1734/J XXIV. GP
Eingelangt
am 22.04.2009
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Am 10.01.2017 erfolgte eine vertraulichkeits-/datenschutzkonforme Adaptierung
Anfrage
des Abgeordneten Werner Neubauer
und weiterer Abgeordneter
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Verfahrensabsprachen in Strafprozessen
Im Hinblick auf die zuletzt in der Öffentlichkeit vieldiskutierte Causa ALTHAUS haben mehrere Experten aus dem Strafrechtsbereich die Unzulässigkeit von Verfahrensabsprachen in Strafprozessen thematisiert (so etwa Prof. Alois Birklbauer im Standard vom 5.2.2009 auf Seite 31 unter Hinweis auf den im Strafverfahren geltenden Grundsatz der Findung der materiellen Wahrheit, der Verfahrensabsprachen entgegensteht).
Derartige rechtsstaatliche Bedenken ergeben sich nicht nur aus der Abwicklung der Causa ALTHAUS, sondern auch aus den jüngsten medialen Berichten über den Verfahrensausgang in der sogenannten „Libro-Causa“ (Strafverfahren gegen Andre Maarten RETTBERG, N.N. und Dr. Gerhard ECKERT) beim Landesgericht Wiener Neustadt.
Bereits in der Vergangenheit haben die Vorgänge beim Landesgericht Wiener Neustadt in Bezug auf die dort anhängige Causa Anlass zu parlamentarischen Anfragen an Ihre Amtsvorgängerin gegeben und wurden im Zuge dessen zum Teil rechtsstaatlich höchst bedenkliche Umstände wie:
>>> unrichtige Gerichtsbesetzungen durch fehlerhafte Schöffenheranziehungen (mittlerweile auch durch die Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof bestätigt);
>>> unwahre Aussagen des Gerichtspräsidenten über die Einsichtnahme bzw. über die Verweigerung der Einsichtnahme in die Schöffenliste des Landesgerichtes Wiener Neustadt;
>>> widersprüchliche Rechtsauslegungen zum Deliktstatbestand des § 156 StGB in Anbetracht von laut Urteilsfeststellungen gelungener Verheimlichung eines Gewinnscheins, aber dennoch laut Urteilsfeststellungen überhaupt nicht eingetretenem Schaden bei den Gläubigern;
und dergleichen mehr aufgedeckt.
Nunmehr geben weitere aufklärungsbedürftige Umstände Anlass zur neuerlichen Ausübung des parlamentarischen Interpellationsrechts im Interesse des Rechtsstaats:
So deuten aktuell mehrere objektive Umstände darauf hin, dass in dem beim Landesgericht Wiener Neustadt gegen Dr. Gerhard ECKERT anhängig gewesenen Strafverfahren 46 Hv 48/06s eine unzulässige, straf- und disziplinarrechtlich relevante Prozessabsprache zwischen dem zuständigen Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Mag. FUCHS und dem Verteidiger des Angeklagten Dr. Gerhard ECKERT, Herrn RA Stiftungsprofessor Dr. SOYER, erfolgt sein dürfte, und zwar in Form eines „Deals“ zwischen Stiftungsprofessor Dr. SOYER und Staatsanwalt Mag. FUCHS mit dem Inhalt, dass die Staatsanwaltschaft einer Prozessbeendigung mit einer gänzlich bedingt nachgesehenen Strafe nichts entgegensetzen werde, wenn der Angeklagte Dr. ECKERT dafür im Gegenzug gegen andere (nicht angeklagte Personen) belastende Aussagen tätige, um diese zu Unrecht zu inkriminieren, wobei als weitere Motivationen für einen solchen „Deal“ auch die Befürchtungen maßgeblich gewesen sein dürften, dass der Angeklagte Dr. ECKERT unter Berufung auf seine Herzkrankheit dem Gerichtsverfahren fernbleiben könnte und dass eine vollständige Verfahrensdurchführung diverse Ungereimtheiten in den gegen RETTBERG und N.N. ergangenen und bereits vom Obersten Gerichtshof bestätigten Urteile zu Tage treten lassen würde (wie etwa dass der Angeklagte Dr. ECKERT als Hauptkanzleigesellschafter und Kanzleiinhaber gegenüber dem Angeklagten N.N. eine übergeordnete Rolle gespielt habe und der Angeklagte RETTBERG wiederum nur aufgrund ihm zuteil gewordener rechtsanwaltlicher Beratung gehandelt habe, somit also einem Rechtsirrtum unterlegen sei, aber auch dass mangels Schadenseintritts die Deliktstauglichkeit der inkriminierten Handlungen – hinsichtlich aller 3 Angeklagter – fraglich sei).
