6040/J XXIV. GP

Eingelangt am 08.07.2010
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend wirksame Maßnahmen gegen die Unfallursache und Verkehrssicherheits-Belastung „Handy am Steuer“

 

 

Nach übereinstimmenden, jahrelangen Aussagen von Verkehrssicherheits-ExpertInnen besteht beim Thema „Handy am Steuer“ großer Handlungsbedarf.

Dies deckt sich auch mit der alltäglichen Wahrnehmung im Straßenverkehrsgeschehen: Handy am Steuer und damit verbundene gefährliche Situationen vom Stadtverkehr bis zur Autobahn sind mittlerweile „gelebter Alltag“.

In der jüngsten Umfrage des KfV anlässlich des 5-jährigen Bestehens des Führerschein-Vormerksystems hat sich weiters erneut gezeigt, dass auch die Öffentlichkeit Maßnahmen gegen Handy am Steuer – hier konkret: die Aufnahme als Delikt ins Vormerksystem – in sehr hohem Maß – 62% Zustimmung – befürwortet.

 

Handy am Steuer ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein gravierendes Fehlverhalten, das

·      einerseits für alle Verkehrsteilnehmer – besonders auch für die, die sich korrekt verhalten bzw. so wie Zufußgehende und Radfahrende telefonierenden und deshalb unaufmerksamen bis rücksichtslosen Kfz-LenkerInnen weitgehend ungeschützt ausgeliefert sind – ein gravierendes Sicherheitsrisiko bedeutet und

·      andererseits nicht nur ein objektives Risiko, sondern auch subjektiv für viele VerkehrsteilnehmerInnen ein großes Ärgernis ist - selbst bei vor allem auf Kfz-LenkerInnen fokussierten Erhebungen belegt „Handy am Steuer“ regelmäßig einen Spitzenplatz als Ärgernis im Verkehrsgeschehen, genannt von oft weit mehr als der Hälfte aller Befragten.

 

Zudem scheinen unerklärliche Kfz-Alleinunfälle bzw sonstige Unfälle von Kfz-LenkerInnen ohne erkennbaren äußeren Anlass in letzter Zeit zuzunehmen. Dass die Ursache oder zumindest eine der Ursachen dafür bei Handy am Steuer und seiner (dank mangelnder Ahndung und Sanktionierung) zunehmenden Popularität liegen dürfte, ist nicht von der Hand zu weisen.

Schließlich sind auch die Schätzungen, die es von ExpertInnen- und Befasstenseite „hinter vorgehaltener Hand“ zur Dunkelziffer von Handy am Steuer als Unfallursache gibt, erschreckend.

 

Leider machen die Verantwortlichen trotz dieser offensichtlichen und bedenklichen Entwicklung um wirksame Maßnahmen, aber auch schon um griffige Statistiken zu Handy am Steuer als Unfallursache (ohne und auch mit Freisprecheinrichtung) aus falsch verstandener Branchen-Rücksichtnahme seit Jahren soweit möglich einen Bogen.

Schon aus den trotzdem zum Thema verfügbaren Untersuchungen ist jedoch bekannt, dass das Problem vom Zuschauen und Nicht-Anfassen größer und nicht kleiner wird:

·     Das KfV berichtete kürzlich (April 2010) auf Basis eigener Erhebungen erneut über eine starke Zunahme des SMS-Lesens (von 11 auf 32%) und SMS-Schreibens (! von 2 auf 14%) durch Kfz-LenkerInnen während der Fahrt im Vergleich 2004-2009. Weiters telefonieren 78% der Befragten zumindest gelegentlich am Steuer, wobei nur 46% überhaupt eine Freisprecheinrichtung besitzen. Die Nichtblinker-Rate unter den Handy-Telefonierenden am Kfz-Steuer beträgt 75%, die Nichtanhalterate bei querenden FußgängerInnen – gerade in den letzten Wochen wieder Ursache mehrerer schwerer und tödlicher Unfälle! - 70%. Wer während des Autofahrens ohne Freisprechanlage telefoniert, macht einer früheren Untersuchung zufolge um 40% mehr Fahrfehler, mit Freisprechanlage noch immer um 28% mehr. Zusätzlich zieht sich ein weitestgehend fehlendes Unrechts- und Gefahrenbewusstsein befragter Kfz-LenkerInnen durch entsprechende Erhebungen, obwohl das Unfallrisiko zB beim SMS-Schreiben mindestens versechsfacht wird, was der Wirkung einer schweren Alkoholisierung entspricht. Aus Untersuchungen mit LKW-Fahrern wurden bereits Unfallrisiko-Erhöhungen auf das bis zu 23fache bei „SMS am Steuer“ berichtet.

