422/J XXIV. GP

Eingelangt am 11.12.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Lunacek und Pilz, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Inneres Dr. Maria Fekter

 

betreffend Vermisstenfall Aeryn Gillern

 

Wie bereits in mehreren Medien, zuletzt ausführlich in der Wochenzeitung „Der Falter“, Ausgabe 47/08 S. 40ff berichtet wurde, verschwand am 29.10.2007 der USA-Staatsbürger Aeryn Gillern unter mysteriösen, bis heute nicht aufgeklärten Umständen.

 

Die Mutter der vermissten Person – selbst pensionierte Polizeibeamtin – erhebt in dem genannten Zeitungsartikel schwere Vorwürfe gegen die Arbeit der Wiener Polizei in diesem Fall. Sie versuchte in den Wochen nach dem Verschwinden ihres Sohnes in Wien Klarheit zu finden, stieß dabei jedoch bei der Polizei nicht auf Hilfe, sondern auf homophobes Verhalten und Unfreundlichkeit. Die Mutter wird im Zeitungsartikel etwa zitiert wie folgt:

 

„Ich habe niemals zuvor so viel Rohheit, Grobheit und Unprofessionalität erlebt. [...] Wenn ich sage, dass das Verhalten der Polizei an Sadismus grenzt, dann übertreibe ich nicht.“

         

Sie sagt, die Wiener Polizei habe roh und unkooperativ gehandelt, weil ihr Sohn schwul gewesen sei.

 

Sie sagt, dass die Polizisten sie gefragt hätten, ob sie eigentlich stolz darauf sei, einen schwulen Sohn zu haben. Sie sagt, die Ermittler hätten sich geweigert, Englisch zu sprechen, und gleichzeitig durchblicken lassen, dass sie die Sprache beherrschen. Mit höhnischem Unterton habe man sie nach der Art ihrer Polizeiarbeit gefragt, ob sie denn Parksheriff gewesen sei in Amerika. Sie erzählt, dass die Dolmetscherin – eine Unido-Mitarbeiterin – die Polizisten gebeten habe, Sprechpausen einzulegen, damit sie für Kathy Gilleran übersetzen kann. Und die Polizisten hätten verweigert.

 

Neben dem Vorwurf des unfreundlichen, unkooperativen Verhaltens ergeben sich aus dem vorliegenden Falter-Artikel sowie aus ergänzenden vorliegenden Informationen jedoch auch aufklärungsbedürftige Widersprüche und Ungereimtheiten in der angeblich „offiziellen“ Version des Sachverhaltes.

 

Nach der „offiziellen Version“ soll der Vermisste am 29.10.2007 kurz vor 19.00 Uhr nackt und ohne ersichtlichen Grund aus einem Saunalokal in der Weihburggasse gelaufen sein, in weiterer Folge bis zum Donaukanal gelaufen sein und dort Selbstmord begangen haben durch einen Sprung in den Donaukanal. Für den Selbstmord gebe es einen Zeugen. Als Motiv geht die Polizei laut Falter-Artikel davon aus, dass der Vermisste einen positiven HIV-Test erhalten habe.

 

Gegen diese Variante sprechen mehrere Indizien:

 

Zunächst sei Aeryn Gillern ein fröhlicher, gefestigter, sozial integrierter Mensch gewesen sein, bei dem es keinerlei Hinweise auf eine Suizidgefahr gegeben habe. Dies bestätigen FreundInnen, MitarbeiterInnen, NachbarInnen, der Hausarzt und nicht zuletzt seine Mutter. Gillern habe sich für die folgenden Tage mit Bekannten verabredet, Flugtickets gekauft, und auch seine Wohnung so zurückgelassen, als ob zurückkehren würde.

 

Der Falter-Artikel erwähnt Gerüchte, wonach es im Sauna-Lokal vor dem Verschwinden einen Streit gegeben habe solle, was vom Besitzer jedoch bestritten wird.

 

Als die Mutter von der Polizei die in der Sauna verbliebenen Sachen ihres Sohnes erhielt, fand sie in der Tasche einen aktuellen, negativen HIV-Test. Diesen Beweis übermittelte sie in der Folge nochmals an die Polizei, dennoch blieb diese bei ihren Annahmen.

 

Der Vermisste soll die Sauna unter Zurücklassung seiner Sachen vor 19.00 Uhr verlassen haben. Mit Kleidung und Tasche erhielt seine Mutter jedoch auch sein Mobiltelefon. Aus diesem ergibt sich, dass Gillern noch um 19.20 Uhr mit einer Bekannten telefoniert, und kurz darauf ein sms an seinen Freund in der Schweiz schickte. Da er das Handy offensichtlich nicht bei der „Flucht“ aus der Sauna  mitnahm, kann die offizielle Darstellung offensichtlich nicht richtig sein.

 

Ein nackter Mann, der hunderte Meter durch Wien läuft, und eine darauffolgende Suchaktion mit Tauchern hätte sicherlich großes Aufsehen erregt, und wäre wohl auch in den Medien vermerkt worden. Eine Medienrecherche ergibt jedoch, dass in den Tagen unmittelbar nach dem Verschwinden keinerlei Berichte über diesen Vorfall erschienen. Erst über Urgenzen der Mutter wurde am 20.11.2007 ein Bericht in der Tageszeitung „Heute“ mit der Bitte um Hinweise veröffentlicht. Laut Heute vom 21.11.2007 seien daraufhin auch Hinweise von Passanten eingegangen. Dass jedoch über einen Tauchereinsatz mitten in Wien am 30.10. oder kurz darauf überhaupt nicht berichtet wurde, ist erstaunlich.

