14022/J XXIV. GP

Eingelangt am 19.02.2013
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Werner Kogler, Freundinnen und Freunde

an die Bundesministerin für Finanzen

betreffend niederösterreichische Spekulationen und Verluste in Milliardenhöhe

BEGRÜNDUNG

Jahrzehntelang garantierte die Erhaltung der Fördermittel, dass das österreichische System der Wohnbauförderung zu jeder Zeit über ausreichende Mittel verfügte. Aus Wohnbaudarlehen einlangende Rückzahlungen wurden zugunsten anderer Förderungsnehmerlnnen wieder ausgegeben. Damit stand bereits ohne zusätzliche Mittel rund ein Viertel der benötigten Förderungssummen verlässlich zur Verfügung. Ergänzt wurden die Mittel jährlich im Wesentlichen durch die aus dem Wohnbauförderungsbeitrag stammenden Einnahmen.

Mit dem Finanzausgleichsgesetz 2001 beseitigte die damalige schwarz-blaue Bundesregierung unter Mithilfe der SPÖ die Zweckwidmung der Rückflüsse aus Wohnbaudarlehen. Die Grünen warnten bereits damals vor diesem unkontrollierten Griff in die „Schatztruhe der Republik“[1]. Doch die schlimmsten Befürchtungen wurden durch die Realität weit übertroffen: Bis 2003 wurden österreichweit über 10 Milliarden Euro an Forderungen aus Wohnbaudarlehen ua. verkauft. Über 5 Milliarden dieser Erlöse wurden dem Wohnbauförderungssystem entzogen und den allgemeinen Budgets zugeführt[2].

Das Casino „Erwin Pröll“

Besonders unverantwortlich ging dabei die Landesregierung in Niederösterreich unter Erwin Pröll vor. In einer ersten Tranche wurden 2001 Wohnbaudarlehen mit einem Wert von 4,7 Milliarden Euro um den abgezinsten Barwert von nur 2,59 Milliarden Euro verschleudert. Mit der Einrichtung von Verschleierungskonstruktionen unter anderem durch Errichtung einer Privatstiftung sollte verborgen werden, dass dabei letztlich ein Kredit aufgenommen wurde, dessen Besicherung die Wohnbaugelder dienten. Nach

Abzug der entstehenden hohen Kosten wurden letztlich nur 2,442 Milliarden Euro veranlagt - zunächst noch recht konservativ zu 60% in Anleihen und 40% in Aktien.


Bereits im Jahr 2002 wurde mit den erworbenen Aktien ein massiver Verlust erwirtschaftet. In den Folgejahren startete daher das Land Niederösterreich einen vergeblichen Versuch, die erlittenen Verluste wieder aufzuholen, und setzte auf immer riskantere Investments. Mit einem unverantwortbar hohen Anteil von 38% an sogenannten „alternativen Investments“ war bereits im Jahr 2006 das Ende der Sackgasse erreicht. Im Portfolio fanden sich etwa Hedgefonds und strukturierte Produkte, die laut Rechnungshof gerade in Krisenzeiten „schwer handelbar bzw. unverkäuflich“ sind[3].

Während die versprochenen laufenden Ausschüttungen nur durch den wiederholten Griff in die Substanz des veranlagten Vermögens erreicht werden konnten, wurden noch weitere Vermögensbestände des Landes „versilbert“. Nach dem üblichen Verlauf pathologischer Spieler wurde in der unrealistischen Hoffnung auf den rettenden Gewinn immer mehr Geld nachgeschossen, das Risiko durch die Spekulation auf Derivate u.ä. erhöht und der Schaden laufend vergrößert.

Erwin Pröll als Landeshauptmann und dem Musikschuldirektor Wolfgang Sobotka als Finanzlandesrat ist es so gemeinsam gelungen, die Finanzverwaltung eines der größten Bundesländer in ein Casino zu verwandeln.

Im Jahr 2003 wurden rund 245 Millionen Euro aus dem vorzeitigen Rückkauf von Wohnbaudarlehen in den Spekulationstopf geworfen. Diese Gelder wurden damit sogar doppelt verspekuliert, da diese Forderungen bereits verkauft waren. Seit dem Jahr 2003 besteht daher eine sich laufend durch Zinsen erhöhende Schuld des Landes gegenüber dem Käufer aus dem Jahr 2001 in Höhe von 247 Mio Euro.

