11813/J XXIV. GP

Eingelangt am 06.06.2012
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Roman Haider

und anderer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Finanzen

betreffend die Target 2 Zahlungen

 

 

„Das EZB-Institut der Target2 Kredite ist im Eurosystem eigentlich gar nicht vorgesehen sondern stellt lediglich eine Lücke im Vertrag über den Zahlungsverkehr unter den Euro-Zentralbanken dar. Im Zuge des täglichen Geldverkehrs kann es vorkommen, dass eine Zentralbank mal ins Plus und mal ins Minus rutscht, je nachdem, ob die heimischen Geschäftsbanken bei ihr mehr oder weniger Geld abrufen. Eine Pflicht zum umgehenden Ausgleich besteht zwar, ist aber nicht formal geregelt, denn Zentralbanker halten sich für einen Klub von Gentlemen, von denen jeder lieber sein Hemd verpfändet als seine Schuld stehen lässt.

Doch die Bank of Greece nimmt es mit den Pflichten eines Gentleman nicht so genau. An der Grenze ihrer Kapazität angekommen, «versäumt» sie gelegentlich den Ausgleich und lässt sich Minuspositionen des Zahlungsverkehrs bei der gewährenden Zentralbank anschreiben. Und wenn auch diese an der Grenze ihrer Kreditfähigkeit ankommt, wendet sie sich an die nächstgrößere Euro-Zentralbank, um den (ursprünglich griechischen) Kredit dort anschreiben zu lassen, usw., bis schließlich fast alle diese Target2-Kredite bei der größten nationalen Zentralbank, der Deutschen Bundesbank, landen. Diese verfügt in der Regel über hinreichend Kapazität, weil Deutschland eine positive Zahlungsbilanz hat und nicht von Kapitalflucht betroffen ist. Aus den über die Zeit akkumulierten «Versäumnissen» der griechischen Zentralbank ist mittlerweile ein großer Schuldenberg Griechenlands gegenüber der Deutschen Bundesbank von 106 Milliarden Euro entstanden.

Aber warum gleichen sich bei der griechischen Zentralbank die Minus- und die Pluspositionen nicht mit der Zeit aus? Das hängt damit zusammen, dass die Griechen in letzter Zeit mehr Kapital ins Ausland schaffen, als Ausländer ins Inland bringen. Somit übertrifft auf dem privaten Markt die Nachfrage das Angebot an Liquidität. Ein Ausgleich könnte nur zu exorbitanten Zinsen hergestellt werden. Das vermeiden aber die griechischen Geschäftsbanken. Sie wenden sich stattdessen an die griechische Zentralbank, die ihnen zum Satz von derzeit 1% einen Kredit gibt, den sie sich ihrerseits wie beschrieben bei den anderen Zentralbanken, letztlich bei der Deutschen Bundesbank, holt. Die Deutsche Bundesbank wird dadurch zu einem Lender of Last Resort für alle darbenden Euro-Zentralbanken.


Defizitäre Zahlungsbilanzen und daher negative Target2- Saldi haben u. a. Spanien (–175 Mrd. €), Frankreich (–100 Mrd. €), Portugal (–60 Mrd. €). Dem stehen Deutschland mit +547 Mrd. €, die Niederlande mit +168 Mrd. €, Luxemburg mit +103 Mrd. € sowie Finnland mit +45 Mrd. € gegenüber.

Nicht nur die Höhe der Target2-Kredite ist beängstigend. Der politische Unwille, sie zu beachten, gibt zur Sorge Anlass. Auf der einen Seite zeigen sich die Euro-Finanzminister streng, indem sie die Finanzspritzen an strenge Kriterien knüpfen. Auf der anderen Seite lässt die EZB über Target2 Wasser aus vollen Schläuchen in die lecken Problemstaaten fließen.

Das ganze Target2-Konstrukt verdreht die Anreize der griechischen Investoren. Statt ihr Kapital in Griechenland zu investieren, wo es dringend gebraucht wird, bringen sie es nach Deutschland, um dort teure Autos und Immobilien zu kaufen. Vereinfacht lässt sich sagen: Jeder Porsche, der nach Griechenland geliefert wird, wird derzeit von Deutschland bezahlt. Eine Immobilie, die mit griechischem Fluchtgeld in einer deutschen Großstadt gekauft wird, ist mit einem Kredit von Deutschland bezahlt und erhöht dort die Mieten. Spiegelbildlich ist die Situation in Griechenland: Das abgezogene Kapital drückt Einkommen und Beschäftigung und verursacht öffentliche Unruhen. Von Rückzahlung ist nicht die Rede.