·     Mit dem Beenden der Handy-Benützung ist das Problem noch nicht aus der Welt: Auch 15 Minuten nach dem Auflegen bleibt noch ein vierfach höheres Unfallrisiko.

·     Dass die Ablenkungswirkung beim (derzeit legalen) Telefonieren mit Freisprecheinrichtung erwiesenermaßen nicht deutlich geringer als beim (verbotenen) Verzicht auf die Verwendung einer Freisprecheinrichtung ist, muss sich ebenfalls endlich im politischen und rechtlichen Umgang mit diesem Thema abbilden. Nach Studien aus Australien und Großbritannien ist die Ablenkungswirkung mit sehr geringen Unterschieden jeweils ähnlich wie bei 0,8 Promille oder sogar - Verlängerung der Reaktionszeit – noch größer.

·     Legt man schließlich zB die Ergebnisse einer Studie der renommierten US-Universität Harvard auf Österreich um, so wäre Handy am Steuer als Ursache oder Mit-Ursache bei bis zu 15-20% aller Verkehrstoten anzunehmen.

 

Fazit: LenkerInnen, die „Handy am Steuer“ praktizieren, sind Hochrisiko-LenkerInnen!

 

Unverständlich ist schon auf Basis dieses begrenzten Wissens- und Erkenntnisstandes, dass die Ahndung dieses Delikts mit Samthandschuhen gehandhabt wird:

·     Gestraft wird auf Basis der geltenden Rechtslage – wenn überhaupt - nur im Fall einer Anhaltung, die wiederum in der Praxis nur höchst selten vorkommt. Eine Änderung dieser unzureichenden und ungerechtfertigt großzügigen Praxis wird seit langem von VerkehrssicherheitsexpertInnen dringend eingefordert. Schließlich bleibt dieses Nahezu-Null-Risiko des Erwischt-Werdens den VerkehrsteilnehmerInnen nicht verborgen, die Abschreckungswirkung eventuell zu befürchtender Sanktionen sinkt damit gegen Null.

·     Mit der Ahndung nur bei einer kaum je zu befürchtenden Anhaltung geht zugleich die 2008 als großer Verkehrssicherheits-Fortschritt gepriesene Anhebung des Strafsatzes für Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung auf 50 Euro in der Praxis weitestgehend ins Leere.

·     Auch diese Strafhöhe liegt immer noch weit hinter den Durchschnitts- oder Höchstsätzen in vielen anderen Staaten Europas, u.a. in allen „östlichen“ Nachbarstaaten Österreichs, und ist auch gemessen an den regelmäßig verursachten Gefährdungen sehr zurückhaltend.

 

