7240/J XXIV. GP

Eingelangt am 22.12.2010
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr.in Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend ganz offensichtlich unzureichende Sicherheitsstandards in der Straßenbahnverordnung

 

 

Wer derzeit in Wien mit der Straßenbahn oder mit der U-Bahn unterwegs ist, braucht gute Nerven. Wie kaum jemals zuvor häufen sich in den letzten Monaten Unfälle, Pannen und Aufsehen erregende Ereignisse, ein Ende dieser Unfall- und Pannenserie ist derzeit leider nicht abzusehen.

 

1.    Am 7. Mai 2010 wurde ein fünfjähriger Bub in der U-Bahn-Station „Enkplatz“ beim Einsteigen in einen U-Bahnzug der Linie U3 mit seinem Fuß zwischen den sich schließenden Wagentüren eingeklemmt, niedergerissen, über die gesamte Bahnsteiglänge mitgeschleift und so schwer verletzt, dass er einige Tage in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden musste. Dieses tragische Unfallereignis war der traurige Höhepunkt einer monatelangen Serie von Unfallereignissen, bei denen Fahrgäste immer wieder zwischen den sich schließenden Türen von Straßenbahnen oder U-Bahnen eingeklemmt, mitgerissen und dabei verletzt wurden. Immer wieder hatten dabei die Türfühlerkanten (Einklemmschutz) die eingeklemmten Personen nicht erkannt, besonders betroffen waren regelmäßig SeniorInnen und Kinder.

 

2.    Am 10. Juli 2010 krachte ein U-Bahn-Zug bei einer Verschubfahrt auf dem Wendegleis in der Station „Stadion“ der Linie U2 mit 20 km/h gegen einen Prellbock, ohne dass dies von der gerade erst neu errichteten Sicherungsanlage verhindert werden konnte. Nach Medienberichten entstand dabei ein Schaden von mehreren hunderttausend Euro. Laut Pressemeldungen der Wiener Linien sei der U-Bahn-Fahrer unaufmerksam gewesen. Ein fast identisches Unfallereignis ereignete sich aber bereits im Februar 2009, Bilder von der über dem Abgrund schwebenden Zuggarnitur waren tagelang in den Medien. Kurioserweise war gerade die neu errichtete Station „Stadion“ im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft immer als Vorzeigestation in Sachen Sicherheit bejubelt worden.


3.    Am 24. November 2010 wurden 200 Passagiere in der U-Bahn Linie U4 zwischen den Stationen „Schottenring“ und „Roßauer Lände“ durch ein regelrechtes Horror-Szenario, nämlich einen explosionsartigen Knall, Funkenflug und eine Flammensäule geschockt. Der Zug blieb im Tunnel stecken, die Garnituren füllten sich mit beißendem Rauch. Erst nach zwei Minuten konnte der Zug in die nächste Station weitergeführt werden. Laut Pressemeldungen der Wiener Linien „war das sicher ein Schreckensmoment“, jedoch „bestand nie eine Gefahr“.

 

4.    Schließlich saßen am 30. November 2010, wieder in der U-Bahn-Linie U4 zwischen den Stationen „Schottenring“ und „Roßauer Lände“ sogar 250 Passagiere zwei Stunden lang im Tunnel fest. Nach den geltenden Alarmplänen müssten U-Bahn-Züge in einer derartigen Situation innerhalb von fünfzehn Minuten evakuiert werden können, bei einem Brandereignis hätte dieses Versagen katastrophale Folgen haben können. Auch das Ereignis vom 30. November 2010 war kein Einzelfall, gerade auf der U-Bahn-Linie U4 kommt es immer wieder zu Ausfällen und Pannen. Laut Pressemeldungen der Wiener Linien sei hier der Einsatzleiter schuld gewesen.

 

Weiters ist auf gravierende Mängel beim Umgang mit Defekten bei mit Fahrgästen besetzen Aufzügen in Stationen der Wiener Linien auch im Jahr 2010 hinzuweisen sowie an Medienberichte zB vom Juli 2006 und Februar 2008 zu erinnern, denen zufolge es in den Jahren seit 1997 mehrfach gravierende, „geheim gehaltene“ Unfall- und Beinaheunfall-Ereignisse infolge technischer Defekte bei den Wiener Linien, und zwar auch bei U-Bahn und Straßenbahn, gegeben hat.

 

Wie in früheren Jahren wurde seitens der Wiener Linien auch im Rahmen der Erklärungsversuche zu den oben zitierten Vorfällen 1. bis 4. des Jahres 2010 wieder in ärgerlicher Regelmäßigkeit als Erklärung für diese und andere Unfallereignisse stets nur lapidar falsches Verhalten der Fahrgäste oder des Fahrpersonals (StraßenbahnfahrerInnen, U-BahnfahrerInnen, EinsatzleiterInnen) vorgeschoben. Immer wieder wurden auch die – offensichtlich wiederholten – Unfallereignisse selbst als seltene „Einzelereignisse“ abgetan.

