7582/J XXIV. GP

Eingelangt am 03.02.2011
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr.in Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend gefährliche Sicherheitsspielereien an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen

 

 

 

Seit vielen Jahren sind bedeutende Sicherheitsfragen an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen entweder gar nicht oder nur unzureichend gelöst. Das hat auch zu einer entsprechend dramatischen Unfallentwicklung mit im Europa-Vergleich weit überdurchschnittlichen Unfall- und Opferzahlen an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen geführt, ohne dass auf diese Besorgnis erregende Entwicklung in angemessener Weise reagiert worden wäre.

 

Einen besonderen Schwachpunkt in dieser Negativentwicklung stellt die völlig veraltete Eisenbahnkreuzungs-Verordnung (EKVO) aus dem Jahr 1961 dar, die letzte Änderung und Aktualisierung dieser Verordnung erfolgte 1988. Kurz vor Weihnachten 2009 versandte das BMVIT dann überfallsartig und mit einer geradezu aufreizend kurzen Begutachtungsfrist über die Weihnachtsfeiertage einen Entwurf für eine neue Eisenbahnkreuzungs-Verordnung, der für beträchtlichen Wirbel sorgte und von allen begutachtenden Stellen in der Luft zerrissen wurde. Im Wesentlichen hätte gemäß diesem Entwurf vorgeschrieben werden sollen, dass fast 2000 Eisenbahnkreuzungen innerhalb von zehn Jahren mit Schranken und/oder Lichtsignalen technisch aufzurüsten wären. Nach Schätzungen der Betroffenen – verlässliche oder sonstige ernstzunehmende Zahlen aus dem Verkehrsministerium gab es leider nicht – hätten die Vorschriften der neuen Eisenbahnkreuzungs-Verordnung diw Eisenbahn- und Straßenerhalter zwischen zwei und vier Milliarden Euro (!) gekostet bzw. zur Vermeidung dieser extremen Kosten ein bundesweites Zusperrkonzert bei Bahnstrecken geradezu zwingend nach sich gezogen. Nach dem Fiasko im Begutachtungsverfahren ist es um den Entwurf einer neuen Eisenbahnkreuzungs-Verordnung dann aber sehr schnell still geworden.

 

Das bestehende Vakuum für zeitgemäße technische Standards an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen und seine Fortsetzung verleitet allerdings bestimmte Beteiligte dazu, die bestehenden Freiräume auszureizen und an den Eisenbahnkreuzungen eigene Erfindungen umzusetzen. Die „Einsparung“ von Eisenbahnkreuzungen durch Stilllegung der betreffenden Bahnstrecken wie im Jahr 2010 in NÖ im Konsens BMVIT-Land-ÖBB durchgezogen ist nur eine, besonders „billige“ Lösungsidee.

Es geht aber auch viel gefährlicher:


So sollen die Österreichischen Bundesbahnen bereits an einem Konzept basteln, wonach die technische Verlässlichkeit (Verfügbarkeit) von Schrankenanlagen und Blinklichtanlagen (sog. „SIL-Level“) jetzt sogar heruntergeschraubt und stattdessen „tolerierbare Fehlerraten“ (THR – Tolerable Hazard Rates) zugelassen werden sollen.

Damit soll erreicht werden, dass bestimmte Fehler der Schrankenanlage/Blinklichtanlage (Anlage schaltet trotz Zugfahrt nicht ein, Anlage „verliert“ das Haltegebot bevor der Zug die Eisenbahnkreuzung erreicht hat, Anlage „verliert“ das Haltegebot bevor der Zug die Eisenbahnkreuzung verlassen hat usw) künftig bei der technischen Konzeption ganz einfach in Kauf genommen werden.

 

Für die StraßenbenützerInnen bedeutet das, dass sie sich auf das Funktionieren einer Schrankenanlage/Lichtsignalanlage künftig nicht mehr so wie bisher verlassen können – die Wahrscheinlichkeit, dass trotz offenem Schranken oder nicht aufleuchtender Lichtsignalanlage trotzdem ein Zug kommt und StraßenbenützerInnen „abschießt“, wird absichtlich bahnseitig angehoben.

