7239/J XXIV. GP

Eingelangt am 22.12.2010
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr.in Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend den merkwürdigen "österreichischen Weg" beim Umgang mit dem wichtigen Thema Eisenbahnsicherheit

 

 

Die EU-Richtlinie „über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft“ (2004/49/EG) der verpflichtet die Mitgliedstaaten unter anderem auch zur Errichtung einer Unfalluntersuchungsstelle. Diese Unfalluntersuchungsstelle nimmt bei der Weiterentwicklung der Eisenbahnsicherheit in der EU eine ganz wesentliche Rolle ein: Sie soll Eisenbahnunfälle und Störungen unabhängig von der gerichtlichen Untersuchung überprüfen. Erkenntnisse und Empfehlungen der Unfalluntersuchungsstelle sollen eine wichtige Grundlage für die Verbesserung der Eisenbahnsicherheit darstellen. Die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Unfalluntersuchungsstelle und für die Berücksichtigung der Untersuchungsergebnisse werden daher in der EU-Richtlinie genau vorgegeben. Die Sicherheitsempfehlungen sind von denjenigen, an die sie gerichtet sind, zu beachten; die Folgemaßnahmen sind der Unfalluntersuchungsstelle anzuzeigen.

 

In Österreich hat man die Bedeutung der Unfalluntersuchung gleich von Anfang an bewusst niedrig gehalten. Bereits bei der Umsetzung der Richtlinie 2004/49/EG ins österreichische Eisenbahnrecht gab es auffällige Abschwächungen. So wurde schon bei der (nur teilweisen) Umsetzung der Richtlinie durch die Eisenbahngesetz-Novelle 2006 ein § 13b Eisenbahngesetz geschaffen, dem zufolge die Unfalluntersuchungsstelle in Sicherheitsempfehlungen an die Behörde das Verhältnis von Aufwand und Nutzen darzustellen hätte, die mit der Umsetzung geeigneter Maßnahmen zu erwarten sind.

Das widerspricht ganz eindeutig den Intentionen der Richtlinie 2004/49/EG, die ausdrücklich nicht auf wirtschaftliche Überlegungen abstellt. Noch dazu drängt sich der Eindruck auf, dass dieser Passus ins Eisenbahngesetz 2006 aufgenommen wurde, um das Unfalluntersuchungsgesetz 2005 (und damit auch die auf EU-Intentionen) unauffällig auszuhöhlen.

 

Damit nicht genug: Jetzt wird auch noch die Eisenbahnaufsicht zur Karikatur, indem man dort die Zuständigkeit für die Umsetzung der Sicherheitsempfehlungen von sich weist und zur alleinigen „Selbsterledigung“ durch Eisenbahnunternehmen durchreicht. In einem in dieser Hinsicht entlarvenden Rundschreiben an die Eisenbahnunternehmen (GZ. BMVIT-224.000/0001-IV/SCH5/2010 vom 16.11.2010) klinkt sich die Eisenbahnsicherheitsbehörde aus der Umsetzung der Unfalluntersuchung ganz offen aus: Die Eisenbahnunternehmen werden dazu angehalten, die Sicherheitsempfehlungen der Unfalluntersuchungsstelle ganz alleine umzusetzen.


So wird am Ende dieses Schreibens „zusammenfassend festgehalten“, dass „im Fall von sicherheitsrelevanten Ergebnissen alle Eisenbahnunternehmen so bald als möglich innerhalb ihres Verantwortungsbereiches in jeder Phase zu reagieren haben.“ Bereits „mit Bekanntgabe der Vorfallsanzeige bzw. des Endberichtes der Unfalluntersuchungsstelle“ hätten die Eisenbahnunternehmen gleich „sämtliche Maßnahmen, die aufgrund einer vorgeschlagenen Sicherheitsempfehlung gesetzt wurden, der zuständigen Eisenbahnsicherheitsbehörde bekannt zu geben.“

 

Diese Haltung ist nicht nur peinlich, sie ist auch mit den Vorgaben der Richtlinie 2004/49/EG nicht vereinbar.

Bei den Unfallzahlen im Eisenbahnbereich hinkt Österreich hinter den Vergleichsdaten aus Deutschland und der Schweiz seit Jahren auffallend hinterher, erschreckende Unfallserien ohne Konsequenzen wie jene an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen sind noch in trauriger Erinnerung und – wie die Unfallzahlen zeigen – nach wie vor nicht überwunden. Beispielsweise eine zeitgemäße Eisenbahnkreuzungs-Verordnung gibt es aber dennoch bis heute nicht.

