere Schulen leisten können. Soll Ethik ein Ersatzfach für den Religionsunterricht werden oder ein eigener Gegenstand, der für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich ist, oder ist es ein Querschnittsthema, das in vielen Fächern erarbeitet werden kann?
Albert Einstein hat Ethik für ein ausschließlich menschliches Unterfangen gehalten, hinter dem keine übermenschliche Autorität steht. Dieses „menschliche Unterfangen“ gebietet, sorgfältig und präzise jene Werte zu definieren, die mit der Ethik vermittelt werden sollen.
Hier möchte ich besonders auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verweisen. Schon daraus lässt sich ableiten, dass wir auf weltliche Art und Weise an die Grundwerte herangehen sollten, ohne dass wir damit die anerkannten Religionen in Frage stellen.
Das entspricht auch einem Grundwert unserer Gesellschaft, der die Trennung von Staat und Religion vorsieht. Diese Trennung hat in Österreich seit jeher zu einem produktiven Miteinander geführt, bei dem jeder Teil seine Verantwortung und seine Aufgaben verantwortungsbewusst wahrnimmt.
Unsere Schulen haben die Verantwortung jedes Einzelnen nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft zu erklären und die Stärkung der persönlichen Identität jedes Einzelnen zur Aufgabe, wie dies Arno Gruen, Psychoanalytiker, in seinem Buch „Der Fremde in uns“ aus meiner Sicht besonders eindrucksvoll beschrieben hat.
Es ist die Identitätsstärke, die Ich-Stärke, die die Voraussetzung für einen angstfreien Diskurs in multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften ist. Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und Anteilnahme, mit einem Wort „Empathie“, ist eine Art Immunität gegen das Unmenschlichsein und gegen den Fundamentalismus.
Unsere Aufgabe als Verantwortliche in Politik und Verwaltung besteht darin, die verbindenden Werte der Gesellschaft zu vermitteln und vorzuleben.
Ich möchte zum Abschluss noch einmal Albert Schweitzer zitieren, der sagte: „Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt.“
Lassen Sie uns daher heute, meine sehr geehrten Damen und Herren, unter anderem vor allem auch folgende Fragen diskutieren:
Was darf, soll, kann der weltanschaulich neutrale Staat an Werthaltungen vorgeben? Und von der Beantwortung dieser Frage hängt dann auch ab: Wie gestalten wir die Ausbildung für diejenigen, die den Ethikunterricht gestalten sollen?
Zweite Frage: Welchen Beitrag zum Gemeinwohl und damit zu Fragen des interkulturellen Zusammenlebens, des interreligiösen Dialogs und der demokratischen Grundprinzipien unserer Gesellschaft kann der Religionsunterricht heute in einer pluralistischen Gesellschaft leisten?
Und dritte Frage: Inwieweit können andere Fächer, wie zum Beispiel Geschichte, Philosophie, Politische Bildung, Latein, Fragen unter den verschiedensten ethischen Gesichtspunkten behandeln?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich auf diese Enquete, ich freue mich auf die Beiträge. Es ist dies ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt. – Vielen Dank. (Beifall.)
13.16
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Ich darf nun Herrn Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Dr. Töchterle um seine Stellungnahme bitten. Ebenfalls 5 Minuten. – Bitte.
13.16
Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Dr. Karlheinz Töchterle: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin, Frau Bundesminister! Sehr geehrte Abgeordnete! Vor allem auch sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften! Exzellenz! Ich darf anknüpfen, Frau Kollegin, bei Ihrer Bemerkung, die Sie mir freundlicherweise gewidmet haben, dass auch Latein etwas zum Ethikunterricht beitragen könnte. In der Tat tut es das.
Es gibt einen Briefwechsel zwischen dem Apostel Paulus und dem römischen Philosophen Seneca über philosophische, ethische, religiöse Fragen. Dieser Briefwechsel ist gefälscht, aber er ist treffend gefälscht, weil er nämlich etwas repräsentiert, was mir ganz wichtig ist: die enge Verbindung der christlichen Religion mit der antiken Ethik.
Die christlichen Texte haben zwar wertvolle ethische Postulate, die berühmtesten vielleicht in der Bergpredigt, sie enthalten aber kein philosophisches, ethisches System. Dieses ethische System hat das Christentum aus der antiken Philosophie übernommen und gelernt, und die Kirchenlehrer haben das inkorporiert, und aus diesem ethischen System der Antike sind sehr viele zentrale ethische Forderungen der christlichen Religion entstanden und in diese aufgenommen worden, nämlich zum Beispiel die Tugendlehre aus der Stoa oder der Dualismus mit seiner Leibfeindlichkeit aus dem Platonismus, insbesondere aus dem Neoplatonismus.
Dieser Befund zeigt, dass es keinen wirklichen Gegensatz gibt zwischen Ethik und christlicher Religion, sondern dass es Supplemente sind und dass sie geistesgeschichtlich eng zusammenhängen. Dieser Befund zeigt auch, dass wir auch heute in der aktuellen politischen Diskussion hier nicht zu sehr Gegensätze sehen sollten, sondern ein kluges ergänzendes Miteinander.
Natürlich ist der Mensch aufgefordert, ethisch zu denken, ethisch zu handeln, das ist eines seiner wesentlichen humanistischen, anthropologischen Signa, der Mensch ist aber auch ein Animal religiosum, und wenn er diese religiöse Unterweisung nicht zu brauchen meint und auf sie verzichten will in der Schule, dann ist es in einer pluralistischen Gesellschaft und in einem Staat, der allen Weltanschauungen Rechnung zu tragen hat, richtig, wenn er dafür einen Ersatz wählen kann. Dieser Ersatz kann durchaus und soll auch unserer Meinung nach ein guter Ethikunterricht sein.
In dieser sinnvollen Ergänzung, denke ich, sollen und können beide Fächer existieren, in dieser sinnvollen Ergänzung können sie beide zu dem beitragen, zu dem Schule ganz wesentlich beitragen soll und wozu meine Vorrednerin das Wesentliche bereits gesagt hat: zur Erziehung der Menschen in einer Gemeinschaft, in der es Werte gibt, in der man Werte lebt, in der es ein Wertsystem gibt, für das man sich entscheidet und für das man sich dann auch einsetzt.
Deswegen bin ich dankbar dafür, dass ich hier bei dieser Enquete diese meine Gedanken einbringen konnte, und ich wünsche den politischen Entscheidungsträgern, dem Souverän, eine gute Entscheidung in dieser Frage. Ich bin überzeugt davon, dass sie – vielleicht auch auf Basis dessen, was ich hier kurz ausführen durfte – eine treffende sein wird. – Danke sehr. (Beifall.)
13.20
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Ich darf nun zu den Impulsreferaten überleiten. Die Referenten können, wenn sie möchten, ihr Statement vom Rednerpult aus abgeben. 10 Minuten Redezeit sind vereinbart.
Als Erster zu Wort gelangt Herr Universitätsprofessor Dr. Bucher. – Bitte.
„Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus den Schulversuchen auf der Basis der offiziellen Evaluation im Auftrag des BMUKK“
13.21
Univ.-Prof. Dr. Anton Bucher (Universität Salzburg) : Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Abgeordnete, Honoratioren – insbesondere auch von den Religionsgemeinschaften! Ich darf zu Ihnen als derjenige sprechen, der vor zehn Jahren die Evaluation der damals 94 Schulversuche Ethikunterricht durchgeführt hat. Ich tat dies nach der zweiten Habilitation in Erziehungswissenschaft primär aus erziehungswissenschaftlicher empirischer Perspektive, weil damals – aus verständlichen Gründen – mehrfach kritisiert wurde, jetzt evaluiere einer den Ethikunterricht für die nicht mehr am Religionsunterricht Teilnehmenden, der selber Religionslehrer ausbildet – Vorbehalte, wie sie auch jüngst wieder an mich gerichtet wurden.
Akademisch bin ich an einem pädagogischen Institut in Fribourg groß geworden. Es ist auf ethische Bildung spezialisiert. Ich versuchte diese Evaluation nach bestem Wissen und Gewissen, primär orientiert an der ethischen und religionskundlichen Bildung aller Schüler und Schülerinnen in Österreich.
Als ich 1993 den Dienst als Religionspädagoge antreten durfte, wurde mir geraten, zum Thema Ethikunterricht eher ruhig zu sein. Die Kirche stand diesem überwiegend ablehnend gegenüber – wohlverstanden nicht alle –, oft mit dem Argument, das wir heute sicherlich auch wieder hören werden, nämlich dass nur ein konfessioneller Religionsunterricht wirklich tragfähige Werte verbürgen könne, obschon es historisch natürlich auch ein Faktum ist, dass es auch der bürgerliche Staat gewesen war, der im Modernisierungsprozess der Kirche auch die vielen heute geltenden Grund- und Freiheitsrechte abgetrotzt hatte.
Der Staat wusste damals, in den 90er-Jahren, also sehr wohl um die Notwendigkeit ethischer Bildung für mehr und mehr SchülerInnen. Es gab ja Schulstandorte, selbst in Mittersill im Bundesland Salzburg, mit bis zu 50 Prozent Abmeldungen vom Religionsunterricht. Der Staat delegierte diese Aufgabe jedoch an die Kirche. Ich kann mich noch erinnern, dass im Jahre 1995 Ministerialrat Felix Jonak sagte, solange nicht ein eindeutiger Beschluss der Bischofskonferenz vorliege, werde er nicht im Hinblick auf die ethische Bildung der nicht am Religionsunterricht Teilnehmenden aktiv werden.
Es war dann aber wie so oft bei erfolgreichen Schulreformen die Basis, die diese Pattsituation beendete und engagierte Lehrer und Lehrerinnen, auch und gerade für Religion, 1997 die ersten Schulversuche lancierten. 1998 bis 2000 befragten wir dann im Rahmen der offiziellen Evaluation alle Ethikschüler, aber auch alle Unterrichtenden. Es war für mich als einen aus der Schweiz Zugezogenen auch eine willkommene Nachhilfe in österreichischer Geographie. Knittelfeld ist mir damals schon ein Begriff geworden. (Heiterkeit.) Knittelfeld ist in der Steiermark der erste Schulstandort mit Ethikunterricht gewesen.
Obschon anfänglich viele Schüler den Freistunden nachgetrauert und von der Evaluation vor allem erwartet hatten, dass sie ihre Freistunden wieder bekommen, hat sich der Ethikunterricht gut bewährt.
Die Schülerinnen und Schüler gaben diesem Unterricht auch Zensuren: 2,2. Ich weiß nicht, ob es, wenn man heute Politik benoten lassen würde, da auch die Note 2,2 gäbe. Sie attestierten dem Fach auch, es trage wesentlich zur Allgemeinbildung bei – auch und gerade über die Weltreligionen, auch über das Christentum. Das Fach ermuntere zu eigenständigem Urteilen in ethischen Fragen. Es stärke Toleranz, von den vielfältigen Wissensgewinnen ganz zu schweigen.
Unvergesslich bleibt mir eine Wiener Schülerin, die gesagt hat: Seit ich in Ethik gehe, sehe ich in meinem Leben überall Ethik.
Besonders aufschlussreich war auch eine nur an den Salzburger Schulstandorten durchgeführte längsschnittliche Erhebung. Wir konnten da feststellen, dass nach einem Jahr zusätzlichem Ethikunterricht ausländerfeindliche Stereotype zurückgegangen sind. Ebenfalls zurückgegangen ist das für das Jugendalter vielfach typische relativistische Lebensgefühl, es sei sowieso alles gleichgültig; eine Kritik übrigens, die sich der Ethikunterricht immer wieder gefallen lassen musste. Auch stieg die ökologische Handlungsbereitschaft deutlich.
Auch die Unterrichtenden registrierten wünschenswerte Effekte, beispielhaft in einer multireligiösen Ethikgruppe mit Schülern und Schülerinnen aus den zerstrittenen Regionen Jugoslawiens. Diese sind nicht zuletzt aufgrund der im Ethikunterricht zur Sprache gekommenen und praktizierten Toleranz zu einer Lerngruppe zusammengewachsen.
Aufgrund dieser und vieler weiterer Befunde kam ich damals zu folgenden Empfehlungen.
Erstens: Ethikunterricht hat sich bewährt. Dieser sollte, wie mittlerweile in allen Staaten der Europäischen Union, ins Regelschulwesen überführt werden.
Zweitens: Endgültig zu verabschieden ist die Bezeichnung „Ersatzfach“. Nicht nur, weil Ersatz stets zweitrangig ist – wer von uns ist schon gerne Ersatzspieler? –, sondern auch weil Ethik kein Ersatz für Religion sein kann – und es auch nicht sein will. Ethik beansprucht keine Antworten auf Fragen wie: Warum sind wir hier? Was kommt nach dem Tod? Darüber hinaus provoziert das Wort „Ersatzfach“ früher oder später unvermeidlich die Klagen konfessionsloser Eltern, warum ihre Kinder Ersatz für etwas frequentieren müssen, was nicht das Ihre ist. Solche Klagen sind in der Bundesrepublik Deutschland geführt worden. Mit dem Urteil vom Juli 1998 hat das Verfassungsgericht in Karlsruhe die Bezeichnung „Ersatzfach“ gekippt und spricht seitdem von „komplementären Pflichtgegenständen“.
Drittens: Religions- und Ethikunterricht wären – so damals die Empfehlung – als alternative Pflichtgegenstände einzurichten. Das heißt: freie Wahl und ohne Abmeldung vom Religionsunterricht. Ich habe damals dafür ziemliche Schelte bekommen, auch vom damaligen Salzburger Erzbischof bis hin zur Androhung des Entzugs der Lehrbefugnis. Aber das ist alles vergessen. Es war, wie es war. Blicken wir in die Zukunft!
Viertens: Die angemessene Bezeichnung wäre „Ethik- und Religionskunde“, und zwar deswegen, um Schülern und Schülerinnen von Anfang an deutlich zu machen, dass, wie in allen österreichischen Ethikrahmenlehrplänen vorgesehen, auch die Religion zur Sprache kommt. Es mag sein, dass individuelle Religiosität privat ist, aber niemals privat sein können Religionen als soziale, weltanschauliche und auch politische Kräfte, worüber Schüler und Schülerinnen Bescheid wissen müssen.
Fünftens: Von Anfang an ist eine gediegene Ausbildung der Ethiklehrer und -lehrerinnen zu gewährleisten, um zu verhindern, dass das eintritt, woran der Ethikunterricht in Deutschland krankte: die Einsicht nämlich, dass man mit ein paar Seminaren und ein paar Artikeln aus dem „Spiegel“ dieses Fach nicht zufriedenstellend unterrichten kann. Ich empfahl damals und tue es auch heute noch: interfakultärer Fachbereich an den Universitäten unter Teilhabe von Philosophie, Moral-, Sozialpädagogik, Religionswissenschaft und Theologie.
Sechstens: Reflektiert wurde im Evaluationsbericht auch die Relation zwischen Religions- und Ethikunterricht. Religionsunterricht hat gemäß vielen empirischen Studien, wie wir sie auch durchgeführt haben, eine erstaunlich gute Resonanz. Er zieht Mündigkeit an, Toleranz. Er nimmt die plurale Lebenswelt ernst und ist auch nicht indoktrinär, die in ihm thematisierte Ethik nicht irrational. Aber genau dieser auch pädagogisch begründete Religionsunterricht zieht immer wieder auch zum Teil harsche innerkirchliche Kritik auf sich, er sei schon längst keine Verkündigung mehr und er sei schon gar nicht mehr römisch-katholisch.
Eines, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist jedenfalls klar: Aktueller Religionsunterricht entspricht nicht mehr jenem von vor 60 Jahren, als die jetzt geltende rechtliche Regelung getroffen wurde, nämlich das Bundesgesetz vom Juli 1949. Vielfach entspricht er – auch gemäß meinen Beobachtungen – dem, was etwa im Bundesland Brandenburg unter dem Fach „Lebensgestaltung, Ethik und Religionskunde“ läuft.
Ähnlich scheinen das auch die von uns befragten Religionslehrer und Religionslehrerinnen zu sehen. Ich habe Daten aus dem Jahre 2006. Damals war es so, dass es immerhin 70 Prozent ein intensives beziehungsweise starkes Anliegen oder Ziel war, dass sich Schüler und Schülerinnen im Pluralismus positionieren und verständigen lernen. 29 Prozent sagten, es sei für sie ein intensives Ziel, dass Schüler und Schülerinnen die Glaubenslehre der Kirche kennenlernen. Wie immer dem sei, auch Religionslehrer, wenn sie entsprechende Qualifikationen erwerben, sollten mit Ethikunterricht betraut werden können.
In einem Pressefrühstück im BMUKK, es war der 15. November 2001, fanden meine Empfehlungen Zuspruch.
Ich erlaube mir, noch kurz mit einer persönlichen Vision abzuschließen. Mittelfristig erhoffe ich mir für Österreich in der Sekundarstufe auch ein Fach wie „Ethik und Religionen“ verpflichtend für alle, vielerorts bewährt. Ein solches Fach wäre in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften und dem Staat zu entwickeln. Es müsste verpflichtend für alle sein. Es ist eingerichtet, sogar in der katholischen Innerschweiz, und es hat sich sehr gut bewährt; von den Einsparungsmöglichkeiten und zugleich dem auch bildungstheoretischen Gewinn ganz zu schweigen.
Letzter Satz. Was immer dieses Hohe Haus beschließen mag: An den öffentlichen Schulen muss vor partikulären Interessen die ethische Bildung aller Kinder und Jugendlichen unserer Republik Österreich Vorrang haben. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
13.33
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Ich darf nun Herrn Universitätsprofessor Dr. Liessmann das Wort erteilen. – Bitte.
„Ethikunterricht im Spannungsfeld zwischen
Religionsersatz und säkularer Moral“
13.33
Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Man kann nicht aus jeder Not eine Tugend machen. Die Tatsache, dass die Abmeldungen vom konfessionellen Religionsunterricht vor allem in Ballungsräumen ein Ausmaß erreicht haben, das die Einführung eines alternativen Ethikunterrichts als Ersatz für den nichtbesuchten Religionsunterricht nahelegte, mag zwar unter pragmatischen Gesichtspunkten relevant gewesen sein, die Aufgaben, Möglichkeiten und Perspektiven eines sinnvollen Ethikunterrichts werden durch diesen Gesichtspunkt allerdings eher verzerrt und beschnitten.
Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann (Universität Wien) : Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrter Herr Bundesminister! VerehrteGrundsätzlich – es ist auch schon mehrfach angedeutet worden – muss gelten: Ethikunterricht kann kein Ersatz für den Religionsunterricht sein, weil Ethik kein Ersatz für Religion ist. Ethik ist nicht das, was von den Religionen übrig bleibt, wenn man Gott durchstreicht, wie umgekehrt auch Religion ihrem Wesen nach keine Ethik für Menschen ist, die den Prozess der Aufklärung noch vor sich haben. Weder erspart es die Religion den Mitgliedern einer modernen Gesellschaft, sich mit den Fragen einer säkularen Moral auseinanderzusetzen, noch ist diese Moral eine Art Religionsersatz für Agnostiker oder Atheisten.
Die Notwendigkeit des Ethikunterrichts muss deshalb anders begründet werden als mit dem Hinweis, dass junge Menschen, die keinen Religionsunterricht besuchen, wenigstens irgendeine Werterziehung bekommen sollten. Gelingen kann Ethikunterricht nur, wenn man anerkennt, dass die Ethik seit der Antike Ausdruck des Willens der Menschen ist, die Fragen ihres Zusammenlebens weder einem Gott noch einer Kirche zu überlassen, sondern ihrer eigenen Souveränität und Vernünftigkeit zu überantworten.
Die Dringlichkeit eines Ethikunterrichts stellt sich meines Erachtens deshalb aus zwei Gründen: Einmal gibt es in einer prinzipiell säkular ausgerichteten, sich selbst als pluralistisch verstehenden Gesellschaft kein tradiertes und wie selbstverständlich vermitteltes Werte- und Normensystem mehr, das von allen relevanten Akteuren eines Erziehungs- und Bildungsprozesses fraglos weitergegeben werden könnte. Eine säkulare Gesellschaft muss sich deshalb auch über ihre geistigen Fundamente, ihre grundlegenden Werte und ihre normativen Vorgaben stets aufs Neue verständigen.
Niemand hat dies klarer formuliert als der portugiesisch-niederländisch-jüdische Philosoph Baruch Spinoza. In einem freien Staat legen die Bürger durch Diskussion und Argumente, manchmal auch durch Abstimmungen und Mehrheitsentscheidungen die ethischen Grundsätze ihres Zusammenlebens fest.
Dass Spinoza aus der jüdischen Gemeinde Amsterdams ausgeschlossen wurde, dass seine Werke auf dem vatikanischen Index der verbotenen Bücher landeten und auch in den eher protestantisch orientierten Niederlanden nicht erscheinen durften, sagt übrigens einiges über die ursprüngliche Bereitschaft der Religionen, sich mit diesem Mündigkeitskonzept auseinanderzusetzen.
Meine Damen und Herren, gerade weil keine Religion mehr eine allgemeinverbindliche Autorität beanspruchen kann, sind mündige Menschen gefordert, die um die Möglichkeiten, aber durchaus auch um die Grenzen eines ethischen Diskurses Bescheid wissen und diesen mitgestalten können. Ethikunterricht ist unter diesem Gesichtspunkt eine demokratie-, ja staatspolitische Notwendigkeit.
Das führt zum zweiten Argument. Eine moderne, in hohem Maße von Migration und kultureller Vielfalt geprägte Gesellschaft benötigt Grundlagen, Formen und Verfahren des Zusammenlebens, die für alle Mitglieder dieser Gesellschaft gelten können – egal, welcher sprachlichen oder ethnischen Herkunft sie auch sein mögen, egal, ob sie Gläubige oder Nichtgläubige sind, egal, ob sie sich zu einer anerkannten, nicht anerkannten oder gar keiner Religionsgemeinschaft bekennen.
Die Formulierung und die Diskussion solcher Grundlagen kann nur eine säkulare Ethik liefern, die unterschiedlichen religiösen und nichtreligiösen Moralvorstellungen einen gemeinsamen Rahmen geben muss. Es soll nicht verschwiegen werden, dass dieser Rahmen durchaus auch in Konflikt mit bestimmten Werthaltungen und moralischen Praktiken geraten kann, man darf auch daran erinnern, dass die normativen Grundlagen unserer modernen Gesellschaft, die Menschenrechte, oft auch gegen den Widerstand der Religionen formuliert und durchgesetzt werden mussten.
