11022/J XXIV. GP

Eingelangt am 15.03.2012
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Petra Bayr und GenossInnen

an den Bundesminister an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend betreffend bilateraler Investitionsschutzabkommen.

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde am 1. Jänner 2009 die Kompetenz für ausländische Direktinvestitionen von der nationalen auf die EU-Ebene verlagert. Nichts desto trotz wird die Regierung auch in Hinblick auf bilaterale Investitionsschutzabkommen (BITs) mit Drittstaaten verhandeln und dem Parlament zur Ratifizierung vorlegen, wenn keine expliziten europäischen Interessen für solche Verhandlungen vorliegen. Es ist davon auszugehen, dass die Europäische Kommission mit großen Handelspartnern und Schwellenländern Freihandelsabkommen mit Investitionsschutzkapiteln verhandeln wird. Doch die Mehrzahl der Vertragspartner, mit denen Österreich bilaterale Investitionsschutzabkommen abgeschlossen hat, sind Transformationsländer, wirtschaftlich weniger entwickelte Länder oder Länder in für die österreichische Wirtschaft interessanten Regionen. Mit diesen Vertragspartnern werden die Investitionsschutzbeziehungen auch in Zukunft auf bilateraler Ebene gepflogen, verlängert bzw. auch ausgebaut werden. Daher hat Österreich nach wie vor eine eigenständige Investitionsschutzpolitik zu betreiben.

Die BITs, die Österreich abgeschlossen hat, sehen in der Regel die Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Investoren, Entschädigungen bei Enteignung und generell eine faire Behandlung der Investoren vor. In der Praxis führten aber unpräzise Begriffe, etwa ein zu weit gefasster Enteignungsbegriff dazu, dass Unternehmen Umweltschutzgebote, etwa ein Verbot bestimmter toxischer Substanzen, als "Enteignung" bezeichnen und Entschädigungsansprüche einklagen. Viele Regierungen wie z.B. auch Kanada und USA, die vielfach schon verklagt wurden, sehen Änderungsbedarf, weil sie im Rahmen von BITs vielfach Souveränitätsverluste in Kauf genommen haben, wohingegen Investoren ihre oft weit reichenden Rechte immer stärker nutzen und Staaten vor internationalen Schiedsgerichten verklagen. Vor dem Hintergrund der neuen Entwicklung im internationalen Investitionsrecht sollte auch die österreichische Investitionsschutzpolitik neu diskutiert werden. Dabei stellen sich folgende Fragen vordringlich.


Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend folgende

Anfrage:

1)       Mit welchen Staaten verhandelt die Regierung derzeit bilaterale Investitionsschutzbestimmungen?

2)       Nach welchen Kriterien wurden/ werden diese Länder ausgewählt?

3)       Welche Laufzeit/Fristigkeit haben die BITs, die Österreich mit Drittstaaten abgeschlossen hat: Welche BITs befinden sich im Zeitraum der ersten 10 Jahre nach in Kraft treten? Welche BITs sind schon automatisch verlängert worden?

4)       Sind davon BITs nachverhandelt worden? Wenn ja, welche?

5)    Welcher Anteil an den österreichischen Direktinvestitionsbeständen im Ausland und umgekehrt welcher Anteil ausländischer Direktinvestitionsbestände in Österreich sind durch die von Österreich ratifizierten BITs abgedeckt?

6)    Hat die Bundesregierung konkrete Mindesterfordernisse, die bei den Verhandlungen mit dem Vertragspartner erzielt werden müssen, damit ein BIT zustande kommt?

7)       Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

8)       Gibt es neben wirtschaftlichen Aspekten, nämlich Rechte für Investoren, auch soziale und ökologische Kriterien sowie Kriterien zur Absicherung der nationalstaatlichen Souveränität?

9)       Wie lauten diese Mindestkriterien?

10)   Gibt es Fälle, in denen diese Mindestkriterien unterschritten werden oder wurden und wann ja, welche und warum?

11)   Wie oft haben österreichische Investoren von dem Recht, das Gastland mit dem Österreich ein BIT abgeschlossen hat, zu klagen Gebrauch gemacht?

