7803/J XXIV. GP

Eingelangt am 01.03.2011
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A  N  F  R  A  G  E

 

der Abgeordneten Mag. Ewald Stadler,

Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend aktenwidrige, unrichtige und willkürliche Annahmen der Staatsanwaltschaft Wien

 

Zu dem für diese Anfrage maßgeblichen Sachverhalt wird zunächst auf die Präambel zur parlamentarischen Anfrage XXIV.GP.-NR 7724/J vom 22.02.2011 verwiesen und ferner wie folgt ausgeführt:

Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien vom 02.02.2011 wurde ein neuerliches Auslieferungsbegehren gegen den Erstunterzeichner an das Präsidium des Nationalrates gerichtet. Demnach bestehe gegen den Erstunterzeichner der Verdacht des Vergehens der falschen Zeugenaussage nach § 288 Abs. 1 StGB weil er in einem Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen in Wien zu GZ 94 Hv 18/07 s falsch ausgesagt habe, indem er angegeben habe, 1.) die dort verfahrensgegenständlichen Lichtbilder "nach Weihnachten" bzw. "kurz nach oder zu Weihnachten" erhalten zu haben, obwohl "er sie tatsächlich bereits am 08.12.2006 dem Abgeordneten zum Nationalrat Werner NEUBAUER gezeigt hatte und sohin spätestens an diesem Tag erhalten haben musste;"; und 2.) "(ausschließliche) Motivation für die Weiterleitung der Lichtbilder an den Abgeordneten zum Nationalrat i.R. Mag. Hilmar Kabas sei – sinngemäß – gewesen, eine ordnungsgemäße Aufarbeitung derselben zu erreichen".

Abgesehen von dem Umstand, dass einerseits die Frage, wann der Erstunterzeichner die dort verfahrensgegenständlichen Lichtbilder (die sogenannten "Strache-Fotos") im Prozess Heinz-Christian Strache gegen die Tageszeitung "Österreich" keine entscheidungsrelevante Rolle spielte und andererseits auch die Frage, mit welcher Motivation er die Weiterleitung dieser Fotos an den damaligen FPÖ-Bürgeranwalt Mag. Hilmar Kabas für den dort gegenständlichen Prozess irrelevant war, ist die behauptete Tatsächlichkeitsfeststellung der Staatsanwaltschaft Wien aktenwidrig und offenkundig unrichtig.

Der Zeuge Werner NEUBAUER hat in seiner Einvernahme vor der Staatsanwaltschaft Wien (vgl. ON 9 in AZ 501 St 104/10 h) am 20.10.2010 mit keiner einzigen Silbe erklärt, dass er die fraglichen Fotos/Lichtbilder am 08.12.2006 gezeigt bekommen habe, wie die Staatsanwaltschaft in ihrem Auslieferungsbegehren als feststehende Tatsache unrichtig vorbringt. Vielmehr sagte der Zeuge NEUBAUER zunächst, er sei "etwa Mitte Dezember 2006" vom Erstunterzeichner angerufen und um ein persönliches Treffen ersucht worden. Man hätte sich dann "einige Tage später" in einem Hotel im Salzkammergut getroffen.

Wenn der Begriff "etwa Mitte Dezember 2006" im Zusammenhang mit der Ausführung "einige Tage später" interpretiert wird, kann nach den Regeln des allgemein gebräuchlichen Kalenders unmöglich der von der Staatsanwaltschaft angenommene 08.12.2006 resultieren. Das Vorbringen der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Nationalrat ist daher aus diesem Grunde bereits aktenwidrig.

Nachdem der Zeuge NEUBAUER in seiner Einvernahme vom 20.10.2010 mit dem Vorhalt der Seiten 49 ff in ON 2 ("Strache-Buch") zum 08.12.2006 konfrontiert wurde, gab er an, dass die dortigen Angaben "grundsätzlich richtig sind". In dem als ON 2 im Akt der Staatsanwaltschaft zu GZ 501 St 104/10h einliegenden "Strache-Buch" wird unter der fettgedruckten Überschrift "8. Dezember 2006" wie folgt ausgeführt:

"Das Telefon des freiheitlichen Nationalratsabgeordneten Werner Neubauer klingelt. Stadler sagt: "Ich möchte dir was zeigen." Neubauer ist damals noch ein enger Freund Stadlers. Sie treffen einander um 14 Uhr im Landhotel und Gasthof "Drei Eichen" in Eugendorf in Salzburg. An das exakte Datum kann sich Neubauer nicht erinnern. Auch der 16. Dezember scheint möglich."