Die europäische Aufklärung – wir dürfen uns daran erinnern – begann als Kritik der Religion. Das schmälert nicht die Leistungen, Aufgaben und Funktionen der Religionen, zeigt aber, dass es zwischen den Ansprüchen einer säkularen Moral und religiös motivierten Lebensformen durchaus Spannungen geben kann, die nicht ignoriert werden dürfen und die selbst zum Gegenstand einer ethisch-philosophisch-politischen Reflexion werden müssen.
Ethikunterricht ist unter diesem Gesichtspunkt auch eine gesellschafts- und kulturpolitische Notwendigkeit.
Meine Damen und Herren, eine säkulare, vernunftgeleitete Ethik ist allerdings keine Erfindung unserer Zeit, sondern gehört ganz wesentlich zum europäischen Erbe. Man könnte es geradezu als Spezifikum der europäischen Kultur erachten, die Frage der Moral als Sache der Vernunft zu sehen. Von den Glücks- und Tugendethiken der Antike und Spätantike über die moralischen Reflexionen eines Montaigne, von der Ethik des Baruch Spinoza bis zum kategorischen Imperativ eines Immanuel Kant, vom angelsächsischen Utilitarismus bis zur modernen Diskurs- und Verantwortungsethik spannt sich ein Bogen, der nicht nur die Möglichkeiten einer rational argumentierbaren Ethik ausleuchtet, sondern auch die Grundlagen der aktuellen ethischen Debatten im Bereich der Medizin, der Biopolitik, der Wirtschaft, der Technik und der Gesellschaft darstellt.
Erste und wichtigste Aufgabe eines jeden Ethikunterrichts müsste es deshalb sein, in genau dieses Denken, seine Argumentationsfiguren, seine Voraussetzungen und seine Konsequenzen kritisch und altersgerecht einzuführen.
Was bedeutet dies für die aktuelle Situation? – Ganz einfach: Die Frage des Ethikunterrichts muss von der Frage des Religionsunterrichts prinzipiell entkoppelt werden. Man könnte sogar sagen, dass gerade für Angehörige von Religionen mit Moralansprüchen, die einer aufgeklärten Vernünftigkeit nicht immer entsprechen müssen, die Teilnahme an einem religionsneutralen Ethikunterricht von ganz besonderer Wichtigkeit sein müsste, um den Stellenwert und die Bedeutung eines religiösen Wertesystems im Kontext einer pluralen Gesellschaft richtig einschätzen zu können. Das heißt, Ethik müsste meines Erachtens ein für alle Schüler verbindliches Pflichtfach zumindest der Sekundarstufe II werden.
Ethikunterricht ist deshalb auch nichts, was von Religionslehrern oder auch Lehrern anderer Fächer so nebenbei erledigt werden könnte. Wenn überhaupt, dann bringen vielleicht Philosophielehrer einige, bei Weitem nicht alle der dafür notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen mit. Ethik ist deshalb auch keine Querschnittmaterie, auch wenn dies gut klingen mag. Ethik ist eine umfassende Disziplin mit einer 2 500 Jahre alten Geschichte und einer mittlerweile sehr ausdifferenzierten Argumentationskultur, in der Erkenntnisse der Sozial- und Naturwissenschaften ebenso Berücksichtigung finden wie Fragestellungen, die durch den rasanten technologischen Fortschritt und durch globale Entwicklungen aufbrechen.
Meinte man es wirklich ernst mit Ethikunterricht, dann müsste Ethik nicht nur als Unterrichtsfach, sondern auch als eigenes Studienfach etabliert werden, das wie jedes Lehramtsstudium in Kombination mit einem anderen Fach absolviert und dann unterrichtet werden kann.
Inhalte solch eines Faches sollten neben den Grundlagen der philosophischen Ethik durchaus auch Grundkenntnisse unterschiedlicher, auch religiös fundierter Moralvorstellungen und Normensysteme sein, die es erlauben, diese ohne ideologische oder konfessionelle Präferenz im Unterricht zur Sprache zu bringen.
Es muss deshalb Aufgabe des Ethikunterrichts sein, kritisch in jene Denktraditionen und Lebensformen einzuführen, die die Basis unserer Gesellschaft darstellen. Der Ethikunterricht sollte junge Menschen intellektuell und emotional befähigen, die zunehmend brisanter und verwirrender werdenden Debatten über Glücksvorstellungen und Gerechtigkeitskonzeptionen, über Freiheitspotentiale und Verantwortungserwartungen, über Grenzfragen des Lebens und des Todes, über den Umgang mit Unterschieden und Differenzen, über Werte und Wertveränderungen zu verfolgen, zu verstehen und in einer letztlich dem Kriterium der Vernünftigkeit gehorchenden Weise auch selbst zu gestalten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
13.43
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Vielen Dank. – Ich darf nun Herrn Universitätsprofessor Dr. Zulehner um sein Referat bitten.
„Religion und Ethik in der Schule einer pluralistischen Gesellschaft“
13.43
Emer. o. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner (Universität Wien) : Meine hochverehrten Damen und sehr geschätzten Herren – mit so wunderbaren unterschiedlichen Ämtern und Diensten in Kirche und Republik! 2006 hat in Österreich eine Jugendwertestudie stattgefunden, und Teilergebnisse sind für unsere heutigen Überlegungen zu Religion und Ethik in der Schule einer pluralistischen Gesellschaft – nicht einer säkularen Gesellschaft, wie mein Vorredner sagte – nützlich. So sind 68 Prozent der Jugendlichen der Ansicht: Es gibt Normen, an die ich mich auch halten will!
Dabei haben diese Normen der jungen Menschen einen starken Realitätsbezug, denn 64 Prozent der Befragten prüfen, was von den Normen in konkreten Situationen auch lebbar ist. 62 Prozent der Befragten wünschen mehr ethischen Diskurs in der Gesellschaft. Und immer noch eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent wünscht mehr ethische Bildung in den Schulen. Folgt man den Betroffenen, erhält ethische Bildung also zumindest demokratiepolitisch eine absolute Mehrheit.
Ähnlich gut abgesichert ist in einer verlässlich erhobenen Meinungslage der von den Religionsgemeinschaften getragene Religionsunterricht im Land. Zwar hat sich seit 1970 – so weit reichen unsere Daten zurück – dessen Bedeutung von sehr wichtig zu wichtig verlagert. Dem entspricht eine allmähliche Relativierung der religiösen Dimension modernen Lebens. Aber es waren 2010 – und die Erhebung war Juli/August – 69 Prozent der Meinung, für die Kirchen sei es eine wichtige Aufgabe, Religionsunterricht zu erteilen. – 69 Prozent sind nach wie vor eine Art Verfassungsmehrheit.
Auch sind 66 Prozent der Ansicht: Ich halte es für wichtig, dass die Kinder in Österreich Religionsunterricht erhalten, um den christlichen Glauben kennenzulernen!
Die Qualität des Religionsunterrichts wird übrigens überraschend gut bewertet.
Die Wertschätzung des Religionsunterrichts hat in den letzten Jahren eine überraschende europapolitische Steigerung erfahren. Für immerhin 71 Prozent der Menschen in Österreich ist das Christentum ein Teil der europäischen Identität. Mit Blick auf eine mögliche Aufnahme der Türkei oder das Verhältnis zum Islam wie die Errichtung von Minaretten oder das Tragen der Burka wird ein offensives Christentum in der Bevölkerung erwartet. Auch die Kirchen sollten für die Bewahrung der christlichen Identität mehr tun, so vor allem die kämpferischen Kulturchristen. Auf jeden Fall sollen, um die christliche Identität auch in Zukunft hin zu wahren, die Kinder einen Religionsunterricht erhalten. Diese kulturpolitische Forderung ist im Übrigen nicht an eine religiöse Praxis oder an ein kirchliches Commitment gebunden.
Übrigens gibt es diese kämpferischen Kulturchristen bis tief in die christlichen Kirchen hinein und quer gestreut durch alle Sympathisanten der verschiedenen politischen Parteien, die im Parlament vertreten sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese breiten Wertschätzungen für sozialethische und ethische – ich hätte gerne, dass man auch das Wort Sozialethik deutlicher sieht, weil es ja nicht nur um Individualethik geht – und auch für religiös/weltanschauliche Bildung stehen aber nicht beziehungslos nebeneinander. – Vielleicht bin ich hier auch als Empiriker ein bisschen anderer Meinung als der Philosoph Liessmann. Diese spiegeln nämlich, weil es zumindest sehr beachtliche empirische Korrelationen gibt, das dialektische Verhältnis von Theorie und Praxis, Lebensanschauung und Lebensgestaltung wider.
Wer in einer transzendenzreichen Welt lebt, optiert beispielsweise nachweislich für eine andere Sterbekultur als jemand, dessen Welt sich in begrenzter Zeit und begrenztem Raum erschöpft. Wie jemand in den beiden großen Herausforderungen der Gegenwart, nämlich beim Zugriff auf den Zellkern und auf den Atomkern, ethisch optiert, hat sehr wohl mit den umgreifenden Weltdeutungen zu tun. Man braucht dazu lediglich die Arbeit in den europäischen und nationalen Ethikkommissionen zu analysieren.
Sozialethische wie individualethische Bildung implizieren also stets auch weltanschauliche Bildung, wobei die christliche Bildung in der weltanschaulich verbunteten Kultur eine nach wie vor starke und auch – darauf möchte ich doch als Theologe Wert legen, Herr Liessmann – ziemlich vernünftige Form von Auseinandersetzung ist. Religiös/weltanschauliche Bildung hat umgekehrt immer auch sozialethische sowie ethische Konsequenzen.
In den letzten Jahrzehnten hat die Annahme als gesichert gegolten, dass das Ende der Religion bevorstehe und moderne Gesellschaften eine von Religion unabhängige säkulare Moral entwickeln würden. Die Entwicklung, meine Damen und Herren, läuft anders. Sie geht nicht einbahnig von der Religion zur Säkularität, von der religiösen Moral zur säkularen Ethik, vielmehr ereignet sich eine dramatische Verbuntung der Gesellschaft. Man muss künftig von Religionen, ja auch von Säkularitäten reden, will man nicht einer nützlichen Ideologie aufsitzen.
Neben den durchaus unterschiedlichen christlichen Kirchen erstarken beispielsweise Variationen des Islam: eine Moschee der Türken und eine Moschee der Kurden sind nicht dasselbe, Aleviten, Schiiten und Sunniten haben keinesfalls immer die gleichen Positionen, weder religiös noch politisch. Dazu kommen immer mehr Menschen, auch in unserem Land, die sich an buddhistischen Weisheiten und ihrer Anleitung zu einer leidmindernden Ethik orientieren. Andere atheisieren. Und eine lautstarke, wenngleich sehr kleine Minderheit – vielleicht hätte man deren Vertreter auch zu dieser Enquete einladen können – vertritt einen antiquierten, aggressiven Neoatheismus.
Für die Bürgerinnen und Bürger des Landes bedeutet das: Sie nehmen die Verbuntung wahr. Sie leben und arbeiten zunehmend zusammen mit Personen, die eine andere Lebensdeutung und eine andere sozialethische Option vertreten. Letztlich aber haben sie, so die Daten unserer Studie, kaum Einblick in das, was die Fremden, die Anderen glauben und leben. So kommt es nicht selten zu einer durch blinde Stereotypen gesteuerten, angstbesetzten Abwehr. An die Stelle des Antisemitismus ist inzwischen eine sich ausweitende und partei-, aber nicht staatspolitisch ausgebeutete Islamophobie getreten. Das verwundert nicht.
Ein Beispiel: 66 Prozent der Katholiken im Land sagen, sie würden den islamischen Religionsunterricht überhaupt nicht kennen – was ja auch nicht verwundert –, aber zugleich sagen sie: Ich finde diesen Unterricht nicht gut! Die kämpferischen Kulturchristen, die ich vorher beschrieben habe, sind sogar zu 83 Prozent der Meinung, dass der nur negativ sein kann, während unter den friedlichen immerhin nur 41 Prozent das sagen. – Wie kann man ohne Kenntnis solche Urteile abgeben? Mit der Migration wandern eben nicht nur Menschen, sondern auch Religionen und deren ethische Lebensregeln.
Solche Beispiele demonstrieren, dass religiösen und sozialethischen Fragen wachsende Bedeutung zukommt, soll der Friede im Land und darüber hinaus gesichert sein. Religiöse und ethische Verbuntung verlangen nach einer anspruchsvollen religiösen und sozialethischen Bildung. Es wird immer wichtiger, die Anderen in ihrer weltanschaulichen und ethischen Option kennen und wertschätzen zu lernen, Respekt zu haben, die Unterschiede wahrzunehmen und in einem friedlichen Dialog und einer darauf gestützten Praxis für das Gemeinwohl der Nation, Europas und der Welt zu arbeiten.
Aber auch eine weitere Entwicklung unserer Demokratie verlangt nach einer Bildung sowohl in weltanschaulicher wie auch, damit häufig verbunden, in sozialethischer Hinsicht. Es kann einer demokratischen Gesellschaft nicht gleichgültig sein, wenn es, laut unseren Daten, unter den Jüngeren immer mehr sind, welche die lästig werdende Last der Freiheit wieder loswerden wollen. Bei ihnen wächst nachweislich jene Unterwerfungsbereitschaft, die Theodor Adorno zu den Ermöglichern des Totalitarismus gezählt hat. Der Anteil der Autoritären unter den Jungen ist seit Mitte der 90er-Jahre von 31 Prozent auf 53 Prozent gestiegen.
Ebenso kann es der modernen Gesellschaft nicht egal sein, ob die Bürgerinnen und Bürger in Fragen der Solidarität und Gerechtigkeit sensibel sind – dies vor allem dann, wenn einem klar ist, dass soziale Konflikte, Krieg und Terror zumeist einem Gemenge von religiös-kulturellen Kränkungen und sozialen Ungerechtigkeiten entspringen. Wo anders aber ressortieren die großen Themen von Freiheit und Solidarität, wenn nicht im weltanschaulich-ethischen Feld?
Eine moderne Schule, welche die nachwachsende Generation zukunftsfit machen soll, betreibt Bildung sowohl in religiösen als auch in ethischen Fragen. Eine solche Bildung wünschen sich heute längst nicht mehr nur die Kirchen von den Schulen. – Es ist das eine Erinnerung an Zeiten, in denen die Kirchen ein weltanschauliches Monopol besaßen. Nein, Bildung in religiösen und ethischen Fragen gründet letztlich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
In Artikel 26 heißt es:
„Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.“
Schulische Bildung in einer pluralistischen Kultur ist daher stets zur Bildung über religiöse und sozialethische Fragen als einem Moment am Zusammenleben der Völker verpflichtet. Selbst der vermeintlich säkulare Staat ist daher im eigenen Interesse, im friedenspolitischen Interesse verantwortlich für die Bildung über religiöse und ethische Fragen. Er kann diese Verantwortung nicht an Kirchen und Religionsgemeinschaften delegieren.
Im Konkreten würde das bedeuten:
Die Schülerinnen und Schüler sollen die verschiedenen Weltanschauungen konkret lernen: das Christentum in seinen historisch gewachsenen Variationen, die asiatischen Religionen, die spirituelle Dynamik in säkularer Kultur, die atheisierende und die ausgereifte atheistische Position gleichermaßen.
Aufgezeigt werden soll zweitens, wie diese die Welt und das Leben deuten und welche ethischen Implikationen ihre Lebensanschauung und Weltanschauung hat.
Drittens: Die Lernenden sollen dadurch in die Lage versetzt werden, in Freiheit ihre eigene weltanschauliche und ethische Position zu überprüfen und zu klären. Wenn man das nicht tut, besteht die Gefahr, dass die Menschen in fundamentalistische Leidenschaften abgleiten. Dies ist angesichts einer enormen Komplexität des eigenen Lebens und der kulturellen Herausforderungen etwa im ökologischen, wissenschaftlichen, sozialen und politischen Bereich unumgänglich.
Ein wichtiger Aspekt wird zudem die ständige Spannung zwischen dem ethischen Ideal und der jeweils erreichbaren ethischen Praxis sein.
Eine weltanschaulich/religiös und ethisch pluralistische Gesellschaft kann nur dann friedlich bleiben, wenn es in der Bevölkerung ein höheres Maß an Pluralitätstoleranz gibt, als dies derzeit der Fall ist. Unverzichtbar gehören auch das Einüben von Dialog, Toleranz und Respekt für die Anderen, friedfertige Kooperation im Sinn gemeinsamer Projekte dazu.
Bei der Erfüllung dieser Bildungsaufgabe kann der Staat mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften kooperieren und ihnen unter bestimmten klaren, erkennbaren Kriterien Bildung in religiösen und ethischen Belangen zusätzlich zu ihrem eigenen Interesse, nämlich religiöse und ethische Bildung direkt zu machen, durch einen Religionsunterricht anvertrauen, welcher unabtrennbar ethische Implikationen haben wird.
Sobald sich aber Eltern beziehungsweise Bürgerinnen und Bürger ab dem religionsmündigen Alter entscheiden, diese von den Kirchen verantwortete Arbeit abzuwählen, steht nach wie vor der Staat in der Pflicht, Bildung über religiöse und ethische Fragen eben für alle anzubieten.
Das Ziel meiner sehr knappen Intervention war, aufzuzeigen, dass sich die Schule in einer modernen Bildungsgesellschaft um die schulische Bildung in religiösen und individual- wie sozialethischen Belangen nicht herumdrücken kann, will sie ihren in den Menschenrechten verankerten Bildungsauftrag nicht verraten. Eine Schulpolitik, die diesen unerlässlichen Auftrag kompetent erfüllt, leistet einen wichtigen Beitrag zu einer friedvollen Zukunft des Landes. Religiöse und ethische Vielfalt bedroht dann nicht mehr, sie wird nicht zum Herd subtiler Konflikte und kann nicht zur Rechtfertigung religiös motivierter Gewalt werden.
Dass in einer solchen Entwicklung auch die christlichen Kirchen gefordert werden, deutlich zwischen kircheneigener religiös-ethischer Bildung und schulischer Bildung in religiös-ethischen Fragen zu unterscheiden, sei zur Sicherheit nur vermerkt. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)
13.57
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Wir kommen damit zur ersten Diskussionsrunde über die Impulsreferate. Redezeit ebenfalls 10 Minuten.
Als Erster zu Wort gelangt Herr Professor Dr. Auer. – Bitte.
13.57
Prof. MMMag. DDr. Karl Heinz Auer (Pädagogische Hochschule Tirol) : Verehrte Präsidentin! Verehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Mitglieder des Hohen Hauses! Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften und der Behörden und Institutionen! Das Thema „Werterziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft“ steht, wie wir heute schon gehört haben, im Kontext eines gesellschafts- und bildungspolitischen Diskurses und ist schon von daher geeignet, hier im Parlament behandelt zu werden.
Der Wandel der Gesellschaft impliziert auch einen Wandel von Normen und Werten. Entwicklungen werden von den einen begrüßt, von den anderen bekämpft, von manchen als Glück und von manchen als Krise empfunden. Was bedeutet das für die Werte-Erziehung in der Schule? Welche Werte sollen in einer pluralistischen Gesellschaft vermittelt werden? Welche Rolle kommt dem konfessionellen Religionsunterricht zu, welche einem Ethikunterricht de lege ferenda?
Über alle weltanschaulichen unterschiedlichen Wege gibt es einen verbindlichen Maßstab, und der liegt in der österreichischen Bundesverfassung, insbesondere in Artikel 14 Abs. 5a B-VG. Die Ziele der Verfassung und die staatlichen Erziehungsziele korrelieren miteinander, und der Verfassungsgesetzgeber hat klare Worte gefunden: Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit, Offenheit und Toleranz sind die Grundwerte, die er für die Schule normiert.
Durch die Orientierung an sozialen, religiösen und moralischen Werten sollen Kinder und Jugendliche zu Menschen werden, die befähigt sind, Verantwortung zu übernehmen: für sich selbst, ihre Mitmenschen, die Umwelt und auch für die nachfolgenden Generationen. Zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis sollen sie geführt werden, gegenüber dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein sowie befähigt, am Kultur- und Wirtschaftsleben Österreichs, Europas und der Welt teilzunehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschen mitzuwirken.
Ein kritischer Blick in die gegenwärtige Situation macht schnell die große gesellschaftspolitische Relevanz deutlich, die in der praktischen Umsetzung dieser Erziehungsziele steckt. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, die Umsetzung dieser Ziele zu ermöglichen. Dem Religionsunterricht kommt dabei von jeher – historisch bedingt – eine wichtige Rolle zu.
Die weltanschauliche Neutralität und Säkularität des Staates schließt die Kooperation mit Kirchen und Religionsgesellschaften keinesfalls aus. Im Gegenteil: Durch den Umstand, dass die meisten Menschen in Österreich zugleich auch Mitglieder einer Religion beziehungsweise Konfession sind, ergibt sich die Notwendigkeit einer Kooperation bei Wahrung der jeweiligen Autonomie. Die Kultur der Anerkennung ist zudem ein Qualitätsmerkmal freiheitlich-westlicher Demokratien, die die Grundrechte der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit ernst nehmen.
Österreich, meine Damen und Herren, geht mit gutem Beispiel voran. Das Religionsunterrichtsgesetz, das für alle anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften Geltung hat, das Islamgesetz oder das Schulkonkordat sind Beispiele dafür. Die Europäische Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang genießt und daher zu dem Bereich gehört, dem über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg Anerkennung geschuldet wird, normiert in Artikel 2 des ersten Zusatzprotokolls – ich zitiere –:
„Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“ – Das ist eindeutig.
Der Blick auf die demographische Entwicklung macht die Verschiebungen deutlich, die sich im Lauf der Zeit in Österreich ergeben haben. Bei der Volkszählung im Jahre 1951 waren bei einer Bevölkerungszahl von knapp 7 Millionen 95,7 Prozent Christen, 3,8 Prozent waren ohne religiöses Bekenntnis, Muslime wurden damals unter „Sonstige“ subsumiert.
Beim letzten Zensus im Jahr 2001 – wie Sie wissen, liegen neuere offizielle Zahlen nicht vor – lag bei einer Bevölkerungszahl von gut 8 Millionen der Anteil der Christen bei 78,5 Prozent, 12 Prozent gaben an, ohne religiöses Bekenntnis zu sein, der Anteil der Muslime lag bei 4,2 Prozent, und „Sonstige“ kamen auf einen Prozentsatz von 3,18. Sie dürfen davon ausgehen, dass sich diese Zahlen zwischenzeitlich wieder verschoben haben.