Im Jahr 2005 wurde eine neue Quelle zur Finanzierung der Casino-Einsätze erschlossen. 933 Mio Euro wurden als Kredit auf Beteiligungen des Landes (u.a. an der EVN, am Flughafen Wien und an der Hypo Niederösterreich) aufgenommen. Wieder wurde zum Schein ein Kauf vorgetäuscht, obwohl bei seriöser wirtschaftlicher Betrachtungsweise schlicht und einfach ein Kredit zum Spekulieren auf den Finanzmärkten aufgenommen wurde.

Schließlich wurden 2007 weitere Wohnbaudarlehen im Wert von rund 2 Milliarden Euro „verwertet“. Der Erlös betrug diesmal gar nur rund 840 Mio. Euro, die ebenfalls für Spekulationen auf den Finanzmärkten missbraucht wurden.

2008 kam es zum großen Einbruch an den Finanzmärkten, von dem sich die niederösterreichischen Veranlagungen bis heute nicht erholt haben. Eine zukünftige Erholung wird auch dadurch beinahe unmöglich gemacht, dass in immer größerem

Ausmaß die verbleibenden Werte zum Stopfen niederösterreichischer Budgetlöcher verwendet wurden. So wurden 2011 133 Millionen Euro und 2012 sogar 371 Millionen Euro entnommen, wobei bereits das eingeräumte Genussrecht zum Teil getilgt wurde, so dass zukünftige Erträge geschmälert werden[4].


Der Milliardenschaden

Verglichen mit den ursprünglichen Zielvorgaben der Veranlagungen (welche auf dem ursprünglichen Wert der verkauften Darlehen beruhten) errechnete der Rechnungshof im Bericht NÖ 2010/5 einen Fehlbetrag per 31.12.2008 von 996,79 Millionen Euro. Dieser Schaden von rund 1 Milliarde Euro dürfte sich seit damals aufgrund der anhaltenden Krise der Finanzmärkte noch deutlich erhöht haben.

Auf den Punkt gebracht: Hätte die niederösterreichische Landesregierung nichts dergleichen gemacht, die Wohnbaudarlehen nicht verkauft und anschließend nicht am großen Spekulationsrad gedreht, dann wären Niederösterreich und der Republik die Verluste in Milliardenhöhe erspart geblieben.

Als der Milliardenschaden nicht mehr zu leugnen war, versuchten die Verantwortlichen durch die Gründung von offshore-Gesellschaften zur „Auslagerung“ verlustbehafteter Papiere das Desaster zu verschleiern. Dadurch wurde der Schaden noch zusätzlich erhöht. Dazu ermittelt bereits die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.

Statt aus dem Schaden klüger zu werden behaupten die Verantwortlichen des Landes Niederösterreich weiterhin wider besseren Wissens, durch ihre Vorgehensweise einen finanziellen Überschuss erwirtschaftet zu haben. Dabei lassen sie den ursprünglichen Wert der Wohnbaudarlehen vor der drastischen Abzinsung bei der Verwertung völlig außer Acht.

Die Wohnungssuchenden sind die Opfer

Alle diese Vorgänge haben unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Menschen:

         Jede und jeder unselbständig Erwerbstätige zahlt von ihrem oder seinem Einkommen den Wohnbauförderungsbeitrag in Höhe von 1% (0,5% AN und 0,5% AG-Beitrag). Seit dem Finanzausgleich 2008 sind diese Beträge, die zu 80% an die Länder weiter gegeben werden, nicht einmal mehr zweckgewidmet. Die Bürgerinnen des Landes haben also direkt mit ihrem Einkommen die Spielleidenschaft des niederösterreichischen Landeshauptmannes finanziert.

         Im zehnjährigen Vergleich blieb die Wohnbauförderung nominell konstant, das heißt sie war real rückläufig. Der Anteil am BIP verringerte sich von 1,3% (1997) auf 1,0% (2004)[5].

         Gleichzeitig stieg aber der Bedarf an neuem Wohnraum stark an. Österreichweit werden pro Jahr mindestens 10.000 Wohnungen zu wenig neu errichtet.