All diese Erwägungen indizieren Motivationen für das Vorliegen einer Verfahrensabsprache, hinsichtlich derer nachhaltige Verdachtsmomente bestehen: So resultiert der konkrete Verdacht auf eine Verfahrenssprache insbesondere aus dem Umstand, dass über den Angeklagten Dr. ECKERT – jüngsten Medienberichten zufolge – bloß eine gänzlich bedingt nachgesehene Haftstrafe verhängt worden sein soll, was angesichts der über die beiden Mitangeklagten RETTBERG und N.N. verhängten teilbedingten (also nicht gänzlich bedingt nachgesehenen und daher zum Teil unbedingt zu vollziehenden) Haftstrafen nicht sachlich nachvollziehbar und somit nur mit dem vorgenannten Deal erklärbar erscheint. Auch die nebstbei über Dr. ECKERT unbedingt verhängte Geldstrafe ist im Vergleich zu den über RETTBERG und N.N. teils unbedingt verhängten Haftstrafen im Ergebnis weitaus milder.
Rechtskonforme Gründe für eine derartige Ungleichbehandlung der 3 Angeklagten sind aber nicht erkennbar: Denn das späte Geständnis des Angeklagten Dr. ECKERT kann die unterschiedliche Vorgangsweise bezüglich der 3 Angekalgten (RETTBERG, ECKERT und N.N.) nicht erklären, da es zum gegebenen Verfahrenszeitpunkt und nach der gegebenen Verfahrenslage (in der bereits zwei Mitangeklagte rechtskräftig verurteilt worden waren und der Angeklagte ECKERT im Zuge dessen bereits vom erkennenden Gericht explizit als Mittäter festgestellt worden war) weder einen Beitrag zur Wahrheitsfindung dargestellt haben noch reumütig erfolgt sein kann.
Der sich sohin nach Lage des Falles aufdrängende Verdacht von Prozessabsprachen erweist sich unter Zugrundelegung der jüngsten Judikatur des Obersten Gerichtshofes als dringend überprüfungsbedürftig. Denn in seiner zum Aktenzeichen 11 Os 77/04 ergangenen und mehrfach veröffentlichten (SSt 2004/66 = JBl 2005, 127 = RZ 2004, 280 EÜ 175 - RZ 2004 EÜ 175 = Jus-Extra OGH-St 3694 = Jus-Extra OGH-St 3697 = ÖJZ-LSK 2005/22 = EvBl 2005/64 S 275 - EvBl 2005, 275) Entscheidung vom 24. 8. 2004 sah sich der Oberste Gerichtshof in Strafsachen im Zusammenhang mit wie auch immer gearteten Prozessabsprachen in einem Strafprozess „zur grundsätzlichen Bemerkung veranlasst, dass eine derartige ‚Absprache’ (...) wegen des eklatanten Widerspruches zu den tragenden Grundprinzipien des österreichischen Strafverfahrensrechtes, namentlich jenem zur – ein Kontrahieren des Gerichtes mit (mutmaßlichen) Rechtsbrechern ausschließenden – Erforschung der materiellen Wahrheit, prinzipiell abzulehnen ist und die Beteiligten disziplinärer (§ 57 RDG) und strafrechtlicher Verantwortlichkeit (§ 302 StGB) aussetzen kann“. Verfahrensabsprachen sind somit – nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes – Straftaten sowie dienstrechtliche und standesrechtliche Delikte. Diese Rechtsansicht wird auch von der Kommentarliteratur geteilt (vgl dazu Danek, WK-StPO Vor §§ 228-279 Rz 17; Ellinger, Der Kriminalbeamte 2001, 26 ff; Ratz in Finanzstrafrecht 2002, 105; Markel, WK-StPO § 1 Rz 6; Danek aaO Vor § 220 Rz 9; der einzige, der hingegen auch öffentlich wiederholt für Prozessabsprachen plädierte, ist der nunmehr offenbar seine eigene Theorie in die Praxis umgesetzt habende Stiftungsprofessor Dr. SOYER). Soweit – gemäß der vorstehend zitierten Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes und maßgeblicher Fachliteraturstimmen von Danek, Ellinger, Ratz und Markel – Prozessabsprachen als verbotene Handlungen anzusehen sind, erstreckt sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Mitwirkung an derartigen Absprachen kraft § 12 StGB auf alle daran Beteiligten sowie die disziplinäre Verantwortung jedenfalls auch nach den für den jeweiligen Berufsstand geltenden Vorschriften auf daran beteiligte Staatsanwälte und Rechtsanwälte.
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz folgende
Anfrage