Bei den genannten Gruppen können weitere Differenzierungen vorgenommen werden. So zählen beispielsweise zu den Menschen, die als konfessionslos geführt werden, nicht nur sogenannte Ungläubige, sondern viele, die sich aus diversen Gründen von einer konkreten Religionsgemeinschaft zwar distanzieren, aber ihren Glauben behalten haben. Viele von ihnen melden ihre Kinder trotz Austritt beziehungsweise Distanz zu einem konfessionellen Religionsunterricht an.
Auf alle Fälle spiegeln sich in den angeführten Zahlen Säkularisierung und Pluralität. Ausdruck findet diese Pluralität in der Vielfalt der Religionsunterrichte, die ein vorbildliches Religionsrecht in Österreich ebenso ermöglicht wie die damit verbundene Förderung der Integration, besonders für die Minderheiten.
Der Staat hat die verfassungsrechtlich vorgegebenen Erziehungsziele mit ihrer Priorität der Werteerziehung bei allen Schülerinnen und Schülern sicherzustellen, auch bei jenen, die den Religionsunterricht nicht besuchen – und darin liegt die eigentliche Begründung für den Ethikunterricht.
30 Jahre, nachdem in Deutschland Ethikunterricht für diese Zielgruppe eingeführt wurde, gab es auch entsprechende Schritte in Österreich mit einem deutlichen West-Ost-Gefälle. So begannen vor 14 Jahren sechs Schulen in Tirol und Vorarlberg und zwei Schulen in Wien mit dem Schulversuch Ethik. Heute sind es rund 200 Schulen, fast ausschließlich der Sekundarstufe II, an denen der Schulversuch Ethik geführt wird – aber nicht, wie wir heute auch schon gehört haben, als Ersatz für den Religionsunterricht und schon gar nicht als Umgehung des Grundrechts der Glaubensfreiheit, die sich in der Abmeldemöglichkeit vom konfessionellen Religionsunterricht manifestiert, sondern als Pflichtgegenstand für alle Schülerinnen und Schüler, die am Religionsunterricht aus welchen Gründen auch immer nicht teilnehmen.
Damit wird dem verfassungsrechtlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag nach Artikel 14 Abs. 5a B-VG entsprochen. Andere Varianten sind in der Rechtsordnung de lege lata nicht möglich. Ein vom Schulversuch nicht umfasster verpflichtender Ethikunterricht für alle würde, bedingt durch die Themengleichheit einerseits und die Abmeldemöglichkeit vom Religions-, nicht aber vom Ethikunterricht andererseits, zu einer empfindlichen Schwächung des Religionsunterrichts und seiner Integrationskraft führen, vor allem wiederum bei Minderheiten.
Ein kurzer Blick in die Erfahrungen. – Bevor die Schulversuche begannen, haben wir am damaligen Pädagogischen Institut des Landes Tirol fachkundige Teams zusammengestellt, die die deutschen Bundesländer bereist und deren Erfahrungen mit dem Ethikunterricht studiert und in die Versuchslehrpläne eingebracht haben.
Die Curricula für die vierjährigen Lehrgänge in der Aus- beziehungsweise Fort- und Weiterbildung der Ethiklehrerinnen und -lehrer orientierten sich in Quantität und Qualität am universitären Lehramtsstudium. In den Jahren, in denen ich als wissenschaftlicher Leiter dieser Lehrgänge für Tirol und Vorarlberg tätig war, konnten diese Lehrgänge von 100 Absolventinnen und Absolventen erfolgreich abgeschlossen werden.
Hervorheben möchte ich das Bemühen um gegenseitigen Respekt und Anerkennung. Beide, Religions- und Ethikunterricht, sind den Zielen der Schule verpflichtet. Beide wollen Werte und Orientierungswissen vermitteln – und zu einem Handlungswissen führen. Beide stellen den Menschen in den Mittelpunkt, verstehen sich auch als Korrektiv inhumaner Strukturen, wollen den jungen Menschen begleiten. Viele Themen finden sich sowohl im Ethik- als auch im Religionsunterricht.
Worin liegt dann der Unterschied? – Während sich der Ethikunterricht prinzipiell weltimmanent versteht, wie Professor Liessmann angedeutet hat, und auf der Basis von Vernunft, Kultur und Geistesgeschichte ethische Fragestellungen in einer Äquidistanz zu religiösen Bekenntnissen und Weltanschauungen behandelt, spricht der Religionsunterricht auch Fragen der Transzendenz an. Er hat im Hinblick auf die eigene Konfession eine Innenperspektive und berücksichtigt neben Vernunft, Kultur und Geistesgeschichte auch die Offenbarung. Darin liegt auch sein religiöser Anspruch, der dem Ethikunterricht fremd ist, ja fremd sein muss.
Formal liegt der wesentliche Unterschied darin, dass der Unternehmer des Religionsunterrichts die jeweilige anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft ist, der des Ethikunterrichts aber der Staat.
Nach 14 Jahren des erfolgreichen Schulversuchs ist es an der Zeit, den Ethikunterricht im Sinne der Erprobung in das Regelschulwesen zu überführen. – Ich bedanke mich. (Beifall.)
14.07
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Vielen Dank. – Ich darf nun Herrn Mag. Kühnl um seinen Diskussionsbeitrag bitten.
14.08.00
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Minister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wäre vermessen, angesichts der Qualität der Impulsreferate auf vergleichbarem Reflexionsniveau in Kürze Wesentliches ergänzen zu wollen, daher aus der praxisorientierten Sicht eines Ethiklehrer-Ausbilders einige Gedanken zu zentralen Punkten.
Mag. Martin Kühnl (Universität Wien) :Ethik als Orientierungsangebot in zentralen Lebens- und Gesellschaftsfragen für junge Menschen steht nur scheinbar im Widerspruch zum Religionsunterricht. Die wahre Antithese zum Ethikunterricht sind ein Konsumismus und eine Haltung des Achselzuckens in Wertfragen.
An den Schulen – so wie ich es erlebe und von meinen Kolleginnen und Kollegen rückgemeldet bekomme – besteht ein liebevoller Streit im Versuch, von verschiedenen Standpunkten aus jungen Menschen Sinnfindung und Orientierung zu geben.
Besonders wichtig für diesen Gegenstand scheint mir die Auswahl der Lehrkräfte zu sein; nicht so sehr im Gegensatz zu Religionspädagogen – sollen die jetzt Ethik unterrichten dürfen oder nicht? –, sondern im Sinn eines professionellen Selbstverständnisses und eines pädagogischen Habitus, der, wie Professor Konrad Krainer einmal erwähnt hat, gerade im Ethikbereich besonders wichtig ist. Insofern scheint mir der Einsatz erfahrener Pädagoginnen und Pädagogen von zentraler Bedeutung zu sein. Weisheit in Lebensfragen lässt sich schlecht mit Anfang 20 lernen.
In der Rückmeldung von Ethiklehrerinnen und -lehrern stellen sie nur einen einzigen Aspekt als problematisch dar im praktischen Arbeiten an den Schulen, nämlich den Kampf um Werteinheiten und die Frage, wie der Ethikunterricht finanziert werden soll. Es besteht die große Sorge, dass weiterhin ein Konflikt und ein Konkurrenzdenken zwischen Ethik- und Religionsunterricht bestehen bleiben könnte. Das wird von den Ethiklehrern vor allem angemerkt, dass dies hoffentlich bald der Vergangenheit angehört.
Ich sehe weiters einen Bedarf an Entwicklung in curricularen Fragen, aber wenn man sich die Lehrpläne der Schulversuche ansieht, dann sind wir, so denke ich, auf einem guten Weg. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
14.10
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Danke. – Ich darf nun Herrn Dr. Greussing um seine Stellungnahme ersuchen. – Bitte.
14.10
Damen und Herren und politisch Verantwortlichen – nicht nur diejenigen in Ämtern, sondern auch jene ohne! Ich möchte mich den hier bereits geäußerten Vorstellungen eines Ethikunterrichts, der nicht als Ersatz für Religionsunterricht dient, in einer ganz spezifischen Weise anschließen.
Dr. Kurt Greussing (Sozialwissenschaftler; Vorarlberg) : Sehr geehrte Frau Präsidentin! MeineEs ist schon mehrmals betont worden, dass es in einer offenen Gesellschaft keine zentralen Sinnreservoirs gibt, aus denen wir uns umstandslos bedienen können. Solche Sinnreservoirs gab es noch im 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in Form der vom politischen Katholizismus formulierten Ordnungsvorstellungen. Es gibt derartige Sinnreservoirs heute noch im Islam durch die von den Gelehrten formulierte Orthodoxie, in der ebenfalls religiöse Ordnungsvorstellungen durch Gesetze formuliert werden. Und wir haben säkulare Weltanschauungen gehabt und haben sie zum Teil immer noch, die unter funktionalen Gesichtspunkten auch diese Aufgabe erfüllen. Der inzwischen doch weitgehend verblichene Marxismus-Leninismus hat diese Aufgabe gehabt, ein zentrales gesellschaftliches Sinn- und Wertereservoir darzustellen. Dasselbe tun auch die politischen Nationalismen verschiedener Prägung.
Wenn wir also über offene Gesellschaften reden, dann haben wir immer mit Gesellschaften zu tun, die die verbindlichen Werte, mit denen sie auf irgendeine Form, auf irgendeine Weise zusammengehalten werden, eben nicht aus einem allgemein verbindlichen Sinnsysteme beziehen können, sondern wir müssen diese Werte – auch das ist hier betont worden – immer wieder neu finden und neu ausverhandeln. Es gibt für die meisten von uns keine zentralen „Depots“ mehr, aus denen wir uns diesbezüglich beliefern lassen können. Aber auch wenn wir Werte selbst finden müssen – das muss schon dazugesagt werden –, gibt es doch noch immer bestehende religiöse und säkulare Weltanschauungen, die diesen Wertetransfer ermöglichen.
In einer multiethnisch, multikulturell, vor allem aber auch multireligiös verfassten Gesellschaft müssen wir dieses Ausverhandeln erst recht dann üben, wenn die Lebensstile der beteiligten Menschen ganz unterschiedlich sind, wenn es angesichts der Vielfalt der individuellen Vorstellungen davon, was gerecht ist, was sittlich angemessen ist – in der Kleidung, im Geschlechterverhältnis, im Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern –, was strafwürdig und was belohnenswert ist, welche Freiheiten und Beschränkungen es für einen selbst, aber vor allem natürlich für die anderen geben soll, eine erhebliche Wertevielfalt, Wertekonkurrenz und erst Wertekonflikte gibt. Dann braucht es eben auch Verfahren, durch die wir uns auf Grundwerte einigen können und darauf, was wir gemeinsam in einer Gesellschaft wollen.
Dieses Ausverhandeln eines minimalen, aber grundlegenden Satzes von Werten ist nicht einfach. Ich möchte im Folgenden meiner Ausführungen über ein Verfahren reden, wie das nun im Ethik- beziehungsweise im Religionen- und Weltanschauungsunterricht in der Schule geschehen kann.
Es geht – das möchte ich auch noch betonen – bei diesem Aushandeln von Werten nicht einfach um die äußerliche Akzeptanz, beispielsweise der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder der Prinzipien unserer Verfassung von 1867, die übrigens durch Gesetze im Verfassungsrang bis zur Unkenntlichkeit entstellt und aufgebläht worden ist, sondern wir müssen uns fragen, ob es Verfahren gibt, mit denen diese Werte jeweils neu in der Sozialisation von Menschen auch erarbeitet und auf diese Weise auch verinnerlicht werden können.
Ich glaube und werde im Folgenden einige Argumente ins Treffen führen, dass ein zentraler Ort für einen solchen Lernprozess auch in pädagogischer Sicht ein Religionen- und Weltanschauungsunterricht auf nicht konfessioneller Grundlage sein könnte, als Pflichtfach, als allgemein verbindliches Pflichtfach in Schulen, nicht als Konkurrenz und schon gar nicht als Ersatz zum Religionsunterricht. Ein solcher Religionen- und Weltanschauungsunterricht könnte für Heranwachsende buchstäblich zu einer Schule dieses gesellschaftlich notwendigen Wertediskurses werden.
Es ist ja bekannt, dass wir in keiner ideologiefreien Gesellschaft leben. Diese Illusion, die noch in den Jahren 1989/90 lautstark genährt worden ist, hat sich selbst als Ideologie erwiesen. Stattdessen erleben wir zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen entlang meist sehr grob gezogener Trennlinien zwischen Weltanschauungen. Es sind das religiöse Trennlinien, etwa Christentum versus Islam, es sind kulturalistische Trennlinien wie etwa Abendland gegen Orient oder den Osten, und es sind in einem gewissen Sinn politische Trennlinien wie Aufklärung gegen Despotie.
Dieser Trennliniendiskurs wird übrigens auch von jener Seite geführt, die sonst üblicherweise ins Lager der Gegenaufklärung gestellt wird und der die Zugehörigkeit zum Abendland abgesprochen wird, denn nicht weniger holzschnittartig und hartkantig werden auch dort eigene religiöse und kulturelle Werte gegen den angeblichen Materialismus des Westens oder den vermeintlich zügellosen Sexismus dieses Systems in Stellung gebracht. Die sogenannte Islamophobie hat also einen zweieiigen siamesischen Zwilling, die sogenannte Okzidentophobie.
Ein Religionen- und Weltanschauungsunterricht müsste aus solchen Gegensatzkonstruktionen, die sich ja schon längst in unserem Alltag verfestigt haben, herausführen. Dazu wäre es notwendig, dass ein Blick auf Religionen in diesem Unterricht praktiziert wird, den die moderne Religionswissenschaft und vor allem die Religionssoziologie – dazu Namen wie Émile Durkheim oder Max Weber – entwickelt haben. Um diesen Blick zu entwickeln, bedarf es eines Zugangs zu den Religionen von außen, also einer funktionalen Betrachtung, die die Glaubensvoraussetzungen, das heißt die geoffenbarten Wahrheiten der einzelnen Religionen und Weltanschauungen, gerade nicht berührt.
Es geht bei solch einem religionssoziologischen Blick auf Religionen eben nicht um Glaubenswahrheiten im Sinn der Annahme oder der Ablehnung göttlicher Offenbarung, sondern es geht schlicht um die gesellschaftlichen Funktionen von Religion, um die Frage, welche Auswirkungen jeweils bestimmte Glaubensvorstellungen auf die Formulierung von Wertesystemen und damit auf das Zusammenleben der Menschen und somit auf die Organisation der Gesellschaft haben.
Diese Frage nach der Funktion von Religionen kann man sehr gut von der Frage der Wahrheit der Religionen lösen. In diesem Sinne ist auch für einen nichtreligiösen Menschen wie mich ein, wie ich glaube, sinnvolles, ernsthaftes und respektvolles Gespräch über Religionen und mit religiösen Menschen möglich. Um wissenschaftlich über Religion zu reden muss man nicht religiös sein – genauso wenig wie man kriminell sein muss, wenn man Kriminalsoziologie betreiben will.
Das setzt dann aber im Weiteren voraus, dass ein Unterricht mit einem derartigen Blick auf Religionen und Weltanschauungen die ganze empirisch vorfindbare Breite dieser Religionen und Weltanschauungen mit einbezieht, auch ihren Wandel. Ein konfessionell gebundener Unterricht, auch innerhalb der einzelnen großen Weltreligionen, wird immer dazu tendieren, innerhalb dieser Weltreligionen die eigene Konfession – sei sie katholisch oder kirchenprotestantisch, sei sie bei Muslimen schiitisch oder sunnitisch, so wie sich die Religionsgelehrten der Rechtsschulen das vorstellen – in den Mittelpunkt zu rücken.
Da fragt man sich: Wo bleiben denn bei solch einem Herangehen die anderen Denominationen? Wo bleibt die Vielfalt gerade volksreligiöser Bekenntnisse? Wo bleiben die kritischen, unorthodoxen Aufbrüche in den Religionen? Wo bleiben auch die orthodoxen Verengungen im Zeichen der Rechtsgläubigkeit? Wo zum Beispiel lernt das Kind im islamischen Religionsunterricht etwas von der Vielfalt christlicher und islamischer Bekenntnisse? Wo lernt das Kind, der Schüler/die Schülerin im katholischen Religionsunterricht etwas von der Vielfalt islamischer und auch christlicher Bekenntnisse oder wird gar auf diese Vielfalt und Unordnung des Religiösen neugierig gemacht?
Ich fürchte, Theologen – gleich, welcher Konfession – sind Ordnungsspezialisten. Wir brauchen aber ein Fach für das Unordentliche von Religionen und Weltanschauungen. (Beifall.)
14.20
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Ich darf nun Frau Mag. Neuberger-Schmidt um ihren Beitrag ersuchen.
14.20
Mag. Maria Neuberger-Schmidt („Elternwerkstatt“; Wien) : Ich bedanke mich herzlich für die Einladung, die vonseiten des BZÖ kam, und ich spreche im Namen der „Elternwerkstatt“, deren Obfrau ich bin – da geht es um Elternbildung und auch um Elternführerschein.
Wie kam ich zum Thema Ethik? – Mein damals 15-jähriger Sohn kam eines Tages nach Hause und sagte: Mama, ich habe mich von Religion abgemeldet! Ich fragte: Wie bitte?! Und da fragst du mich gar nicht?! Er sagte: Nein, das muss ich nicht! Ich ging dann zum Direktor, dieser bestätigte mir das und sagte, das sei die Entscheidung meines Sohnes, ich müsse nicht gefragt werden. Und auf meine Frage: Was gibt es denn stattdessen? Haben Sie alternativ einen Ethikunterricht anzubieten?, sagte der Direktor: Nein! – Ach so, das Kind wählt jetzt zwischen Religionsunterricht und Freistunde? – Ja.
Das hat in mir einiges ausgelöst – das war vor zirka 15 Jahren –, und seither beschäftigt mich dieses Thema ganz persönlich und auch in der Arbeit mit den Eltern, die unsere Beratungen und Seminare besuchen.
Ein anderes persönliches Beispiel: Ich habe eine Freundin aus dem Iran, sie ist Muslimin und hat zu mir gesagt: Weißt du was, meine Söhne gehen in den evangelischen Religionsunterricht?! – Ach so? Warum nicht in den muslimischen? – Nein, ich habe Angst, das könnte zu fundamentalistisch sein. Ich finde, dass dieser Religionsunterricht sehr weltoffen ist, und ich und meine Söhne sind damit sehr zufrieden!
Ich habe auch sehr viel Positives von vielerlei Seiten eben vom katholischen Religionsunterricht gehört. Ich kenne auch einen Vater, der seine Töchter dorthin geschickt hat, obwohl er sagt, er selbst ist atheistisch orientiert, aber ihm ist es wichtig, dass seine Töchter eine christliche Bildung haben, damit sie eine Werteerziehung bekommen und damit sie auch mit der Kultur, in der sie leben, mit den Wurzeln des Christentums vertraut werden.
Zum Ethikunterricht: Ich habe jetzt große Übereinstimmung pro Ethikunterricht gehört, dieser möchte ich mich anschließen. Die Frage ist nun: Soll es einen allgemein verpflichtenden Ethikunterricht geben und Religion nur als Privatsache in der Freizeit, oder aber sind wir für einen Ethikunterricht wahlweise zu einem konfessionell gebundenen Unterricht?
Meine persönliche Meinung, nachdem ich länger darüber nachgedacht habe – es gibt viele Pro und Kontras; wir haben sie schon gehört –: Ich plädiere dafür, den Ethikunterricht wahlweise zum Religionsunterricht einzuführen. Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen über die verschiedenen Religionsunterrichte gehört. Eine gewisse Konkurrenz Religion versus Ethik würde sich in allen Elternhäusern auftun, wenn die Eltern und die Kinder vor der Entscheidung stehen. Und ich glaube, dass auch ein Religionsunterricht, wie er heute stattfindet, sehr weltoffen und pluralistisch ist und sich vornehmlich an die humanistischen Ideale wendet.
Wo hat denn Ethik ihre Wurzeln? – Ich bin der Meinung, ganz allgemein menschlich hat Ethik im eigenen Gewissen seine Wurzeln. Ob ich jetzt an einen Gott glaube und an welchen ich glaube oder ob ich mich zu keinem Glauben an einen Gott oder an etwas Übernatürliches durchringen kann, dafür entscheiden kann: Jeder Mensch hat ein Gewissen, und daraus resultieren die ethischen Grundlagen.
Eine Initiative, die heute noch nicht erwähnt wurde und der ich persönlich auch mit großem Respekt angehöre, ist die Initiative Weltethos. Es geht dabei um das Verbindende zwischen den Religionen, um den gemeinsamen Nenner, darum, diesen zu suchen, damit sich die Menschen eben einander annähern können – zunächst über das Verbindende – und das Trennende vielleicht in den Hintergrund rücken und bezüglich des Trennenden dann auch bessere Brücken und Lösungen finden können.
Worum geht es im Ethikunterricht? – Es gehört sehr sorgfältig ausgewählt: die Inhalte, die Lehrenden, welche Qualifikationen sie mitbringen müssen, was den Kindern beigebracht wird – sei es im Religionsunterricht, sei es im Ethikunterricht, da gibt es etwas ganz Zentrales.
Ich habe vor vielen Jahren einmal folgende Aussage von Herrn Professor Marian Heitger im Radio gehört: Wir müssen den jungen Menschen das Werten lehren!
Auf der einen Seite sollen die jungen Menschen Wissen und Kenntnisse über verschiedene Wertehaltungen und Religionen in der Gesellschaft erhalten, auf der anderen Seite aber auch Prozesse lernen, mit denen sie sich zu Entscheidungen durchringen. Das kann etwas ganz Banales sein: Warum schmeiße ich mein Papierl auf den Boden, oder gebe ich es stattdessen in den Mistkübel? – Das praktische Reflektieren darüber, warum handle ich wie.
Mir ist es daher ganz wichtig, dass in der Diskussion, die heute stattfindet, und auch in der Folge Ethik und Religion nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern dass wir die jeweiligen Qualitäten besser erkennen.
Es wurde auch die Frage gestellt: Können wir den Ethikunterricht nicht in andere Fächer auslagern?; sei es Geschichte, Literatur et cetera, es kommt ja überall Ethik vor. – Es stimmt, dass in allen Fächern Ethik vorkommt. Es kommt in jeder meiner Handlungen Ethik vor, in jedem Wort, das ich spreche – das gilt für uns alle. Und es ist auch wichtig, dass solche Werte auch in andere Lebensbereiche einfließen und wir wissen, woher sie und das Wissen, das wir über sie vermitteln, gespeist werden.
