6852/J XXIV. GP

Eingelangt am 16.11.2010
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Dr.in Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend unpräzise Beantwortung der parlamentarischen Anfragen über Sicherheitsmängel bei Straßenbahn- und U-Bahntüren in Wien (5611/J und 5639/J)

 

 

Am 7. Mai 2010 geriet ein fünfjähriges Kind in der U-Bahnstation „Enkplatz“ der Wiener Linien beim Einsteigen in einen U-Bahnzug der Linie U3 mit seinem Fuß zwischen die sich schließenden Wagentüren. Der Bub wurde eingeklemmt, niedergerissen und über die gesamte Bahnsteiglänge vom anfahrenden U-Bahnzug mitgeschleift. Schließlich schlug er auf der Bahnsteigabsperrung auf.

Der Fünfjährige wurde schwer verletzt und musste auf der Intensivstation sogar einige Tage in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden.

 

Dieses tragische Unfallereignis stellt bei den Wiener Linien leider keinen Einzelfall, sondern einen traurigen Höhepunkt dar. Den wie bereits in der Anfrage 5639/J XXIV.GP ausgeführt kam es in den letzten Monaten bereits zu einer Reihe von Unfallereignissen, bei denen Fahrgäste immer wieder zwischen den sich schließenden Türen von Straßenbahnen oder U-Bahnen eingeklemmt, mitgerissen und dabei verletzt wurden. Immer wieder hatten dabei die Türfühlerkanten (Einklemmschutz) beim Erkennen der eingeklemmten Personen versag; besonders betroffen waren regelmäßig SeniorInnen und Kinder.

 

Seitens der Wiener Linien wurde als Erklärung für diese Unfallereignisse in ärgerlicher Regelmäßigkeit immer wieder nur Fehlverhalten der Fahrgäste oder des Fahrpersonals (StraßenbahnfahrerInnen, U-BahnfahrerInnen) vorgeschoben; immer wieder wurden die Unfallereignisse weiters als seltene „Einzelereignisse“ abgetan.

 

Dies hat nicht nur Fragen nach der Qualität des Sicherheitsmanagements der Wiener Linien bei der Prüfung und Wartung der Türen aufgeworfen, sondern auch nach der auffällig zurückhaltenden Rolle der für die Sicherheit von Straßenbahn- und U-Bahn-Türen zuständigen Aufsichtsbehörden. So entstand unter anderem der Eindruck, dass die Wiener Linien bei einer großzügigen Handhabung der Sicherheitsvorschriften von den Aufsichtsbehörden sogar noch unterstützt werden.

 

Nach dem Unfallereignis am Enkplatz haben sich daher sowohl der Parlamentsklub der Grünen (5639/J) als auch der Parlamentsklub der österreichischen Volkspartei (5611/J) mit schriftlichen parlamentarischen Anfragen an die Frau Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie gewandt. Beide Anfragen beschäftigten sich mit der Sicherheit von Straßenbahn- und U-Bahnfahrzeugen in Wien, mit den erforderlichen Konsequenzen zum Schutz der Fahrgäste nach den wiederholten Unfallereignissen sowie mit möglichen Maßnahmen für bessere Sicherheitsstandards bei Straßenbahn- und U-Bahntüren.


In beiden Anfragebeantwortungen wurden wichtige Fragen von der Frau Bundesministerin teilweise gar nicht und teilweise ausweichend beantwortet, in beiden Anfragebeantwortungen wurden sogar für unterschiedliche Fragen gleich lautende Textbausteine verwendet! Obwohl das Verkehrsministerium für die einschlägigen Rechtsvorschriften verantwortlich ist, verfügt es offensichtlich nicht einmal über nähere Informationen zu den Unfallereignissen.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE:

 

1.         Zu den wiederholten Unfallereignissen bei den Wiener Linien verweisen sie in beiden Anfragebeantwortungen (mit gleich lautendem Textbaustein) darauf, dass das Risiko, in einem Schienenfahrzeug verletzt zu werden, ohnehin 64 Mal geringer wäre als in einem PKW und Fragen betreffend dem Unternehmen Wiener Linien (sic!) vor diesem Hintergrund zu betrachten wären.

Bereits bisher entstand der Eindruck, dass die Wiener Linien bei einer großzügigen Handhabung der Sicherheitsvorschriften von den Aufsichtsbehörden sogar noch unterstützt wurden.

Halten Sie es in diesem Zusammenhang für richtig und zielführend, regelmäßig auftretende gleichartige Unfallereignisse mit Hinweisen auf noch schlechtere Unfallbilanzen bei anderen Verkehrsträgern beiseite zu schieben?

