1582/J XXIV. GP

Eingelangt am 01.04.2009
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ANFRAGE

 

 

 

der Abgeordneten Lausch, Villimsky

und weiterer Abgeordneter

 

 

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Verbandsverantwortlichkeit der ÖBB Infrastruktur Betrieb AG für Eisenbahnunfälle

 

 

In der jüngeren Vergangenheit kam es zu mehreren Eisenbahnunfällen, deren Untersuchung massive Managementmängel im Eisenbahnbereich aufgedeckt hat. Deutlich erkennbar sind schwere Fehler im Verantwortungsbereich der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG sowie bei der „Unfalluntersuchung Fachbereich Schiene“ der Bundesanstalt für Verkehr (BMVIT) und der Eisenbahnbehörde (ebenfalls BMVIT), die in Folge erläutert werden. Zusätzlich war zu bemerken, dass sowohl das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, als auch das Unfalluntersuchungsgesetz mangelhaft umgesetzt werden.

Fall 1 – Glinzendorf:

Am 26.06.2007 ereignete sich an der gestörten Eisenbahnkreuzungsanlage bei Glinzendorf ein Unfall mit tödlichem Ausgang. Der ÖBB-Triebfahrzeugführer hatte den schriftlichen Vorsichtsbefehl übersehen, der eine Warnung vor der gestörten Eisenbahnschrankenanlage enthielt. Zum Unfallszeitpunkt war die Signalanlage jedoch bereits 13 Stunden defekt, der Bahnübergang war aber immer noch nicht abgesichert. Zum fraglichen Zeitpunkt war die Bewachung „ehebaldigst“ vorgeschrieben, das Fehlen dieser war kausal für den tödlichen Unfall. Der Triebfahrzeugführer wurde dennoch rechtskräftig verurteilt (404 Ur 306/07 t des Landesgerichtes Korneuburg).

Das Verkehrs-Arbeitsinspektorat gab am 29.10.2007 eine Stellungnahme ab, in der zahlreiche organisatorische Verstöße der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG festgestellt wurden. Diese lauten:

Dennoch wurde bis heute kein Verfahren gegen die ÖBB Infrastruktur Betriebe AG nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz eröffnet, obwohl die Prozessverantwortlichen vorsätzlich von den Verordnungen und behördlichen Vorgaben abgewichen sind.

Fall 2 – Lochau:

Am 29.12.2006 wurden zwei Polizisten und ein Leichenbestatter in Ausübung ihres Dienstes von einem ÖBB-Triebfahrzeug nahe Lochau/Hörbranz erfasst und getötet. Der Triebfahrzeugführer wurde freigesprochen, der Disponent rechtskräftig verurteilt (6 U 278/07 b BG Bregenz). Derzeit ist das Strafverfahren gegen den Notfallleiter anhängig (6 U 214/08 t BG Bregenz).

Das Verkehrs-Arbeitsinspektorat wirft der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG mit seinen Schreiben vom 28.08.2007, 19.10.2007 und 26.02.2008 zahlreiche schwere Organisationsverschulden vor. Diese lauten:

Fehlende Genehmigung des Notfallmanagements:

Das Pilotprojekt Notfallmanagement wird von Seiten der ÖBB Infrastruktur Betrieb AG seit 2005 verfolgt. Ziel ist offenbar die Einsparung der bisher Verantwortlichen. Laut § 21 a Eisenbahngesetz müssen Ausbildungen und  Ausbildungsvorschriften für Funktionen im Bereich des Schienenverkehrs aufgrund der damit verbundenen Verantwortung von der Eisenbahnbehörde genehmigt werden. Bei dieser Genehmigung handelt es sich nicht bloß um einen Formalakt, sie ist vielmehr notwendig, da laut Eisenbahnverordnung nur taugliches Personal eingesetzt werden darf. Unseren Informationen zufolge hat weder die ÖBB Infrastruktur Betrieb AG eine derartige Genehmigung für die Ausbildung zum Notfallleiter eingeholt, noch hat die Eisenbahnbehörde den Vorschriften-Mangel bisher abgestellt. Ob eine derartige Genehmigung für die extrem spärliche Ausbildung überhaupt erteilt werden darf, ist darüber hinaus stark in Zweifel zu ziehen.

Die Ausbildung zum Notfallleiter war laut den uns vorliegenden Informationen in sieben Stunden abgeschlossen, als einzige Unterlage für den Notfall stand dem Notfallleiter ein Satz Powerpoint-Folien zur Verfügung. Dass nach dieser Ausbildung tatsächlich nur taugliches Personal an der entscheidenden Stelle des Notfallleiters eingesetzt wird, ist daher mehr als fraglich.

