6802/J XXIV. GP

Eingelangt am 04.11.2010
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr.in Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend Koralm-Tunnel und Rahmenplan

 

 

Zahlreiche ExpertInnen und Wirtschaftsforscher, zuletzt WIFO-Chef Prof. Aiginger, halten die Investition in den Koralm-Tunnel der ÖBB für ein „stranded investment“ von bis zu 10 Mrd. Euro (Bau und Finanzierung, noch ohne laufendes betriebliches Multi-Millionen-Defizit nach Errichtung), das vor allem auf Druck des ehemaligen Landeshauptmanns von Kärnten und der großen Baukonzerne beschlossen wurde.

 

Schienen-Großprojekte sind für die vorübergehende Beschäftigung von Baumaschinen sicher nützlich, darüber hinaus aber nur dann sinnvoll, wenn Kostenwahrheit auf der Straße hergestellt ist, dadurch die für eine wirtschaftliche Auslastung nötige Verlagerung auf die Schiene sichergestellt ist, und vor allem, wenn ihre Finanzierung nicht nur durch Kaputtsparen des gesamten sonstigen Bahnwesens sichergestellt werden kann, sondern durch Mehreinnahmen aus anderen Quellen (zB flächendeckende LKW-Maut in Schweizer Höhe) gedeckt wird.

Jetzt und für die nächsten Jahre ist jedoch nirgends eine entsprechende Änderung der Rahmenbedingungen des Verkehrsgeschehens erkennbar, von der seit Jahren fehlenden Nutzung wesentlicher Bemautungsspielräume der geltenden EU-Wegekostenrichtlinie von 2006 (Unterinntal, Ballungsräume) über den absehbaren Beinahe-Null-Fortschritt durch die kaum höhere maximale LKW-Mauthöhe der nächsten, derzeit in der politischen Entscheidung stehenden Wegekostenrichtlinie bis hin zur fehlenden LKW-Bemautung in der Fläche und zum fehlenden Abspecken beim Autobahnbau zugunsten der Schiene.

So kannibalisiert der geplante Bau der S36/37 (= deutlich kürzere Verbindung Kärnten-Ostregion mit weit niedrigerer Scheitelhöhe) nicht nur die bestehende defizitäre Autobahn über Pack und Wechsel, sondern auch die Verlagerung auf die Schiene durch die Koralm und hätte deshalb im Sinn eines konsistenten Infrastruktur- und Gesamtverkehrskonzepts längst gestrichen werden müssen.

 

Am 13.10. erfolgte nun die Vergabe des zentralen Groß-Bauloses KAT 2 an ein von der Firma Strabag dominiertes Konsortium, die Vergabe blieb - wie nach der kolportierten auffälligen Angebotsstruktur nicht anders zu erwarten - bis zum Ende der Stillhaltefrist am 27.10. ohne Beeinspruchung und ist somit rechtskräftig. Damit erfolgte eine weitere folgenreiche Entscheidung zur Umsetzung des umstrittenen Koralm-Projekts.

Die ÖBB haben mit diesem Schritt im Einklang mit Ihnen und Ihrem Kabinett einen möglicherweise unumkehrbaren „Sachzwang“ geschaffen, dies ausgerechnet wenige Tage vor der Präsentation der Ergebnisse der von Ihnen versprochenen Evaluierung aller Bundes-Infrastrukturprojekte.


Dies ist per se eine Frotzelei der gesamten Öffentlichkeit und eine Provokation für die SteuerzahlerInnen. Evaluierung versprechen und kurz vor der überfälligen Vorlage von Verkehrsprognosen und stichhaltiger Datenbasis sowie kurz vor der Vorlage eines Bundesbudgets mit blutigen Einsparung in für viele Menschen einschneidenden Bereichen justament eine solche Entscheidung mit Milliarden-Folgewirkungen zu treffen, die keine mittel- oder gar langfristige finanzielle Deckung hat, bedeutet finanz- und verkehrspolitisches Harakiri auf Kosten der SteuerzahlerInnen schon in wenigen Jahren.

