12662/J XXIV. GP

Eingelangt am 20.09.2012
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Anfrage

 

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an den/die Bundesministerin für Justiz

betreffend Eisenbahnunfälle und Verbandsverantwortlichkeitsgesetz

BEGRÜNDUNG

 

Laut Tätigkeitsbericht 2011 der Bundesanstalt für Verkehr kam es im Berichtsjahr zu einem signifikanten Anstieg bei Eisenbahnunfällen.

 

Offensichtlich ist die Liberalisierung der Eisenbahn vollkommen entglitten. Das System Eisenbahn wird durch Liberalisierung – vor allem in einer längerfristigen Betrachtung – weder besser und/oder billiger noch sicherer. Das geht klar aus dem genannten Tätigkeitsbericht der VERSA für 2011 hervor.

 

Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass es sich bei der Produktion von Eisenbahnverkehr um eine industrialisierte Form der Bereitstellung von Verkehrsdienstleistungen handelt. Das bedeutet, ein Fehler eines Einzelnen allein dürfte so gut wie nie zu einem Unfall führen. Das ist einerseits technisch bedingt und andererseits durch geeignete Verfahren zwingend vorgeschrieben. Daraus kann gefolgert werden, es wird so gut wie keinen Eisenbahnunfall geben, bei dem nicht eine Anklageerhebung nach dem VbVG zwingend gesetzlich geboten sein wird.

 

Wie beim Thema Korruption in der Politik, so braucht es auch im Bereich Sparen an der Eisenbahnsicherheit einen, der dafür verantwortlich ist, und einen, der wegschaut. Einen Beitrag zum „Wegschauen“ hat offensichtlich auch die Staatsanwaltschaft Graz geleistet.

 

Am 9.11.2010 ereignete sich ein tödlicher Arbeitsunfall in einem steirischen Eisenbahnunternehmen. Dieser Unfall wurde unter der Geschäftszahl 10 Bs 5247/11a am Oberlandesgericht abgehandelt. Ungeachtet aller Versäumnisse des Eisenbahnunternehmens, welche eine Anklage gemäß VbVG erzwungen hätten, wurde bereits am 20. Juli 2011 durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 190 Z 1 StPO das Verfahren eingestellt.

 

Am 27.2.2012 ist im Zuge der Amtshilfe durch die Arbeitnehmerschutzbehörde eine Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse bei der Staatsanwaltschaft Graz eingegangen. Darin finden sich auch Aussagen des zum Zeitpunkt des Unfalles zuständigen Betriebsleiters, der ganz klar die Verfehlungen und Missstände des Eisenbahnunternehmens zugibt. Auch diese Beweismittel änderten an der bereits erfolgten Einstellung gemäß § 190 Z 1 StPO nichts.

 

Es stellt sich die Frage, warum die Anklagebehörde, nicht so ganz genau hingesehen hat. Es bleibt der Anschein, dass der Umstand, dass hinter dem Unternehmen gleich das Bundesland Steiermark steht, man keinen politischen Staub aufwirbeln wollte. Das in diesen Unfall verwickelte Unternehmen war jahrelang im Einflussbereich der ÖVP, was zu einer politischen Debatte über die Verantwortlichkeit bei politischen Missständen geführt hätte.

 

In diesem Fall wäre durch die Staatsanwaltschaft ebenfalls auch zu prüfen gewesen, ob das in den Unfall verwickelte Eisenbahnunternehmen überhaupt diese Art der Tätigkeit – die zum Unfall führte – hätte ausüben dürfen: Das Unternehmen erfüllt die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen offensichtlich bis heute nicht.

 

In diesem Fall hätte aber die Behörde, welche diesem Unternehmen die Genehmigungen und Konzessionen ausgestellt hat, überprüft werden müssen, was ebenfalls bis heute unterlassen wurde.

 

Es erweckt schon den Anschein, dass es sich die Staatsanwaltschaft insofern leicht macht, als sie ausschließlich ausführende „kleine“ ArbeitnehmerInnen anklagt, die Systemfehler und Aufsichtsmängel aber und die dafür Verantwortlichen unbeachtet lässt. Dies selbst dann, wenn bereits sehr deutlich von Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen wird . Der deutliche Eindruck, dass man in Österreich von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht behelligt wird, sobald man eine gewisse soziale Stufe erklommen hat, ist jedoch, wie sich zeigt, zB für die Sicherheit nachteilig und könnte insgesamt fatale Auswirkungen für das allgemeine Rechts- und Unrechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger haben.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.    Wie viele Anklagen gemäß VbVG wurden in Österreich seit Bestehen dieses Gesetzes erhoben?


2.    Wie viele Anklagen gemäß VbVG wurden dabei gegen Eisenbahnunternehmen im Zusammenhang mit Bahnunfällen erhoben?

3.    Wie viele strafrechtliche Anklagen wurden im selben Zeitraum gegen Eisenbahnbedienstete im Zusammenhang mit Bahnunfällen erhoben?

4.    Wie erklären Sie die Differenz?

5.    Bei wie vielen Bahnunfällen konnte einerseits eine individuelle Verantwortung eines Mitarbeiters gemäß § 3 Abs 3 Z 1 VbVG angenommen werden, andererseits aber nicht von einem Organisationsmangel beim Verband gem § 3 Abs 3 Z 2 VbVG ausgegangen werden, sodass zwar gegen den Mitarbeiter Anklage erhoben wurde, gegenüber dem Eisenbahnunternehmen aber das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde?

6.    Wie oft wurde bei solchen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Eisenbahnunfällen ein/e SachverständigeR von der StA zur Beurteilung der Frage bestellt, ob ein Organisationsmangel gemäß § 3 Abs 3 Z 2 VbVG vorgelegen hat?

7.    Zu wie vielen Verurteilungen gemäß VbVG im Zusammenhang mit Bahnunfällen kam es in Österreich seit Bestehen dieses Gesetzes?

8.    Zu wie vielen strafrechtlichen Verurteilungen von ausführenden Eisenbahnbediensteten im Zusammenhang mit Bahnunfällen kam es im selben Zeitraum?

9.    Wie erklären Sie diese Differenz, wenn man bedenkt, dass ein einzelner Fehler im System Bahn mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum Unfall führen dürfte?

10. Wieso bleiben die genehmigungsausstellenden Behörden von der Staatsanwaltschaft selbst dann unbehelligt, wenn es große Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Genehmigungen und Konzessionen – wie im oben dargestellten Fall – gibt?