536/J XXIV. GP

Eingelangt am 08.01.2009
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Anfrage

der Abgeordneten Mag. Stadler

Kolleginnen und Kollegen

an den Bundeskanzler

betreffend die jahrzehntelange vergessenen Spiegelgrundkinder"

Mit der Gründung der Wiener städtischen Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund“ im Juli 1940 war der Grundstein für eines der schrecklichsten an Menschen, und insbesondere Kindern, unter dem Deckmantel (medizinischer) Fürsorge und Pflege begangenen Verbrechen gelegt.

Die in den folgenden Jahren dort unter maßgeblicher Beteiligung des der SPÖ zuzurechnenden Dr. Heinrich Gross behandelten“, gequälten, für medizinische Versuche missbrauchten und ermordeten Kinder gingen in die Geschichte unter dem Begriff Die Spiegelgrundkinder“ ein.

In den Jahren 1940 bis 1945 sind im Totenbuch der sogenannten "Kinderfachabteilung" 789 Namen verzeichnet. Den meisten der getöteten Kinder wurden Gehirne und Rückenmarksstränge entnommen und in Form von Präparaten für Wissenschaft und Forschung aufbewahrt. Jene Kinder, denen es vergönnt war, den Aufenthalt in der Heilpädagogischen Klinik der Stadt Wien - Am Spiegelgrund“ zu überleben, sind und waren Zeit ihres Lebens durch die schrecklichen Erlebnisse und durch das ihnen zugefügte physische und seelische Leid massiv beeinträchtigt. Das ideologische, wissenschaftlich theoretische Fundament für diese Schrecken basierte auf Positionen, die beispielsweise der hochrangige Sozialdemokrat und Wiener Stadtrat für Wohlfahrtswesen Dr. Julius Tandler vertrat, der sich im Jahr 1928 in einem Referat vor dem "Österreichischen Bund für Volksaufartung und Erbkunde" für die "Unfruchtbarmachung der Minderwertigen" aussprach. Bereits im Februar 1923 forderte Tandler, dem die Stadt Wien unter anderem weiterhin einen Platz widmet, in einem in der Wiener Medizinischen Wochenschau vom 19.01.1923 nachzulesenden Vortrag die Vernichtung unwerten Lebens".

In diesem Zusammenhang darf es als besondere Geschmacklosigkeit bezeichnet werden, wenn die Stadt Wien mit Beschluss des Wiener Gemeinderates vom 8. April 1960 die Rechtsgrundlage für die Verleihung einer Professor - Dr.-Julius-Tandler- Medaille“ an Personen schuf, die sich durch ihre uneigennützige und aufopfernde Tätigkeit um das Wohl der Mitmenschen besonders verdient gemacht haben.

 

Als durch und durch humanistisch gesinnten Stadtrat für das Wohlfahrtswesen der Stadt Wien" erdreistet sich gar der Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes Julius Tandler zu bezeichnen. Das oben zitierte SPÖ-Parteimitglied (bis 1980) und Mitglied des Bundes Sozialistischer Akademiker (noch bis 1987) Dr. Heinrich Gross verwirklichte" und setzte Tandlersche Euthanasietheorien dann in die Praxis“ um und durfte - nach dem der Oberste Gerichtshof im Jahr 1951 ein Urteil wegen Totschlags wieder aufhob, die Staatsanwaltschaft in der Folge den Strafantrag gegen ihn zurückzog und Gross sodann der SPÖ beitrat - ab 1953 sogar die wissenschaftliche Auswertung der Gehirne der ermordeten Spiegelgrund-Opfer vornehmen. Ab 1968 wurde der mit dem "Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst (1. Klasse)" ausgezeichnete - bereits zum Primarius avancierte - Dr. Gross Leiter des "Ludwig Boltzmann-Institut zur Erforschung der Missbildungen des Nervensystems".

Vor diesem Hintergrund ist es daher nicht verwunderlich, dass es über fünfzig Jahre(!) dauerte, bis die Spiegelgrundkinder erstmals als Opfer des Nationalsozialismus im Sinne des Nationalfonds anerkannt wurden und so aus den Mitteln des Nationalfonds Zuwendungen erhielten.

In diesem Zusammenhang richten daher die unterfertigten Abgeordneten an den Bundeskanzler nachstehende

Anfrage

1)   Wie viele der sogenannten Spiegelgrundkinder" haben den NS-Terror nach Ihren Erkenntnissen überlebt?


2)        Wie viele von diesen kamen aufgrund der erst vor wenigen Jahren erfolgten Zuerkennung des Opferstatus der Spiegelgrundkinder" nicht mehr in den Genuss von Zuwendungen aus Mitteln des Nationalfonds?

3)        Wie viele Anträge von Spiegelgrundkindern auf Zuwendungen aus Mitteln des Nationalfonds sind beim Nationalfonds eingelangt?

4)      Wie viele davon wurden positiv erledigt?

5)      Wie viele davon wurden aus welchen Gründen abgelehnt?

6)      In welcher betragsmäßigen Höhe lagen die jeweils zuerkannten Zuwendungen?

7)      Wie viele noch lebende Spiegelgrundkinder" haben bis dato keine Anträge auf Zuwendungen aus Mitteln des Nationalfonds gestellt?

8)      Wie viele der noch lebenden Spiegelgrundkinder" haben daher bis dato keinerlei Entschädigungen für das ihnen zugefügte Leid erhalten?

9)      Wurden seitens des Nationalfonds Initiativen gesetzt, um allfällige aufgrund von Informationsdefiziten nicht erfolgte Antragstellungen beispielsweise durch direkte Kontaktaufnahme zu beseitigen?

10)   Wird es seitens der österreichischen Bundesregierung weitere Maßnahmen im Sinne     von      Entschädigungsleistungen     für     das     den      noch      lebenden Spiegelgrundkindern" zugefügte Leid geben?

10 a) Wenn ja, wann und in welcher Form?

10 b) Wenn nein, warum nicht?