2842/J XXIV. GP

Eingelangt am 13.07.2009
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Walser, Steinhauser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Inneres

 

betreffend die Forderung nach einer Gedenkstätte im Stollen des ehemaligen Konzentrationslagers Gusen

 

Die unterirdische Stollenanlage in St. Georgen an der Gusen ist eines der größten nationalsozialistischen Bauwerke in Österreich, ein Monument der Nazi-Todesmaschinerie. Zeitweise waren hier mehr Menschen gefangen als im benachbarten Hauptlager Mauthausen. Der Stollenbau und die unterirdische Rüstungsproduktion unter extremstem Zeitdruck wurde von der NS-Führung als „kriegsentscheidend“ angesehen. In keinem anderen Bauwerk auf österreichischem Gebiet sind so viele Menschen gestorben. Dem Historiker Bertrand Perz zufolge sind die exakten Todeszahlen aber schwer zu bestimmen; es ist aber davon auszugehen, dass von den 35.000 Toten des Konzentrationslagers Gusen mindestens 10.000 in den Stollen von St. Georgen starben. Die besondere historische Bedeutung der Stollenanlage in St. Georgen an der Gusen steht aus Sicht der Zeitgeschichte außer Zweifel, und sollte unter allen Umständen in ihrer, soweit noch vorhandenen historischen Form erhalten bleiben.

 

Auf dem Lagergelände von Gusen befindet sich heute eine Wohnsiedlung, einstige Häftlingsblocks dienen der Champignonzucht, das ehemalige Kommandogebäude am Lagertor wurde in ein Wohnhaus verwandelt. Im offiziellen Gedenken der Republik hatte das Konzentrationslager Gusen jahrzehntelang keinen Platz. Der breiten Öffentlichkeit war es praktisch unbekannt. In Gusen wurde buchstäblich versucht, „Gras über die Sache wachsen“ zu lassen.

 

Es ist bezeichnend, dass Initiativen zur Errichtung einer Gedenkstätte nicht vom offiziellen Österreich, sondern von ehemaligen italienischen Insassen des Konzentrationslagers ausgingen. Diese kauften Ende 1960 ein Grundstück, auf dem Reste des Krematoriums standen, und schenkten es der Gemeinde. 1961 stimmte die Gemeinde zwar der Errichtung einer Gedenkstätte an diesem Ort zu, das Geld hierfür mussten aber verschiedene Häftlingsverbände aufbringen. Die Gedenkstätte wurde schließlich nach Plänen der italienischen Architektengruppe B.B.P.R. erbaut –einer der Architekten, Lodovico Belgiojoso, war Häftling in Gusen gewesen – und am 20. Jahrestag der Kapitulation NS-Deutschlands eingeweiht.


Danach passierte, schenkt man der Zeitleiste auf der Website Ihres Ministeriums Glauben, lange Jahre nichts.

 

Der augenblickliche – offensichtlich widerwillige – Eigentümer des Geländes, die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), lässt derzeit wegen „Gefahr in Verzug“ umfangreiche Betonierarbeiten durchführen. Das Gedenk-Komitee Gusen befürchtet – wohl nicht zu Unrecht – die Zerstörung der Gedenkstätte und die systematische Beseitigung der letzten Spuren dieses Konzentrationslagers.

Martha Gammer vom Gedenk-Komitee Gusen meint: „Dort stehen keine Häuser, die gesichert werden müssten, das sind nur Felder und Wiesen. Wir können nur vermuten, dass es im Zuge einer Flächenumwidmung stattfindet, dass dort einmal Bauland werden soll, wo einstens diese riesige Stollenanlage drunter war.“

 

Die Bundesimmobiliengesellschaft dementiert. Ernst Eichinger: „Das ist insofern völlig irrelevant für uns, weil uns die Baugründe darüber nicht gehören. Es geht darum, diese fast zehn Kilometer lange Stollenanlage zu sichern. Eventuelle wissenschaftliche oder sonstige Erhebungen haben da ganz einfach keine Priorität.“

 

Aber auch das Innenministerium ist direkt angesprochen: "Seit zehn Jahren ignoriert das Innenministerium unsere Bitte - es ist eine Schande. Für die Gedenkstätte Mauthausen hat die Regierung 200 Millionen Euro lockergemacht. In St. Georgen reicht offenbar die Billigvariante, und man pumpt um vier Millionen Euro Beton in die Stollen", kritisiert Gedenk-Vorstand Rudolf Haunschmied. Jede Minute, die die Betonpumpe arbeite, sei verloren.

 

Es liegen den unterzeichneten Abgeordneten Informationen darüber vor, dass die Gemeinde St. Georgen (oder auch Luftenberg) die Grundstücke über dem Stollen möglicherweise als Bauland gewidmet hat, ohne dass Land oder Bund dies beeinsprucht hätten. Die erste Verfüllung durch die BIG war bekanntlich notwendig geworden, weil die Gemeinde eine Verbauung über Teilen der Stollen zugelassen hatte, abgestützt durch ein Ziviltechnikergutachten. Durch die neue Flächenwidmung würde sich auch der Umstand erklären, dass nun eine weitere Verfüllung notwendig geworden ist, die angeblich auch durch ein Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Leopold Weber (Universität Leoben und Montanbehörde) und einer Machbarkeitsstudie des Büro S-Consult Management GmbH abgesichert wurde.