Der Zeuge NEUBAUER hat daher weder in seiner zeugenschaftlichen Einvernahme noch bei seinen Angaben im "Strache-Buch" jemals die Behauptung aufgestellt, ihm seien am 8. Dezember 2006 die fraglichen Lichtbilder vom Erstunterzeichner gezeigt worden.

Auch vor diesem Hintergrund kann eine sachliche Würdigung des – sogar nach der Aussage des Zeugen NEUBAUER nur "grundsätzlich richtigen" – Buchtextes keine feststehende Behauptung ableiten, wie sie die Staatsanwaltschaft Wien in ihrem Vorbringen gegenüber dem Nationalrat im Auslieferungsbegehren vom 02.02.2011 als Tatsachenbehauptung ausgeführt hat.

Die Tatsachenannahme der Staatsanwaltschaft Wien in ihrem an den Nationalrat gerichteten Auslieferungsbegehren ist daher nicht nur aktenwidrig und unrichtig, sondern auch willkürlich und von dem offenkundigen Bemühen getragen, irgendein Strafverfahren gegen den Erstunterzeichner zustande zu bringen.

Im Übrigen wird in einer Strafanzeige, welche vom Erstunterzeichner am 11. Februar 2011 bei der Staatsanwaltschaft Wien gegen den Verdächtigen Werner NEUBAUER wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 288 StGB eingebracht wurde, minutiös nachgewiesen, dass die Aussagen des Zeugen NEUBAUER gar nicht stimmen, sondern dass sich der Zeuge NEUBAUER mit dem Erstunterzeichner weder am 08. Dezember 2006, noch Mitte Dezember 2006, noch einige Tage später im Dezember 2006, noch am 16. Dezember 2006, sondern vielmehr am 05. Jänner 2007 im Landhotel "Gschirnwirt" in Eugendorf bei Salzburg, ab 15 Uhr getroffen hat, wobei ihm dort erst die fraglichen Lichtbilder gezeigt wurden. Diese Strafanzeige müsste zwischenzeitlich zu GZ 501 St 104/10h im Akt liegen.

Angesichts dieser Umstände ist völlig unergründlich, wie die Staatsanwaltschaft Wien zum Verdacht der falschen Zeugenaussage des Erstunterzeichners im Verfahren GZ 94 Hv 18/07s gelangen konnten.

Da die Staatsanwaltschaft Wien in ihrem Auslieferungsbegehren an das Präsidium des Nationalrates vom 02.02.2011 zunächst keinen Akt angeschlossen hatte, hat der zuständige Fachreferent der Parlamentsdirektion, Mag. David LORETTO, bei der zuständigen Staatsanwältin einen Akt urgiert und hierauf von ihr eine Buchseite des "Strache-Buches" übermittelt erhalten. Am 18.02.2011 hat der Fachreferent der Parlamentsdirektion sodann in einem E-Mail an den zwischenzeitlich sachbearbeitenden Staatsanwalt Mag. Hans-Peter KRONAWETTER die Aufforderung gerichtet, dem Nationalrat jene Unterlagen vorzulegen, aus denen ein Widerspruch zum gegenständlichen Buchzitat hervorgehen soll um den Verdacht der Falschaussage zu begründen. Hierauf erhielt der Nationalrat von Mag. KRONAWETTER die Zeugenaussage des Erstunterzeichners vom 23.08.2007 im Verfahren GZ 94 Hv 18/07s.

Staatsanwalt Mag. KRONAWETTER ist aufgrund der Geschäftsverteilung der Staatsanwaltschaft Wien, GZ Jv 533/11f, in der Fassung der ersten Änderung per 01.02.2011, der zuständige Vertreter der ermittelnden Staatsanwältin. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem Erstunterzeichner und der Staatsanwaltschaft Wien, insbesondere gegenüber dem Staatsanwalt Mag. KRONAWETTER, wird nochmals auf die Ausführungen in der Präambel zur parlamentarischen Anfrage XXIV.GP.-NR 7724/J verwiesen.

