356/J XXIV. GP

Eingelangt am 03.12.2008
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Walser, Zinggl, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundeskanzler

 

betreffend die Neugestaltung der österreichischen Gedenkstätte im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau

 

Aus Anlass des 40. Jahrestages des „Anschlusses“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich wurde am 19. März 1978 die österreichische Gedenkstätte in Auschwitz eröffnet. Diese Ausstellung hat zweifellos ihre historischen Verdienste, jedoch entspricht die Darstellung der Jahre 1938 bis 1945 einer sehr einseitigen Sichtweise, die Österreich nur als „erstes Opfer“ der gewaltsamen Expansionspolitik von NS-Deutschland zeigt. Die Beteiligung von zahlreichen Österreicherinnen und Österreichern an NS-Verbrechen und insbesondere am Holocaust werden ausgeblendet.

 

Dieses Geschichtsbild entspricht in keinster Weise dem heutigen Wissensstand. Die mittlerweile zahlreichen kritischen zeitgeschichtlichen Arbeiten zur Frage der Involvierung von Österreicherinnen und Österreicher in den Nationalsozialismus und zum Umgang der Republik mit dieser Vergangenheit werden in der Ausstellung nicht berücksichtigt. Mehrere nationale Ausstellungen in der staatlichen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau wurden bereits neu gestaltet. Nur zwei Ausstellungen sind noch im „Originalzustand“: Die – derzeit geschlossene – des nicht mehr existierenden Staates Jugoslawien und die österreichische. Die Neugestaltung der österreichischen Gedenkstätte ist schon längst überfällig.

 

Seit November 2005 (!) befindet sich im Eingangsbereich der Ausstellung ein Transparent, welches darauf hinweist, dass die Darstellung als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“ nicht mehr dem Geschichtsbild des heutigen Österreich entspricht: „Dieser Perspektivenwechsel im Umgang mit der NS-Vergangenheit soll in einer Neugestaltung der Österreichischen Gedenkstätte zum Ausdruck gebracht werden, die derzeit konzipiert wird.“ Die unterzeichnende Institution ist das Österreichische Generalkonsulat in Kraków, doch die Konzipierung scheint ein äußerst schwieriges und zeitaufwendiges Unterfangen zu sein.

 

Immerhin steht nun im Regierungsprogramm für die XXIV. Gesetzgebungsperiode im Kapitel „Kunst und Kultur“ u. a. folgende Passage: „Erneuerung des Österreich-Pavillons in der Ausschwitz[sic!]-Gedenkstätte; Koordination und Teilfinanzierung durch den Nationalfonds“ (S. 221). Einmal abgesehen davon, dass die AutorInnen dieser Passage peinlicherweise nicht in der Lage waren, den Ort orthografisch korrekt zu schreiben, ist dies eine erfreuliche Festlegung. Dennoch bleiben viele Fragen offen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

  1. Sind Sie der Meinung, dass das Geschichtsbild der „österreichischen Nationalausstellung“ in Auschwitz dem heutigen Wissensstand entspricht?
  2. Falls nein: Was genau gefällt Ihnen nicht an der Darstellung in der österreichischen Gedenkstätte?
  3. Sind Sie der Ansicht, dass die einseitig widerständige und patriotische Geschichtsauffassung, die in der österreichischen Gedenkstätte vermittelt wird, mittlerweile auch ein außenpolitisches Problem darstellt?
  4. Seit 2005 hängt am Eingang der Ausstellung ein Hinweis, dass das in der Ausstellung transportierte Geschichtsbild nicht mehr dem historischen Selbstverständnis der Republik entspreche und dass an einer Neukonzeption gearbeitet werde. Was wurde seit 2005 diesbezüglich alles unternommen?
  5. Woran ist es bis dato gescheitert, die hoffnungslos veraltete Ausstellung neu zu konzipieren?
  6. Brigitte Bailer, Bertrand Perz und Heidemarie Uhl haben im Juni 2008 einen fundierten Projektendbericht zur „Neugestaltung der Österreichischen Gedenkstätte im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau“ vorgelegt. Haben Sie diesen Endbericht schon gelesen?
  7. Welche Schritte haben Sie eingeleitet, um die im Endbericht vorgesehenen Maßnahmen auch umzusetzen?
  8. Gibt es bereits einen Vertrag der Republik Österreich mit der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, damit eine Projektgruppe mit der Neugestaltung durch die Republik beauftragt werden kann?
  9. Bis wann ist mit einer Realisierung und damit der Neugestaltung der Österreichischen Gedenkstätte im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau zu rechnen?
  10. Welche Schritte wurde für eine konkrete Umsetzung bereits in die Wege geleitet?
  11. Im Regierungsprogramm heißt es, „Koordination und Teilfinanzierung“ sollen durch den Nationalfonds erfolgen. Warum wurde der Nationalfonds als Koordinationsstelle gewählt? Was qualifiziert den Nationalfonds dafür, diese Aufgabe zu übernehmen?
  12. In welcher Form ist die Koordination und Teilfinanzierung der Neugestaltung der österreichischen Gedenkstätte durch den Nationalfonds durch dessen gesetzlichen Auftrag gedeckt?
  13. Zur Finanzierung dieses Vorhabens: Im Regierungsprogramm heißt es, es werde eine „Teilfinanzierung durch den Nationalfonds“ stattfinden. Wie hoch ist die budgetäre Veranschlagung für die Neugestaltung der Ausstellung? Wer finanziert den Rest?

  1. Die derzeitige Ausstellung ist ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument und dokumentiert eindrucksvoll die Geschichtsauffassung des Jahres 1978. In welcher Form werden Sie die vollständige Archivierung dieser Präsentation sicherstellen?
  2. Was halten Sie von der Idee, den Pavillon unter einen Glassturz zu stellen und die weiter oben zitierte Passage aus dem Regierungsprogramm 2008–2013 inklusive Rechtschreibfehler darauf anzubringen?