4003/J XXIV. GP

Eingelangt am 11.12.2009
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Anfrage

 

des Abgeordneten Dr. Johannes Hübner

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

 

betreffend: Unrechtsgehalt einzelner Benesch-Dekrete im Lichte des Stockholm-Programms und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

 

Im Dekret Nr. 5 des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik vom 19. Mai 1945 heißt es:

 

Über die Ungültigkeit einiger vermögensrechtlicher Rechtsgeschäfte aus der Zeit der Unfreiheit und über die nationale Verwaltung der Vermögenswerte der Deutschen, der Madjaren, der Verräter und Kollaboranten und einiger Organisationen und Anstalten.

Auf Vorschlag der Regierung bestimme ich:

 

§ 1

(1) Ausnahmslos alle Vermögensübertragungen und vermögensrechtlichen Rechtsgeschäfte ohne Rücksicht darauf, ob sie bewegliche oder unbewegliches, öffentliches oder privates Vermögen betreffen, sind ungültig, sofern sie nach dem 29. September 1938 unter dem Druck der Okkupation oder der nationalen, rassischen oder politischen Verfolgung vorgenommen wurden.

(2) Die Art und Weise der Geltendmachung der sich aus der Vorschrift des Absatz 1 ergebenden Ansprüche wird durch ein besonderes Dekret des Präsidenten der Republik geregelt, soweit dies nicht bereits durch dieses Dekret geschehen ist.

 

§ 2

(1) Das im Gebiete der Tschechoslowakischen Republik befindliche Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen wird gemäß den weiteren Bestimmungen dieses Dekretes unter nationale Verwaltung gestellt.

(2) Als Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen gilt auch das von diesen Personen nach dem 29. September 1938 übertragene Vermögen, es sei denn, dem Erwerber war nicht bekannt, daß es sich um derartiges Vermögen handelte.

 

§ 3

Der nationalen Verwaltung sind alle Unternehmungen (Betriebe) und alle Vermögensmassen zu unterstellen, bei denen dies der stetige Gang der Erzeugung und des Wirtschaftslebens erfordern, insbesondere die verlassenen Unternehmen, Betriebe und Vermögensmassen oder solche, welche staatlich unzuverlässige Personen besitzen, verwalten oder aber gemietet oder gepachtet haben.

 

§ 4

Als staatliche unzuverlässige Personen sind anzusehen:

a) Personen deutscher oder madjarischer Nationalität.“

[…]

 

Und weiters im § 6

„Als Personen deutscher oder madjarischer Nationalität sind Personen anzusehen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit dem Jahre 1929 zur deutschen oder madjarischen Nationalität bekannt haben oder Mitglieder nationaler Gruppen, Formationen oder politischer Parteien geworden sind, die sich aus Personen deutscher oder madjarischer Nationalität zusammensetzen.“ […]

 

Im Dekret Nr. 12 des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik vom 21. Juni 1945 heißt es:

 

Über die Konfiskation und beschleunigte Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Madjaren, wie auch der Verräter und Feinde des tschechischen und des slowakischen Volkes.

Um dem Rufe der tschechischen und slowakischen Bauern und Landlosen nach einer konsequenten Verwirklichung einer neuen Bodenreform entgegenzukommen und geleitet vor allem von dem Streben, ein für allemal den tschechischen und slowakischen Boden aus den Händen der fremden deutschen und madjarischen Gutsbesitzer wie auch aus den Händen der Verräter der Republik zu nehmen und ihn in die Hände des tschechischen und slowakischen Bauerntums und der Landlosen zu geben, bestimme ich auf Vorschlag der Regierung:

 

§ 1

(1) Mit augenblicklicher Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen enteignet, das im Eigentum steht:

a) aller Personen deutscher und madjarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit […].

 

Und im § 2

(1) „Als Personen deutscher oder madjarischer Nationalität gelten Personen, die sich bei irgendeiner Volkszählung seit 1929 zur deutschen oder madjarischen Nationalität bekannten oder Mitglieder nationaler Gruppen, Formationen oder politischer Parteien wurden, die sich aus Personen deutscher oder madjarischer Nationalität zusammensetzten.“

 

Im Dekret Nr. 108 des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik vom 25. Oktober 1945 heißt es:

 

über die Konfiskation des feindlichen Vermögens und die Fonds der nationalen Erneuerung.

