9906/J XXIV. GP

Eingelangt am 18.11.2011
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr.in Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

 

betreffend "Eisenbahnkreuzungs-Sicherheit als Familienbetrieb?! Verschleppte Lösungen und bemerkenswerte Einzelentscheidungen im BMVIT"

 

 

Seit vielen Jahren und immer dringender wird von Straßen- wie Eisenbahn-Fachleuten ebenso wie von den Grünen eine zeitgemäße Eisenbahnkreuzungs-Verordnung (EKVO) gefordert. Die immer noch geltenden Bestimmungen sind mehr als fünfzig Jahre alt und entsprechen weithin nicht einmal mehr annähernd aktuellen Sicherheitsstandards.

Trotz dramatischer Unfallereignisse an österreichischen Eisenbahnkreuzungen gibt es hier im BMVIT überhaupt keine erkennbare Weiterentwicklung: Die letzte Änderung der EKVO erfolgte 1988, seither sind alle Versuche zeitgemäßer Anpassung danebengegangen.

Besonders blamabel scheiterten die Beauftragten im BMVIT an dieser Frage in den letzten drei Jahren: So schickte das BMVIT im Dezember 2009 kurz vor Weihnachten überfallsartig einen Entwurf für eine neue Eisenbahnkreuzungsverordnung in Begutachtung, der für beträchtlichen Wirbel sorgte. Nach übereinstimmender Reaktion aller Beteiligten wurden die neuen Regelungen ganz einfach ohne Diskussion mit den Betroffenen - Eisenbahnen und Straßenerhaltern - ausgesendet, die finanzielle Absicherung für die neuen Bestimmungen wurden vorher nicht einmal andiskutiert, obwohl dieser Entwurf vorgeschrieben hätte, fast 2000 Eisenbahnkreuzungen innerhalb von zehn Jahren mit Schranken und/oder Lichtsignalen technisch aufzurüsten. Nach Schätzungen der Betroffenen – belastbare Zahlen aus dem Verkehrsministerium gab es nicht – hätte dieses „Konzept“ die Eisenbahnunternehmen und Straßenerhalter zwischen zwei und vier Milliarden Euro gekostet. Den Nutzen in gleicher Höhe hätten einzelne Unternehmen der Sicherungsbranche und die Bauwirtschaft gehabt.

 

Nach dem logischen Fiasko beim folgenden Begutachtungsverfahren wurde der Entwurf vom BMVIT vorsichtshalber eingemottet, offiziell wurde bei Nachfragen eine „Auswertung“ und „Einarbeitung“ der Stellungnahmen behauptet, der eine „breite Diskussion aller Betroffenen“ folgen werde. Wohl kaum als Ergebnis einer „breiten Diskussion“ wurde im Mai 2011 neuerlich ein Entwurf versendet, der sich kaum vom Erstentwurf unterschied – abgesehen davon, dass die gleichen Maßnahmen wie im 2009er-Entwurf jetzt plötzlich auf nur mehr ein Zehntel der Kosten heruntergerechnet wurden.

Während sich die einschlägige Bahnindustrie in Erwartung der erzwungenen, immer noch ansehnlichen Aufträge erneut die Hände rieb, ließen sich einige Bundesländer als zahlende Straßenerhalter das aufreizende Zahlenlotto nicht mehr bieten und hatten daher den Konsultationsmechanismus eingeleitet.


Nach diesem neuerlichen Fiasko musste BMVIT-seitig offenbar ein weiteres Mal die Notbremse gezogen werden, daher findet wieder einmal die bewährte „Auswertung der Stellungnahmen“ statt, die sich offenbar bis ins Jahr 2012 hinein schleppen soll.

 

Es geht aber auch anders: Während das BMVIT seit dem Jahr 2009 hartnäckig, und zur Freude der einschlägigen Bahnindustrie, milliardenschwere Investitionsverpflichtungen für alle österreichischen Eisenbahnkreuzungen durchdrücken möchte, wird vom BMVIT in ausgewählten Einzelfällen auch gerne in die genaue Gegenrichtung vorgegangen!