Es macht aber doch einen Unterschied, ob es einen Ethikunterricht gibt oder nicht, denn in diesem Ethikunterricht wird meiner Meinung nach darüber reflektiert, warum ich wie denke, warum ich mich wie entscheide, warum ich wie mit anderen Menschen, mit anderen Kulturen, anderen Überzeugungen umgehe. Es ist daher für eine mündige demokratische Gesellschaft ganz, ganz wichtig, dass wir solch einen Ethikunterricht haben, wo das Reflektieren – das ganz persönliche Reflektieren – gelehrt wird.
Jetzt gibt es aber noch etwas: Auch ein Ethikunterricht ist etwas Theoretisches. Mir ist es sehr, sehr wichtig, dass in der Schule dieser theoretisch reflektierende Ethikunterricht in das praktische Leben der Schule sowie Schülerinnen und Schüler überfließt.
Es wird auch sehr oft von der PISA-Studie geredet und darüber, dass die Leistungen vieler Schüler nicht entsprächen. Woran liegt das denn? Ist denn unser Schulsystem so schlecht? – Darüber kann man streiten. Meiner Meinung nach hängt es aber nicht nur davon ab, wie gut die Qualität des Unterrichts ist – die gehört permanent verbessert –, sondern vor allem davon, wie aufnahmebereit unsere Schüler sind, wie leistungsfähig sie sind, davon, ob ein Kind das Wissen, das ihm angeboten wird, überhaupt integrieren, aufnehmen kann, ob es das überhaupt möchte.
Wovon hängt denn diese Bereitschaft ab? – Diese Bereitschaft hängt meiner Meinung nach ab vom Selbstwertgefühl des Kindes, vom Verantwortungsgefühl, das sich entwickelt, und von seiner sozialen Kompetenz.
Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Um ein Kind zu erziehen, brauchen wir ein ganzes Dorf! – Nun gibt es diese Dörfer nicht mehr, in denen Kinder erzogen werden. Wir leben in Einkindfamilien, in sehr isolierten Familien. Kinder haben zu Hause oft keine Gelegenheit, mit Geschwistern zu streiten, weil es diese nicht gibt, und die Isolation ist für viele Eltern und Kinder ein großes Problem geworden, insbesondere in einer Welt, in der die virtuelle Welt im Leben unserer Kinder zunehmend mehr Platz einnimmt. Sie sind dadurch gefährdet, sie sind von der geistigen „Umweltverschmutzung“, die überall auf sie einströmt, gefährdet.
Die Psychologen haben sehr viele Seiten darüber geschrieben, wie viele negative Auswirkungen die moderne Umwelt auf Kinderseelen hat. Jetzt sehe ich eine große Chance darin, dass Schule gegensteuern kann. Und wie kann sie gegensteuern? – Indem diese Ethik auch in einer lebendigen Schule, in einer lebendigen Klassengemeinschaft gelebt wird.
Wir brauchen also den Ethik- oder Religionsunterricht, eine Klassengemeinschaft mit professionell ausgebildeten Lehrern, die Gruppenprozesse steuern können, Konfliktmanagement – dann würde weniger Mobbing zustande kommen.
Wir müssen auch das Thema Verantwortung ganz praxisorientiert in die Schule einbringen, den Kindern von klein auf Verantwortung übertragen, nicht nur das Wissen vermitteln, und die Schule als Tor zur Welt mit geeigneten Projekten sehen. – Danke. (Beifall.)
14.32
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Damit ist die erste Diskussionsrunde abgeschlossen.
Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer : Ich leite zur allgemeinen Diskussion über und gebe bekannt, dass 30 Wortmeldungen vorliegen. Bei großer Zeitdisziplin, also der Einhaltung von 3 Minuten Redezeit, werden wir nicht dazu übergehen müssen, eine Zeitkürzung durchzuführen. Ich darf aber alle Rednerinnen und Redner bitten, sich daran zu halten.
Als Erster gelangt Herr Dr. Braunstein zu Wort. – Bitte.
14.32
Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich nütze die Gelegenheit, als Praktiker zu Ihnen zu sprechen, als einer der stolzen Direktoren, die bereits vor 14 Jahren mit dem Schulversuch Ethik hier in Wien begonnen haben. Meine Schule, das GRG 23, Anton-Baumgartner-Straße, hat mit dem ORG 1, Hegelgasse, 1997/1998 mit einem Schulversuch begonnen, der damals in der Öffentlichkeit noch sehr, sehr negativ betrachtet wurde.
HR Dr. Dieter Braunstein (Direktor des GRG 23, Wien) : Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Frau Bundesministerin!Wir waren also mit großem Misstrauen konfrontiert. Die Vorwürfe reichten – je nach ideologischer Position – von „linker Ideologisierung“ bis hin zu „Demontage des Religionsunterrichtes“ und auch zu dem Vorwurf, das wäre „ohnehin nur ein verkappter Religionsunterricht“. (Präsident Neugebauer übernimmt den Vorsitz.)
Meine Damen und Herren, Sie haben heute gehört, die Evaluierung von Herrn Professor Bucher – sie betraf natürlich auch unsere beiden Schulen – war äußerst positiv. Wir haben natürlich immer wieder das Feedback der Schülerinnen und Schüler und der Eltern berücksichtigt, und ich kann Ihnen sagen, dieser Schulversuch, der als „alternativer Pflichtgegenstand Ethik“ geführt wird – wir haben den Begriff „Ersatzunterricht“ oder „Ersatzgegenstand“ immer vehement abgelehnt –, erfreut sich größter Beliebtheit. Er wird nicht nur akzeptiert, sondern er wird von den Eltern und von den Schülerinnen und Schülern sogar eingefordert – und das mit gutem Recht.
Ich sehe die heutige Veranstaltung als weiteren Schritt in die richtige Richtung, nämlich zu dem Ziel zu kommen, die flächendeckende Einrichtung des „Pflichtfaches Ethik“ – und nicht anders darf das heißen – österreichweit umzusetzen.
Ich benutze jetzt – ich habe mir das von Herrn Professor Liessmann notiert – eine sicher dramatische Aussage: Eine „staatspolitische Notwendigkeit“ steht vor uns, nämlich endlich bildungspolitisch verantwortungsbewusst diese Maßnahme umzusetzen. 14 Jahre Schulversuch sind genug! Ich sage das auch aufgrund der Tatsache, dass die Schulversuchsschulen auch an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit und ihrer Ressourcen gekommen sind.
Sie müssen sich vorstellen, wir müssen jede einzelne Werteinheit durch Einsparungen in anderen Bereichen, in unverbindlichen Übungen, in Freigegenständen, oder durch den Verzicht auf Teilungen bei gesetzlich zustehenden Teilungszahlen Jahr für Jahr umsetzen! Da gibt es Verteilungskämpfe. Einige Schulen haben schon kapituliert.
Derzeit nehmen – das wurde hier schon gesagt – 194 Schulen an diesem Schulversuch teil. Ich wage die Aussage: Wenn hier keine wirkliche Entscheidung fällt, bildungspolitisch verantwortungsbewusst, wird die Zahl dieser Schulversuchsschulen geringer werden. Ich denke, dass wir damit eine große Chance verlieren.
Ich verlasse mich jetzt gar nicht auf diese großen theoretischen Konstrukte, sondern ich glaube – jeder von Ihnen kann das nachvollziehen in seiner persönlichen täglichen Praxis –, da sind wir alle gefordert. Da ist der Gesetzgeber gefordert. Es geht da auch um – dieses Wort ist heute noch nicht direkt gefallen – Integration, Auseinandersetzung mit Werten. Ich verwende nicht den Begriff „Werteerziehung“, denn ich glaube, gerade das ist der Punkt eines säkularen Ethikunterrichtes, die Hinterfragung von Werten und die eigene Position zu diesen Werten zu definieren. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
14.36
14.36
Damen und Herren! Es ist so viel an sehr klugen Gedanken heute bereits geäußert worden, dass ich mich eigentlich in der Rolle eines jener finde, die nur noch ein paar Ergänzungen anbringen möchten – und das möchte ich hauptsächlich in drei Punkten tun.
Univ.-Prof. Dr. Peter Kampits (ehemaliger Dekan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft, Universität Wien) : Herr Präsident! Frau Minister! Herr Minister! Meine sehr verehrtenÜber die Notwendigkeit des Ethikunterrichts als Regelunterricht möchte ich gar kein Wort verlieren, das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Und ich appelliere auch, dass das budgetäre Problem, das damit verbunden ist, die Sache nicht hindern oder letztlich verhindern sollte.
Ich mache die etwas boshafte Bemerkung: Österreich ist wirklich kein armes Land, und es wird Geld für so viele meiner Ansicht nach unnütze Dinge ausgegeben, dass gerade die Notwendigkeit, diesen Ethikunterricht einzurichten, nicht dem Budget zum Opfer fallen sollte.
Eine weitere Ergänzung betrifft die gegenwärtige Situation der Ethik. Es ist vieles – wie gesagt, ich möchte das nicht wiederholen – schon gesagt worden, ich möchte nur noch darauf verweisen, dass durch die Technisierung und die Verwissenschaftlichung unserer Lebenswelt ein ungeheurer Bedarf an dem entstanden ist, was wir die angewandte Ethik nennen. Als Beispiel seien die Entwicklungen im Bereich der Medizin, die uns vor neue ethische Herausforderungen und Fragestellungen gestellt haben, genannt.
Ein zweiter Punkt, der mich sehr bedrückt: der Zuwachs – unter den Jugendlichen vor allem – an Aggression, und zwar nicht nur an Aggression, sondern auch an Rohheit und der Bereitschaft zu sinnloser Gewalttätigkeit, der durch einen Ethikunterricht nicht unbedingt gebremst werden wird können, ich meine aber, dass eine bestimmte Richtung der Erziehung und eine bestimmte Sensibilisierung da doch einiges bewirken könnten.
Der Gedanke meines Kollegen Liessmann betreffend Entkoppelung von Religionsunterricht und Ethikunterricht hat etwas Verlockendes an sich, das dürfte aber nie in ein Entweder-oder beziehungsweise in ein Gegeneinander dieser beiden münden.
Der dritte Punkt wäre – auch das wurde schon öfters betont – die Gediegenheit der Ausbildung. Da kann man darauf verweisen, dass nicht nur die Pädagogischen Hochschulen, sondern eben auch die Universität Wien – ich glaube, jetzt auch die Universität Graz – in einem viersemestrigen Ausbildungslehrgang, der also Universitätslehrgangscharakter und ein Volumen von 48 Stunden hat, ausbilden.
Ich bin kein Fan der Bologna-Struktur, darum habe ich mich um die ECTS-Punkte eigentlich nie gekümmert, aber die kann man berechnen, wenn man es will.
In einem letzten Punkt darf ich noch darauf verweisen, dass eben Ethik nicht unbedingt Moral, also Moralisieren, Auffahren mit dem „Moral-Caterpillar“ und Erheben des Zeigefingers bedeutet, sondern uns Anleitung zu einem geglückten Leben geben soll.
Anschließend an Minister Töchterle als letzte Bemerkung: Schwierigkeiten in der Ausbildung wird es immer geben. Die Ausbildung soll gediegen sein. Schon Aristoteles hat darauf verwiesen, dass die Ethik eigentlich nichts für junge Menschen ist, weil die zu sehr von Leidenschaften erfüllt sind, sondern Ethik ist eher etwas für Betagte. Aber das sollte man nicht unbedingt als Slogan und als Anfang für einen Ethikunterricht nehmen. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)
14.39
14.40.00
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Minister! Hohes Haus! Dr. Dieter Braunstein und ich waren vor 14 Jahren, wie schon erwähnt, die Ersten, die in Wien diesen Schulversuch begonnen haben. Wir sind sozusagen als Tandem durch die Landschaft Wiens gezogen, um für etwas zu werben, was damals noch lange nicht selbstverständlich war, was aber heute Gott sei Dank in einer sehr, sehr offenen Diskussion in einem Rahmen diskutiert wird, der eine Fortsetzung und vor allem eine Etablierung des Ethikunterrichts als alternatives Fach, so hoffe ich, zulassen kann.
Mag. Dr. Michael Jahn (Direktor des BORG Wien I) :Mein Part ist: Ich schließe mich den Ausführungen des Kollegen Braunstein vollkommen an – und möchte Ihnen nun ganz kurz ein Schulmodell vorstellen, wie es in der Praxis wirklich funktioniert.
Der Schlüssel dazu ist, dass wir eine Zeitschiene aufgestellt haben, wo Religionsunterricht und Ethikunterricht in einem Zeitrahmen stattfinden. Konkret: Alle sechsten Klassen – ich habe vier davon – haben zur gleichen Zeit katholischen Religionsunterricht, evangelischen und muslimischen sowie Ethikunterricht. Das hat einen großen Vorteil.
Erstens ist organisatorisch – Voraussetzung ist, dass man genügend Lehrer hat – dieser Rahmen ein wesentlicher Punkt, weil der zweite Punkt, der wichtig ist, nämlich eine Gemeinsamkeit, wo sie möglich ist, auch gemeinsam überarbeitet und erarbeitet werden kann. Das heißt, eine Themenfindung, die von verschiedenen Aspekten beleuchtet werden kann, hat den großen Vorteil, die schon angesprochene Toleranz über Integration, über ethnische Minderheiten, über diverse Ausrichtungen verschiedenster Art auch wirklich zu diskutieren. Die Schüler lernen argumentieren, tolerieren und einander Reibebaum zu sein. Das heißt, sie können untereinander diese Werthaltungen unter der Leitung oder unter dem Supportership, würde ich einmal sagen, eines guten Ethiklehrers dann auch wirklich gut aufarbeiten.
Einen kleinen Spareffekt hat das sogar, denn: Erstens brauche ich keine Beaufsichtigungen mehr für Schüler, die sich sonst irgendwo aufhalten oder keinen Unterricht haben, und zweitens: Ich kann im Notfall, wenn ein Religionslehrer oder ein Ethiklehrer zum Beispiel krank oder etwa durch Schikurs et cetera verhindert ist, eine gemeinsame Stunde auch mit einem Thema finden – in aller Verschiedenheit, aber auch in der Gemeinsamkeit.
Ich glaube, das sind ein paar wesentliche Aspekte, wie es sich bewährt hat, und ich möchte mich daher wirklich auch der Meinung anschließen: Ethikunterricht, wie wir ihn durchgeführt haben, ist ein Erfolgsmodell!
Ich würde sehr dafür plädieren, dass dies auch wirklich etabliert werden kann. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
14.43
14.43.15
Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Dass die Trennung von Staat und Kirche unbedingt notwendig ist, wissen wir, und das wurde auch schon festgestellt. Es kann aber nicht sein, dass man sagt: Tausche Religionsunterricht gegen Ethikunterricht!
Dass Ethikunterricht auf freiwilliger Basis möglich ist, ist keine Frage, wobei es natürlich vordergründig für die anerkannten Religionsgemeinschaften und Kirchen vielleicht verlockend ist, durchs Hintertürl mehr Kinder in den Religionsunterricht zu bringen, indem man sagt: Na gut, wenn ihr nicht in den Religionsunterricht geht, dann müsst ihr halt in den Ethikunterricht gehen!
Ich glaube aber, dass dieses Hintertürl so nicht funktionieren kann. Die Taktik wird so nicht aufgehen, denn es ist zu befürchten, dass genau jene Schüler, die sich sehr wohl zum Religionsunterricht und zum christlichen Glauben und zu den Religionsgemeinschaften, die bei uns anerkannt sind, bekennen, dann diskriminiert werden, indem man sagt: Ihr geht in den Religionsunterricht!, und Ethikunterricht soll aber dann als Nonplusultra hingestellt werden.
Religionsunterricht muss weiterhin so bestehen bleiben, wie wir ihn bisher hatten: auf freiwilliger Basis und nicht verpflichtend im Tauschgeschäft zu einem Ethikunterricht.
Allerdings stelle ich dann hier schon an die Kirchen, an die Religionslehrer die Forderung, den Religionsunterricht doch etwas attraktiver, zeitgeistiger und moderner zu gestalten, denn die Jugend sucht Werte, die Jugend ist auf der Suche nach Sinn und Werten. Und in diesem Falle sind, glaube ich, die Religionsgemeinschaften aufgefordert, dies zu vermitteln und nicht in einem Ethikunterricht zu verhaften und den dann verpflichtend vorzuschreiben. (Beifall.)
14.45
14.45
Emer. Univ.-Prof. Dr. Heinz Oberhummer (Technische Universität Wien) : Sehr geehrter Herr Präsident! Frau und Herr Minister! Verehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Über das bedenkliche Fundament der geplanten flächendeckenden Einführung eines Ethikunterrichts, und zwar ausschließlich als Ersatzpflichtgegenstand zum konfessionellen Religionsunterricht, und der Qualifikation von Ethiklehrern/ Ethiklehrerinnen möchte ich in dieser kurzen Zeit etwas sagen.
Warum Ersatzpflichtgegenstand? – Das ist klar! Weil die Existenz des Religionsunterrichts herangezogen wird, um die Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts für konfessionsfreie Schülerinnen und Schüler zu rechtfertigen. Stichhaltige Gründe, warum Kinder, die den konfessionellen Religionsunterricht besuchen, nicht an diesem Ethikunterricht teilnehmen sollen, sind mir bisher nicht bekannt. Ebenso ist mir auch nicht klar, warum Ethikunterricht für konfessionsfreie Schülerinnen und Schüler von Religionslehrern gehalten werden soll.
Ein kritischer Blick, den ich auf den Personenkreis, der seit Jahren diesen Ethikunterricht propagiert und als Ersatzpflichtgegenstand zum konfessionellen Religionsunterricht vorantreibt, werfe, lässt jedenfalls eine überwiegend religiös geprägte Motivation zumindest erahnen.
Allein die Tatsache, dass in diesem Haus gleich 28 Vertreter der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften eingeladen wurden, um über die ethische Bildung gerade unserer Kinder und Kindeskinder, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, zu diskutieren, widerspricht meinem demokratischen Hausverstand. Insbesondere deshalb, weil diese Konfessionsfreien nach unseren Schätzungen bereits die 2-Millionen-Grenze in diesem Land überschritten haben, ist es diesem Haus nicht angemessen und nicht fair, diese Leute einzuladen.
Gerade erst vorigen Monat hat der Europarat eine Empfehlung beschlossen, dass auch die Repräsentanten der säkularen Vereinigungen in die interkulturellen Dialoge und Netzwerke mit einbezogen werden sollten. Ich hoffe, diese Botschaft kommt auch hier in Österreich an.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die konfessionsfreien Österreicherinnen und Österreicher sind keine BürgerInnen zweiter Klasse. Sie haben lediglich andere Antworten auf die wichtigsten Fragen des Lebens und Daseins, wie Glück, Sinn, Werte und Lebensinhalte, gefunden. Sie benötigen keine Sonderbehandlung und schon gar keine Zwangsmissionierung unter dem Deckmantel der Werteerziehung.
Zusammengefasst: Ethikunterricht ja!, aber wenn, dann weltanschaulich neutral und für alle Schülerinnen und Schüler, und zwar unabhängig von deren konfessioneller Zugehörigkeit oder Weltanschauung und von LehrerInnen, die Philosophie studiert haben, und nicht nur eine Religionsausbildung haben. – Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. (Beifall.)
14.48
14.49
Prof. Mag. Karl Schiefermair (Oberkirchenrat, Evangelische Kirche in Österreich) : Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Minister! Frau Ministerin! Werte Vertreterinnen und Vertreter fast aller Spiritualitäten und Geisteshaltungen! Es freut mich, dass ich hier als zweiter evangelischer Theologe nach Albert Schweitzer zu Wort kommen darf. (Heiterkeit.) Die Frau Bundesministerin hat ihn ja zitiert, und da denke ich mir, so nahe sich Professor Liessmann und die Frau Bundesministerin in ihren Positionen sind, so unterschiedlich ist das Verständnis von Ethik, das sie zitiert haben, und damit haben wir das Problem.
Die Ethik Albert Schweitzers ist nicht die säkulare Ethik von Herrn Liessmann. Und Sie sehen damit einen Hintergrund, warum sich – auch für Herrn Oberhummer gesagt – die Kirchen und Religionsgemeinschaften so sehr dafür interessieren, was da alles unter Ethik verkauft und gelehrt wird.
Als religiöse Minderheit ist uns vollkommen klar, dass eine flächendeckende Einführung des Ethikunterrichts, vor allem in der Sekundarstufe II, unseren Religionsunterricht schwächen wird. Trotz der sehr großen Schwierigkeiten in der Organisationsform, die wir bei unserem Religionsunterricht haben, fürchten wir den Ethikunterricht nicht. Im Gegenteil: Wir befürworten die Einführung des Ethikunterrichts in der Sekundarstufe II für alle Schülerinnen und Schüler, die, aus welchen Gründen immer, den Religionsunterricht nicht besuchen.
Ich war selbst 25 Jahre lang Lehrer in Sachen Religion für diese Altersgruppe, und Sie dürfen mir glauben, dass ich auch sehr viel Kontakt mit den Abgemeldeten hatte und da keinerlei Gewissensgründe im Gespräch feststellen konnte, warum da abgemeldet wurde, sondern es waren allein Stundenplan- und Zeitersparnisgründe. Es ist uns nicht egal, was mit diesen Jugendlichen sozusagen passiert.
Wir wünschen uns den Ethikunterricht nicht als Ersatz für den Religionsunterricht oder als Anti-Religionsunterricht, sondern wirklich auf Basis des § 2 SchOG und des Artikels 14 (5a) Bundes-Verfassungsgesetz und freuen uns auf einen Gegenstand, der in einer Fächergruppe herzlich willkommen ist.
Wenn hier ein paar Worte angeklungen sind, dass möglicherweise die Kooperation mit den Religionen in der Bildungsfrage vom Staat einseitig aufgekündigt wird, dann möchte ich wirklich davor warnen. Das würde nur die Stärkung der Fundamentalismen zur Folge haben. Denn glauben Sie nicht, dass man dann mit einem allgemein eingeführten Ethikunterricht seitens der Religionen zufrieden sein wird. (Beifall.)
14.52
14.52
Dr. Anita Kitzberger (AHS-Lehrerin für Ethik) : Guten Tag, Herr Präsident! Meine Damen und Herren, schönen guten Tag! Es ist heute schon sehr viel Inhaltliches, sehr viel Kritisches, es sind aber auch sehr viele Ängste vorgebracht worden. Ich möchte das auch aus einer schulpragmatischen Sichtweise betrachten.