Die Grünen weisen seit Jahren darauf hin, dass „Handy am Steuer“ ein gravierendes Verkehrssicherheitsproblem ist und weitergehende Maßnahmen wie etwa die konsequentere Ahndung und die (in Punkteführerschein-Modellen anderer Staaten sehr erfolgreiche) Aufnahme ins Führerschein-Vormerksystem nötig wären. Dies wird nicht nur von Verkehrssicherheits-Fachleuten zB des KfV unterstützt, sondern immer wieder auch von PolitikerInnen anderer Couleur eingestanden. So wurde in Debatten zu Grünen Anträgen für die Aufnahme von Handy am Steuer ins Vormerksystem von SPÖ-Seite schon Anfang 2007 im Nationalrat vermerkt, dass Autofahren mit dem Handy in der Hand „kein Kavaliersdelikt“ sei und „auf keinen Fall zu akzeptieren“ sei, denn es sei neben weiteren Delikten eine „absolute Gefahrenquelle“ und beeinträchtige „vor allem andere VerkehrsteilnehmerInnen“. Von ÖVP-Seite hieß es damals: „Ich glaube, das Telefonieren mit dem Handy am Steuer ist irgendwie schon so etwas wie ein Kavaliersdelikt geworden, aber es trägt doch zur Gefährdung der Straßenverkehrssicherheit bei, weil viele dieses Telefonieren am Steuer auch praktizieren. Wir sollten diesbezüglich sinnvolle Maßnahmen treffen“ sowie „Es wird auch das Problem nicht unterschätzt, wir nehmen das Problem ernst“. Geschehen im Sinne dieser SPÖ- und ÖVP-Ansagen ist seitdem – nichts. Dabei wurden verschärfende Maßnahmen auch in der regierungsseitig beauftragten, entgegen den Ankündigungen zB des SPÖ-Verkehrssprechers im Nationalrat (Jänner 2009) nie vollständig öffentlich präsentierten Evaluierung des Vormerksystems klar befürwortet. Vorschläge für solche Maßnahmen wurden von den diversen Regierungsmehrheiten durch Jahre verschleppt, im Juli 2009 wurde ein entsprechender Antrag der Grünen im Nationalrat gar von SPÖ und ÖVP abgelehnt. Dies obwohl das SPÖ-ÖVP-Regierungsprogramm für die laufende Gesetzgebungsperiode explizit die „Auswertung der Evaluierung des Vormerksystems“ – was bei einer öffentlich finanzierten Arbeit dieser Tragweite mit klaren Handlungsempfehlungen als Ergebnis eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte – beinhaltet.

 

Das BMVIT hat beim wichtigen Verkehrssicherheitsthema „Handy am Steuer“ bisher weitestgehend auf Appelle und Bewusstseinsbildung gesetzt, etwa mit dem nach wie vor offiziellen BMVIT-Folder „Telefonieren am Steuer“ aus dem Jahr 2006. Dass dieser sicher nicht unwichtige Zugang alleine aber nicht zum gewünschten Ergebnis (Zitat aus dem BMVIT-Folder: „Wie telefonieren Sie am Steuer am sichersten? Gar nicht.“) führt, ist durch die Untersuchungen und Erhebungen der letzten Zeit und im Zeitablauf erwiesen. Allein auf die Anfang 2008 erfolgte Erhöhung des Strafsatzes als einzige sonstige Maßnahme zu verweisen, ist jedenfalls ungenügend, liegt doch keine konkrete Evidenz über eine etwaige positive Wirkung dieser Änderung vor.

 

Entscheidende Ziele des Verkehrssicherheitsprogramms 2002-2010 wurden und werden deutlich verfehlt. Daher „müssen“ – so BMin Doris Bures wörtlich – „die Anstrengungen in den kommenden Jahren noch wesentlich verstärkt werden!“

Im Rahmen dieses „Endspurts“ für die Jahre 2008-2010. mit dem die Verfehlung der beschlossenen Verkehrssicherheitsziele noch minimiert werden sollte, wurde „Handy am Steuer“ bereits 2008 als einer der nötigen Schwerpunkte fixiert - zwar einmal mehr keine konkreten Maßnahmen, aber wenigstens die „Analyse der internationalen Forschungsergebnisse; verstärkte Unfallursachenforschung“.

 

Von greifbaren Ergebnissen dieser „Schwerpunktsetzung“ der letzten drei Jahre ist der Öffentlichkeit aber bisher erneut nichts bekannt geworden.

 

In den bisher vorliegenden Entwürfen und Materialien zum Verkehrssicherheitsprogramm 2011+ ist das Thema nun neuerlich mehrfach angesprochen, so wurde von ExpertInnen die „generelle Einschränkung des Telefonierens am Steuer“ gefordert und auch darauf hingewiesen, dass die Evaluierung des Vormerksystems Verbesserungsbedarf beim Deliktkatalog des Vormerksystems im internationalen Vergleich festgestellt hatte. Leider ist aber noch keine konkrete Terminisierung oder Priorisierung für Maßnahmen zu erkennen; Bekenntnisse ohne klare Verpflichtung zum umgehenden Handeln wären erneut nur eine Fortschreibung der bisherigen ergebnislos gebliebenen, abwartenden Vorgehensweise.