Die EZB hätte aber auch ein anderes System annehmen können. In der Schweiz sind die SIX Group, die ihrerseits im Auftrag der Schweizerischen Nationalbank (SNB) das Zahlungssystem SIC betreibt, und die PostFinance für die operative Abwicklung des elektronischen Zahlungsverkehrs zuständig. Die SNB kontrahiert und ist damit von der eigenen Bürokratie unabhängig. Statt mit zweien kann sie auch nur noch mit einem kontrahieren. Daher können sich SIC und PostFinance ein Target2-Debakel nicht leisten. Umgekehrt hat sich in der EZB die eigene Bürokratie durchgesetzt und wohl aus Prestigegründen ein eigenes, alternativloses System errichtet. Die EZB ist Gefangene ihrer Bürokratie.

Das Target2-System wurde von den Eurostaaten einstimmig eingeführt. Folglich lässt es sich nur einstimmig aufheben. Das scheitert schon an der Stimme Griechenlands, dessen Banken am meisten davon profitieren. Innerhalb des Systems lassen sich Veränderungen mehrheitlich durchsetzen. In diesem Sinne wirbt Bundesbankpräsident Weidmann vorsichtig für höhere Sicherheiten und damit indirekt für die Begrenzung der Target2-Kredite, was seitens der EZB mit Zurückhaltung aufgenommen wird.

Denn die Mehrheit der vierzehn schwachen profitiert von den vier starken Staaten. Für die EZB ist es viel einfacher, wenn weiterhin die Mehrheit die Minderheit ausbeutet und die Target2-Kredite sich weiter auftürmen. Ein spannendes Kräftemessen steht.“

(Die Presse 27.03.2012)

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen in diesem Zusammenhang an die Bundesministerin für Finanzen nachfolgende

 

Anfrage

 

1.    Welche Höhe hatte das TARGET2-Saldo der ÖNB im Jahr 2011 und wie hoch waren dabei die Verbindlichkeiten bzw. die Forderungen, die zur Berechnung des Saldos einander gegenüber gestellt wurden?

2.    Welche Höhe hatte der TARGET2-Saldo der ÖNB bis dato in den einzelnen Monaten im Jahr 2012 und wie hoch waren dabei jeweils die Verbindlichkeiten bzw. die Forderungen, die zur Berechnung des Saldos einander gegenübergestellt wurden?


3.    Sollte Außenhandels-Ungleichgewichte in der Eurozone nicht bereits an der Wurzel gelöst werden und nicht erst bei sich daraus ergebenden Resultaten wie der Finanzierung?

4.    Wenn ja, wie könnten bereits vorgeschaltete Maßnahmen aussehen?

5.    Wenn nein, warum nicht?

6.    Sollte eine formale Pflicht zum umgehenden Ausgleich von Target2- Zahlungen festgelegt werden?

7.    Wenn ja, warum ist das bisher unterblieben?

8.    Wenn nein, warum nicht?

9.    Auf der einen Seite knüpfen die EU- Finanzminister an die Gewährung von Finanzspritzen strenge Kriterien, während die EZB auf der anderen Seite über Target2 Wasser aus vollen Schläuchen in die lecken Problemstaaten fließen lässt, stellt dieses Phänomen nicht einen Widerspruch in sich dar, bzw. soll dagegen vorgegangen werde?

10. Wenn ja, wie?

11. Wenn nein, warum nicht?

12. In der Schweiz sind die SIX Group, die im Auftrag der Schweizerischen Nationalbank (SNB) das Zahlungssystem SIC betreibt, und die PostFinance für die operative Abwicklung des elektronischen Zahlungsverkehrs zuständig, warum hat sich die EZB nicht eines solchen Systems bedient?

13. Welche Vorteile bzw. Nachteile sehen Sie im Schweizer Finanzierungsmodell und warum?

14. Die SNB kontrahiert und ist damit von der eigenen Bürokratie unabhängig; statt mit zweien kann sie auch nur noch mit einem kontrahieren; daher können sich SIC und PostFinance ein Target2-Debakel nicht leisten; umgekehrt hat sich in der EZB die eigene Bürokratie durchgesetzt und wohl aus Prestigegründen ein eigenes, alternativloses System errichtet; erachten Sie die EZB als Gefangene ihrer eigenen Bürokratie?

15. Wenn ja, gibt es eine Lösung für dieses Problem und wie würde diese aussehen?

16. Wenn nein, warum nicht?