12)   Werden die einschlägigen Behörden vom Investor/Kläger bzw. der Interessensvertretung über BITs-Vertragsverletzungen informiert?

13) Hat die österreichische Regierung konkrete Informationen, um sich ein Bild machen zu können, welchen wirtschaftlichen Vorteil die BITs-Bestimmungen den österreichischen Unternehmen effektiv bringen?


14)   Österreich ist sowohl ein Kapitalimporteur als auch ein Kapitalexporteur. Damit ist es wichtig, dass die österreichische Investitionsschutzpolitik der Förderung der nachhaltigen Entwicklung des Landes dient, da es sowohl als Gastland als auch als Heimatstaat fungiert. Österreich hat grundsätzlich damit zu rechnen, als Gastland jederzeit verklagt zu werden. Diese Möglichkeit darf vor dem Hintergrund, dass EU-Mitgliedstaaten - darunter auch Staaten wie Deutschland - in Summe 64 Mal verklagt wurden und die Klagsbereitschaft bzw. Kreativität von Investoren stetig zunehmen, nicht ignoriert werden. Hat die Bundesregierung eine Folgenabschätzung der BITs gemacht?

15)   Welches Risiko geht die Republik mit einem solchen Vertrag ein?

16)   Wie wird dieses quantifiziert?

17)   Wie kann der ökonomische Nutzen, den einzelne Wirtschaftssubjekte mit dem Recht auf Entschädigungsklagen, auch bei sogenannter indirekter Enteignung, eingeräumt wird, aus staatspolitischer Raison bewertet werden?

18)   Wie ist die Asymmetrie der Rechte und Pflichten zu argumentieren?

19)   Die Regierung hat bei BITs-Verhandlungen zwei sich widersprechenden Interessen gerecht zu werden: zum einen soll österreichischen Unternehmen, die im Ausland investieren, ein hoher Schutz zukommen. Zum anderen ist aber die Wahrscheinlichkeit, von einem ausländischen Investor wegen Verwaltungshandlungen oder Umsetzung neuer Gesetze verklagt zu werden, soweit wie möglich zu reduzieren. Wie begegnet die Bundesregierung dieser Herausforderung? Welche Vorkehrungen trifft sie?

20) Gibt es Auslegungstexte und Interpretationen zu den einzelnen Kernelementen von BITs (z.B. als Grundlage für die Verhandlungsführung mit den jeweiligen Vertragspartnern)?

21) Liegen Folgenabschätzungen zu den einzelnen Kernelementen von BITs vor: (a) Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung, (b) Enteignung, (c) gerechte und billige Behandlung, (d) freier Kapitaltransfer, (e) Schirmklausel (Umbrella-Klausel).

22) Erst mit der Überarbeitung 2008 hat die Regierung die Schirmklausel (Umbrella-Clause) in den österreichischen Mustertext für bilaterale Investitionsschutzabkommen aufgenommen. Diese Klausel hat sehr weitreichende Wirkungen, da sich die Vertragspartner ganz generell verpflichten, jegliche - vertragliche oder aus nationalem Recht entstandene - Verpflichtungen gegenüber dem Investor einzuhalten. Bei Streitigkeiten braucht dieser nicht vor nationale Gerichte gehen oder etwa den Abschluss eines Verfahrens abwarten, sondern kann gleich ein Tribunal anrufen. Welche Überlegungen haben dazu geführt, diese Klausel in den Mustertext für BITs aufzunehmen?

23) Ist dazu eine Folgenabschätzung vorgenommen worden?


24) Die Bestimmung gerechte und billige Behandlung“ hat sich in den letzten Jahren als Einfallstor“ für Investorenklagen wegen indirekter Enteignung und Anrufung von Schiedsgerichten bei regulativen aber auch administrativen staatlichen Maßnahmen erwiesen. Je kürzer und damit vager die Bestimmung gehalten wird, umso größer ist der Interpretationsspielraum für die ad hoc Richter. Diese Kritik trifft auf die Bestimmung gerechte und billige Behandlung“ in allen österreichischen BITs zu. Welche Vorkehrungen trifft die Bundesregierung, um zu einem modernen Verständnis von gerechter und billiger Behandlung“, das den Entwicklungen der letzten Jahre Rechnung trägt, zu kommen?