An den Schulen ist die Realität einer multikulturellen, pluralistischen Gesellschaft angekommen. Wir haben sehr viele Schülerinnen und Schüler, die sich aus verschiedensten Gründen nicht am Religionsunterricht beteiligen. Ich denke, es besteht die Notwendigkeit eines Ethikunterrichts für eine moderne Gesellschaft, eines Ethikunterrichts, der säkular und mit der Grunddisziplin der Philosophie verbunden ist. Dieser sollte den Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit geben, sich mit den relevanten Dingen des Lebens und der modernen Gesellschaft, mit den Herausforderungen der Informationstechnologie, der Gen-Ethik und dergleichen mehr zu beschäftigen.
Damit der Ethikunterricht sozusagen nicht Schauplatz von ideologischen Kämpfen wird, ist die Forderung notwendig, dass die Ausbildung zum Ethikunterricht in einem eigenen Studium an der Universität zu absolvieren ist und dass dafür ein einheitliches Curriculum ausgearbeitet wird, das die Grundlage für alle Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen in Österreich darstellt.
Das ist die Voraussetzung dafür, dass der Ethikunterricht nicht ein ideologischer Schaukampf oder ein Kampf beziehungsweise Streit um Kulturen wird, sondern ein säkulares Fach, wo sich Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene mit den normativen Grundlagen und mit den Wertvorstellungen unserer Gesellschaft beschäftigen können. – Danke schön. (Beifall.)
14.54
14.54
Univ.-Prof. Dr. Christian Friesl (Österreichische Industriellenvereinigung) : Herr Präsident! Geschätzte Regierungsmitglieder! Meine Damen und Herren! Ich vertrete hier die Industriellenvereinigung, die sich seit Jahren für eine umfassende Bildungsreform einsetzt. Dazu gehört auch das Thema Ehtikunterricht. Aus diesem Grund erlaube ich mir, einige kurze, vielleicht auch pragmatische Gedanken dazu zu sagen.
Wir haben heute in den Referaten gehört, dass der Bedarf für ethische Bildung groß ist. Wir erleben auch – selbstkritisch gesagt – in der wirtschaftlichen und in der politischen Praxis Tag für Tag, dass der Bedarf an Wertebildung groß ist.
Ich möchte auf etwas hinweisen, was in der Diskussion vielleicht nicht immer so gut durchdringt, nämlich dass Ethik, und zwar Ethik, so wie wir es uns vorstellen, nicht Morallehre, nicht Sittenlehre ist, sondern Ethik ist Wissenschaft.
Was wir uns vom Ethikunterricht erwarten, ist, dass er erstens bald eingeführt wird, weil 14 Jahre Schulversuche wahrscheinlich wirklich genug sind. Wir erwarten uns zweitens, dass er verpflichtend eingesetzt wird für jene, die nicht den konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Wir meinen drittens, dass er gekennzeichnet sein soll durch gut ausgebildete Lehrende, die unterschiedliche Formen von Ethik in den Ethikunterricht einbringen. Was wir uns viertens wünschen, ist, dass der Religionsunterricht als Vermittler von Ethik respektiert wird.
Für den konfessionellen Religionsunterricht bedeutet dies, dass er selbst wahrscheinlich seine Rolle als Vermittler von Werten und Ethik reflektieren muss und dass dies auch in den Lehrplänen zu berücksichtigen ist, und zwar deswegen, weil letztlich nur Religion, die im Umgang mit Freiheit geübt wird, auch in der Lage sein wird, Beiträge zur Wertebildung in einer pluralistischen Gesellschaft zu leisten. – Danke. (Beifall.)
14.56
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Karlsböck. – Bitte.
14.56
Abgeordneter Dr. Andreas Karlsböck (FPÖ) : Herr Präsident! Herr Minister! Frau Ministerin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! „Anima naturaliter religiosa“ hat uns der große Philosoph C. G. Jung wissen lassen. Das bedeutet, die Seele ist von Natur aus religiös. Der große Psychoanalytiker und Menschenfreund – trotz seines dramatischen Schicksals – Viktor Frankl hat noch eines daraufgesetzt und gemeint: Anima naturaliter christiana – die Seele ist von Natur aus christlich.
Wie dem auch immer sei, es hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Europa ein wirklich signifikanter struktureller Wandel stattgefunden. In der westlichen Welt ist die Zahl der Christen, bezogen auf die Kirchensteuerzahler, rückgängig. Die Identifikation von Volk und Kirche schmilzt dadurch leider immer mehr. Wir gehen dadurch auf ein sogenanntes Entscheidungschristentum zu. Richtig ist aber auch, dass unsere Gesellschaft immer noch von einem Christentum bestimmt wird, das die gewollte kulturelle Identität vorgibt.
Auch wenn sich viele Menschen heute als Atheisten bezeichnen, so wissen sie doch, dass die Wurzeln ihrer kulturellen, zivilisatorischen Herkunft im Christentum liegen. Unsere Zivilisation hat Kraft. Sie steht auf starken Fundamenten. Freiheit und Verantwortung heißen diese. Aber Freiheit benötigt Maßstäbe, Orientierung und Halt, denn sonst ist alles erlaubt, alles möglich.
Die konstanten Werte haben die Menschen groß gemacht. Es ist nicht die Beliebigkeit, die unsere Gesellschaft ausmacht. Man kann keine Moral leben, wenn man keinen Maßstab kennt.
Im Ethikunterricht soll jetzt eine Vielfalt der Wertevorstellungen der pluralistischen Gesellschaft abgebildet werden: Alles ist gleich gut, alles gleich gültig, letztendlich vielleicht sogar gleichgültig. Wenn im Ethikunterricht alle religiösen und anti-religiösen Standpunkte gleich gültig nebeneinander gestellt werden, sind sie für den nach Sinn und Halt strebenden Schüler möglicherweise wirklich bald gleichgültig.
Man forciert die Befreiung vom Bisherigen, weil es einfach fortschrittlich erscheint. Dem gegenüber steht ein Religionsunterricht, gleich welcher Konfession, mit seiner Verlässlichkeit hinsichtlich Wertevorstellungen und jahrhundertelanger Tradition.
In diesem Zusammenhang gibt es in Deutschland eine sehr befruchtende Diskussion. Sie alle, die hier sitzen, kennen vielleicht, weil Sie sich ja mit diesem Thema eingehend beschäftigt haben, die Diskussion, die vom Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde ausgelöst wurde. Dieser meint, ein freiheitlich verfasster, weltanschaulich neutraler Staat kann die Werte, von denen er lebt, weder schaffen noch garantieren, er braucht so etwas wie einen ethischen Input, und das kommt in unserer Kultur eben aus den Religionen heraus.
Die grundsätzliche Frage, die sich stellt, ist: Welche Ethik, wenn wir sie in Schulen unterrichten, wird dann tatsächlich gelehrt? Und soll oder darf sich der Staat aufs Geratewohl zum monopolistischen Lehrer über die Ethik machen? – Ich glaube, das kann er nicht.
Ich meine, dass der Glaube immer noch ein sehr starkes Fundament in unserer Gesellschaft ist: ein sehr starkes Fundament für die Säulen der Gesellschaft, eine ethische Botschaft, die den Menschen Orientierung gibt.
Die Chancen auf diese Erfahrung dürfen wir unseren Kindern nicht nehmen. Im Gegenteil: Wir müssen ihnen die Möglichkeit dieser positiven Erfahrung gerade im öffentlichen Raum weiterhin zugänglich erhalten. (Beifall.)
15.00
15.00
Abgeordnete Mag. Alev Korun (Grüne) : Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Verehrte Damen und Herren! Es freut mich sehr, dass von vielen Vorrednern und Vorrednerinnen die Tatsache gesehen wurde, dass die Vielfalt in unserer Gesellschaft, die Vielfalt betreffend unterschiedliche Lebensformen, unterschiedliche Glaubensrichtungen, aber auch bezüglich der Konfessionsfreiheit in den letzten Jahren zugenommen hat und in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch weiterhin zunehmen wird.
Angesichts dieser Tatsache der Vielfältigkeit in unserer Gesellschaft brauchen wir die Auseinandersetzung, brauchen junge Menschen die Auseinandersetzung mit Wertekonflikten, mit unterschiedlichen Grundwerten, mit unterschiedlichen Vorstellungen, durchaus auch mit unterschiedlichen Religionen, und unsere Gesellschaft und die jungen Menschen, die Schüler und Schülerinnen, brauchen diese Beschäftigung damit umso dringender.
Umso mehr kann ich mich den Forderungen der vorangegangenen Redner anschließen, dass 14 Jahre Schulversuch und 14 Jahre nicht Teil des Regelschulsystems zu sein, genug sind und dass der Ethikunterricht endlich in das Regelschulwesen übernommen werden sollte – allerdings, auch da schließe ich mich vielen Vorrednern und Vorrednerinnen an, bitte nicht als Ersatzgegenstand, nicht als Ersatz für konfessionellen Religionsunterricht.
Interessanterweise wurde die Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die aus multireligiösen Ehen und Partnerschaften stammen, noch nicht angesprochen. Auch das ist eine Tatsache, nämlich dass die Zahl dieser Kinder und Jugendlichen aus multireligiösen Partnerschaften – sprich: mit Eltern mit unterschiedlichem Glauben, oder ein Elternteil gehört einer Glaubensrichtung an und einer ist ohne Bekenntnis – im Zunehmen begriffen ist, und je besser die gesellschaftliche Integration von Minderheiten und von eingewanderten Menschen gelingen wird, desto größer wird diese Gruppe von Kindern und Jugendlichen auch werden.
Das ist nur ein zusätzliches Argument, ein zusätzlicher Grund, warum wir einen regulären Ethikunterricht für alle Schüler und Schülerinnen brauchen, unabhängig von ihrer konfessionellen Herkunft oder von der Tatsache, dass sie einer Religionsgemeinschaft angehören oder eben nicht angehören.
In diesem Sinne hoffe ich, dass sich der Gesetzgeber hoffentlich in den nächsten Wochen und Monaten – und nicht erst Jahren! – bewegen wird und ein Beschluss im Parlament möglich sein wird, damit wir endlich zu einem regulären Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler kommen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
15.03
15.03.33
Herr Bundesminister! Hohes Haus! Ich danke sehr dafür, dass ich hier zu Ihnen sprechen darf.
Mag. Amena Shakir (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich) : Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrterIch habe in meinem Leben und auch heute hier schon viel über den Islam gehört, wo sich mir trotz Kopftuches doch manchmal die Haare sträuben. Und ich habe auch in den Schulbüchern in der Schule so viel über den Islam gelesen, wo ich denke: Wie repräsentativ kann das sein, was ein Mensch, der eine Religion von außen – und nur von außen, also nur aus der Außenperspektive! – betrachtet, über die Religion selber sagt, über die Menschen, die in dem Selbstverständnis der Religion aufgewachsen sind und vielleicht auch in diesem Selbstverständnis leben? Insofern freue ich mich natürlich, wenn ich höre, dass die Ethiklehrerausbildung so professionell sein soll, dass auch die Religionsgemeinschaften eingebunden werden, sodass tatsächlich auch das Selbstbild des Schülers oder das Selbstbild einer Religion berücksichtigt werden kann.
Was ich in Deutschland, in meinem Heimatland, vermisst habe, war eine Gleichwertigkeit der Religionen im öffentlichen Leben, zum Beispiel in der Schule, ein Religionsunterricht für alle Schülerinnen und Schüler in der öffentlichen Schule – und das, was ich in Österreich erlebe, ist doch eine Professionalisierung dieses Punktes.
Aus der islamischen Perspektive heißt das, dass wir zum Beispiel einen Religionsunterricht in deutscher Sprache haben, wo die Schülerinnen und Schüler erstmals – und das ist der einzige Ort, nämlich die öffentliche Schule – in deutscher Sprache etwas über ihre Religion erfahren, unabhängig von ihren ethnischen Hintergründen, unabhängig von ihren verschiedenen Glaubensrichtungen und so weiter.
Wissenschaftliche Studien zum Beispiel der Uni Wien haben belegt, wie sehr sich – im Gegensatz zum Beispiel zu Deutschland oder zu Frankreich – muslimische Schülerinnen und Schüler in Österreich beheimatet fühlen, wie sehr sie Österreich als Heimat akzeptieren und wie sehr sie sich einfach wohl- und als normales Mitglied der Gesellschaft respektiert fühlen.
Der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule hat eine ganz wichtige Funktion: Die öffentliche Schule ist der einzige Ort, wo Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen religiösen Bekenntnisses gemeinsam in einer Klasse sind, wo sie aber unabhängig davon auch trotz dieser gemeinsamen Klasse ihren eigenen Standpunkt lernen und diskutieren müssen, und ich denke, da sehe ich eine ganz große Aufgabe des Religionsunterrichts an der öffentlichen Schule, nämlich dass die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Bekenntnis leben können, etwas über ihr eigenes Bekenntnis erfahren können, dass sie aber dann innerhalb der gemeinsamen Klasse doch eine Gemeinsamkeit erleben können, die sie dazu befähigt, dass sie sagen: Wir sind Teil einer Gesellschaft, einer Gruppe, wir haben aber auch unterschiedliche Einstellungen zu verschiedenen Themen!
Insofern danke ich Ihnen und hoffe, dass ich noch einen kleinen Input geben konnte, was die Bedeutung des Religionsunterrichts im öffentlichen Raum angeht. – Danke. (Beifall.)
15.06
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Cortolezis-Schlager. – Bitte.
15.06
Abgeordnete Mag. Katharina Cortolezis-Schlager (ÖVP) : Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Der konfessionelle Religionsunterricht und der Dialog der Kulturen und Religionen haben für eine wertorientierte Gesellschaft eine ganz besondere Bedeutung und leisten einen wichtigen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben.
Österreich hat gut daran getan, schon sehr früh den anerkannten Religionsgemeinschaften die Möglichkeit zu geben, im Rahmen der Schulbildung ihre Religionsgemeinschaft und ihren Religionsunterricht anzubieten. Die Qualitätssicherung erfolgt über die Aus- und Weiterbildung und über die Schulaufsicht. Viele andere Länder wünschen sich so eine Regelung in ihren Ländern, denn sie erleben in Österreich, dass das friedliche Zusammenleben in der Schule, im Religionsunterricht thematisiert, erprobt und erlernt wird.
In einer pluralistischen Gesellschaft erleben wir aber auch, dass sich immer mehr Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht abmelden.
Heute wurde ein Schulversuch mit zwei Schulen vorgestellt, und ich möchte ganz stark unterstreichen, dass sich das Modell, das uns heute unter anderem auch Direktor Jahn dargestellt hat, in Wien sehr bewährt hat.
15 Jahre der Versuch, zu überzeugen, dass Religionsunterricht einen wichtigen Stellenwert hat, dass aber auch der Ethikunterricht für all jene, die sich, aus welchen Gründen auch immer, vom Religionsunterricht abmelden, einen wichtigen Beitrag leisten kann.
Junge Menschen brauchen Unterstützung, wenn es um die Fragen geht: Woher komme ich?, Wer bin ich? und: Wohin gehe ich? – Religionsgemeinschaften werden dabei helfen und unterstützen, je nach ihrem religiösen Ansatz, aber auch der Ethikunterricht kann Jugendliche und Kinder begleiten auf ihrem Weg bei der Suche nach einer Identität und auf ihrem Weg, Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen.
Uns geht es daher – zusammengefasst – darum, die Einführung des Ethikunterrichts für alle, die, aus welchen Gründen auch immer, keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, anzubieten, dies für die Sekundarstufe II zu tun, weil hier auch die entsprechenden Evaluierungen und die entsprechenden Erfahrungen vorliegen und weil wir an den Universitäten und an den Pädagogischen Hochschulen auch schon die entsprechenden Ausbildungen für die Lehrerinnen und Lehrer haben.
Ich glaube, der heutige Tag könnte uns einen und helfen, bei all den unterschiedlichen Vorstellungen, die wir haben, uns heute darauf zu verständigen, den Schulen den entsprechenden rechtlichen Rahmen zu geben, dieses Angebot zur Verfügung zu stellen. (Beifall.)
15.09
15.09.55
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich danke für die Einladung zu dieser Parlamentarischen Enquete und für die Möglichkeit, die mir gegeben wird, als Repräsentant der orthodoxen Kirchen in Österreich hier sprechen zu dürfen, wobei ich betonen und unterstreichen möchte, dass die Zahl der orthodoxen Christinnen und Christen im österreichischen Bundesgebiet zurzeit etwas mehr als 400 000 beträgt, wobei die Altorientalen auch mit berücksichtigt werden.
Erzbischof Dr. Michael Staikos, Metropolit von Österreich (Griechisch-orientalische Kirche in Österreich) :Das Meiste ist schon aus verschiedenen Perspektiven besprochen worden oder wurde in den Vordergrund gestellt: pro und kontra Religionsunterricht oder Ethikunterricht, pro und kontra Ersatz des Religionsunterrichtes durch einen Ethikunterricht.
Ich möchte das aus der Perspektive der vielen Hundertausenden von orthodoxen Christinnen und Christen erörtern, die hierher gekommen sind, um eine Heimat zu finden: Wenn in Österreich über Integration gesprochen wird und es sogar einen neuen Staatssekretär für Integration gibt, dann muss ich ganz kategorisch sagen, dass eine Integration ohne den Glauben dieser Menschen nicht möglich und nicht vorstellbar ist.
Wenn man sich eine Integration ohne Assimilierung, die wir kategorisch ablehnen, wünscht, dann kann das nur geschehen, wenn auch der Faktor Kirche mit berücksichtigt wird, der die Identität des Orthodoxen praktisch mitbestimmt und mitträgt.
Eine Erfahrung, die die meisten dieser Leute nach Österreich mitbringen, ist, dass sie in der Vergangenheit ohne die Kirche leben mussten. Der erste Faktor, der aus dem Leben, aus der Schule entfernt wurde, war die Kirche beziehungsweise der Religionsunterricht.
In diesem Sinne glauben wir, dass für die meisten, für die größte Mehrheit der orthodoxen Christinnen und Christen in Österreich der Religionsunterricht der einzige Faktor ist, der eine Bindung zwischen der jüngsten Generation und der Kirche darstellt, damit sie ihre Identität weiterhin bewahren. Und ich schließe ab mit der Feststellung, dass eine Integration in Österreich und in ganz Europa oder sonstwo nicht möglich sein wird, wenn nicht der Faktor Kirche auch durch den Religionsunterricht mitgeprägt wird. – Danke schön. (Beifall.)
15.14
15.14
Damen und Herren! Ich vertrete hier den Österreichischen Familienbund, und für uns ist es von großer Bedeutung, dass Bildung als lebensbegleitender Entwicklungsprozess des Menschen gesehen wird, durch den er seine geistigen, moralischen, kulturellen und lebenspraktischen Fähigkeiten ständig weiterentwickelt und auch die personalen und sozialen Kompetenzen erweitert. – Das ist auch heute schon in vielen Formen betont worden.
Heidi Jütte (Österreichischer Familienbund) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrter Herr Bundesminister! WerteFür uns bedeutet das auch, dass bei den Kindern in den ersten Lebensjahren innerhalb der Familie durch liebevolle Zuwendung und das Vorbild der Eltern vieles gemacht und diese Entwicklung dann auch im Kindergarten ergänzt wird.
Darüber hinaus ist natürlich die Entwicklung in der Schule zu sehen, und wir sind uns ja darin völlig einig, dass der Ethikunterricht neben dem Religionsunterricht eine Möglichkeit gibt, diese lebensbegleitende Entwicklung zu fördern.
Wir haben jetzt Gott sei Dank die Möglichkeit, eine Alternative zu den Abmeldungen vom Religionsunterricht zu bieten, durch die man ja dieses Ziel konterkarieren würde. Was wir also als sehr wichtig erachten, ist, dass wir diesen Schulversuch, der ja jetzt 14 Jahre lang gelaufen ist, doch in das Regelschulwesen übersetzen wollen.
Wir hoffen, dass das nicht an den Kosten scheitert, denn aus unserer Sicht ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit, weil das alles zu der Werthaltung gehört und der gesamtgesellschaftliche Nutzen genauso wichtig ist wie zum Beispiel das Beherrschen von Kulturtechniken.
Je pluralistischer die Gesellschaft ist und je weitreichender die Lebenswelten der Einzelnen in der globalen Welt vernetzt sind, je mehr medizinische, biologische Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen und je mehr technische und wirtschaftliche Veränderungen nur vom erzielten Profit abhängen, desto wichtiger ist diese Werterziehung, denn letztendlich hängt von dieser Werterziehung das Funktionieren der Demokratie ab und letztendlich entscheidet die menschliche Reife und das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen, wie wir uns in unserer Gesellschaft weiterentwickeln.
Die unterschiedlichen Zugangsweisen zum konfessionellen Religionsunterricht und zum Ethikunterricht sehen wir bei diesen Zielen jetzt eigentlich nicht als Problem. Wir stellen uns auch vor, dass dadurch eine sehr positive Entwicklung entsteht, für uns ist aber auch wichtig, dass die geeigneten Pädagoginnen und Pädagogen arbeiten beziehungsweise vor allem, dass sie auch ihre Lebenserfahrung an die nächste Generation weitergeben können. – Ich danke vielmals. (Beifall.)
15.18
15.18
Damen und Herren! Wir denken darüber nach, Jugendlichen beziehungsweise ihren Eltern die gleichberechtigte Wahl zwischen Religions- und Ethikunterricht zu lassen. Wir stellen diese Frage bezüglich einer Lebensphase, in der Jugendliche unserer Erfahrung nach verstärkte spirituelle und geistliche Betreuung brauchen.
Chorbischof Dr. Emanuel Aydin (Syrisch-orthodoxe Kirche in Österreich) : Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Frau Bundesministerin! Verehrter Herr Bundesminister! Eminenz! MeineFür uns orientalisch-orthodoxe Christen ist daher die Frage nicht so sehr, ob man den Ethikunterricht verpflichtend machen sollte oder freiwillig lässt, sondern die Frage ist für uns vielmehr, ob ein verpflichtender Ethikunterricht nicht das Risiko in sich trägt, eines Tages den Religionsunterricht ersetzen zu wollen.
Jugendliche setzen sich in der Regel mit der Autorität ihrer Eltern, der Traditionen, der Kirche und der Werte der Gesellschaft auseinander. Unsere Rolle als Kirche ist es, in dieser Zeit für sie da zu sein und ihnen in dieser Phase der Auseinandersetzung Unterstützung und Orientierung zu geben.