 

2.         Zur Frage nach den Konsequenzen aus den schweren Unfällen (in der einen Anfrage) bzw zur Kritik an Hinweisen auf falsches Verhalten der Fahrgäste und des Fahrpersonals und auf „seltene Einzelereignisse“ (in der anderen Anfrage) verweisen sie in beiden Anfragebeantwortungen (mit gleich lautendem Textbaustein!) darauf, dass für Unfälle ohnehin eine eigene Unfalluntersuchungsstelle des Bundes eingerichtet wäre, deren Berichte jährlich dem Parlament vorgelegt und in den zuständigen Ausschüssen debattiert würden. Darüber hinaus mussten Sie sogar noch einräumen, dass Ihnen allfällige empfohlene Maßnahmen der Unfalluntersuchungsstelle im Bereich des Betriebes von Straßenbahnen bis dahin nicht einmal bekannt waren.

Der Sinn der Tätigkeit der Unfalluntersuchungsstelle besteht hoffentlich nicht darin, dass Berichte irgendwann in Ausschüssen debattiert werden, sondern dass Sicherheitsempfehlungen erarbeitet (und umgesetzt) werden, um künftige gleichartige Vorfälle zu verhindern. So lautet jedenfalls die Vorgabe der Europäischen Union.

a)      Sie sind zuständige Berufungs- und Oberbehörde für Straßenbahnen und U-Bahnen, darüber hinaus sind Sie für die diesbezüglichen Rechtsvorschriften (Eisenbahngesetz, Straßenbahnverordnung) zuständig - wie können Sie diesen Aufgaben nachkommen, wenn Ihnen nicht einmal die Ergebnisse Ihrer eigenen Unfallkommission zu den spektakulären Unfallserien bekannt sind?

b)      Welche konkreten Ergebnisse hat die Unfalluntersuchungsstelle des Bundes ermittelt?

c)      Welche konkreten Empfehlungen hat sie ausgesprochen?

d)      Welche konkreten Maßnahmen wurden aufgrund der Empfehlungen der Unfalluntersuchungsstelle eingeleitet?

e)      Welche konkreten Maßnahmen wurden womöglich darüber hinaus aus eigenem Antrieb eingeleitet?

Wir ersuchen um Beantwortung in einzelnen.

 

3.         Zur Frage nach möglicherweise erforderlichen Änderungen des § 45 Abs 3 Straßenbahnverordnung (Einklemmschutz), ob Sie diese Bestimmung nach den aufgetretenen Unfallereignissen immer noch für ausreichend halten, ob Überlegungen zur Änderung (Anpassung) der Straßenbahnverordnung angestellt wurden und wann gegebenenfalls entsprechende Schritte gesetzt werden, zitieren Sie lediglich den Inhalt des § 45 Abs 3 Straßenbahnverordnung und beantworten die anderen Fragen gar nicht.

Nach spektakulären Unfallereignissen mit dem Einklemmschutz sollte es aber selbstverständlich sein, dass die diesbezüglichen Rechtsvorschriften vom Verordnungsgeber kritisch hinterfragt werden.

a)      Wurde § 45 Abs 3 Straßenbahnverordnung nach der spektakulären Unfallserie evaluiert?

b)      Wenn nein, wann werden Sie diese Evaluierung durchführen lassen?

Wir ersuchen um Beantwortung in einzelnen.

 

4.         Zur Frage nach möglicherweise erforderlichen Änderungen des § 61 Abs 3 Straßenbahnverordnung (planmäßig wiederkehrende Inspektionen für Fahrzeuge nur alle 500.000 km bzw alle acht Jahre), ob Sie diese Bestimmung nach den aufgetretenen Unfallereignissen immer noch für ausreichend halten, ob Überlegungen zur Änderung (Anpassung) der Straßenbahnverordnung angestellt wurden und wann gegebenenfalls entsprechende Schritte gesetzt werden, verweisen sie darauf, dass zwischen den Inspektionen ohnehin weitere Wartungen durchzuführen wären.

Es ist nicht wahrscheinlich, dass derartig spitzfindige Auslegungen auch zu den Straßenbahnunternehmen durchgedrungen sind.

a)      Wurde § 61 Abs 3 Straßenbahnverordnung nach der spektakulären Unfallserie evaluiert?

b)      Weshalb werden die sehr großzügig gehaltenen Inspektionsfristen für Fahrzeuge (nur alle 500.000 km bzw alle acht Jahre) nicht auf realistische Fristen abgekürzt?

c)      Wann und in welcher Form haben Sie die Straßenbahnunternehmen aktiv auf die zitierte, von Ihnen in der Anfragebeantwortung angeführte spitzfindige Interpretation hingewiesen?