 

Dies hat natürlich nicht nur Fragen nach der Sicherheit des öffentlichen Verkehrs in Wien aufgeworfen, sondern auch nach der zurückhaltenden Rolle der für die Sicherheit der Straßenbahnen und U-Bahnen zuständigen Aufsichtsbehörden.

Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie ist die zuständige Oberbehörde für die Sicherheit der Straßenbahnen und U-Bahnen und insbesondere auch für die diesbezüglichen Rechtsvorschriften (Eisenbahngesetz, Straßenbahnverordnung) verantwortlich.

Als zuständige Oberbehörde ist das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie aber auch verpflichtet, erforderlichenfalls in eine mangelhafte Aufsichtstätigkeit des Landes einzugreifen.

 

Die Eisenbahnaufsicht im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie kann für eine erforderliche Anpassung der Rechtsvorschriften (Eisenbahngesetz, Straßenbahnverordnung) sowie für die Tätigkeit als zuständige Oberbehörde auch auf die Ergebnisse der unabhängigen Unfalluntersuchungsstelle zurückgreifen, die ebenfalls im Bundesministerium angesiedelt ist.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende


ANFRAGE:

 

1.    Welche Erhebungen zu welchen Ereignissen hat die Unfalluntersuchungsstelle des Bundes in den Jahren 2008, 2009 und 2010 bei den Wiener Linien durchgeführt?

 

2.    Im Rahmen dieser Erhebungen und Untersuchungen:

a) Welche konkreten Ereignisse bei den Wiener Linien hat die Unfalluntersuchungsstelle des Bundes in dieser Zeit untersucht?

b) Welche konkreten Ergebnisse hat die Unfalluntersuchungsstelle bei diesen Ereignissen ermittelt?

c) Welche konkreten Empfehlungen hat die Unfalluntersuchungsstelle anlässlich dieser Ereignisse ausgesprochen?

d) Welche konkreten Maßnahmen wurden aufgrund der Empfehlungen der Unfalluntersuchungsstelle von der Oberbehörde in Ihrem Ministerium eingeleitet?

 

3.    § 45 Absatz 3 Straßenbahnverordnung verlangt: Für die Verwendung von kraftbetätigten Türen müssen Einrichtungen vorhanden sein, die verhindern, dass ein- oder aussteigende Personen von sich schließenden Türblättern durch Einklemmen verletzt werden.

Nach einer derartigen Unfallserie kann wohl nicht ruhigen Gewissens davon ausgegangen werden, dass die bestehenden Sicherheitsvorschriften über den Einklemmschutz der Fahrgäste ausreichen und dass die Aufsicht über die Einhaltung dieser Sicherheitsbestimmung ausreichend ist.

a) Was hat die Unfalluntersuchungsstelle dazu konkret festgestellt?

b) Welche Sicherheitsempfehlungen hat die Unfalluntersuchungsstelle in diesem Fall konkret gegeben?

c) Was hat die Oberbehörde in Ihrem Ministerium seit dem Beginn der Unfallserie mit den Straßenbahn- und U-Bahntüren konkret unternommen?

d) Wurde bereits überprüft, ob die Sicherheitsvorschrift des § 45 Absatz 3 Straßenbahnverordnung ausreicht?

e) Was hat die Überprüfung des § 45 Absatz 3 Straßenbahnverordnung konkret ergeben?

f)  Wurde bereits überprüft, ob die Aufsicht durch die zuständige Unterbehörde (Landeshauptmann) ausreichend im Rahmen der Unfallserie durchgeführt wurde?

g) Was hat diese Überprüfung konkret ergeben?

 

4.    § 61 Absatz 3 Straßenbahnverordnung verlangt: Inspektionen von Fahrzeugen sind planmäßig wiederkehrend nach acht Jahren durchzuführen.

Nach einer derartigen Unfallserie mit Straßenbahn- und U-Bahntüren kann wohl nicht ruhigen Gewissens davon ausgegangen werden, dass jahrelange Intervalle für die Überprüfung von Fahrzeugen auch nur annähernd ausreichen.

a) Was hat die Unfalluntersuchungsstelle dazu konkret festgestellt?

b) Welche Sicherheitsempfehlungen hat die Unfalluntersuchungsstelle in diesem Fall konkret gegeben?

c) Wurde bereits überprüft, ob die Sicherheitsvorschrift des § 61 Absatz 3 Straßenbahnverordnung ausreicht?

d) Was hat die Überprüfung des § 61 Absatz 3 Straßenbahnverordnung konkret ergeben?

e) Wurde bereits überprüft, ob die Aufsicht durch die zuständige Unterbehörde (Landeshauptmann) im Rahmen der Unfallserie ausreichend durchgeführt wurde?

f)  Was hat diese Überprüfung konkret ergeben?

g) Welche Informationen haben Sie bei der zuständigen Unterbehörde eingeholt?

h) Welche konkreten Ergebnisse sind aus den eingeholten Informationen ableitbar?