 

Die von der BIG angesprochene Prioritätenfrage nehmen die unterzeichneten Abgeordneten gerne auf. Immerhin gibt es ja seit Jahren Ideen, Wünsche und entsprechende Ankündigungen, auch die Nebenlager von Mauthausen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Dabei wäre das ehemalige KZ Gusen wohl an erster Stelle zu nennen. Seit 1997 liegt die Verantwortung für die Erhaltung und Betreuung des Memorials beim Innenministerium. 2004 wurde das Besucherzentrum eröffnet, im Herbst 2005 wurde die Dauerausstellung zur Geschichte des Lagers präsentiert.

 

Offenbar will die BIG die Stollen des ehemaligen Konzentrationslagers Gusen lieber heute als morgen loswerden. Die APA meldete am 2.Juli 2009, Sie hätten den Ball aufgenommen, und das Innenministerium würde nun die Stollen des ehemaligen KZ Gusen übernehmen und auch eine museale Nutzung von Teilen des unterirdischen Stollensystems sei geplant. Laut der Tageszeitung „Die Presse“ werde dies allerdings am Finanziellen scheitern, sagt ein gut informierter Ministeriumsmitarbeiter: „Dafür gibt es sicher kein Geld. Es würde Millionen kosten.“


Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.)   Seit wann ist Ihnen bekannt, dass umfangreiche Betonierarbeiten auf dem Gelände des ehemaligen KZ Gusen durchführt werden?

2.)   Sind Sie mit der Informationspolitik im konkreten Fall durch die BIG zufrieden? Bitte begründen Sie Ihre Ausführungen.

3.)   Sind Ihrer Einschätzung nach die Maßnahmen der Verfüllung der Stollen tatsächlich durch „Gefahr in Verzug“ zu rechtfertigen? Sehen Sie ebenfalls „Gefahr in Verzug“?

4.)   Was haben Sie seither zur Rettung der Gedenkstätte unternommen? Wir ersuchen um möglichst detaillierte Auflistung.

5.)   Inwieweit sehen Sie eine besondere – moralische oder sonstige – Verpflichtung der Republik Österreich für die Erhaltung und Sanierung des ehemaligen KZ Gusen?

6.)   Was hat Ihr Ministerium in den letzten fünf Jahren unternommen, um die Nebenlager von Mauthausen, insbesondere das Konzentrationslager Gusen, stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken? Wie viel Geld hat Ihr Ministerium für Bau- und Renovierungsarbeiten, Informationsbroschüren und -veranstaltungen sowie für sonstige Kampagnen, etwa an Schulen in den letzten fünf Jahren hiefür ausgegeben?

7.)   Wie viel Geld würde es kosten, die fraglichen Grundstücke von der BIG zu erwerben?

8.)   Warum hat Ihr Ministerium das noch nicht getan?

9.)   Wie stehen Sie dazu, dass bei entsprechender Beteiligung des Bundes auch das Land Oberösterreich und die Gemeinde St. Georgen bereit sind, Geld für die Gedenkstätte Gusen in die Hand zu nehmen?

10.)       Welche budgetären Vorkehrungen haben Sie in Ihrem Ministerium für die Übernahme der Gusener Stollen getroffen?

11.)       Wie viel Geld steht Ihnen im Jahr 2009 dafür zur Verfügung?

12.)       Wie viel Geld steht Ihnen im Jahr 2010 dafür zur Verfügung?

13.)       Handel

14.)       Ist Ihnen bekannt, dass die Gemeinde St. Georgen (oder auch Luftenberg) die Grundstücke über dem Stollen als Bauland gewidmet hat?

15.)       Sind Ihnen Absprachen oder Vereinbarungen zwischen der genannten Gemeinde und der BIG bekannt, die die Grundstücke über dem Stollen betreffen?

16.)       Was ist der Inhalt dieser Absprachen oder Vereinbarungen?

17.)       Aus welchen Gründen ist die erste Verfüllung durch die BIG notwendig geworden?

18.)       Ist Ihnen bekannt, dass die Gemeinde bereits in der Vergangenheit die Verbauung von Teilen des Geländes über den Stollen zugelassen hat?

19.)       Teilen Sie den Verdacht, dass durch die Flächenwidmung als Bauland vermeintliche Notwendigkeiten geschaffen werden sollen, sodass an den Verfüllungen und damit der Zerstörung der Stollen kein Weg mehr vorbeiführt?

20.)       Wer war der Auftraggeber des erwähnten Gutachtens des Leobener Univ.-Prof. Dr. Leopold Weber und der Machbarkeitsstudie des Büro S-Consult Management GmbH?


21.)       Wie hoch waren die Kosten für dieses Gutachten und die Machbarkeitsstudie?

22.)       Wie hoch waren die Kosten für die nun bekannt gewordenen Verfüllungen des Stollens?

23.)       Wie hoch ist das Gesamtbudget des Innenministeriums für den kompletten Gedenkstättenbereich? Bitte schlüsseln Sie mir das Budget in diesem Bereich für die nächsten vier Jahre detailliert auf.

24.)       Wieviel von der Gesamtfläche der Stollen muss und wird Ihrer Meinung nach erhalten bleiben?

25.)       Können die 2004 angedachten zwei Drittel der Gesamtfläche irgendwie noch erhalten bleiben?

26.)       Welche weiteren Schritte gedenken Sie im Verlauf des Jahres 2009 hinsichtlich der Gedenkstätte Gusen zu setzen?

27.)       Können Sie es nachvollziehen, dass es für Überlebende und Angehörige bei Besuchen des KZ Gusen äußerst unerfreulich ist, dass sie nicht in den Stollen hineindürfen?

28.)       Bis wann wird das Innenministerium einen öffentlich zugänglichen Gedenkstollen vorweisen können?

29.)       Was gedenken Sie zu tun, um zu verhindern, dass ehemalige Häftlingsblocks im Konzentrationslager Gusen der Champignonzucht dienen?