Religion beziehungsweise Religionsgemeinschaften und Kirchen sind immer schon ein sehr wichtiges Thema gewesen und waren für viele der orientalisch geprägten ursprünglichen Migranten in Österreich Lebensmittelpunkt. Beobachtet man die Entwicklung in den meisten dieser Länder, sieht man, dass Religion sich über die Jahre zu einem noch wichtigeren Thema entwickelt hat und inzwischen fast alle Lebensbereiche berührt.
Für Migranten der ersten und zweiten Generation in Aufnahmeländern wie Österreich bleibt die Religion vielfach einer der wichtigsten Lebensbereiche. Die Religion spielt eine große Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Identität dieser Migranten und ist häufig die Hauptquelle für ihre Beziehungsnetzwerke, die ihnen Sicherheit, Lebenschancen und Zugehörigkeit in dem meist fremden Aufnahmeland geben.
Für uns orientalisch-orthodoxe Christen in Österreich durchzieht Religion das komplette Leben. Unser Glaube bestimmt den Alltag und unsere Entscheidungen. Basierend auf dem Glauben, der Nächstenliebe und einem Leben nach Jesu Gebot des respektvollen Miteinanders bemühen wir uns als orientalisch-orthodoxe Gemeinde um die Integration unserer Gemeindemitglieder in der österreichischen Gesellschaft.
Den Einfluss, den wir als Kirche haben, nutzen wir, um die Erwachsenen, die Jugendlichen und die Kinder unserer Gemeinde die Liebe zu diesem Land und seiner Demokratie zu lehren. Die Lehrer unserer Kirche sagen unseren Jugendlichen und Gemeindemitgliedern, dass sie die Gesellschaft und dieses Land respektieren und mitgestalten sollten. Unsere Liturgie schließt Gebete für den Staat, seine Entscheider und die Sicherheit des Landes mit ein. Durch unsere Dienste in der Kirche und durch unseren Religionsunterricht in den Schulen erziehen wir unsere Kinder und Jugendlichen so, dass sie in der Gesellschaft zu verantwortungsvollen Bürgern heranwachsen.
Die Rate der Kriminalität unter unseren Jugendlichen, die zu orientalisch-orthodoxen Diözesen gehören, liegt bei nahezu null Prozent. Unsere Rolle als Kirche ist es, für unsere Jugendlichen vor allem in der Lebensphase da zu sein, in der sie auf der Suche sind. Wir geben ihnen Orientierung in der Phase der Auseinandersetzung mit sich selbst und mit ihrer Umwelt.
Auch Schulen füllen eine orientierende Rolle für eine Gesellschaft aus, vor allem auch durch den Religionsunterricht. Die Frage, die sich die Bildungspolitik daher stellen sollte, ist nicht, ob der Ethikunterricht als gleichberechtigte Alternative zum Religionsunterricht verpflichtend durchgeführt werden sollte, sondern die Verpflichtung der Politik sollte vielmehr sein, dass der Religionsunterricht auch in Zukunft einen wichtigen und hohen Stellenwert im Lehrplan der Schulen genießen darf. Für die orientalisch-orthodoxe Kirchenkommission danke ich für diese Möglichkeit. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
15.23
15.23
Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne) : Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte ExpertInnen auf der Regierungsbank, aber auch hier im Saal, die Sie zahlreich vertreten sind! Einige haben schon die Trennung von Kirche und Staat angesprochen. Sie, Frau Ministerin, haben sozusagen von der lebendigen Trennung von Kirche und Staat gesprochen; ich weiß nicht genau, ob Sie damit den Status quo oder die Vision gemeint haben.
Es gibt zahlreiche Situationen, in denen man schon hinterfragen kann, ob wir in Österreich wirklich die gelebte Trennung von Kirche und Staat haben – oder ob wir hier vielleicht auf die manchmal sehr übliche österreichische Art auch sehr schlampig mit dieser Trennung umgehen. Ich sage nur: Stichwort „Kreuze in den Schulen und den Kindergärten“. Ich werde aber diese Diskussion – keine Sorge! – hier nicht aufmachen, weil das den Rahmen sprengen würde. Aber das ist auch eine Diskussion, die in diesem Zusammenhang zu führen ist.
Zurück zum Ethikunterricht: Wenn wir die Trennung von Kirche und Staat ernst nehmen und konsequent durchführen, dann bedeutet das aus meiner Sicht, dass die Frage nicht die ist, ob Ethikunterricht statt Religionenunterricht, ob Ethikunterricht statt Religionsunterricht stattzufinden hat, sondern dass die Frage, die zu beantworten ist, folgendermaßen lautet: Will der Staat, will die Ministerin für Unterricht, wollen wir als Gesetzgeber, dass in unseren Schulen Ethikunterricht erfolgt, also der Unterricht, in dem sich Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen können mit den Grundwerten, mit den allgemeingültigen Grundwerten, aber auch Methodiken finden, wie sie sich sozusagen solchen annähern können, also nicht nur vorgegebene Werte, die da sozusagen zum Besten gegeben werden, sondern auch Methoden, mit denen sie in Diskussionen, in verschiedenen Auseinandersetzungen zu ihren eigenen Einschätzungen kommen können? Und wollen wir, dass das vom Staat zur Verfügung gestellt werden soll, wollen wir, dass das von unserem Bildungssystem zur Verfügung gestellt werden soll, oder nicht?
Ich, wir Grüne, beantworten das eindeutig mit einem Ja. Daher führt aus meiner Sicht überhaupt kein Weg an einem verpflichtenden Ethikunterricht vorbei. Verpflichtender Ethikunterricht bedeutet aber natürlich auch die Auseinandersetzung mit Weltanschauungen, die Auseinandersetzung mit Religionen; das haben einige Experten und Vorrednerinnen auch so angesprochen. Das würde dann einen verpflichtenden Ethik- und Religionenunterricht bedeuten, der aber klar zu unterscheiden ist von einem Religionsunterricht, der auf einem anderen Papier steht. Aber wenn ich hier als Politikerin, hier als Nationalratsabgeordnete stehe und hier die Position des Staates einnehmen muss, dann muss ich diese Frage ganz klar mit einem Ja beantworten.
Vor diesem Hintergrund freut es zwar, wenn hier Einigkeit besteht, zumindest in wesentlichen Fragen – wenn man dann allerdings ins Detail geht, ist es ohnehin nicht so und wird man noch viel diskutieren müssen –, aber was dann nicht freut, ist, wenn man im letzten Bundesfinanzrahmengesetz, das den Finanzrahmen für die nächsten Jahre vorsieht, liest, dass bei der flächendeckenden Einführung des Ethikunterrichtes, die sich an funktionierenden 14-jährigen Schulversuchen orientiert – auch ein österreichisches Phänomen, dass Schulversuche jahrzehntelang dauern –, sozusagen als Einsparungsmaßnahme Folgendes genannt wird: Rücknahme der Einführung des flächendeckenden Ethikunterrichts!
Das heißt, wir sind zwar in dem Willen sehr weit, aber in der Konsequenz – und das wird auch noch zu beantworten sein – wird sich schon auch die Frage stellen, ob man zu Handlungen kommt, ob man das umsetzt, ob man das finanziert und ob man wirklich der eigenen Verpflichtung nachkommt, einen Ethikunterricht, einen verpflichtenden Ethik- und Religionenunterricht für alle Schülerinnen und Schüler in diesem Land einzuführen. – Danke. (Beifall.)
15.27
15.27
Prof. Anas Schakfeh (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich) : Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich hat keinen anderen Standpunkt als eben den Standpunkt der anderen Kirchen und Religionsgesellschaften in diesem Land. Das haben wir bereits zu Beginn des Schulversuches Ethikunterricht in einem gemeinsam erarbeiteten Papier kundgetan. Wir sind für das Schulfach Ethik als Alternative zum Religionsunterricht, nicht aber als Ersatz für den Religionsunterricht.
Wenn man jetzt aber sagt: Wir wollen den Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, also auch für die Schülerinnen und Schüler, die den Religionsunterricht besuchen!, dann haben wir Bedenken. Warum? – Weil das für die Schülerinnen und Schüler eine zusätzliche Belastung bedeutet, einen neuen Lehrgegenstand/Schulgegenstand – und für den Staat ein Mehr an Kosten.
Vielleicht meint jemand, es soll uns als Kirchen und Religionsgesellschaften egal sein, wenn der Staat mehr zahlt – aber nein, es ist uns nicht egal! Wir sind auch Staatsbürgerinnen und -bürger sowie Steuerzahler; wir wissen, was das bedeutet, und wir befürchten auch, dass am Ende wegen Kostenersparnissen auch der Gedanke einfließt, dass man auf etwas verzichten muss. Und das ist dann der Religionsunterricht, denn der Ethikunterricht ist ja für alle da, der Religionsunterricht aber nur für diejenigen, die sich nicht abgemeldet haben.
Das ist unsere Befürchtung, das sind unsere Bedenken.
Vielleicht sagt der eine oder andere: Niemand denkt heute daran, oder fast niemand. Aber ich höre manche Töne; zum Beispiel Herr Prof. Bucher hat am Ende gesagt: Er träumt davon, dass am Ende, auch aus Ersparnisgründen, doch ein Schulfach „Ethik und Religionen“ steht. Das bedeutete die Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts – das wollen wir nicht!
Was wir bieten, ist eine starke Dimension Ethik im Religionsunterricht. Hier pflichte ich Herrn Minister Töchterle bei, der gesagt hat: Die Ethik war schon in der Antike da, und die Religionen haben davon profitiert! – Ja, sehr viel ist in die Religionen eingeflossen, und ich sage Ihnen etwas dazu: Muslimische Gelehrten haben als Erste die Ethikbücher aus dem Griechischen übersetzt, weil das gemeinsame menschliche Werte sind. Wir haben also diese Dimension, aber der Ethikunterricht hat die Dimension Religion nicht!
Was wir im Religionsunterricht den heranwachsenden Generationen anbieten, das kann der Fachunterricht Ethik nicht anbieten. Wir sind auch dafür, dass weiterhin die Diskussion, der Dialog in der Schule stattfindet. Wenn aber die Schülerinnen und Schüler über die eigene Religion nicht aufgeklärt sind, können sie auch nicht diskutieren und können sie den Dialog, den sehr notwendigen Dialog, nicht führen. – Danke schön für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
15.30
15.30
Abgeordnete Sonja Ablinger (SPÖ)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Expertinnen und Experten! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch, wie einige meiner Vorrednerinnen und Vorredner, auf die Frage „Ersatz oder Pflicht für den Ethikunterricht“ eingehen. Für mich gilt vom Staatsverständnis von der Trennung von Kirche und Staat her ebenso wie aus der Überzeugung und dem Staatsverständnis von Religions- und Weltanschauungsfreiheit, dass der Staat sich neutral verhalten muss gegenüber den Konfessionen und gegenüber den Konfessionslosen, sich also unparteiisch verhalten muss.
Ich bin auch der Meinung, dass der gegenwärtige Schulversuch, also „Wenn du nicht in den Religionsunterricht gehst, musst du in den Ethikunterricht gehen!“, diesem Neutralitätsgebot des Staates nicht entspricht. Ich zitiere dazu eine interessante Diplomarbeit eines jungen Juristen, Wolfram Bauer, der sagt:
Da es keine Religionspflicht gibt, kann es schon begrifflich keine Pflicht geben, die ersatzweise an die Stelle der Religionspflicht tritt. Die Entscheidung, nicht am Religionsunterricht teilzunehmen, darf nicht durch die Verpflichtung zum Besuch eines Ethikunterrichts sanktioniert werden. Der Staat kann für die Wahrnehmung eines Grundrechts keinen Preis verlangen. – Zitatende.
Bauer nennt dann ganz wesentliche, witzige Beispiele, die es aber gut veranschaulichen: Wenn etwa niemand im Gesundheitsamt seine religiöse Überzeugung offenbaren muss, soll er dann ersatzweise zum Beispiel Angaben über seine sexuelle Orientierung machen müssen? Oder: Man stelle sich vor, dass alle Personen, die aus der Kirche austreten, höhere Steuern zahlen müssten, oder dass jene, die sonntags der Messe fernbleiben, zwei Stunden Sozialdienst leisten müssten. – Niemand würde das für rechtmäßig halten!
Ich finde, diese Begründung hat eine gewisse Logik: Es wäre etwas Skurriles. Ich sage das auch als Mutter eines Sohnes, der nicht getauft ist und der in den Ethikunterricht gehen muss. Mein Sohn findet das auch deswegen störend, weil Ethik die Religionslehrerin an der Schule unterrichtet.
Ich bin der Meinung, man muss den Ethikunterricht von der Frage des Religionsunterrichts abkoppeln. Ich spreche mich für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle aus, und der Besuch des Religionsunterrichts ist eine freiwillige Entscheidung.
Aber dann brauchen wir allemal einen eigenen Lehrplan und eine eigene Ausbildung; das als Anregung. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)
15.33
15.33
Damen und Herren! Bereits der Titel der heutigen Enquete weist darauf hin, dass die Erziehung zu Werten in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel einer offenen, pluralistischen, und ich möchte noch hinzufügen, auf Toleranz und Versöhnung basierenden Gesellschaft steht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf zwei Punkte hinweisen.
Dr. Walter Hessler (Neuapostolische Kirche in Österreich) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und der Politik! Meine sehr geehrtenEine offene, pluralistische Gesellschaft misst sich sowohl an den Möglichkeiten zum Denken und Handeln des Einzelnen als auch am Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zueinander. Ich verweise hier auf die Artikel 9 und 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention und auf das Staatsgrundgesetz, Artikel 14, welche sich mit dem Gedanken der Gewissens- und Religionsfreiheit, mit dem Recht der freien Meinungsäußerung sowie mit der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit für jedermann befassen.
Abs. 2 des Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention beginnt mit den Worten: „Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt“; dies weist somit auf den zweiten Punkt meiner Ausführungen hin. Wenn wir uns alle, die wir uns als Bürgerinnen und Bürger, aber auch als Gäste in Österreich lebend verstehen, in der Ausübung unserer Freiheiten auch unserer Pflichten und Verantwortung bewusst sein müssen und wollen, bedarf es einer entsprechenden Schulung, entsprechender Vorgaben und auch eines entsprechenden Vorlebens anderer – egal, ob das nun Eltern, Erzieher, Vertreter der Politik sind oder der einzelne Mitmensch ist.
In der Antike bezeichnete Aristoteles das Ethos als die Glaubwürdigkeit eines Sprechers. Jedoch bezieht sich diese Glaubwürdigkeit – damals wie heute – nicht auf den Einzelnen, sondern vielmehr auf das Gesamtgefüge der sozialen Gemeinschaft, deren Teil der Einzelne ist. Demgemäß sollen Ethik und damit auch Ethikunterricht dem Menschen Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern.
Außer Frage steht, dass das Verständnis für Werte und ethisches Verhalten eine Grundfeste unserer Gesellschaft darstellt und daher den heranwachsenden Menschen nahegebracht werden muss. Da sind die Eltern, die Schule und auch die Kirchen und Religionsgesellschaften gefragt und als Partner verantwortlich. Daher kann es nicht darum gehen, den einen Partner gegen den anderen auszuspielen, sondern darum, so viel Unterstützung und Begleitung wie möglich für die Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen.
Das bedeutet ganz klar: einerseits Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, welche keinen Religionsunterricht erfahren, und andererseits Religionsunterricht für alle einer staatlich anerkannten Kirche und Religionsgesellschaft angehörigen Schülerinnen und Schüler. (Präsident Neugebauer gibt das Glockenzeichen.) Das bedeutet auch eine hohe Verantwortung für den kirchlichen Religionsunterricht. Als christliche Kirchen sind wir dazu bereit und stellen uns dieser Verantwortung.
Im Namen der neuapostolischen Christen möchte ich Ihnen Weisheit und Weitblick für die weiteren Beratungen und Beschlussfassungen wünschen. (Beifall.)
15.37
15.37
Abgeordneter Dr. Franz-Joseph Huainigg (ÖVP) : Herr Präsident! Frau Minister! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin für die heutige Enquete sehr dankbar, denn Ethikdebatten gehören ins Parlament, und ich würde mir sehr viel mehr davon wünschen. Angesichts von Diskussionen wie jenen über Designer-Babys oder aktive Sterbehilfe – wie es ja in Europa diskutiert wird – würde ein wenig Ethikunterricht auch den Abgeordneten nicht schaden.
Viele Jugendliche sind auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und nach Orientierung, da ist es sehr wichtig, dass sie in der Schule ein Fundament bekommen. Jeder Mensch ist in seinem Leben konfrontiert mit Grenzen, gerade am Beginn und am Ende des Lebens. Es geht da nicht nur um Menschenrechte, sondern auch um Menschenwürde. Das sollte, glaube ich, in den Vordergrund gestellt werden.
Ich sehe es sehr skeptisch, dass Prof. Liessmann gemeint hat, dass der Ethikunterricht nur vernunftbezogen sein könne, denn wir wissen aus der Vergangenheit, aus unserer eigenen Geschichte, wie sehr Ideologien auch die Gesellschaftsbilder prägen können und wie leicht es geht, dass zwischen lebenswertem und ‑unwertem Leben unterschieden werden kann. Daher glaube ich auch, dass der konfessionelle Unterricht, der Religionsunterricht sehr wichtig ist.
Ich trete dafür ein, dass der Ethikunterricht als Pflichtfach in der Sekundarstufe eingeführt wird, aber ich glaube, er sollte und darf nicht in Konkurrenz zum Religionsunterricht stehen. – Danke. (Beifall.)
15.39
15.40
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Arbeiterkammer ist es immer ein Anliegen, dass die Schule die jungen Mitbürgerinnen und Mitbürger bestmöglich auf das Leben nach der Schule, auf das Leben in unserer Gesellschaft vorbereitet.
Andreas Kastner (Bundesarbeiterkammer) :Schule muss in diesem Sinn auch die Kompetenzen vermitteln, dass Schülerinnen und Schüler eine eigene Position zu wichtigen Fragen des Zusammenlebens entwickeln können, gleichzeitig aber auch an der Gestaltung unserer Gesellschaft teilhaben können.
Speziell in einer Gesellschaft wie der unseren, in der jeder Mensch verschiedene Identitäten hat, verschiedene Hintergründe, in der es persönliche Zugänge, religiöse und teilweise nicht religiöse Zugänge gibt, ist es wichtig, dass die kommende Generation auf diese Herausforderungen vorbereitet wird.
Dieser Diskurs und die Auseinandersetzungen um Werte und Grundlagen des Zusammenlebens müssen jedoch gemeinsam geführt werden, und es hat wenig Sinn, wenn man sie trennt, je nachdem, ob es katholische Jugendliche, muslimische Jugendliche, evangelische Jugendliche oder Jugendliche ohne Konfession sind.
In einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen konfessionsfrei sind, einer der kleineren religiösen Gemeinschaften angehören oder ihren Glauben ohne Kirche leben, ist es für uns wichtig, dass diese Menschen die Möglichkeit haben, an der Entwicklung einer gemeinsamen Grundlage der Gesellschaft teilzuhaben – in einem gemeinsamen Rahmen und nicht getrennt aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit.
Daher wäre es uns wichtig, dass es einen solchen gemeinsamen Ethikunterricht – zum Beispiel nach Vorbildern, wie es sie in Berlin gibt – allgemein für alle Kinder gibt, und dass Lehrer in einem eigenständigen Lehramtsstudium für diesen Unterricht ausgebildet werden. Ich glaube, nur so ist es möglich, dass die Kinder an der gemeinsamen Gestaltung teilnehmen können: als Gemeinschaft in einer Schule oder als Klasse – und nicht geteilt, je nachdem, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören. – Danke. (Beifall.)
15.41
15.42
Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Minister! Sehr geehrte Damen und Herren Experten! Sehr geehrte Damen und Herren dieses Hohen Hauses! Als Freiheitliche trete ich für die Wahlfreiheit ein: für die Wahlfreiheit, zu entscheiden – im ersten Schritt die Eltern, in der Oberstufe die Schüler selbst –, ob man in den Religionsunterricht geht, ob man den Ethikunterricht wählt, oder ob man keines von beiden möchte.
Eine meiner Vorrednerinnen hat es durchaus ähnlich gesehen, wobei ich es mir jetzt nicht verkneifen kann, anzumerken, dass es gerade ein sozialdemokratischer Stadtschulratspräsident war, der diesen Ethikversuch, bei dem es dann nur noch die Alternative gab, möglich gemacht hat.
Die Werte- und Moralvorstellungen einer Gesellschaft, die wir an unsere Kinder weitergeben sollen – wie das Prof. Auer heute angesprochen hat, die Verantwortung für sich selbst und für andere, Toleranz – sind nach meiner Ansicht in allen Fächern relevant, nicht nur in einem, in dem sie explizit unterrichtet werden. Das betrifft auch die naturwissenschaftlichen Fächer.
Was meiner Meinung nach heute zu wenig herausgekommen ist, ist die Rolle der Eltern. Ich möchte zitieren, was das Schulorganisationsgesetz in § 2 sagt:
„Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht“ mitzuwirken.
Da ist keine Rede davon, dass das einzig Auftrag der Schule ist, wie das heute – für mich zumindest – ein bisschen dargestellt wurde, also es sei nur die Schule dafür zuständig. Nein, die erste Wertevermittlung kommt von den Eltern und wird an ihre Kinder weitergegeben. Die Schule soll dabei sehr wohl unterstützen, wobei ich meine, in allen Fächern. Eine besondere Bedeutung kommt aber natürlich auch der Philosophie zu. Ich danke Herrn Minister Töchterle, dass wir jemanden in den Regierungsreihen haben, der wieder einmal Latein vertritt; zeitweise habe ich mich da ganz alleine gewähnt.
Aber: Man muss auch die Möglichkeiten dafür haben, sich diesen staatlichen Vorgaben zu entziehen. Ich kenne Politische Bildung zum Teil und weiß, dass das weiß Gott nicht ideologiefrei abläuft, so wie das heute in einer Art frommen Wunschdenkens mehrmals geäußert wurde.
Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht das Fach, in dem es unterrichtet wird, ist das Wesentliche, sondern das Vorleben macht es aus. Das sollten wir alle bedenken! (Beifall.)
15.44
15.44
Elisabeth Pietsch (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Österreich) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir bedanken uns für die Einladung zu dieser auch für die Zukunft so wichtigen Diskussion, dafür, dass wir für dieses Land und für die Wertegesellschaft einen Beitrag leisten dürfen.
In folgenden Punkten möchte ich darstellen, wie die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage – landläufig auch bekannt als Mormonenkirche – das sieht.
Erstens: Der Religionsunterricht für die Angehörigen einer staatlich anerkannten Kirche und Religionsgemeinschaft soll weiterhin in der Verantwortung der entsprechenden Religionsgemeinschaft erhalten bleiben, und zwar wie bisher ab der ersten Schulstufe.