         Diese Lücke wird in den folgenden Jahren noch weit größer und damit folgenreicher werden, denn: Die Wohnbauförderungsleistung konnte in den letzten Jahren nur noch durch den Zugriff auf die Substanz stabil gehalten werden, eine Finanzierbarkeit aus den laufenden Einnahmen ist nicht mehr gegeben. Damit wird in den kommenden Jahren ohne die Aufbringung zusätzlicher Mittel die Wohnbauförderung im bisherigen Ausmaß nicht mehr möglich sein.

         Gleichzeitig hat der Bund im Jahr 2008 seine Kontrolle über die Verwendung dieser Mittel aufgegeben. Weitere Spekulationen nach Vorbild des St. Pöltner Casino „Pröll“ sind jederzeit möglich.


         Die Folge dieser Fehlentwicklung sind drastisch steigende Preise für Miet- und Eigentumswohnungen in ganz Österreich. Wenig überraschend liegt Niederösterreich auch bei der Steigerung der Mietpreise für Wohnungen im österreichischen Vergleich an der Spitze (2011 erster Platz mit +4,5%, 2012 zweiter Platz mit +4,49%)[6]. Durch den Missbrauch der Wohnbauförderung für Finanzspekulationen wird sich die Wohnsituation für die Menschen insbesondere in Niederösterreich noch weiter verschlechtern.

Der Versuch, bei den Geldern der Wohnbauförderung den Landesbock zum Wohnbaugärtner zu machen, ist damit katastrophal fehlgeschlagen.

Das Gebot der Stunde ist daher eindeutig:

Von der Wohnbauförderung bis zu den Budgets - Schluss mit der Regierungsspekulation mit Steuergeldern!

Damit in Zukunft die Bürgerinnen nicht mehr mit Steuern und Mieten für die Schäden gerade stehen müssen, braucht Österreich von Salzburg bis Niederösterreich enge gesetzliche Schranken für spekulationsanfällige Landeshauptleute.

Darüber hinaus muss durch eine Wiedereinführung der Zweckbindung der Gelder der Wohnbauförderung der Wohnbau vor diesen Landeshauptleuten geschützt werden.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

DRINGLICHE ANFRAGE

1.     Auf welche Weise und mit welchem Ergebnis wurde die Gebarung der für das Land Niederösterreich eingerichteten Investmentfonds „NOE I“ (AT0000497185), „NOE 2“ (AT0000637467), „NOE 3“ (AT0000496310) und „NOE IV“ (AT0000A05D45) durch die Finanzmarktaufsicht geprüft?

2.      Zu welchem Ergebnis kam die FMA bei etwaigen Prüfungen der genannten Investmentfonds NOE I, NOE 2 und NOE 3 hinsichtlich Performance, Risikograd der Veranlagungen und Inanspruchnahme von Briefkastenfirmen und Offshore- Zentren?

3.      Gemäß §16 (2) FMABG ist die Finanzministerin berechtigt, seitens der FMA Auskünfte über alle Angelegenheiten der Finanzmarktaufsicht zu verlangen. Haben Sie derartige Auskünfte über die wenig ertragreichen - und somit zum Gesamtverlust beitragenden - Veranlagungen dieser Fonds eingeholt?

a.      Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis?

b.      Wenn nein, warum nicht?

4.      In welcher Form haben Sie sonst ihre Aufsichtsfunktion gemäß §16 (1) FMABG gegenüber der FMA im Zusammenhang mit den niederösterreichischen Fonds sichergestellt?


5.      Ist es angesichts der Erkenntnisse des Rechnungshofes über die wenig ertragreichen - und somit zum Gesamtverlust beitragenden - Veranlagungen in diesen Fonds und den außerordentlich hohen Anteil alternativer Investments darin zu Sonderprüfungen nach §16 (4) FMABG durch die Finanzmarktaufsicht gekommen?

a.      Wenn ja: wann haben diese stattgefunden und was war das Ergebnis dieser Sonderprüfungen?

b.      Wenn nein, warum haben Sie als zuständige Finanzministerin im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht keine Sonderprüfung der FMA in Auftrag gegeben?

6.      Welche Schritte haben die Ihrem Ressort zugeordneten Dienststellen bisher unternommen, um die Ermittlungen der Wirtschafts- und

Korruptionsstaatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Hypo Niederösterreich und den Geschäften der Hypo Niederösterreich und der FIBEG in Irland, den Cayman Islands und anderen Steueroasen und den damit verbundenden Vorwurf der Untreue und Bilanzfälschung zu unterstützen?