Nach Prüfung des Auslieferungsbegehrens durch die Parlamentsklubs der im Nationalrat vertretenen Fraktionen erging seitens der Klubs das Ersuchen an den Vorsitzenden des Immunitätsausschusses, Abgeordneten zum Nationalrat Wolfgang GROSSRUCK, an die Staatsanwaltschaft Wien ein Schreiben mit folgendem Inhalt zu richten:

"Gemäß Art. 57 Abs. 3 B-VG ist der Nationalrat berufen, aufgrund eines Ersuchens einer Behörde die Zustimmung zur behördlichen Verfolgung eines Abgeordneten zum Nationalrat zu erteilen.

Aufgrund des Ersuchens der Staatsanwaltschaft Wien vom 2. Februar 2011, 501 St 104/10h, und den darin dargelegten Umständen sowie der auf mehrfache Urgenz der Parlamentsdirektion übermittelten Unterlagen ist dem Nationalrat eine Feststellung über das Bestehen eines Zusammenhanges zwischen der inkriminierten strafbaren Handlung und der politischen Tätigkeit des Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Ewald Stadler im Sinne des Art. 57 Abs. 3 B-VG nicht möglich.

Daher kann das Ersuchen der Staatsanwaltschaft Wien vom 2. Februar 2011 nicht in geschäftsordnungs- und verfassungsmäßig vorgesehene Behandlung genommen werden.

Ich ersuche daher um die Übermittlung eines den Sachverhalt in hinreichender Ausführung darstellenden Ersuchens gemäß Art. 57 Abs. 3 B-VG, das eine geschäftsordnungs- und verfassungsmäßige Erledigung durch den Nationalrat ermöglicht."

Als zusätzliche "Pointe" führt die Staatsanwaltschaft Wien im Auslieferungsbegehren vom 02.02.2011 noch wie folgt aus:

"Die Staatsanwaltschaft Wien beehrt sich anzufragen, ob im Sinne des Art. 57 Abs. 3 B-VG eine Entscheidung des Nationalrates erfolgt, nach welcher das Verfahren gegen den Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Ewald Stadler einzustellen ist,".

Vor dem Hintergrund des aufgezeigten Sachverhaltes stellen daher die unterzeichnenden Abgeordneten an die Frau Bundesministerin für Justiz nachstehende

 

Anfrage

1. Was werden Sie gegen die erkennbare Absicht von Vertretern der Staatsanwaltschaft Wien unternehmen, den Erstunterzeichner willkürlich in ein gegen ihn gerichtetes Strafverfahren einbeziehen zu wollen?

2. Welche Folgen hat die offenkundig aktenwidrige und unrichtige Tatsachenbehauptung der Staatsanwaltschaft Wien gegenüber dem österreichischen Nationalrat im oben beschriebenen Auslieferungsbegehren?

3. Kann vor diesem Hintergrund nach Ihrer Einschätzung noch von einem unbefangenen, unparteiischen und sachlichen Ermittlungsverfahren gegen den Erstunterzeichner gesprochen werden? (Der Erstunterzeichner wird deshalb einen Übertragungsantrag gemäß § 28 StPO an die Oberstaatsanwaltschaft Wien richten.)

4. Wieviel freie Personalkapazität hat die Staatsanwaltschaft Wien, um jenen in der parlamentarischen Anfrage 7724/J und in dieser parlamentarischen Anfrage beschriebenen autochthon erzeugten Verwaltungs- und Ermittlungsaufwand zur eigenen Beschäftigung leisten zu müssen, dies vor dem Hintergrund der in der Öffentlichkeit immer wieder behaupteten Personalknappheit und Überlastungen bei den Staatsanwaltschaften?

5. Wie bewerten Sie den Umstand, dass der Nationalrat, vertreten durch den Obmann des Immunitätsausschusses, zum ersten Mal in seiner Geschichte einer Staatsanwaltschaft gegenüber erklären muss, mit dem vorgebrachten Sachverhalt das gestellte Auslieferungsbegehren vom 02.02.2011 gar nicht in eine geschäftsordnungs- und verfassungsmäßig vorgesehene Behandlung nehmen zu können?

6. Wie bewerten Sie das Ersuchen der Staatsanwaltschaft Wien, dass der Nationalrat entscheiden soll, ob das Verfahren gegen den Erstunterzeichner eingestellt werden soll, dies vor dem Hintergrund Ihrer eigenen jüngsten Erlässe in Immunitätsangelegenheiten an die Staatsanwaltschaften, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die ersuchende Staatsanwältin sogar für einen diesbezüglichen Spezialbereich zuständig ist?