Als Mutter, Großmutter und begeisterte Österreicherin möchte ich auch sagen, dass uns der folgende zweite Punkt sehr wichtig ist:
Der Ethikunterricht soll für alle Kinder und Jugendlichen – und das mag jetzt idealistisch klingen – ein Pflichtfach sein, und zwar ab der ersten Schulstufe. Denn wer heute erlebt, wie wichtig es für unsere Kinder und Jugendlichen ist, an Ehrlichkeit und all den Werten zu arbeiten, der weiß, dass Kontinuität und Qualität in der Werteerziehung von Anfang an notwendig sind.
Daher denken wir, dass es wichtig wäre, diesen Ethikunterricht wenigstens zwei Stunden im Monat – natürlich mit guter Qualität und gut ausgebildeten Pädagogen – durchzuführen. Diese zwei Stunden sollten es uns wert sein, die Zukunft der Wertegesellschaft sollte uns das wert sein.
Warum alle Kinder? – Um eine für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtige gemeinsame Basis zu schaffen, die tatsächlich den Herausforderungen einer offenen, pluralistischen Gesellschaft gerecht werden kann. Das wäre auch ein wichtiger Beitrag zur Integration. Denken wir an Themen wie die Gleichstellung von Mann und Frau, oder den Umgang miteinander und die Wichtigkeit des Dialoges!
Die Vertreter der Religionsgemeinschaften und weiterer sozialer Einrichtungen wie Familienverbände, aber auch Vertreter einer atheistischen Weltanschauung sollten bei der Erstellung der Lehrinhalte und des Lehrplans für den Ethikunterricht mitwirken dürfen, denn es geht um einen allgemeinen gemeinsamen Konsens. Die Ausbildung der Pädagogen ist natürlich enorm wichtig. Darum sollte auch im Ethikunterricht nicht versucht werden, interne Positionen der Religionsgemeinschaften zu kritisieren, aber der Ethikunterricht ist dazu angetan, den allgemeinen gemeinsamen Konsens zu lehren. (Präsident Neugebauer gibt das Glockenzeichen.)
Auch wir beten dafür, dass dieser Ethikunterricht für die Jugend und für die Zukunft unseres Landes entscheidend ist und etwas wirklich Wichtiges bringt. Dabei wünsche ich uns allen und Österreich sehr viel Erfolg. (Beifall.)
15.48
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Lohfeyer. – Bitte.
15.48
Abgeordnete Mag. Rosa Lohfeyer (SPÖ) : Herr Präsident! Frau Ministerin! Herr Minister! Werte Expertin und Experten! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kenne eigentlich nur positive Rückmeldungen – ob das die Evaluierungsergebnisse sind oder verschiedenste Rücksprachen, die ich gehalten habe in verschiedenen Schulen, die an dem Schulversuch teilnehmen.
Ich sehe den Ethikunterricht als eine Chance und auch als eine Dringlichkeit in unserer pluralistischen Gesellschaft. Ich denke da besonders an Kinder aus bildungsferneren Schichten und an Kinder und junge Leute, die in verschiedenen Kulturen und Religionen groß geworden sind. Ich denke, gerade sie brauchen die Auseinandersetzung mit verschiedensten Religionen, die Reflexion ethischer Probleme, aber auch diese wichtige Stärkung des Einzelnen besonders, um sich angstfrei im Klassenverband oder in Jugendgruppen zu bewegen beziehungsweise anderen zu begegnen.
Wir haben es heutzutage nicht selten mit aggressiven Haltungen und Reaktionen von Jugendlichen zu tun, auch mit der Übernahme von unreflektierten rassistischen und feindlichen Haltungen anderen gegenüber.
Werte wie Solidarität, Toleranz und Wertschätzung den Mitmenschen gegenüber, aber auch das Hinführen eines jeden Jugendlichen „zu selbständigem Urteil“, „sozialem Verständnis“ und Aufgeschlossenheit gegenüber „dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer“ – wie es in Artikel 14 des Bundes-Verfassungsgesetzes festgeschrieben ist –, sind unser aller Auftrag.
Ich wünsche mir einen flächendeckenden Ethikunterricht als Unterrichtspflichtfach. Ich meine, dass wir aus den vielen schon genannten Gründen einen gesellschafts- und kulturpolitischen Auftrag dazu haben. Ich meine auch, dass wir bezüglich der LehrerInnen, die dieses Fach unterrichten sollen, im Zuge der bevorstehenden Neustrukturierung der LehrerInnenausbildung auch die Möglichkeit haben, ein eigenes Lehramtsstudium dafür zu installieren. – Danke für die Vielfalt der Diskussionsbeiträge! (Beifall.)
15.51
15.51
Gerhard Weißgrab (Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Repräsentant der österreichischen Buddhistinnen und Buddhisten möchte ich mich herzlich für die Möglichkeit bedanken, hier ein paar Gedanken formulieren zu dürfen.
Es ist ein sehr mächtiges Thema, ein sehr wichtiges Thema, und ich möchte dazu nur ganz kurz drei Gedankenansätze skizzieren.
Erstens: Die Zukunft liegt beim Ethikunterricht und beim Religionsunterricht, nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern in einem ergänzenden und fruchtbaren Miteinander.
Zweitens: Bei der Förderung ethischer Bildung durch Einsicht und Wissen in allen Bereichen – wie die Frau Bundesministerin einleitend gesagt hat – ist damit auch zu einer Art von Einsichtsethik und nicht Vorschriftsethik zu kommen.
Drittens: Förderung der Selbstverantwortung von frühester Jugend an.
Abschließend möchte ich sagen: Die Entwicklung unserer Gesellschaft wird ohne das Selbstverständnis einer fundierten Ethik keine gute sein.
Teil der buddhistischen Ethik ist das Geben: Ich gebe damit dem Herrn Präsidenten den Rest meiner Redezeit zurück. – Vielen Dank. (Beifall.)
15.52
15.52
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Die Aufgaben, die sich der Schule stellen, werden immer vielfältiger. Neben der Wissensvermittlung sind es vor allem zwei Aufgaben, mit denen die Schule in den letzten Jahren ihre großen Probleme hatte.
Das eine ist, dass sehr viel an Sozialisation von der Familie an die Schule transferiert wird. Das andere ist, dass es am Fundament gescheitert ist, wenn wir sagen, dass Integration in unserer Gesellschaft glücken muss – und das Fundament stellt die Schule dar, und daran ist sie zuletzt immer wieder gescheitert. Aber wenn wir diese beiden neuen Aufgabenbereiche sehen, so ist es geradezu eine Herausforderung, einen Ethikunterricht als Pflichtfach einzuführen, nämlich die Vermittlung, das Erfahrbarmachen der Grundlagen des Zusammenlebens.
Das kann nicht funktionieren, indem man eine Art „Restlunterricht“ für jene macht, die keiner anerkannten Religionsgemeinschaft angehören oder sich generell abmelden, sondern das ist eine zentrale Aufgabe. In einer pluralistischen Gesellschaft kann es keine höhere Aufgabe für die Schule geben, als dieses Zusammenleben zu lehren, im Bereich der Toleranz, des Verständnisses – Verständnis gegenüber Kulturen, unterschiedlichen Mobilitäten, unterschiedlichen Religionen –, aber auch im Bereich der globalen Solidarität und Verantwortung.
Neben den Grundwerten gibt es ja auch Werte, die sich innerhalb der Gesellschaft im Wandel befinden: Das Medienrecht und das Familienrecht haben sich doch in den letzten 40 oder 50 Jahren völlig gewandelt. Das Verständnis in der Gesellschaft für gleichgeschlechtliche Beziehungen hat sich gewandelt. All dies gilt in einer vernunftorientierten Moral und in einer Mündigkeit als eine Grundlage eines solchen Ethikunterrichts.
Die anerkannten Religionsgemeinschaften brauchen keine Angst zu haben, dass sie nicht auch noch eine Funktion haben, aber zuerst muss es einmal diesen Pflichtunterricht geben – unabhängig davon, woher ein Kind kommt und woher seine Eltern kommen. Das sollte auch nicht an schlanken Kassen und Budgets scheitern, denn um die Gegensätze und die Probleme, die es später gibt, zu vermeiden, müssen diese Grundlagen des Zusammenlebens gelehrt und erfahrbar gemacht werden.
Das kann nicht irgendwie geschehen, sondern das sollte auf einer geordneten Basis beruhen, auf der Basis eines Lehramtsstudiums für Ethiklehrende.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Österreich längst die alevitische Religionsgemeinschaft anerkennen sollte. – Danke. (Beifall.)
15.56
15.56
Iris Schwarzenbacher (Aktion kritischer Schüler_innen) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie wir alle nur zu gut wissen und wie auch schon öfter angesprochen wurde, ist Österreich auf dem Papier ein laizistischer Staat und sollte weltanschaulich neutral sein.
Die Trennung von Kirche und Staat muss vor allem auch für die Schule gelten, denn die Schule sollte als öffentliche Einrichtung einen geschützten Raum für alle Schüler und Schülerinnen darstellen, in dem sich Kinder und Jugendliche frei von externen und somit auch frei von konfessionellen Einflüssen ihre Meinung und ihre eigenen Wertvorstellungen bilden können.
Im Moment ist dieser geschützte Raum leider nicht gewährleistet – schaut man sich allein die Durchführung des jetzigen konfessionellen Religionsunterrichtes an. Ein konfessioneller Religionsunterricht kann niemals wertneutral sein, vor allem nicht, wenn die Lehrbefugnis von einer Kirche oder einer Religionsgemeinschaft erteilt wird und auch in dem Fall wieder entzogen werden kann, sollte eine Lehrperson nicht das Bild der Kirche vermitteln. Das ist eine Art von konfessionellem Einfluss auf die Schule und von großer Macht, die die Kirchen in den Schulen haben, die sehr wohl – und zwar ganz, ganz eindeutig – dem laizistischen Prinzip der Trennung von Kirche und Staat widerspricht.
Eine notwendige Entwicklung ist – wie schon oft angesprochen – die Einführung eines Ethikunterrichts für alle Schüler und Schülerinnen, und zwar nicht als Ersatz für den Religionsunterricht, wenn man keinen Religionsunterricht besuchen will, sondern anstatt des Religionsunterrichts. Alle Schülerinnen und Schüler sollen die Möglichkeit haben, sich aus nicht-konfessioneller Sicht mit ethischen Fragen und menschlichem Handeln beschäftigen zu können.
Zum Inhalt eines solchen Faches möchte ich noch Folgendes hinzufügen. Was sehr oft und auch in dieser Debatte vermischt worden ist: Ethik ist nicht gleichzusetzen mit Religionsethik, sondern – wie auch schon angesprochen – ein großer Teilbereich der Philosophie, die sich mit dem menschlichen Handeln im Allgemeinen befasst. Das darf auf keinen Fall verwechselt werden.
Für die Zukunft des Ethikunterrichts muss gewährleistet werden, dass er nicht als Religionsunterricht durch die Hintertür durchgeführt wird, sondern dass Schüler und Schülerinnen auch wirklich die Möglichkeit haben, in der Schule keinen konfessionellen Religionsunterricht zu haben.
Es wurde schon öfter angesprochen, dass die Qualität des Ethikunterrichts ganz stark davon abhängt, wer unterrichtet und wie die Ausbildung ausschaut. Notwendig ist ein eigenes Lehramtsstudium für Ethik, nicht nur die Zusatzausbildung, die es im Moment gibt, denn nur wer diese Thematik auch wirklich studiert hat, ist fähig, dieses Fach zu unterrichten. Deshalb sollte ausschließlich mit Lehrbefugnis durch ein Lehramtsstudium Ethik unterrichtet werden können.
Zusammenfassend: Ja zum Ethikunterricht, aber nur wenn gewährleistet wird, dass Ethik keinen Religionsunterricht durch die Hintertür darstellt, sondern ein modernes Fach aus nicht-konfessioneller Sicht ist, denn Ziel dieser Debatte muss eine pluralistische und eine säkulare Schule sein.
Religion ist Privatsache und hat in der Schule nichts verloren. (Beifall.)
15.59
15.59.29
Mag. Dr. Eckehard Quin (Vorsitzender der AHS-Gewerkschaft) : Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Regierungsmitglieder! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Gewerkschafter begebe ich mich von den philosophischen Höhen in die Niederungen der Praxis.
Ich möchte hier zum Ausdruck bringen, dass ich mich nicht ganz des Eindrucks erwehren kann, dass diejenigen, die einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle fordern, wissentlich oder unwissentlich das Ganze auf die lange Bank schieben wollen.
Ich glaube, dass alle, die mich kennen, mir zumindest zugestehen, halbwegs gut zu rechnen. Ich habe daher ein bisschen gerechnet, was denn die Einführung eines Ethikunterrichts kosten würde. Die Daten basieren, das sei gesagt, auf den Ethik-Schulversuchen, die derzeit in Wien und Niederösterreich laufen. Das umfasst etwa 40 Prozent der Schülerpopulation der Sekundarstufe II. Sie sind, glaube ich, daher statistisch relevant.
Es würde im Vollausbau, wenn Ethikunterricht als alternativer Pflichtgegenstand eingeführt würde, also als ein Gegenstand, den alle zu besuchen haben, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, in etwa 16 bis 17 Millionen € pro Jahr kosten.
Wenn man einen Ethikunterricht als Pflichtgegenstand für alle Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe II einführen würde, dann würde das etwa 160 Millionen € jährlich kosten.
Wenn man das auf alle Schulstufen ausweiten würde, wären wir bei ungefähr 332 Millionen €.
Ich begrüße jeden Euro, der ins österreichische Bildungssystem fließt. Bei aller weltanschaulicher Differenz zur Frau Abgeordneten Musiol bin ich mit ihr einer Meinung: Mehr Geld für die Bildung ist immer gut! Mir fehlt allerdings ein bisschen der Glaube, dass das Hohe Haus dreistellige Millionen-Euro-Beträge investieren wird, um einen Ethikunterricht umzusetzen.
Daher plädiere ich sehr dafür, dass wir mit dem beginnen, was sich in 14 Jahren Schulversuchen bewährt hat, nämlich Ethikunterricht als alternativer Pflichtgegenstand – selbstverständlich mit einer profunden Ausbildung für alle, die das unterrichten; das ist keine Frage. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass man Personengruppen davon ausschließt, also zu sagen: Alle, die einen konfessionellen Religionsunterricht erteilen, dürfen keine Ethik-Lehrer werden! – Das entspricht nicht ganz meinem Verständnis von freiheitlicher Demokratie.
Damit hoffe ich, dass das Hohe Haus sehr bald den schon lang dauernden Schulversuch ins Regelschulwesen überführen, nämlich einen alternativen Pflichtgegenstand Ethik zunächst einmal zumindest in der Sekundarstufe II einrichten wird. – Vielen Dank. (Beifall.)
16.02
16.02
|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Vertreter und Vertreterinnen der Bundesregierung! Ich bin von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst eingeladen worden, den Bereich Berufsschule bei dieser Enquete zu vertreten.
Mag. Horst Schachtner (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst)Ich unterrichte seit 15 Jahren Religion an zwei Wiener Berufsschulen, bin aber auch geprüft für andere Gegenstände, habe die Lehramtsprüfung zum Beispiel für Rechnungswesen und Politische Bildung. Mittlerweile leite ich eine dieser beiden Berufsschulen. Ich möchte einmal Zeugnis darüber geben, damit es nicht permanent heißt, ich käme etwa als Religionslehrer durch die Hintertür. Ich bin für diese Gegenstände, und das entspricht eben meiner Ethik, für alle Schülerinnen und Schüler in gleichem Maße da.
Ich lege aber auch Wert darauf, dass der Religionsunterricht auch in der Berufsschule – dort wird er als Freigenstand geführt, ich stelle also mit meinem Religionsunterricht eine Alternative zum Beispiel zu Englisch oder zu Sport und Bewegung dar – als eine Alternative sehr wohl auch gewählt wird, weil er wichtig ist für die Diskussion, für den Dialog, der später auch in anderen Gegenständen erfolgen kann, wie zum Beispiel „Politische Bildung“.
Ich sehe den Dialog, die Dialogfähigkeit über Religion nämlich einem Ethikunterricht vorgelagert. Ich kann nur etwas ins Wort bringen, in die Diskussion einbringen, was ich auch tatsächlich wahrnehme, auch im öffentlichen Bereich wahrnehme, wo ich in der Lage bin, etwas zu artikulieren, etwas auch zu kritisieren, wenn ich mich auskenne, wenn ich also in meiner eigenen Religiosität, in meinem eigenen religiösen Segment auch einen Standpunkt finden kann.
Es gibt keinen Religionenunterricht, ohne dass da Menschen sitzen, die auch religiöse Empfindungen vorher in ihrer eigenen Identität wahrgenommen haben, in den Dialog gebracht haben, miteinander kommuniziert haben. Und gerade da hat der Religionsunterricht einen Stellenwert, der nicht einfach von der öffentlichen Hand ignoriert werden kann.
Ich sehe somit den Religionsunterricht in der jetzigen Form als enorm notwendig, den Ethikunterricht sehe ich als eine echte Alternative – als eine echte Alternative für viele Schüler, die aus welchen Gründen auch immer am Religionsunterricht nicht teilnehmen. (Beifall.)
16.04
16.05
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Vertreter der Bundesregierung und des Nationalrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich melde mich in zwei Rollen zu Wort, einerseits als Bundesobfrau der Vereinigung christlicher Lehrer/innen, die sich schon sehr lange für die Einführung eines Ethikunterrichts starkmacht, andererseits als Direktorin einer der Schulen, die den Ethikunterricht im Schulversuch eingeführt haben – allerdings an meinem ORG in Mistelbach erst im zweiten Jahr –, wo Ethik unterrichtet wird von Kolleginnen und Kollegen, die eine sehr umfangreiche und fundierte Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich gemacht haben. – So weit zur Ausbildung.
Mag. Isabella Zins (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst) :Ich kann den Argumenten für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler viel abgewinnen. Als Praktikerin habe ich allerdings die Sorge, die auch mein Vorvorredner schon angesprochen hat, nämlich, dass nach den vielen schönen Worten, die wir heute hier gehört haben, alles beim Alten bleiben wird, eben weil das Ganze am schnöden Mammon scheitern wird. Und das würde mir sehr leidtun.
Wenn ich sehe, dass an meiner Schule für diesen Schulversuch nicht einmal ein paar Werteinheiten zur Verfügung stehen, wie meine Kollegen aus Wien gesagt haben, dass wir schauen müssen, wo wir es abzwacken, dass dafür kein Freigegenstand Fußball, keine Sprachteilung möglich ist, dann möchte ich hier wirklich noch einmal betonen, dass es absolut nicht realistisch sein kann, diesen Gegenstand für alle Schülerinnen und Schüler einzuführen.
Was ich mir als Ergebnis dieser heutigen Enquete wirklich dringend wünsche, ist daher, dass es für alle Schülerinnen und Schüler, für alle uns anvertrauten jungen Menschen in diesem Lande eine Anleitung, eine Werteerziehung als Anleitung zu einem geglückten Leben geben kann, ja muss.
Und das deckt aus meiner Sicht der Religionsunterricht auf der einen Seite sehr gut ab – das kann ich auch wieder aus der Praxis bestätigen. In keinem anderen Fach stehen die Kolleginnen und Kollegen so sehr auf dem Prüfstand wie in diesem Fach, wo sie jedes Jahr fürchten müssen, dass sich Schülerinnen und Schüler abmelden. Gerade in diesem Fach gibt es sehr viel Gelegenheit zur Diskussion, und ich sehe wirklich nicht die Gefahr einer Indoktrination.
Ebenso geschieht dies im Fach Ethik an meiner Schule – auch das kann ich aus der Praxis bestätigen. Und ich wünsche mir dringend die Einführung des Ethikunterrichts als alternativen Pflichtgegenstand, damit die „Alternative“ zum konfessionellen Religionsunterricht nicht weiterhin Kaffeehaus heißt. (Beifall.)
16.07
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Ich danke allen, die in dieser Diskussionsrunde zu uns gesprochen haben.
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Wir kommen nun zu den abschließenden Stellungnahmen der Repräsentanten/Repräsentantinnen der Parlamentsklubs.
Die Redezeit beträgt jeweils maximal 5 Minuten. Zeitgeschenke werden angenommen.
Als Ersten ersuche ich den Bildungssprecher des SPÖ-Klubs, Herrn Abgeordneten Elmar Mayer, um seine Stellungnahme. – Bitte.
16.07
Abgeordneter Elmar Mayer (SPÖ)|: Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Gäste im Hohen Haus! Als Normalsterblicher versucht man, wenn man an dieses Thema herangeht, auch in Gedanken Revue passieren zu lassen: Wie war der eigene Religionsunterricht? Wie hat man das erlebt? Hat man selber Ethikunterricht erlebt? Was fehlt an den Schulen?
Ich habe den Vorteil gehabt, dass ich unseren Religionsunterricht sehr gut in Erinnerung habe. Ich habe auch meine Ausbildung an der Pädagogischen Akademie – ich darf sehr herzlich Herrn Professor Dr. Hans Fink begrüßen, der damals mein Lehrer war – als sehr positiv erfahren und weiß auch um das Bemühen, wirklich Fortschritte zu erzielen, was den Religionsunterricht anbelangt. Also ich glaube, von dem her ist es eine Debatte, die jetzt, heute, einen entscheidenden Schritt für uns weitergeht.
Ich möchte mich, weil ich mich sehr pragmatisch an dieses Thema angenähert habe, auch ganz herzlich bedanken bei jenen, die heute zum Teil schon als Referenten zu Wort kamen, bei Herrn Direktor Dr. Braunstein, der mir die Möglichkeit gegeben hat, wirklich hinter die Kulissen zu schauen, was sich im Ethikbereich tut, und bei Frau Dr. Kitzberger, die auch das erste Buch dazu verfasst hat, wo ich lesen konnte und anschauen konnte, was den Ethikunterricht ausmacht. Und ich muss eigentlich feststellen, dass in diesem Unterricht genau jene Dinge behandelt werden, die wir bei vielen Bildungsdebatten immer diskutieren, die auch heute angesprochen wurden, die wir eigentlich in der Schule lebendig haben wollen, die aber nirgends, in keinem speziellen Unterrichtsfach, so richtig Platz haben.