 

Dabei werden teilweise erschreckende „Sicherheitsannahmen“ für eine Absenkung der technischen Verlässlichkeit der Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen (SIL-Level) zugrunde gelegt:

·         So soll beispielsweise über einen „Aversionsfaktor“ berücksichtigt werden, dass es ohnehin „nur“ bei 25 Prozent aller Unfälle auf Eisenbahnkreuzungen „auch zu einem Personenschaden“ kommt, „in 7,5 von 10 Unfällen auf einer Eisenbahnkreuzung bleiben am Unfall beteiligte Personen unverletzt“. In der Logik der Beteiligten bedeutet dieser rein statistische Wert offenbar, dass das Sicherheitsniveau zB um drei Viertel reduziert werden kann.

·         Ein Ausfall der Schrankenanlage/Blinklichtanlage während der Zugfahrt soll keine Rolle mehr spielen, „weil davon ausgegangen werden kann, dass ein Autofahrer normalerweise nicht in einen vor ihm befindlichen Zug hineinfahren wird“. Dass gegenteilige Fälle erwiesenermaßen vorkommen, wird ignoriert.

·         Bei „übersichtlichen Eisenbahnkreuzungen“ wird auch noch angenommen, dass ohnehin „der Triebfahrzeugführer versuchen wird, den Zug vor der Eisenbahnkreuzung anzuhalten“, wenn er „keine Reaktion des Straßenverkehrsteilnehmers beobachtet“. Für die Bremsweglänge des Zuges wird dabei nicht der schlechteste Fall, sondern auch noch ein interpolierter „Überblickswert“ oder ein „Durchschnittswert bei normalen Witterungsverhältnissen und durchschnittlichen Bremswerten“ angenommen.

 

Diese Konzepte lässt sich die ÖBB-Infrastruktur AG als „Anforderer der Risikoanalyse“ praktischerweise auch gleich von ÖBB-internen „Risikomanagern“ in seitenlangen „Risiko Assessment Reports“ absegnen.

 

Die Eisenbahnaufsicht im BMVIT sieht dieser Entwicklung trotz der dramatischen Unfallentwicklung an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen scheinbar tatenlos zu. Es ist daher zu befürchten, dass dieses zu allen offiziellen Zielen der österreichischen Verkehrssicherheitspolitik im Widerspruch stehende Konzept auch noch rasch und ungestört durchgezogen werden kann.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE:

 

1. Sind Sie so wie die Grünen der Auffassung, dass für die Sicherheit der österreichischen Eisenbahnkreuzungen spätestens jetzt rasch eindeutige rechtliche und technische Grundlagen geschaffen werden müssen, insbesondere eine brauchbare Eisenbahnkreuzungs-Verordnung, oder erachten Sie das weiterhin für nicht so wichtig?


2. Falls ja, wann kann mit der Vorlage eines entsprechenden Konzepts (Eisenbahnkreuzungs-Verordnung, technische Durchführungsbestimmungen) gerechnet werden?

 

3. Wie beurteilen Sie die Entwicklung, dass aufgrund des bestehenden Regelungsvakuums für technische Standards an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen jetzt an Konzepten gebastelt wird, wonach die technische Verlässlichkeit (Verfügbarkeit) von Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen (SIL-Level) jetzt sogar heruntergeschraubt und stattdessen „tolerierbare Fehlerraten“ (THR – Tolerable Hazard Rates) zugelassen werden sollen?

 

4. Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 3 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

5. Halten Sie es für zulässig, dass bei Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen zukünftig technische Ausführungen errichtet werden, bei denen sich der Straßenbenützer nicht mehr so wie bisher auf das Funktionieren der Schrankenanlage/Blinklichtanlage verlassen kann?