Auf Vorschlag der Regierung und im Einvernehmen mit dem Slowakischen Nationalrat bestimme ich:

Teil I, Konfiskation des feindlichen Vermögen.

 

§ 1

Umfang des konfiszierten Vermögens:

(1) Konfisziert wird ohne Entschädigung – soweit dies noch nicht geschehen ist – für die Tschechoslowakische Republik das unbewegliche und bewegliche Vermögen, namentlich auch die Vermögenswerte (wie Forderungen, Wertpapiere, Einlagen, immaterielle Rechte), das bis zum Tage der tatsächlichen Beendigung der deutschen und madjarischen Okkupation im Eigentum stand oder noch steht:

 

1. des deutschen Reiches, des Königreiches Ungarn, von Körperschaften des öffentlichen Rechtes nach deutschem oder ungarischen Recht, der deutschen nazistischen Partei, der madjarischen politischen Parteien und an Personenvereinigungen, Fonds und Zweckvermögen dieser oder der mit deren Formationen, Organisationen, Unternehmungen, Einrichtungen, Personenvereinigungen, Fonds und Zweckvermögen dieser oder der mit ihnen zusammenhängenden Regime, wie auch anderer deutscher oder ungarischer juristischer Personen, oder

2. physischer Personen deutscher oder madjarischer Nationalität mit Ausnahme der Personen, die nachweisen, daß sie der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben sind, sich niemals gegen das tschechische und slowakische Volk vergangen haben und sich entweder aktiv am Kampfe für deren Befreiung beteiligt oder unter dem nazistischen oder faschistischen Terror gelitten haben, oder

 

3. physischer Personen, die eine gegen die staatliche Souveränität, die Selbständigkeit, die Integrität, die demokratisch-republikanische Staatsform, die Sicherheit und die Verteidigung der Tschechoslowakischen Republik gerichtete Tätigkeit entfaltet haben, die zu einer solchen Tätigkeit aufreizten oder andere Personen dazu zu verleiten suchten, planmäßig auf welcher Art immer die deutschen oder madjarischen Okkupanten unterstützt oder die in der Zeit der erhöhten Bedrohung der Republik (§ 18 des Dekretes des Präsidenten der Republik vom 19. Juni 1945 , Slg. Nr. 16, über die Bestrafung der nazistischen Verbrecher, der Verräter und ihrer Helfershelfer sowie über die außerordentlichen Volksgerichte) der Germanisierung oder Madjarisierung auf dem Gebiete der Tschechoslowakischen Republik Vorschub geleistet oder sich der Tschechoslowakischen Republik oder dem tschechischen oder dem slowakischen Volke gegenüber feindselig verhalten haben, wie auch von Personen, die eine solche Tätigkeit bei Personen, welche ihr Vermögen oder Unternehmen verwaltete, geduldet haben.“ […]

 

Im Gesetz Nr. 115 des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik vom 8. Mai 1946 heißt es:

 

über die Rechtsmäßigkeit von Handlungen, die mit dem Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zusammenhängen. Die vorläufige Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik hat folgendes Gesetz beschlossen:

§ 1

Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.“ […]

 

Im Dekret Nr. 122 des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik vom 18. Oktober 1945 heißt es:

 

über die Auflösung der Deutschen Universität Prag. [1]

Um die seit langem andauernden historischen Bemühungen des ganzen tschechischen Volkes in der Frage der Prager Universität zum Abschluß zu bringen und die Früchte der nationalen Revolution und des Kampfes um die Befreiung der Tschechoslowakischen Republik rechtlich zu sichern, bestimme ich auf Vorschlag der Regierung:

 

§ 1

Die Deutsche Universität Prag, die am 5. Mai 1945, dem ersten Tage des Aufstandes der Prager Bevölkerung, zu bestehen aufgehört hat, wird als ein dem tschechischen Volk feindliches Institut für immer aufgelöst.

 

§ 2

Die wissenschaftlichen Institute und ihre Einrichtungen, wie auch das gesamte Vermögen der Deutschen Universität Prag fallen an die Karlsuniversität.“ […]

 

Während es im Artikel 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000) zum Eigentumsrecht heißt.

 

„(1) Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums.

Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.“

 

Und in einer Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, dem Programm von Stockholm (14449/09) – „Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und der Gerechtigkeit des Rechts im Dienste der Bürger“, heißt es:

 

„2.1. Ein Europa der Rechte

[…] Im Interesse der Wiedergutmachung muss die Erinnerung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine kollektive Erinnerung sein, die von uns allen geteilt wird.“ […]

 

In diesem Zusammenhang und im Lichte Ihrer Aussage,dass „die Dekrete Unrecht sind und bleiben“ richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten folgende

 

Anfrage

 

 

  1. Welche Möglichkeiten der Wiedergutmachung von Völkermord und Vertreibung bieten sich auf bilateraler Ebene an?

 

  1. Welche Möglichkeiten der Wiedergutmachung von Völkermord und Vertreibung haben Sie auf bilateraler Ebene bereits genutzt?

 

  1. Wenn noch keine genutzt wurden, warum nicht?

 

  1. Wenn schon, mit welchem Ergebnis?

 

  1. In welcher Art und Weise haben Sie hierbei Vertreter der Vertriebenen und deren Nachfahren in die Verhandlungen auf bilateraler Ebene eingebunden?

 

  1. Welche Möglichkeiten der Wiedergutmachung von Völkermord und Vertreibung bieten sich auf europäischer Ebene an?

 

  1. Welche Möglichkeiten der Wiedergutmachung von Völkermord und Vertreibung haben Sie auf europäischer und internationaler Ebene bereits benutzt?

 

  1. Wenn noch keine,warum nicht?

 

  1. Wenn schon, mit welchem Ergebnis?

 

  1. In welcher Art und Weise haben Sie hierbei Vertreter der Vertriebenen und deren Nachfahren in die Verhandlungen auf europäischer Ebene eingebunden?

 

  1. Ist möglicherweise an die Entsendung von EU-Weisen oder an die Verhängung von Sanktionen gedacht?

 

  1. Werden Sie das Mandat der Republik Österreich im UN-Sicherheitsrat, welches Österreich seit dem 1. November 2009 innehat, dazu nutzen, die Situation der aus der damaligen Tschechoslowakei Vertriebenen anzusprechen?

 

  1. Wenn ja, wann und in welcher Art und Weise?

 

  1. Wenn nein, warum nicht?

 

  1. Streben Sie die Verabschiedung einer UN-Resolution, die den Völkermord und die Vertreibung der Deutschen und Ungarn durch die tschechoslowakische Republik verurteilt, an?

 

  1. Wenn nein, warum nicht?

 

  1. Wie beurteilen Sie aufgrund der gegenwärtigen Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrats, die Aussicht auf eine Mehrheit einer solchen Resolution?

 

  1. Welche Möglichkeiten sehen Sie für die aus der damaligen Tschechoslowakei Vertriebenen bzw. deren Nachfahren, im Zuge eines Gerichtsverfahrens wenigstens einen Teil der ihnen zustehenden Rückerstattung im Sinne der Wiedergutmachung zu erlangen?

 

  1. Wie muß ein Gerichtsverfahren angelegt sein, welches sich auf die Rückerstattung im Sinne der Wiedergutmachung bezieht, damit sich die klagslegitimierte Partei auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen kann?

 

  1. Raten Sie, angesichts der Tatsache, daß die Tschechische Republik die Möglichkeit hat die Charta der Grundrechte der Europäischen Union außer Kraft zu setzen, klagslegitimierten Personen zu so einer solchen Klage?

 

  1. Wenn nein, warum nicht?

 

  1. Wenn ja, weshalb?

 

  1. In welcher Art und Weise wird die Republik Österreich die Klagenden bei Gerichtsverfahren, die sich auf die Rückerstattung im Sinne der Wiedergutmachung beziehen, unterstützen?

 

  1. Wenn gar nicht, warum nicht?

 

  1. Ist die Erinnerung an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie das Programm von Stockholm vorsieht, auch eine Erinnerung an den Völkermord und die Vertreibung der Deutschen und Ungarn durch die tschechoslowakische Republik?Besteht auch diesbezüglich eine „kollektive Erinnerungspflicht“ wie bei den Verbrechen des Nationalsozialismus?

 

  1. Wenn nein, warum nicht?

 

  1. Wenn ja, welche Schritte wollen Sie setzen, diese Erinnerung an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der kollektiven Erinnerung festzumachen?