Ich meine, es ist auch recht gut gelungen, heute einen breiten Bogen zu spannen, von Kurt Greussing angefangen über Liessmann bis hin zu Zulehner, wirklich einen Einblick zu geben: Was braucht es an den Schulen? Und ich meine, der Ethikunterricht steht wohl nach der heutigen Debatte für alle, die teilgenommen haben, außer Streit. Also: Es muss einen Ethikunterricht geben. Die Frage ist dabei: Wie soll er organisiert, wie soll er gestaltet, wie kann er finanziert werden?
Man wird – da gebe ich den Vertretern der Gewerkschaft schon recht – über die Art der Finanzierung natürlich reden müssen. Wir alle wissen, dass wir in Zeiten von knappen Finanzen leben. Und man muss auch darüber reden: Wo bleiben die Finanzen, die derzeit nicht von den Religionsgemeinschaften abgerufen werden?
Da wird ja vom Ministerium Geld an die Länder bezahlt, und dann entfällt, weil sich so viele auch abmelden oder keine Gruppen zustande kommen in den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften, der Unterricht beziehungsweise wird kein Unterricht angeboten. Glauben Sie, dass das Geld ans Ministerium zurückfließt? Das ist eines jener vielen Körberlgelder, die die Landesschulräte und Stadtschulräte haben, um andere Dinge tun zu können.
Da sind wir beim Thema Verwaltungsreform. Auch da bin ich schon Ihrer Meinung, man muss darüber reden: Wo ist das Geld, was kann man machen, wenn man es will? Und ich meine, die heutige Debatte hat einwandfrei ergeben: Wir wollen einen Ethikunterricht, der losgelöst von allen anderen Bereichen ist, der selbstständig vom Staat organisiert wird, der Lehrer zur Verfügung hat, die eine eigenständige tertiäre Ausbildung haben.
Wir haben derzeit aktuell die Debatte: Wie sollen wir neue Lehrerinnen und Lehrer ausbilden? Ich meine, ein eigenes Ausbildungsfach für Ethiklehrer ist ein Gebot der Stunde. Und es muss einen einheitlichen Lehrplan geben, nach dem alle dann gemeinsam unterrichten. Das kann auch keine Frage sein.
Und die entscheidende Frage, die wir uns dann stellen müssen, ist: Wie können wir es umsetzen? Da ist dann die Politik gefordert. Politik ist oft die Kunst, die Dinge möglich zu machen, und ich meine, nach dem heutigen Appell, nach der heutigen Veranstaltung, nach den Vorträgen, die wir heute gehört haben, sind wir tatsächlich aufgerufen, in diese Richtung die entscheidenden Schritte zu setzen.
Ich kann nur versprechen: Vonseiten unserer Fraktion wollen wir alles dazu tun, dass wir einen entscheidenden Schritt in Richtung eines eigenständigen Ethikunterrichts machen, der dann auch diesen Namen verdient. – Danke schön für die Diskussion und weiterhin viel Erfolg! (Beifall.)
16.12
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Für den ÖVP-Klub spricht nun Frau Abgeordnete Mag. Fuhrmann. – Bitte.
16.12
Abgeordnete Mag. Silvia Fuhrmann (ÖVP) : Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Experten und Expertinnen! Ich möchte mich eingangs sehr herzlich für die heutige Enquete bedanken, für die zahlreichen Ausführungen, für die Information, die uns hier dargebracht wurde und die wir dann auch im Zuge einer weiteren parlamentarischen Debatte diskutieren und besprechen werden.
Diese Debatte heute hat eines gezeigt, nämlich, dass wir alle, und das kann ich, glaube ich, kritiklos sagen und auch für alle geltend unterstreichen, dass Ethik wichtig für eine Werteerziehung ist – ich glaube, da sind wir grundsätzlich einer Meinung – und in einer pluralistischen Gesellschaft die Vermittlung von Werten einfach unverzichtbar geworden ist. Dies nicht nur deshalb, weil es in der Bundesverfassung verankert ist und auch Schulen aufgefordert werden, Orientierung an religiösen, an moralischen Werten zu ermöglichen – es ist wie ein Unterrichtsprinzip im Schulorganisationsgesetz festgeschrieben; das heißt, junge Menschen sollen in der Entwicklung von sittlichen, religiösen und sozialen Werten und Anlagen gefördert werden –, sondern auch deswegen, weil wir der Meinung sind, dass allen Schülerinnen und Schülern ein Zugang zu diesen Fragestellungen, zu der Auseinandersetzung mit Werten, mit Vorstellungen von Moral ermöglicht werden soll.
Wenn sich Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht abmelden oder sie überhaupt keinen Zugang dazu haben, weil sie keiner Konfession angehören, dann bedarf es hier einer Lösung.
Es wurde schon vielfach angesprochen, dass es bereits seit 14 Jahren, wie wir heute gehört haben, sehr erfolgreiche Schulversuche gibt, die durchgeführt wurden, wo jenen Schülerinnen und Schülern, die sich vom Religionsunterricht abmelden, als Alternative Ethikunterricht angeboten wurde.
Herr Dr. Bucher hat in seinem Statement erklärt, dass die Evaluierung ergeben hat, dass diese Schulversuche sehr positiv angenommen und begrüßt werden und dass sogar nachgewiesen werden konnte, dass ausländerfeindliche Stereotype durch Ethikunterricht reduziert werden können, aber auch die sittliche Handlungsbereitschaft erhöht werden kann.
Und nicht zuletzt ist Ethikunterricht natürlich auch eine Maßnahme, um die Kommunikationskultur und den Klassenzusammenhalt zu stärken.
Eines gilt es aber zu betonen, und da möchte ich Dr. Kampits zitieren, der Folgendes gesagt hat: Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern vielmehr um ein Gegeneinander! Dieser Meinung bin ich auch, und ich würde davor warnen, die Diskussion in diese Richtung laufen zu lassen. Vielmehr geht es meiner Meinung nach darum, den jungen Menschen zur gesellschaftlichen Orientierung, aber auch zur persönlichen Entwicklung Werte an die Hand zu geben, ein Rüstzeug an die Hand zu geben, um auch zu lernen, sich mit unterschiedlichen Meinungen und Positionen kritisch auseinanderzusetzen, oder auch gewappnet zu sein – und jedem Menschen passiert das leider auf seinem Lebensweg –, sich schwierigen Situationen, wie einer schweren Krankheit oder sogar dem Tod, stellen zu können.
Da stellt man sich oft die Sinnfrage, und ich denke, auch im Rahmen einer Werteerziehung kann das entsprechende Rüstzeug ein wesentlicher Bestandteil für eine gesunde und glückliche Entwicklung sein.
Dass es hier gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen braucht, ist unbestritten. Diese sind als VermittlerInnen besonders wichtig und haben eine besonders zentrale Rolle. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass wir für das Fach Ethik jedenfalls eine Zusatzausbildung an den Pädagogischen Hochschulen brauchen.
Noch eine konkrete Aussage zum Schluss: Ich bin dafür, dass wir auf Basis der Schulversuche nach 14 Jahren nun den Ethikunterricht für alle, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, ins Regelschulwesen überführen, als ersten Schritt in die Sekundarstufe II. Ich denke, es wäre an der Zeit. (Beifall.)
16.16
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Nun kommt der Bildungssprecher des FPÖ-Klubs, Herr Abgeordneter Dr. Rosenkranz, zu Wort. – Bitte.
16.16
Abgeordneter Dr. Walter Rosenkranz (FPÖ) : Herr Präsident! Geschätzte Versammlung! Ethik und Religion ist das Thema des heutigen Nachmittags gewesen, mit einer durchaus qualitätsvollen Diskussion und Debatte. Und es kommt immer heraus: Die Religionen und der Ethikunterricht sollen einander nicht konkurrieren. Was denn als Konkurrenz ist es, wenn ich mich ab einem bestimmten Zeitpunkt für das eine oder das andere entscheiden muss?
Wir haben als Grundprinzip in unserer Sichtweise immer das Prinzip der Freiheit, das über allem steht. Und so muss es möglich sein, den Ethikunterricht als Wahlfach zu nehmen, Religion als Wahlfach zu nehmen, und auch, beides zu nehmen. Warum ist das ausgeschlossen? Warum soll das auf einmal ausgeschlossen sein, wenn beide Seiten so überzeugt sind, dass beide Unterrichtsarten so hervorragend sein werden? Es muss aber auch möglich sein, beides nicht zu nehmen. Das ist eigentlich unser Zugang.
Wir haben gehört von den Wünschen, dass man jetzt einmal in der Sekundarstufe II beginnen soll. Kollege Huainigg hat gemeint, es soll in der Sekundarstufe sein. Und es kamen auch die Wünsche, dass es bereits ab der ersten Schulstufe möglich sein soll. Also hier gibt es unterschiedlichste Betätigungsfelder. Wir glauben, in der Sekundarstufe II ist der richtige Ort, einen Ethikunterricht einzuführen, allerdings wenn, dann nur als Wahlgegenstand.
Wo ist denn – diese Frage an alle, die gesprochen haben – jetzt auf einmal die Schulautonomie geblieben? Warum ist denn auf einmal nicht mehr die Frage, ob ein Ethikunterricht oder ein Religionsunterricht angeboten wird? An alle Prediger der Schulautonomie – es sind ja eigentlich alle Fraktionen, die sich für diese Stärkung entscheiden wollen –: Wo ist der Ansatz geblieben? Wieso kann zum Beispiel eine Schule da oder dort im Zusammenspiel der Schulpartner nicht entscheiden: Wir wollen das eine oder das andere haben!? Das fällt komplett auch aus dieser Diskussion heraus.
Eine klare Absage erteilen wir jedenfalls der Diskussion, dass man sagt: Die Religion hat in der säkularen Schule überhaupt nichts mehr verloren. Wir bekennen uns dazu, dass die Religionen ein wesentlicher Bestandteil unseres kulturellen Erbes sind und daher auch Bestandteil unserer Gesellschaft, so wie es auch im Gesetz steht: zum sittlichen, religiösen und sozialen Wert zu erziehen. Daher hat der Religionsunterricht, wenn es die Kirche oder Religionsgesellschaft auch möchte, Platz in der öffentlichen Schule. Das muss gewährleistet bleiben. Zwingen kann man natürlich auch die Religionsgemeinschaft nicht dazu.
Jetzt die Frage des Ethikunterrichts selbst. – Wer soll es unterrichten? Meiner Meinung nach muss jeder Lehrer einen hohen ethischen Anspruch erfüllen, egal in welchem Gegenstand, und ethische Prinzipien müssen auch in anderen Gegenständen angesprochen werden, ob das Philosophie oder Biologie ist, ob das in Geographie oder Geschichte ist, in Physik, in Kunstgeschichte, Musik oder auch Bildende Erziehung – es muss überall gelebt und erzogen werden können.
In diesem Spannungsfeld tut sich auch eines auf, und es wurde von meiner Kollegin Monika Mühlwerth, aber auch von Herrn Professor Auer angesprochen: die Rechte der Eltern. Das geht irgendwie komplett unter. Da versucht der Staat immer mehr, alles an sich zu ziehen. Bei der Reform, die Maria Theresia eingeleitet hat, indem sie das Volksschulwesen für alle eingeführt hat, war es nicht so sehr der pure Humanismus, der sie dazu gedrängt hat, sondern einfach der Versuch, die Bildung von der Kirche wegzunehmen und dem Staat zu geben.
Diesen Versuch sehe ich auch hier, und es ist nicht alles eitel Wonne und Waschtrog, was uns da vorgegeben wird. Die Äußerung von Vertretern der Aktion kritischer Schüler, aber auch von Bundesrat Schennach gehen meines Erachtens eher in die Richtung, dass hier sukzessive der Religionsunterricht abgeschafft werden soll – einmal das erste Scheibchen, dann das zweite, dritte und dann das nächste, bis zum Schluss nichts mehr übrig bleibt.
Dazu sind aber die Religionen in unserer Gesellschaft – und zwar alle Religionen – zu wichtig. Ich glaube, es geht nicht darum, ob Ethikunterricht oder Religionsunterricht, sondern hier muss man natürlich auch von der Qualität sprechen. Ein guter Religionsunterricht ist wahrscheinlich besser als ein schlechter Ethikunterricht – und umgekehrt.
Zum Schluss: Wenn es heißt, der Ethikunterricht sei das Neutrale, das Unabhängige, dann muss ich sagen: Geschätzte Damen und Herren, wenn man weiß, wie „verparteipolitisiert“ die österreichische Lehrerlandschaft ist, dann ist auch da ein gewisses Misstrauen angebracht. (Beifall.)
16.21
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Nun erteile ich dem Bildungssprecher des Parlamentsklubs der Grünen, Herrn Abgeordnetem Dr. Walser, das Wort. – Bitte.
16.21
Abgeordneter Dr. Harald Walser (Grüne) : Herr Präsident! Frau Ministerin! Herr Minister! Geschätzte Expertinnen und Experten und Gäste hier im Hohen Haus! Ich glaube, eine Angst war heute Nachmittag von vielen Vertreterinnen und Vertretern der Religionsgemeinschaften spürbar: die Angst, aus der Schule gedrängt zu werden, die Angst, an den Rand gedrängt zu werden, die Angst, aus der Gesellschaft gedrängt zu werden.
Ich glaube, dieser Angst muss man das entgegensetzen, was in dieser Diskussion auch deutlich geworden ist, nämlich die Bedürfnisse, die der Staat in der jetzigen Situation hat. Lassen Sie mich auf ein konkretes Beispiel eingehen. Ich habe gestern eine Schulklasse aus Lustenau durch das Parlament geführt: Von 26 SchülerInnen nehmen laut Befragung sechs am Religionsunterricht teil.
Es ist heute Nachmittag mehrfach angesprochen worden, was wir als Staat in Richtung Werteerziehung machen können. Wie wollen wir einen qualitativen Ethik- und Religionenunterricht gewährleisten, wenn wir nicht alle Schüler gemeinsam darüber diskutieren lassen, was denn Werte sind? Ich möchte es nicht Fundamentalisten überlassen, über die Rolle der Frau mit Schülerinnen und Schülern alleine zu diskutieren. Ich möchte, dass das vom Staat ausgebildete – gut ausgebildete! – Pädagoginnen und Pädagogen machen.
Über etwas haben wir heute auch nicht gesprochen, nämlich über die Krise des Religionsunterrichts. Ich bin Direktor einer großen Schule, im Juni jeweils bei der Matura dabei. Und wenn man sich die Fragen anhört, die da gestellt werden, merkt man, dass von einem konfessionellen Religionsunterricht teilweise gar nicht mehr die Rede sein kann. Der Religionsunterricht in der Praxis entwickelt sich schon längst in Richtung eines allgemeinen Unterrichts. Nehmen wir das als Staat zur Kenntnis und versuchen wir hier nicht gegen die Religionsgemeinschaften und die Kirchen, sondern mit ihnen eine Lösung herbeizuführen, an deren Schluss allerdings klar das Ziel stehen muss: Wir wollen einen einheitlichen Ethik- und Religionenunterricht, und wir wollen den konfessionellen Religionsunterricht in der Schule durchaus als Möglichkeit, aber eben nicht als Verpflichtung.
Es sind ja auch gemeinsame Werte – das wurde heute Nachmittag auch mehrfach angesprochen –, die auch diese Konfessionen und Religionsgemeinschaften kennzeichnen. Also lassen wir den Schülerinnen und Schülern auch die Chance, das im Dialog miteinander in der Diskussion, in der Auseinandersetzung auszuloten, was es da an Werten gibt.
Es ist ein schöner Satz zitiert worden: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf! – Die Schlussfolgerung war allerdings das Gegenteil von dem, was wir wollen. Wenn es ein ganzes Dorf braucht, dann braucht es auch die ganze Palette an Meinungen, an Überzeugungen, um schlussendlich zu jener Wertehaltung zu kommen, die wir als Gesellschaft einfordern und wo wir uns auch sehr schwertun, das zu definieren. Da müssen wir auch einmal zugeben, das ist nicht so ganz einfach, da muss vieles offen bleiben, das können wir nicht abschließend ausdrücken. Aber ich glaube, im Dialog von Schülerinnen und Schülern mit ihren Lehrkräften – mit ihren gut ausgebildeten Lehrkräften – entwickelt sich das, was wir als gemeinsame Werte bezeichnen.
Es ist auch erwähnt worden, dass die Diskussion hier ausgehen wird wie das Hornberger Schießen – es ist schlicht kein Geld da. Das Finanzrahmengesetz spricht eine eindeutige Sprache, und wir werden also zu diesem von der ÖVP gewünschten alternativen Pflichtgegenstand nicht kommen können. Ich bedauere das, denn, wie gesagt, wir haben hier weiter gehende Forderungen.
Ich habe jetzt den Wunsch des Herrn Präsidenten nicht ganz erfüllen können, Zeit zurückzugeben, aber ein ganz klein wenig bleibt noch übrig. – Danke. (Beifall.)
16.25
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Danke für das Bemühen.
Nun spricht der Vertreter des BZÖ-Parlamentsklubs, Herr Abgeordneter Petzner. – Bitte.
16.26
Abgeordneter Stefan Petzner (BZÖ) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Tagen ist Osama bin Laden von amerikanischen Elite-Soldaten erschossen worden, und der amerikanische Präsident Barack Obama hat dann im Fernsehen erklärt: Justice has been done!, die Gerechtigkeit hat gesiegt, wir haben Gerechtigkeit geschaffen. Daraufhin haben tausende Menschen auf den Straßen gejubelt und diesen Mord gefeiert.
Sie werden sich jetzt wahrscheinlich fragen, warum ich dieses Beispiel bringe, was das mit der heutigen Enquete, mit dem Ethikunterricht zu tun hat. Ich möchte Ihnen eine Antwort in der Form bieten, dass ich den deutschen Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse zitiere, der von der SPD kommt – jetzt sollte auch der Kollege der Arbeiterkammer gut zuhören, wenn er das Berliner Modell des Ethikunterrichtes gelobt hat. Thierse hat am 4. Dezember 2008 in der „Berliner Zeitung“ zum Ethikunterricht erklärt, dass es sich dabei um einen „staatlich verordneten Weltanschauungsunterricht“ handelt.
Und Thierse hat weiter gesagt: Ich weiß, was das ist! – Thierse weiß das deswegen so genau, weil er aus der DDR stammt.
Wir haben negative Erfahrungen in der österreichischen Geschichte – ich erinnere an den sogenannten Lebenskundeunterricht, den es hier einmal in einer sehr düsteren Zeit gegeben hat –, und wir haben negative Erfahrungen, was die marxistischen Systeme betrifft, was den politischen Missbrauch eines sogenannten Ethikunterrichtes anlangt.
Und davor möchte ich zum Schluss als letzter Redner warnen. Wir müssen aufpassen, dass der vermeintlich positive Ethikunterricht nicht zu einem staatlich verordneten, politisch beeinflussten Gesinnungsunterricht wird. Das kann er nicht sein, das darf er nicht sein!
Diese Gefahr kann aber derzeit aber nicht ausgeschlossen werden, zumal völlig unklar ist, wie die Ausbildung dieser Ethiklehrer ausschauen soll. Diese Frage konnte heute niemand beantworten – vielmehr wurde auf die problematische Nicht-Ausbildung in Deutschland verwiesen –, und niemand konnte die Frage beantworten, wie konkret der Lehrplan eines solchen Ethikunterrichtes ausschauen soll, welche Werte dort vermittelt werden, welche Ansicht von Ethik, welche Werte in einem Ethikunterricht den jungen Menschen dieses Landes vermittelt werden.
Noch einmal: Die Geschichte zeigt uns – und das amerikanische Beispiel einer verordneten Staatsethik, wo es als staatlich notwendig und gerecht bezeichnet wird, Menschen zu ermorden, soll uns ein warnendes Beispiel sein –, in welche negative Richtung auch so ein Ethikunterricht missbraucht werden kann.
Ich darf Sie wirklich ersuchen, auch im Sinne der jungen Menschen dieses Landes – und ich gehöre selber zur jungen Generation –, diese Gefahr nicht zu unterschätzen.
Der große Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, der sich auch sehr viel mit der Frage der Ethik beschäftigt hat, hat die Ethik bezeichnet mit der Frage: Was soll ich tun?
Wir sollen und müssen uns heute in Anlehnung an dieses Zitat des Immanuel Kant klarmachen, dass wir im Sinne der jungen Menschen dieses Landes auch in der Frage des Ethikunterrichtes nach bestem Wissen und vor allem Gewissen das Richtige tun müssen, das Richtige für die junge Generation bewerkstelligen müssen.
Es ist heute das Beispiel genannt worden, dass es im Ethikunterricht darum geht, das Werten zu lehren, und das ist nicht zu verwechseln mit politischen Wertungen, politischen Weltanschauungen, die im Rahmen eines Ethikunterrichtes indoktriniert werden könnten – ich betone: könnten.
Diese Gefahr darf – noch einmal! – nicht unterschätzt werden! Daher lehnen wir vom BZÖ auch den Ethikunterricht nicht von Haus aus ab. Wir stellen uns dieser Diskussion, aber wir führen eine sehr kritische Diskussion. Wir wollen eine Diskussion führen, die auch die Hintergründe beleuchtet – und erst dann, wenn ein konkretes Modell, ein konkreter Lehrplan und auch ein konkreter Ausbildungsplan auf dem Tisch liegen, entscheiden.
Schlusssatz, auch in Richtung des Herrn Kardinals Schönborn, der heute hier bei uns ist: Dass es die Diskussion um den Ethikunterricht gibt, ist ja vielmehr auch – das muss man sagen – ein Problem der römisch-katholischen Kirche, weil der Religionsunterricht, vor allem der der römisch-katholischen Kirche – das zeigen die vielen Abmeldungen –, ja kein Problem des österreichischen Bildungssystems an sich ist, sondern ein Problem der Ausbildung der Religionslehrer, ein Problem der römisch-katholischen Kirche, die da offensichtlich Handlungsbedarf hat. Das darf gerade ich sagen, der ich im Unterschied dazu ein positives Beispiel bin, weil ich sogar in Religion maturiert habe. (Heiterkeit und Beifall.)
16.31
sehr herzlich bei den beiden Mitgliedern der Bundesregierung, bei allen Referenten, bei allen, die hier das Wort ergriffen haben, bei den Kollegen aus dem Nationalrat, aus dem Bundesrat, den Zuhörerinnen und Zuhörern für ihr Interesse.
Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer : Ich schließe die Debatte und bedanke michIch weise noch einmal darauf hin, dass ein Stenographisches Protokoll dieser Enquete angefertigt wird, das über das Internetangebot des Parlaments zur Verfügung gestellt werden wird.
*****
Die Enquete ist geschlossen.
Schluss der Enquete: 16.32 Uhr
Impressum: Parlamentsdirektion 1017 Wien |