 

Bereits im Jahr 2007 ist im Zuge des Genehmigungsverfahrens für das Schienen-Großprojekt Lainzer Tunnel unangenehm aufgefallen, dass gleich zwei Söhne des zuständigen BMVIT-Abteilungsleiters W. in der heißen Phase des Verfahrens zeitnah zu den entscheidenden Tunnelgenehmigungen des BMVIT als Techniker bzw. Jurist jeweils gut dotierte Posten bei der damaligen ÖBB-Infrastruktur Bau AG angetreten haben (vgl. Parl. Anfragen XXIII.GP). Zur Erinnerung: Die Genehmigungen für den Lainzer Tunnel wurden vom Verwaltungsgerichtshof wiederholt aufgehoben, vom BMVIT jedoch den Anträgen der ÖBB „wunschgemäß“ entsprechend immer wieder neu erteilt. Seitens des BMVIT wurde zu den Hinweisen auf zeitnahe „familiäre Karrieresprünge“ der Söhne von W. immer wieder nur zaghaft auf Zufall plädiert, flankiert von anderen ausweichenden, nicht den NR-GOG-Vorgaben entsprechenden Angaben in den Anfrage-Beantwortungen.

 

Am 20.7.2011 legte nun das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung mit Bescheid fest, dass die Eisenbahnkreuzung in Bahnkilometer 30,9 der ÖBB-Strecke Schwechat-Wolfsthal in Haslau-Maria Ellend, die derzeit nur durch ein sog. „Sichtraumdreieck“ gesichert ist, künftig mit einer Lichtzeichenanlage gesichert werden müsse (vgl. RU6-E-2600/003-20081, 20.7.2011).

Anlass für die Überprüfung war unter anderem ein tödlicher Verkehrsunfall an dieser Eisenbahnkreuzung. Vom Verkehrssachverständigen wurden auch Probleme bei der Sichtbarkeit der Schienenfahrzeuge festgestellt, besondere Sicherheitsbedenken bestanden für Nebel, Regen und sonstiges Wetter mit schlechter Sicht.

Nach den einleitend kurz in Erinnerung gerufenen, seit Jahren vom BMVIT gepushten Entwürfen für eine neue Eisenbahnkreuzungs-Verordnung hätte dies geradezu ein Vorzeigefall für die vom BMVIT immer wieder postulierte technische Aufrüstung von gefährlichen Eisenbahnkreuzungen sein müssen!

Es kam aber überraschend ganz anders:

Nach einer Berufung der ÖBB-Infrastruktur AG, gefertigt vom ÖBB-Juristen W. Junior, in der die witterungsbedingten Sichteinschränkungen als unerheblich („nicht relevant“) wegargumentiert wurden, wurde der Bescheid des Landeshauptmanns bereits ein Monat später vom BMVIT mit Bescheid von Abteilungsleiter W. Senior ruck-zuck wiederum aufgehoben. Es darf somit die Sicherung mit Sichtraumdreieck, die bei der Überprüfung des Landeshauptmanns ganz klar als nicht ausreichend festgestellt wurde, mit Unterstützung des BMVIT weiterhin beibehalten werden (vgl. GZ BMVIT-265.265/0010-IV/SCH2/2011 vom 30.9.2011), zum finanziellen Vorteil des Unternehmens von W. Junior.

 

Abgesehen davon, dass der Landeshauptmann von Niederösterreich in seinem Bemühen um eine sichere Eisenbahnkreuzung hier vom BMVIT geradezu düpiert wurde, stellt es wohl ein eigenartiges Signal dar, dass das BMVIT einerseits mit wiederholten Verordnungsentwürfen eine milliardenschwere technische Generalaufrüstung von fast 2000 Eisenbahnkreuzungen erzwingen will, dass dann aber gerade bei offensichtlich gefährlichen Eisenbahnkreuzungen mit tödlichen Unfällen im „Doppelpass“ von W. Junior und W. Senior gegen die Unterbehörden genau das Gegenteil durchgeboxt wird.