7.      Wurden Ihrem Ressort, der Finanzmarktaufsicht oder der Österreichischen Nationalbank mittlerweile die vollständigen Rechenschaftsberichte gem. § 49 InvFG über die genannten Investmentfonds übermittelt?

 

8.     Falls ja: Wann werden Sie diese dem Nationalrat zur Verfügung zu stellen?

9.     Falls nein: was werden Sie unternehmen, um eine vollständige Information der zuständigen Kontrollbehörden über die Gebarung dieser wirtschaftlich aus öffentlichen Mitteln gespeisten Investmentfonds zu erreichen?

10. Können Sie versichern, dass mit der dem Nationalrat vorgelegten gesetzlichen Regelung betreffend das so genannte „Spekulationsverbot“ inklusive der dazugehörigen Art 15a-Vereinbarung künftig ein weiterer „Fall Niederösterreich“, also die Spekulation durch Veräußerung und Wiederveranlagung von Forderungen aus Wohnbauförderungsdarlehen, ausgeschlossen ist?

11. Ist es zutreffend, dass sich durch das Vorgehen des Landes Niederösterreich im Jahr 2001 (Verkauf der Forderungen an die Blue Danube Loan Funding GmbH bei gleichzeitiger Übernahme der Haftung für die Tilgung der Wohnbaudarlehen und eine von der BDLF emittierte Anleihe über 2,59 Mrd Euro) der Schuldenstand des öffentlichen Sektors in Österreich um eben den Betrag der Anleihe erhöhte?

12. Welche Auswirkungen hatten diese Vorgänge in Niederösterreich auf den Maastrichtsaldo und den Maastricht-Schuldenstand der Republik Österreich?

13. Mit ein Motiv für den Verkauf (bzw. in wirtschaftlicher Sicht: die Belehnung) von Beteiligungen des Landes Niederösterreich im Jahr 2005 („Tranche III“) waren „steuerliche Vorteile“: von den jährlich aus den Beteiligungen erzielten Dividenden sollten die Kosten (Zinsen) der übernommenen Fremdfinanzierung abgezogen und so die KöSt-Belastung reduziert werden. Gleichzeitig sollten die Erträge aus den Veranlagungen aufgrund der Ausgestaltung als Genussrechte - und damit der Nutzung einer Steuerlücke - KESt-befreit bleiben. Welche steuerlichen Mindereinnahmen sind dem Bund aus dieser Transaktion des Jahres Niederösterreich seit dem Jahr 2003 bis heute insgesamt entstanden?


14. Welchen budgetären Mehrbedarf erwarten Sie für das Wohnbauförderungssystem für die Jahre 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019 und 2020 aufgrund des Umstandes, dass nach der Aufgabe großer Teile des Vermögensbestandes der Wohnbauförderung in den letzten Jahren die ausreichende Deckung des Wohnbauförderungssystems mehr als fraglich erscheint?

15. Hat Ihnen der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mitgeteilt, in welcher Höhe in den nächsten Jahren Finanzmittel aufgebracht werden müssen, um das Niveau der Wohnbauförderung zu sichern?

a. Wenn ja, wie hoch ist seiner Meinung nach der zusätzliche

Finanzierungsbedarf aus öffentlichen Mitteln in den kommenden Jahren?

16.    Welcher Gesamtbetrag wurde seit der Aufhebung der Zweckbindung der

Wohnbaumittel durch die Finanzausgleichsgesetze 2001 (Rückflüsse) und 2008 insgesamt dem System der Wohnbauförderung entzogen?

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 93 Abs. 2 GOG verlangt.



[1] Gabriela Moser in der Debatte zum FAG 2001, Sten.Prot. 52. Sitzung, S. 64

[2]  Factsheets zur Wohnbauförderung Steiermark, AK Steiermark, August 2012, S. 14

[3]  Rechnungshof Bericht NÖ 2010/5, S. 11f

[4] Rechnungshof Bericht NÖ 2012/6, S. 165

[5]  Benchmarking Nachhaltigkeit der Wohnbauförderung der Bundesländer,

Oberhuber/Amann/Bauernfeind, FGW, Berichte aus Energie- und Umweltforschung, 32/2005, S. 3

[6]  Immobilienpreisspiegel der WKO