 

BM Bures hatte Ende 2008 in der Beantwortung einer an ihren Amtsvorgänger gerichteten Anfragebeantwortung relativ unmissverständlich formuliert, dass „entsprechend den Ergebnissen dieser Evaluierung (…) Änderungen des Vormerksystems vorgenommen werden“. Dennoch hat BM Bures von den wesentlich weitergehenden Ergebnissen der Evaluierung und der zur Umsetzung ihrer Ergebnisse eingesetzten Arbeitsgruppe nun (Juni 2010) nur drei Maßnahmen dem Koalitionspartner ÖVP vorgelegt: Die dringend nötige Aufnahme von „Handy am Steuer“ in den Deliktkatalog ist den öffentlich gewordenen Informationen zufolge wieder nicht darunter!

 

Es ist höchst an der Zeit, von den Worten der Regierungsparteien und der BMVIT-Spitze zu den Taten zu schreiten, um die große Belastung der Verkehrssicherheit in Österreich durch „Handy am Steuer“ endlich ernsthaft anzugehen und in den Griff zu bekommen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

  1. Welche Daten liegen Ihnen zu Handy am Steuer a) mit, b) ohne Freisprecheinrichtung als Ursache von Unfällen mit Todesopfern, sonstigen Personenschäden und Sachschadensunfällen im Straßenverkehr im Einzelnen vor?

 

  1. Welche Ergebnisse und Empfehlungen zu Handy am Steuer haben welche Studien und Erhebungen im Auftrag des BMVIT (bzw. des VSF o.ä.) in den letzten Jahren ergeben?

 

  1. Werden Sie den Strafsatz für Handy am Steuer nach dem Beispiel zahlreicher anderer europäischer Staaten weiter anheben, wenn nein warum nicht?

 

  1. Werden Sie – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit der Innenministerin - die Überwachung und Ahndung von Handy am Steuer erleichtern, indem insbesondere der „Anhaltezwang“ entfällt? Wenn ja, bis wann? Wenn nein, warum nicht?

 

  1. Warum wurden die Ankündigungen (zB des SPÖ-Verkehrssprechers im Nationalrat im Jänner 2009), wonach die Evaluierung des Vormerksystems „noch im Februar 2009“ öffentlich zugänglich gemacht und präsentiert werde, in dieser Form nie umgesetzt?

 

  1. Im welcher Form findet sich das Thema Handy am Steuer in den Ergebnissen der Evaluierung des Vormerksystems?

 

  1. Welche Institutionen waren bzw. sind in der Arbeitsgruppe vertreten, die Sie zur Umsetzung der Ergebnisse der Evaluierung des Vormerksystems eingesetzt haben?

 

  1. War Handy am Steuer Thema in dieser Arbeitsgruppe? Wenn nein, warum und auf wessen Veranlassung nicht?

 

  1. Warum haben Sie dem Koalitionspartner im Juni 2010 im Rahmen Ihres Reformvorschlags zum Vormerksystem keinen Vorschlag betreffend das Thema Handy am Steuer vorgelegt? Halten Sie Handy am Steuer womöglich für keine Gefährdung der Sicherheit anderer VerkehrsteilnehmerInnen?

 

  1. Ist Ihnen bekannt, dass laut jüngster Untersuchung 62% der FührerscheinbesitzerInnen (!) die Aufnahme von Handy am Steuer in den Deliktkatalog des Vormerksystems unterstützen? Welche Konsequenzen werden Sie aus dieser klaren Mehrheit für diese Maßnahme ziehen?

 

  1. Was sagen Sie zur Einschätzung des ARBÖ, dass das Vormerksystem nicht greife, das Ziel verfehlt worden sei und man damit Hochrisikolenker nicht aus dem Verkehr ziehe? Können Sie sich in diesem Sinn weitergehende Maßnahmen gegen besonders gefährliche HochrisikolenkerInnen und insbesondere „Wiederholungstäter“ vorstellen, wie zB die vorübergehende oder dauernde Beschlagnahme des Fahrzeugs? Wenn nein, warum nicht?