 

Die sehr bedenkliche Optik einer „familieninternen Angelegenheit“ der Familie W., nämlich Berufungsantrag vom ÖBB-Sohn und Berufungsentscheidung vom BMVIT-Vater, wird noch dadurch verstärkt, dass Vater W. im BMVIT auch noch für die superstrengen Entwürfe für die neue Eisenbahnkreuzungs-Verordnung an vorderster Front verantwortlich ist: Sowohl die technischen als auch die rechtlichen Regelungen für diese Entwürfe im Interesse einzelner Branchen und Lieferanten wurden und werden in der von ihm geleiteten Abteilung formuliert.


Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.         Nach dem Fiasko bei den Begutachtungsverfahren für die neue EKVO im Dezember 2009 und im Mai 2011 wäre die nun schon jahrelang angekündigte „Auswertung der Stellungnahmen“ überfällig.

a)  Ist die Auswertung der Stellungnahmen endlich abgeschlossen?

b)  Falls ja, welches Ergebnis hat die Auswertung der Stellungnahmen ergeben?

c)  Falls nein, bis wann wird die Auswertung der Stellungnahmen endlich abgeschlossen sein?

 

2.         Ein wesentlicher Grund für das Scheitern der bisherigen Verordnungsentwürfe war die mangelhafte bis fehlende Kommunikation mit den Beteiligten, die immer wieder angekündigte „breite Diskussion“ fand bis jetzt ganz offensichtlich nicht bzw. nicht im nötigen Ausmaß statt.

a)  Hat die „breite Diskussion“ mit allen Beteiligten, also zumindest mit den Eisenbahnen und Straßenerhaltern, endlich stattgefunden?

b)  Falls ja, was hat diese Diskussion ergeben und welche Änderungsvorschläge wurden daraufhin eingearbeitet?

c)  Falls nein, bis wann wird die „breite Diskussion mit allen Beteiligten“ endlich in der nötigen Qualität stattfinden?

 

3.         Ein weiterer wesentlicher Grund für das Scheitern bisheriger Entwürfe war die völlig ungeklärte Kostenfrage (anfallende Kosten, Aufteilung der Kosten) und das damit ausgelöste Misstrauen bei allen Beteiligten. Angesichts der um das x-fache variierenden Kostenangaben ergibt sich der Eindruck, dass bisher vom BMVIT nicht einmal die Größenordnung der Kosten annähernd festgemacht werden konnte.

a)  Konnten die Kosten für die angestrebten Maßnahmen und deren Aufteilung endlich einvernehmlich geklärt werden?

b)  Falls ja, welche Kosten wurden einvernehmlich ermittelt und welche Aufteilung wurde festgelegt?

c)  Falls nein, bis wann werden Ermittlung der Kosten und Aufteilung endlich geklärt?

 

4.         Welche Unternehmen aus der Sicherungsindustrie würden von einer Umsetzung der bisherigen, mit auffälliger Hartnäckigkeit ein ums andere Mal von bestimmten Stellen im BMVIT betriebenen EKVO-Änderungs-Entwürfe konkret profitieren?

 

5.         Aufgrund der Kostenannahmen im Entwurf Mai 2011 haben einige Bundesländer sogar den Konsultationsmechanismus eingeleitet.

a)  Konnte der Konflikt mit den Bundesländern über die Kosten des Entwurfs bereits bereinigt werden?

b)  Falls ja, welche Regelung wurde getroffen?

c)  Falls nein, welche Lösung wird angestrebt?

 

6.         Das jahrelange Desaster bei der Erstellung der Eisenbahnkreuzungs-Verordnung kann wohl nicht nur an den zuständigen Bearbeitern alleine liegen. Insbesondere die mangelhafte Abstimmung mit den Beteiligten ist ganz offensichtlich auch ein Problem des internen Managements im BMVIT.

a)  Welche Verbesserungen im internen Management des BMVIT sind – insbesondere im Eisenbahnbereich – vorgesehen, damit sich die Umsetzung wichtiger Sicherheitsvorschriften nicht auch zukünftig jahrelang dahinschleppt?

b)  Bis wann werden diese Verbesserungen umgesetzt?