Auch bei der Weiterentwicklung der Rechtsvorschriften über die Eisenbahnsicherheit steht Österreich auf der Bremse. Bereits am 24. Dezember 2010 hätte die erste Änderung der Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit (Änderung der Richtlinie 2004/49/EG durch die Richtlinie 2008/110/EG) in Österreich umgesetzt sein müssen – dennoch liegt bis jetzt nicht einmal ein diskussionsfähiger Entwurf vor. Derartige Fristverletzungen gegenüber der EU sind im Eisenbahnbereich leider üblich und werden immer gerne mit der Arbeitsüberlastung bei der Eisenbahnaufsicht entschuldigt.

In diesem Zusammenhang ist allerdings sehr bemerkenswert, dass Spitzenvertreter ebendieser „überlasteten“ Aufsichtsbehörde zugleich reichlich Zeit für anderweitige Aktivitäten finden, die offenbar weit prioritärer als die fristgerechte Umsetzung sicherheitsrelevanter EU-Vorgaben ist. So entstanden in letzter Zeit beispielsweise unter federführender und umfänglicher Beteiligung des zuständigen BMVIT-Sektionschefs serienweise Veröffentlichungen wie „Artl G., Gürtlich G. H., Zenz H. (Hrsg.), Zwischen Wald- und Weinviertel. 100 Jahre Lokalbahn Retz - Drosendorf, Wien 2010“. Der auf der Homepage des BMVIT unter

http://www.bmvit.gv.at/ministerium/sektionsleiter/guertlich_pub20101206.pdf

abrufbaren Publikationsliste ist zu entnehmen, dass gerade in den letzten Monaten die entsprechende Publikationstätigkeit neue Höchstwerte erreicht hat, während die Umsetzung wichtigster Rechtsmaterien wie der EU-RL 2008/110/EG darniederliegt und die Aufsichtsarbeit – wie mit dem erwähnten skandalösen Rundschreiben vom 16.11.2010 – nun schon in rechtlich abseitiger Weise an Dritte weitergereicht, die eigene Arbeitsbelastung und -leistung also auf Kosten der Unternehmen laufend reduziert wird.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

1.         Gemäß § 13b Eisenbahngesetz hat die Unfalluntersuchungsstelle in Sicherheitsempfehlungen an die Behörde das Verhältnis von Aufwand und Nutzen darzustellen, die mit der Umsetzung geeigneter Maßnahmen zu erwarten sind. 
Warum wurde diese EU-rechtswidrige Bestimmung nachträglich ins Eisenbahngesetz aufgenommen?
 
2.         Werden Sie diese EU-rechtswidrige Bestimmung aufrechterhalten und damit ein Vertragsverletzungsverfahren riskieren, oder werden sie anordnen, dass diese EU-rechtswidrige Bestimmung mit einer raschen nächsten Eisenbahngesetznovelle wieder herausgenommen wird?

3.         Gemäß Artikel 2 der Richtlinie 2008/110/EG ist die Änderung der Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit bis spätestens 24. Dezember 2010 umzusetzen. 
Weshalb wurde nun auch die Richtlinie 2008/110/EG nicht rechtzeitig umgesetzt? Weshalb liegt bis jetzt nicht einmal ein diskussionsfähiger Entwurf der zuständigen Stelle in Ihrem Ressort vor? 
Werden Sie die Verzögerung der Richtlinie 2008/110/EG weiterhin dulden und damit ein Vertragsverletzungsverfahren riskieren oder werden sie anordnen, dass die Richtlinie 2008/110/EG umgehend umgesetzt und umgehend ein entsprechender Entwurf vorgelegt und dem Parlament zugeleitet wird?
 
4.         Gemäß Artikel 25 der Richtlinie 2004/49/EG sind die Sicherheitsempfehlungen der Unfalluntersuchungsstelle grundsätzlich an die Sicherheitsbehörden zu richten. Die Mitgliedstaaten und ihre Sicherheitsbehörden haben anschließend die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Sicherheitsempfehlungen angemessen berücksichtigt und gegebenenfalls umgesetzt werden. 
Aus welchem Grund versucht sich die Eisenbahnsicherheitsbehörde im BMVIT trotz dieser eindeutigen EU-Vorgabe aus der Umsetzung der Sicherheitsempfehlungen zurückzuziehen – siehe Rundschreiben an die Eisenbahnunternehmen GZ. BMVIT-224.000/0001-IV/SCH5/2010 vom 16.11.2010? 
Werden Sie diesen EU-rechtswidrigen Vollzug aufrechterhalten und damit ein Vertragsverletzungsverfahren riskieren, oder werden Sie anordnen, dass dieser EU-rechtswidrige Vollzug unverzüglich beendet wird?