 

Schließlich soll auch der angebliche Zeuge des Selbstmordes seine Aussagen mehrmals geändert haben: während es ursprünglich geheißen habe, dass er einen glatzköpfigen Mann im Donaukanal treiben habe sehen, soll er später nur ein „Platschen“ gehört haben.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.      Sind im gegenständlichen Fall noch Ermittlungen anhängig, oder ist der Akt geschlossen?

2.      Wie lautet der wahrscheinliche Hergang des Verschwindens von Aeryn Gillen nach Ihrer Auffassung?

3.      Wurden durch die zuständigen Ermittler in diesem Fall jene Gerüchte, wonach es vor dem Verschwinden in der Sauna einen Streit gegeben habe, überprüft?

4.      Wie viele Personen wurden von den zuständigen Ermittlern in diesem Zusammenhang insgesamt einvernommen?

5.      Wie kommt die Polizei zu der Auffassung, dass ein positiver HIV-Test Motiv für einen Selbstmord sein könnte, wenn ein tagesaktueller negativer solcher Test sich in den Besitzstücken des Vermissten befand und von der Mutter auch nachträglich nochmals der Polizei übermittelt wurde?

6.      Wie erklären Sie sich den Umstand, dass Aeryn Gillen nachweislich noch nach 19.00 Uhr sein Mobiltelefon benutzte, welches in der Sauna zurückblieb, obwohl er die Sauna bereits vor 19.00 Uhr verlassen haben soll?

7.      Wurden diese Widersprüche im Akt vermerkt und bearbeitet?

8.      Zu welcher Uhrzeit ging der Notruf ein, welcher zu der Suchaktion am 29.10.2007 führte?

9.      Wer erstattete diesen Notruf?

10.  Was war der Inhalt des Notrufs?

11.  Welche Maßnahmen erfolgten aufgrund des Notrufs?

12.  Erfolgte eine Suche mit Tauchern?

13.  Welche Einheit führte diese Suche durch?

14.  Wieviele Taucher waren im Einsatz und wie lauteten ihre Dienstnummern?

15.  Von wann bis wann wurde der Einsatz durchgeführt?

16.  In welchem Bereich wurde der Einsatz durchgeführt?

17.  Aus welchen Gründen wurde der Einsatz ergebnislos abgebrochen?

18.  Wer traf diese Entscheidung?

19.  Wurde zusätzlich zu den Tauchern auch mit Suchhunden gesucht?

20.  Falls ja: nach welchen Spuren wurde gesucht?

21.  Hat es seit dem Sucheinsatz vom 29.10.2007 bis heute noch weitere Sucheinsätze in diesem Fall gegeben?

22.  Falls ja: welcher Art waren diese Sucheinsätze?

23.  Wann haben sie stattgefunden?

24.  Mit welchem Ergebnis?

25.  Hat es Kontakt mit weiteren Donauanrainerstaaten bezüglich der möglichen Auffindung unbekannter Ertrunkener gegeben?

26.  Wurde mittlerweile eine Leiche eines unbekannten Ertrunkenen aufgefunden, bei welcher es sich um Aeryn Gillern handeln könnte?

27.  Falls ja: wurde die Mutter des Vermissten darüber informiert?

28.  Wurden der Mutter des Vermissten Kopien des Akteninhaltes in diesem Fall ausgefolgt?

29.  Falls nein: weshalb nicht?

30.  Sind die Vorwürfe der Mutter betreffend der unkooperativen und von Ressentiments gegenüber Schwulen geprägten Verhaltensweise der ermittelnden Beamten zutreffend?

31.  Falls nein: welche Ermittlungsmaßnahmen wurden gesetzt, um diese Vorwürfe zu überprüfen?

32.  Falls ja: welche Disziplinarmaßnahmen wurden bisher oder werden in Zukunft noch bezüglich dieses unpassenden Verhaltens gesetzt?

33.  Besteht ein Zusammenhang der Herangehensweise der Polizei an diesen Fall damit, dass Aeryn Gillern einen Beschwerdebrief an amnesty international verfasste, in welchem er sich über unangemessene, gewalttätige Behandlung durch Polizisten anlässlich einer Fahrscheinkontrolle am 11. Jänner 2003 beschwert hatte?

34.  Können Sie ausschließen, dass Aeryn Gillern Opfer eines Gewaltverbrechens wurde?

35.  Falls ja: aufgrund welcher Fakten- und Beweislage?

36.  Falls nein: welche weiteren Ermittlungshandlungen werden gesetzt werden, um die Begehung eines Gewaltverbrechens in diesem Fall ausschließen zu können?

37.  Halten Sie die Vorgehensweise der Polizei im gegenständlichen Fall für angemessen?

38.  Halten Sie die Vorgehensweise der Polizei im gegenständlichen Fall für das Bild Österreichs in der Welt für günstig?

39.  Wie wollen Sie in Zukunft sicherstellen, dass Angehörigen von vermissten Personen, gleichgültig ob aus dem In- oder Ausland, in entgegenkommender, mitfühlender und verständlicher Art und Weise begegnet wird?