7.         Zwei Söhne des für Eisenbahnrechts-Genehmigungen zuständigen Abteilungsleiters sind in maßgeblichen Positionen bei der ÖBB-Infrastruktur AG tätig. In seinerzeitigen Anfragen hat das BMVIT dies immer als völlig unbedenklich eingestuft.

a)  Haben Sie seinerzeit überprüft, ob die positiven Genehmigungsbescheide für den Lainzer Tunnel an die ÖBB einerseits und die zeitnahe Aufnahme der beiden Söhne des zuständigen Abteilungsleiters W auf gut dotierte Posten bei den ÖBB andererseits in einem völlig unbedenklichen Verhältnis zueinander stehen?

b)  Falls ja, was hat diese Überprüfung ergeben?

c)  Falls sich ein Persilschein ergeben haben sollte: Wie erklären Sie dies angesichts der damals und seitdem, zB in dieser Anfrage, dokumentierten Fakten?

d)  Falls keine Überprüfung erfolgte, wird diese Prüfung wenigstens jetzt nachgeholt?

 

8.         Abteilungsleiter W. Senior ist für die mehr oder weniger milliardenschweren Entwürfe für die neue EKVO zuständig, mit denen eine flächendeckende technische Sicherung von Eisenbahnkreuzungen erzwungen werden soll, und trifft zugleich Einzelentscheidungen über Eisenbahnkreuzungen, in denen das genaue Gegenteil dieser BMVIT-Linie durchgeboxt wird. Dies verstärkt den Eindruck, dass es bei der Sicherheit an Eisenbahnkreuzungen keine einheitliche BMVIT-Linie gibt.

Wie wird sichergestellt, dass seitens des BMVIT hier künftig eine einheitliche Linie vorgegeben und vollzogen wird?

 

9.         Einer der beiden Söhne des für eisenbahnrechtliche Genehmigungen zuständigen Abteilungsleiters W. stellt mittlerweile als Bevollmächtigter der ÖBB direkt Anträge beim BMVIT. Berufungsanträge des ÖBB-Sohnes W. werden dann, wie der Fall in Haslau-Maria Ellend zeigt, gleich von BMVIT-Papa W. antragsgemäß mit Bescheid erledigt.

a)  War Ihnen dieser Vorgang bekannt – falls nein wieso nicht?

b)  Halten Sie es für unbedenklich, wenn sich – noch dazu durch tödliche Unfälle ausgelöste, also nicht ganz unerhebliche! – eisenbahnrechtliche Verfahren in Ihrem Hause praktisch innerhalb einer Familie (Sprösslings Berufungsantrag, Vaters Berufungsentscheidung) abspielen?

c)  Ist beabsichtigt, dieses System fortzusetzen oder auf weitere Felder der Ministerialbürokratie oder des Eisenbahnwesens auszudehnen?

 

10.      Aufgrund der überraschenden Berufungsentscheidung des BMVIT gegen eine technische Sicherung der Eisenbahnkreuzung in Bahnkilometer 30,9 der ÖBB-Strecke von Schwechat nach Wolfsthal in Haslau-Maria Ellend wird es dort weiterhin nur ein „Sichtraumdreieck“ geben.

a)  Wird das BMVIT im Sinne der überraschenden Berufungsentscheidung gegen den Landeshauptmann von Niederösterreich auch die volle Verantwortung übernehmen, wenn es auf der Eisenbahnkreuzung noch einmal kracht, womöglich mit schweren Personenschäden wie zuletzt?

b)  Sieht das BMVIT Probleme bei der Sichtbarkeit der Schienenfahrzeuge sowie bei Nebel, Regen und unsichtigem Wetter als nicht so wichtig an?

c)  Gilt das für alle Eisenbahnkreuzungen in Österreich oder nur für diese eine in Haslau-Maria Ellend?

 

11.      Für die Karriere von W. Junior bei den ÖBB kann es wohl nur von Vorteil sein, wenn die von ihm gestellten Berufungsanträge beim BMVIT so glatt durchgehen.

a)  Halten Sie die Rolle von W. Senior im BMVIT aus der Sicht einer womöglichen Befangenheit für völlig unbedenklich?

b)  Können Sie ausschließen, dass hier im Einzelfall womöglich unzulässige Vorteile zugewendet wurden?

c)  Falls ja, auf Basis welcher konkreten Veranlassungen durch wen?

d)  Falls nein, was werden Sie unternehmen?