Der Inhalt des erwähnten Powerpoint-Foliensatzes ist noch dazu nicht einheitlich. Der Untersuchungsbericht der Bundesanstalt für Verkehr, Unfalluntersuchung Fachbereich Schiene vom 19. Oktober 2007 über den Fall Lochau deckt unter Punkt „12.1 Sonstige Unregelmäßigkeiten“ auf, dass die Version der Folien, die von der ÖBB Infrastruktur Betriebe AG unter dem Titel: „Notfallleitstelle ÖBB Infrastruktur Betrieb AG NB - Region West“. Übermittelt wurde, nicht mit der bei der RVL West entnommenen Version übereinstimmt! Das, obwohl beide Versionen mit 9.2.2005 datiert sind.

Wenn einer der Foliensätze als Ausbildungsmaterial genehmigt wäre, wäre leicht zu überprüfen, ob der Notfallleiter in besagtem Fall korrekt ausgebildet wurde. Die Unterschiede betreffen nämlich genau die Zuständigkeit des Fahrdienstleiters!

Darüber hinaus ist allein die Tatsache, dass zwei unterschiedliche Versionen bestehen, eine Situation, die den Verdacht der vorsätzlichen Beweismittelfälschung weckt!

Versäumnisse der Untersuchungsanstalt:

Der Verteidiger des Notfallleiters hat bei der Volksanwaltschaft ein Überprüfungsverfahren gegen die Unfalluntersuchungsanstalt und die Eisenbahnbehörde eingeleitet. Beiden werden Versäumnisse vorgeworfen.

Der vorläufige Untersuchungsbericht hat Eingang in den Strafakt gefunden. Der Unfalluntersuchungsanstalt wird daher vorgeworfen, gegen die Veröffentlichungsvorschriften des Unfalluntersuchungsgesetzes verstoßen zu haben (§ 15 Abs 3). Auch soll der übermittelte vorläufige Untersuchungsbericht grob unrichtig sein und wichtige Stellungnahmen nur verkürzt bzw. verfälscht wiedergeben. Dass der vorläufige Untersuchungsbericht trotz Nichtigkeit dennoch im Strafverfahren gegen Triebfahrzeugführer und Disponenten verwendet wurde, wird darüber hinaus als Verstoß gegen § 5 Abs 2 und 5 Unfalluntersuchungsgesetz gewertet.

Zusätzlich wird der Vorwurf erhoben, dass das Unfalluntersuchungsgesetz  richtlinienwidrig umgesetzt wurde. Die Nähe von Mitgliedern der Unfalluntersuchungsanstalt zur ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG wird angeprangert, was als Grund dafür angesehen wird, dass die Sichtweise der Verkehrsunternehmen nicht angemessen im Bericht berücksichtigt wurde.

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz folgende

 


Anfrage:

 

 

 

1)     Wie viele Strafverfahren nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz waren seit Inkrafttreten anhängig, aufgeschlüsselt nach Jahren?

 

2)     Wie viele Strafverfahren nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz waren seit Inkrafttreten gegen Unternehmen mit Staatsbeteiligung anhängig, aufgeschlüsselt nach Jahren und Unternehmen?

 

3)     Wie viele Strafverfahren nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz waren seit Inkrafttreten Jahren gegen den ÖBB Konzern anhängig, aufgeschlüsselt nach Jahren und Unternehmen?

 

4)     Wie viele Strafverfahren nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz waren seit Inkrafttreten gegen die ÖBB Infrastruktur Betrieb AG anhängig?

 

5)     Sind den Anklagebehörden in den beiden konkreten Fällen die in der Einleitung geschilderten Sachverhalte bekannt?

 

6)     Beabsichtigen die Anklagebehörden in den beiden konkreten Fällen Strafverfahren nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz gegen die ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG einzuleiten?

 

7)     Wenn nein, warum nicht?

 

8)     Haben die Anklagebehörden in den beiden konkreten Fällen die Stellungnahmen des Verkehrs-Arbeitsinspektorats im Verfahren berücksichtig bzw. beabsichtigen sie dies zu tun?

 

9)     Wenn nein, warum nicht?

 

10) Wurden in den beiden konkreten Fällen vorläufige Untersuchungsberichte der Unfalluntersuchungsanstalt als Beweismittel zugelassen?

 

11) Falls ja, wurden diese inhaltlich verifiziert?

 

12) Sind diese als Beweismittel zulässig?

 

13) Wurden in den beiden konkreten Fällen endgültige Untersuchungsberichte der Unfalluntersuchungsanstalt als Beweismittel zugelassen?

 

14) Falls ja, wurden diese inhaltlich verifiziert?

 

15) Sind diese als Beweismittel zulässig?