9001/J XXIV. GP

Eingelangt am 07.07.2011
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Roman Haider

und weiterer Abgeordneter

 

an die Bundesministerin für Finanzen

betreffend das TARGET2-System

 

 

In der Anfragebeantwortung 8257/AB zur Anfrage 8356/J betreffend die Summe der Nettoforderungen der Oesterreichischen Nationalbank gegenüber anderen Notenbanken und ausländischen Kreditinstituten im Euroraum schreiben Sie:

 

Zu 1. – 6.:

Nein; die OeNB gewährt im Rahmen des intraeuropäischen Zahlungsausgleiches keine Kredite an andere Notenbanken. Das TARGET2-System ist ein Zahlungsverkehrssystem, das für eine reibungslose Verteilung von Euroliquidität in Europa sorgt, Kredite werden nicht vergeben. Aus der Teilnahme am Zahlungsverkehrssystem TARGET2 für die OeNB resultiert täglich ein Verrechnungssaldo gegenüber der EZB, der in der OeNB-Bilanz ausgewiesen wird.

(…)

Die OeNB gewährt im Rahmen des intraeuropäischen Zahlungsausgleiches auch keine Kredite an ausländische Kreditinstitute.“

 

Das Münchener IFO-Institut definiert in seiner Publikation „Ifo Working Paper No. 105“ vom 24. Juni 2011 im Gegensatz zu Ihnen das Target2-System nicht nur als Zahlungsverkehrssystem zur reibungslosen Verteilung von Euroliquidität in Europa, sondern als eigenes Kreditsystem:

 

 „Offiziell heißen diese Kredite Target-Salden, aber es waren,( …), tatsächlich Kredite, die ökonomisch mit kurzfristigen Eurobonds vergleichbar sind und einen fiskalischen Charakter hatten. So hatte Deutschland bis zum Jahresende 2010 für 326 Milliarden Euro Forderungen gegen das Eurosystem aufgebaut, und die aggregierten Verbindlichkeiten der GIPS-Länder, also Griechenlands, Irlands, Portugals und Spaniens, gegen das Eurosystem lagen bei 340 Milliarden Euro. (…) Allein Irland hatte für 142 Milliarden Euro Verbindlichkeiten angehäuft und Griechenland für 87 Milliarden Euro. Da die Notenbanken Europas nach wie vor den Nationalstaaten gehören und nur bestimmte Aktivitäten auf die von ihnen gemeinsam gegründete Europäische Zentralbank verlagert haben, sind die Target-Salden zugleich Forderungen und Verbindlichkeiten der jeweiligen Nationalstaaten. Sie werden zum Hauptrefinanzierungssatz der EZB verzinst, zu dem die Geschäftsbanken Kredite in Form neu geschaffenen Geldes von der EZB erwerben können. Die Target-Salden blieben lange Zeit unerkannt, weil sie in der Bilanz der EZB nicht verbucht sind. Sie sind aber, wenn auch etwas versteckt, in den Bilanzen der nationalen Notenbanken enthalten. Man kann sie aus den veröffentlichten Zahlenwerken rekonstruieren. Außerdem finden sie sich in der Zahlungsbilanzstatistik wieder. Dort werden sie als Stromgröße in der Kapitalverkehrsbilanz unter der Position „Übriger Kapitalverkehr mit dem Ausland“ der jeweiligen nationalen Notenbank und als Bestandsgröße in der Auslandsposition der jeweiligen nationalen Notenbank als „Forderung/Verbindlichkeit innerhalb des Eurosystems“ ausgewiesen.

Viele meinen, bei den Target-Salden handle es sich um normale Begleiterscheinungen des Eurozahlungssystems, wie sie nun einmal in einem Währungssystem auftauchen. Diese Einschätzung wird schon durch die Dramatik der Entwicklung, (…), widerlegt. Offenbar wuchsen die Target-Salden erst ab Mitte 2007, als der Interbankenmarkt in Europa das erste Mal zusammengebrochen war. Vorher waren sie nahe null. So lag der deutsche Saldo im Jahr 2006 nur bei etwa 5 Milliarden Euro. Bemerkenswert ist, dass es eine weitgehende, wenn auch nicht perfekte Korrelation zwischen dem Anstieg der deutschen Target-Forderungen und dem Anstieg der Verbindlichkeiten der GIPS-Staaten gab. Es waren auch noch andere Länder involviert, aber sie waren, (…), von geringerer Bedeutung. Auf der Seite der Kreditgeber stechen noch Luxemburg und die Niederlande und unter den Kreditnehmern Frankreich und Österreich hervor. Der Kern des Geschehens liegt offenbar bei den GIPS-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland. (…)

 

Der Umfang der über das Target-System geflossenen Kredite Deutschlands (und der anderen Länder mit positiven Target-Salden) an die GIPS-Länder übersteigt die bislang an die Krisenländer gezahlten offiziellen Hilfsmittel durch die Länder der EU bei weitem. Bis Mai 2011 erhielt Griechenland im Rahmen der im April 2010 vereinbarten Greek Loan Facility 38 Milliarden Euro; Irland nahm bislang Finanzmittel im Rahmen des European Financial Stabilisation Mechanism und der European Financial Stability Facility in Höhe von 11,7 Milliarden Euro in Anspruch.  Selbst wenn alle zur Verfügung stehenden Kredite, die sich einschließlich des im Mai 2011 für Portugal vereinbarten Hilfspakets auf 172 Milliarden Euro belaufen, ausbezahlt würden, wären die offiziell von der Staatengemeinschaft beschlossenen Unterstützungskredite nur halb so hoch wie die über das Zahlungssystem der Zentralbanken bereitgestellten Kredite.“ (Ifo Working Paper No. 105; Seite 4ff).

 

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Finanzen folgende

 

Anfrage

 

1.    Pflichten Sie der Ansicht bei, wonach die Target2-Salden als Kredite definiert werden und wenn nein, warum nicht?

2.    Pflichten Sie der Ansicht bei, wonach die Target2-Salden „mit kurzfristigen Eurobonds vergleichbar sind und einen fiskalischen Charakter“ haben und wenn nein, warum nicht?


3.    Wie beurteilen Sie die Aussage, wonach „die offiziell von der Staaten-gemeinschaft beschlossenen Unterstützungskredite nur halb so hoch wie die über das Zahlungssystem der Zentralbanken bereitgestellten Kredite“ seien?

4.    Pflichten Sie der Ansicht bei, wonach die „Rettungsmaßnahmen“ wie Greek Loan Facility, European Financial Stabilisation Mechanism und European Financial Stability Facility auch dazu dienen, die von der Deutschen Bundesbank aufgebauten Forderungen (und somit das Ausfallsrisiko) von rd. 326 Milliarden Euro zu reduzieren und auf die übrigen Euro-Länder zu verteilen und wenn nein, warum nicht?

5.    Wie erklären und beurteilen Sie die Tatsache, dass Österreich zu den Kreditnehmern des Target-Systems zählt?

6.    Pflichten Sie der Ansicht bei, wonach die „Rettungsmaßnahmen“ wie European Financial Stabilisation Mechanism und European Financial Stability Facility auch deshalb beschlossen wurden, da davon ausgegangen wird, dass das System der Target2-Kreditvergabe nur bis spätestens 2013 aufrecht zu erhalten gewesen wäre und wenn nein, warum nicht?