Wir ersuchen um Beantwortung in einzelnen.

 

5.         Eine Verkürzung der Inspektionsfristen in der Straßenbahnverordnung machen Sie auch von Überprüfungen der zuständigen Behörde (Landeshauptmann) über die Wartung abhängig.

a)      Welche Informationen haben Sie darüber eingeholt?

b)      Welche Ergebnisse sind aus den eingeholten Informationen ableitbar?

Wir ersuchen um Beantwortung in einzelnen.

 

6.         Zur Frage, ob Sie die seinerzeit erteilten Ausnahmegenehmigungen für die Fahrzeuginspektionen (750.000 km anstelle der ohnehin schon sehr großzügigen 500.000 km) nach dem Unfallereignis am Enkplatz noch für vertretbar halten, verweisen Sie auf die Zuständigkeit des Landeshauptmanns von Wien.

Halten Sie es nicht für unfair, wenn seitens des Verkehrsministeriums kurz vor der Zuständigkeitsübertragung an den Landeshauptmann die ohnehin schon sehr großzügigen Inspektionsfristen mit Ausnahmebescheid nochmals um die Hälfte verlängert wurden – und jetzt, nachdem die bedenklichen Begleiterscheinungen dieses „Freundschaftsdienstes“ Faktum sind, auf die Zuständigkeit des Landeshauptmannes verwiesen wird?

 

7.         Zur Frage, welche Dienststelle im Verkehrsministerium als Oberbehörde für die Betriebssicherheit des Schienenverkehrs der Wiener Linien zuständig ist, verweisen Sie hinsichtlich der Sektionen und Abteilungen auf die sachliche Anknüpfung, die der im Internet kundgemachten Geschäftseinteilung zu entnehmen wäre.

Weshalb ist es nicht möglich, die zuständigen Dienststellen bekannt zu geben, die als Oberbehörde für die Betriebssicherheit des Schienenverkehrs der Wiener Linien zuständig sind?

 


8.         Zur Frage nach den eingeleiteten Sicherheitsmaßnahmen und Auflagen zur Hebung der Betriebssicherheit bei den Wiener Linien halten Sie fest, dass nicht jede Oberbehörde zusätzlich auch noch die Aufgaben der nachgeordneten Behörde übernehmen könne. Seit dem Zuständigkeitsübergang wären der Obersten Eisenbahnbehörde keine Anregungen der zuständigen Behörde vorgelegt worden.

Es ist schwer nachvollziehbar, in welcher Weise die Oberbehörde ihren Aufgaben (Berufungsentscheidungen, legistische Maßnahmen, Aufsicht, Weisungen) in der gebotenen Weise nachkommen könnte, wenn sie sich für die Vorkommnisse im Bereich der Unterbehörden gar nicht interessiert. Ebenso ist die Vorgabe bzw. das Selbstverständnis bedenklich, dass ein Einschreiten der Oberbehörde (legistische Maßnahmen, Aufsicht, Weisungen) nur auf „Anregung“ der Unterbehörden erfolgen sollte.

a)      Halten Sie es tatsächlich für rechtskonform, wenn eine Oberbehörde Ihren Aufgaben immer nur „auf Anregung der zuständigen Behörden“ (Unterbehörden) nachkommt?

b)      Wie können Sie sicherstellen, dass legistische Maßnahmen zweckentsprechend und praxisgerecht festgelegt werden, wenn sich Ihre Oberbehörden nicht über die Ereignisse vor Ort informieren?

c)      Wie definieren Sie die Aufgaben Ihrer Oberbehörde für Straßenbahnen und U-Bahnen, wenn diese nur „auf Anregung der zuständigen Behörden“ (Unterbehörden) tätig wird?

Wir ersuchen um Beantwortung in einzelnen.

 

9.         Seit dem Unfallereignis am Enkplatz ist mittlerweile fast ein halbes Jahr vergangen, dieses Unfallereignis war der traurige Höhepunkt einer Reihe von Unfallereignissen bei den Wiener Linien, bei denen Fahrgäste immer wieder zwischen den sich schließenden Türen von Straßenbahnen oder U-Bahnen eingeklemmt, mitgerissen und dabei verletzt wurden.

Welche Maßnahmen (legistische Maßnahmen, Aufsicht, Weisungen) haben Sie seither getroffen, um die Sicherheit der Straßenbahnen und U-Bahnen für die Fahrgäste zu verbessern?

Wir ersuchen um Beantwortung in einzelnen.