 

6. Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 5 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

7. In den Risikobewertungen für die technische Verlässlichkeit (Verfügbarkeit) von Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen (SIL-Level) soll auch ein „Aversionsfaktor“ berücksichtigt werden, wonach es ohnehin „nur“ bei 25 Prozent aller Unfälle auf Eisenbahnkreuzungen „auch zu Personenschaden“ kommt.

Halten Sie nach den Unfallbilanzen der letzten Jahre eine neue Sicherheitsphilosophie für vertretbar, wonach man mit Unfällen auf Eisenbahnkreuzungen ruhig großzügiger umgehen kann, weil es ohnehin „nur“ bei jedem vierten Unfall auch zu einem Personenschaden kommt?

 

8. Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 7 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

9. Nach dem „Aversionsfaktor“ soll berücksichtigt werden, dass es ohnehin nur (?!) bei 25 Prozent aller Unfälle auf Eisenbahnkreuzungen „auch zu einem Personenschaden“ kommt.

a)    Ist der beträchtliche Sachschaden, der bei Unfällen an Eisenbahnkreuzungen regelmäßig verursacht wird, mittlerweile gar keine besondere Überlegung mehr wert?

b)    Nimmt man beträchtlichen Sachschaden auf Eisenbahnkreuzungen jetzt in Kauf, um auf der anderen Seite durch eine Absenkung der technischen Verlässlichkeit der Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen sparen zu können?

c)    Wie erklären Sie, dass hier offensichtlich Einsparungen bei der Infrastruktur (Schrankenanlage/Blinkanlage) durch ein höheres Unfallrisiko für Eisenbahnverkehrsunternehmen und Straßenbenützer erkauft werden sollen?

 

10.  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 9 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

11.  Halten Sie nach der Unfallentwicklung und den Unfallbilanzen der letzten Jahre eine neue Sicherheitsphilosophie für vertretbar, wonach ein Ausfall der Schrankenanlage/Blinklichtanlage während der Zugfahrt keine Rolle mehr spielt, „weil davon ausgegangen werden kann, dass ein Autofahrer normalerweise nicht in einen vor ihm befindlichen Zug hineinfahren wird“?


12.  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 11 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

13.  Selbst eisenbahntechnische Laien wissen, dass Bremswege von Schienenfahrzeugen beträchtlich länger sind als Bremswege im Kfz-Verkehr.

a)    Halten Sie nach der Unfallentwicklung der letzten Jahre eine neue Sicherheitsphilosophie für vertretbar, wonach der Triebfahrzeugführer bei „übersichtlichen Eisenbahnkreuzungen“ ohnehin versuchen kann, „den Zug vor der Eisenbahnkreuzung anzuhalten“, wenn er „keine Reaktion des Straßenverkehrsteilnehmers beobachtet“?

b)    Wie vertragen sich derartige Absichten mit den oft mit Millionenaufwand betriebenen Bemühungen, den Verkehr auf Schienenstrecken zu beschleunigen?

c)    Halten Sie nach der Unfallentwicklung der letzten Jahre eine neue Sicherheitsphilosophie für vertretbar, wonach für derartig riskante Annahmen auch noch für die Bremsweglänge des Zuges nur ein interpolierte „Überblickswert“ oder ein „Durchschnittswert bei normalen Witterungsverhältnissen und durchschnittlichen Bremswerten“ angenommen wird?

 

14.  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 13 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

15.  Offensichtlich wird im Zusammenhang mit SIL-Levels und THR an Eisenbahnkreuzungen so vorgegangen, dass sich die ÖBB-Infrastruktur AG als „Anforderer der Risikoanalyse“ praktischerweise auch gleich von ÖBB-internen „Risikomanagern“ in „Risiko Assessment Reports“ die oben angeführten Sicherheitsannahmen als geeignet absegnen lässt.

a)    Wie sehen Sie diese Vorgangsweise der Selbstausstellung von Unbedenklichkeitserklärungen?

b)    Gehen Sie davon aus, dass eine derartige Vorgehensweise, nämlich die Selbstausstellung von Unbedenklichkeitserklärungen, bei Unfallereignissen vor Gericht halten kann?

 

16.  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 15 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?