25) Warum stellt die Bundesregierung private Investoren mit staatlichen bzw. teilstaatlichen Eigentümern gleich? Hierdurch ist zu befürchten, dass in Hinblick auf die Inländergleichbehandlung Dienstleistungen im öffentlichen Interesse (Daseinsvorsorge- Leistungen) gefährdet werden, wenn ausländische Investoren gleiche Wettbewerbsbedingungen einklagen.

26) Warum sieht die Bundesregierung hier keine horizontale Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen (Public Utilities-Clause) wie in den GATS-Verhandlungen vor?

27) Moderne BITs, die auf die jüngsten Entwicklungen des internationalen Investitionsrechts reflektieren, versuchen die Bestimmungen Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung auf ihre Intention, nämlich Investoren eine Gleichbehandlung bei vergleichbaren Umständen zu gewähren, zurückzuführen. Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, wie eine solche Klarstellung auch mit den österreichischen Vertragspartnern erfolgen kann.

28) Wenn nein, dann warum nicht?

29) Die Arbeiterkammer Wien hat im  November 2011 eine Studie publiziert, die den österreichischen Mustertext einer kritischen Bewertung vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen im Bereich des internationalen Investitionsrechtes unterzieht. Die Studie schlussfolgert, dass der österreichische Mustertext - auch wenn er erst vor fünf Jahren überarbeitet wurde - den traditionellen BITs entspricht und daher den neuen Entwicklungen kaum gerecht wird. Er ist inhaltlich kurz, sehr allgemein gehalten und hat nur vage Begriffsbestimmungen. Der Vertragstext gibt dem Schiedsgericht keinerlei Anleitungen, wie es im Streitfall einzelne Bestimmungen auslegen soll bzw. welches Verständnis die Vertragsparteien von diesen haben und welche Verfahrensregeln wie Transparenz, Anhörung von Dritten etc. einzuhalten sind. Im Falle einer Investorenklage bedeutet dies große Rechtsunsicherheiten und Folgekosten für den Staat. Wie reagiert das zuständige Ministerium auf die Fachkritik?

30)   Wie geht es auf die oben genannten Argumente ein und was hat das Ministerium dem entgegen zubringen?

31) Warum verweist der österreichische Mustertext für BITs nicht auf das internationale Völkergewohnheitsrecht? In diesem Fall würde - ohne Mindeststandards für Unternehmen zu unterlaufen - den Schiedsgerichten ein gewisser Einhalt im Interpretationsspielraum geboten werden.


32) Warum sind gesetzliche/regulative Maßnahmen nicht generell aus dem Geltungsbereich des Vertrages ausgenommen?

33)   Welche Vorkehrungen trifft die Bundesregierung, um zu verhindern, dass die von Österreich ausverhandelten BITs über Treaty Shopping“ von Investoren/Klägern gegenstandslos werden, indem diese Bestimmungen aus anderen BITs importieren bzw. bei Klagen sich auf andere BITs berufen?

34)   Wann ist eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit gegeben?

35) Wie sichert die Bundesregierung diese Kriterien ab?

36)   In welcher Weise wird das Parlament und in welcher Weise die Öffentlichkeit über eventuelle künftige volkswirtschaftlich negative Folgen aufgrund von BITs informiert?

37)   Welche Handlungsmöglichkeiten hat das Parlament in solchen Fällen?

38) Immer mehr einschlägige internationale Medien weisen Investoren darauf hin, dass die BITs sie vor dem Risiko von Profitschmälerungen bzw. Zahlungsausfällen ausgelöst durch Austeritätspolitiken, die Staaten in Zeiten der Schuldenkrisen ergreifen müssen, schützen können. Hiermit werden BITs zusehends als Instrument eingesetzt, das sich gegen staatliches Handeln im Interesse des Gemeinwohls richtet. Gefährden die mit den BITs eingeräumten Klagsrechte an transnationale Unternehmen nicht die unmittelbaren Staatsinteressen?