5.    § 21 Absatz 2 Straßenbahnverordnung legt fest: Fahrwege gelten nur dann als gesichert, wenn mindestens der Bremswegabstand von sicherungstechnisch erfassbaren Hindernissen frei ist und freigehalten wird. Sicherungstechnisch erfassbare Hindernisse sind auch Gleisenden.

Man kann wohl kaum davon ausgehen, dass diese Bestimmung ausreicht oder ausreichend eingehalten wurde, wenn sogar in der neu errichteten Vorzeigestation „Stadion“ mehrmals hintereinander U-Bahnzüge gegen den Prellbock krachen.

a) Was hat die Unfalluntersuchungsstelle dazu konkret festgestellt?

b) Welche Sicherheitsempfehlungen hat die Unfalluntersuchungsstelle in diesem Fall konkret gegeben?

c) Wurde bereits überprüft, ob die Sicherheitsvorschrift des § 21 Absatz 2 Straßenbahnverordnung ausreicht bzw. ausreichend klar und eindeutig formuliert ist?

d) Was hat die Überprüfung des § 21 Absatz 2 Straßenbahnverordnung konkret ergeben?

e) Welche Informationen haben Sie bei der zuständigen Unterbehörde eingeholt?

f)  Welche konkreten Ergebnisse sind aus den eingeholten Informationen ableitbar?

 

6.    § 5 Absatz 4 Straßenbahnverordnung legt fest: Das Straßenbahnunternehmen hat durch betriebliche Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Betriebsstörungen zügig beseitigt werden und dass bei Unfällen und Bränden unverzüglich Erste Hilfe geleistet wird.

Davon kann man wohl nicht sprechen, wenn die Fahrgäste im U-Bahntunnel zwei Stunden lang hilflos „dunsten“ müssen. Ganz offensichtlich sind die einschlägigen Bestimmungen in der Straßenbahnverordnung daher nicht ausreichend oder nicht ausreichend klar.

Weiters legt § 59 Absatz 3 Straßenbahnverordnung fest: Bei Fahrbetrieb ohne Fahrzeugführer müssen betriebliche Vorkehrungen getroffen sein, die eine unverzügliche Bergung der Fahrgäste aus liegen gebliebenen Zügen ermöglichen.

Die Verordnung setzt daher ganz offensichtlich voraus, dass das bei Fahrbetrieb mit Fahrzeugführer eine Selbstverständlichkeit ist. Auch das dürfte aber nicht ausreichend klar ausformuliert sein.

a) Was hat die Unfalluntersuchungsstelle dazu konkret festgestellt?

b) Welche Sicherheitsempfehlungen hat die Unfalluntersuchungsstelle in diesem Fall konkret gegeben?

c) Wurde bereits überprüft, ob die Sicherheitsvorschriften des § 5 Absatz 4 und des § 59 Absatz 3 Straßenbahnverordnung ausreichen bzw. ausreichend klar und eindeutig formuliert sind?

d) Was hat die Überprüfung des § 5 Absatz 4 und des § 59 Absatz 3 Straßenbahnverordnung konkret ergeben?

e) Wurde bereits überprüft, ob die Aufsicht durch die zuständige Unterbehörde (Landeshauptmann) im Rahmen dieser gefährlichen Pannenserie ausreichend durchgeführt wurde?

f)  Was hat diese Überprüfung konkret ergeben?

g) Welche Informationen haben Sie bei der zuständigen Unterbehörde eingeholt?

h) Welche konkreten Ergebnisse sind aus den eingeholten Informationen ableitbar?

 

7.    Die Ereignisse der letzten Monate haben nicht nur Fragen nach der Sicherheit des Öffentlichen Verkehrs in Wien aufgeworfen, sondern auch nach der zurückhaltenden Rolle der für die Sicherheit der Straßenbahnen und U-Bahnen zuständigen Aufsichtsbehörden. Es wäre daher mehr als an der Zeit, die erforderlichen Weichenstellungen für eine Verbesserung der Sicherheit der Straßenbahnen und U-Bahnen unverzüglich in Angriff zu nehmen.

a) Welche konkreten Änderungen sind in der Straßenbahnverordnung vorgesehen, um die ganz offensichtlich bestehenden Sicherheitsmängel in den Griff zu bekommen?

b) Wann wird der Änderungsentwurf für die Straßenbahnverordnung fertig gestellt sein?

c) Wann wird das Begutachtungsverfahren für die Änderungen in der Straßenbahnverordnung eingeleitet werden?