 

Der „volkswirtschaftliche Nutzen“ des Koralmprojekts ohne Finanzbedeckung besteht vor allem darin, dass andere dringende volkswirtschaftliche nötige Ausbaumaßnahmen der ÖBB (selektiver zweigleisiger Ausbau von wichtigen Bestandsstrecken, Wien-Bratislava, etc.) sowie die Erhaltung von Infrastruktur und Rollmaterial in weiten Teilen des Schienennetzes zum Schaden der Fahrgäste und der verladenden Wirtschaft nachgereiht werden. Zahlreiche andere Sparmaßnahmen der ÖBB mit Qualitätsverlust für die KundInnen, wie zB der im Hinblick auf Sicherheit, Vandalismus und Ticketeinnahmen nachteilige 0:0 Betrieb, der beabsichtigte weitgehende ÖBB-Rückzug aus dem Personen-Fernverkehr ab/bis Graz oder die beabsichtigte Stilllegung von Regionalbahnstrecken auch in den Koralm-Bundesländern Steiermark und Oberösterreich sind die mittelbare Folge der milliardenschweren Tunnel-Investitionen.

 

Den Medien zu entnehmen ist, dass Sie sich letztlich der Weisung des Bundeskanzlers Faymann beugten, was nahe legt, dass Parteienfinanzierung der SPÖ durch die Bauindustrie ein Hauptgrund für die Entscheidung sein könnte (nicht unbedeutend scheint die Rolle von Ex-SPÖ-Kanzler Gusenbauer in den Gremien der Strabag zu sein).

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.    Warum erfolgte die Vergabe des Bauloses „KAT 2“ für den Bau des Koralmtunnels justament wenige Tage vor der Präsentation der Ergebnisse der Evaluierung der Bundes-Infrastrukturprojekte, womit Sie den möglichen Mehrwert Ihrer eigenen Evaluierung torpedieren?

 

2.    Welche anderen Schienen-Infrastrukturprojekte „müssen“ nun zeitlich nach hinten gereiht werden, nachdem Sie laut Budget-Ergebnis der Regierungsklausur künftig bei der Schienen-Infrastruktur jedes Jahr dreistellige Millionen-Euro-Beträge WENIGER als bisher geplant zur Verfügung haben werden, während die Großprojekte wie die Koralmbahn laufend MEHR als geplant kosten sollen?

 

3.    Durch welche Einnahmen ist die Finanzierung des Projekts Koralmbahn mit seinen Gesamtkosten - laut WIFO-Koryphäe Prof. Aiginger - von 10 Milliarden Euro konkret budgetär a) kurzfristig, b) mittelfristig, c) langfristig sichergestellt?

 

4.    Falls die Finanzierung a) kurzfristig, b) mittelfristig, c) langfristig nicht mit den derzeit gesicherten budgetären Mitteln sichergestellt ist – woher sollen die fehlenden Mittel konkret kommen?

 

5.    Auf welche Weise werden ab 2020 die jährlich zusätzlich 1,2 Mrd Euro für die Rückzahlung der Infrastrukturprojekte aus dem Budget bereitgestellt, wie eine Studie des Staatsschuldenausschusses festhält?

 

6.    Können Sie Parteienfinanzierung als (ein) Motiv für die Vergabe des Bauloses KAT 2 ausschließen?


7.    Wie sollen die ÖBB 30% der Investitionssumme selbst erwirtschaften, wenn Sie in Ihrer Verkehrspolitik weiterhin die Straße bevorzugen, indem Sie weder im eigenen Wirkungsbereich in Österreich für Kostenwahrheit sorgen noch diese auf EU-Ebene mit dem nötigen Nachdruck verfechten?

 

8.    Wie hoch werden die Betriebskosten des Tunnels pro Jahr sein? Wer wird für sie aufkommen?