14496/J XXIV. GP

Eingelangt am 24.04.2013
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Dr. Walter Rosenkranz

und weiterer Abgeordneter

 

an die Frau Bundesminister für Unterricht, Kunst und Kultur

betreffend Niveauverfall der Mathematikkompetenz 1949 bis 2012 und die Fragen der Mathematik-Feldtestung vom Mai 2012

 

Am 23. Mai 2012 wurden in einer Feldstudie die Mathematikkenntnisse von 80.000 Schülern der 8. Schulstufe überprüft. Nach diesem Startschuss sollten gleiche Leistungsüberprüfungen jährlich durchgeführt werden, die Tageszeitung „Die Presse“ berichtete darüber:

 

„Die Ergebnisse der kommenden Woche stattfindenden Testung werden voraussichtlich erst im Dezember vorliegen. Die überprüften Schüler werden dann großteils bereits andere Schulen besuchen. Da für alle 14-Jährigen – mit Ausnahme jener, die eine AHS-Langform besuchen – nach der achten Schulstufe ein Schulwechsel ansteht.“
(http://diepresse.com/home/bildung/schule/pflichtschulen/758987/Mathematiktest-fuer-80000-Schueler?from=suche.intern.portal, 14. Apr. 2013)

 

2013 sollen bei den Schülern der 8. Schulstufe (HS, NMS, AHS-Unterstufe und VS-Oberstufe) im Zuge des 1. Zyklus die Englischkenntnisse überprüft werden, 2014 die Deutschkenntnisse und 2015 wird der 2. Zyklus wiederum mit der Überprüfung der Mathematikkenntnisse begonnen.

 

Wie ebenfalls in der Tageszeitung „Die Presse“ nachzulesen, enthielt die Feldtestung ua die folgenden Fragen

 


(Vgl. http://diepresse.com/home/758952/Wie-fit-sind-Sie-in-Mathematik_span-classpackageicon-thema?direct=760938&_vl_backlink=/home/bildung/schule/pflichtschulen/760938/index.do&selChannel=, 15. Apr. 2013):

 

 

 

Auf Wunsch der FPÖ hat der Mathematiker und emeritierte Universitätsprofessor der Technischen Universität Wien Em. o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Kuich diese Aufgaben begutachtet und mit Aufgaben, wie sie zur Vorbereitung zu Aufnahmeprüfungen im Jahr 1949 (!) gestellt wurden, verglichen.

Seine Expertise möchten wir Ihnen nicht vorenthalten:

 


„Grundkompetenz in Mathematik

 

Anlässlich der Überprüfung der Grundkompetenzen der Schüler der achten Schulstufe am 23. Mai 2012 brachte 'Die Presse' unter dem Titel 'Mathematiktest für 80.000 Schüler' einen Bericht darüber und gab einen Test mit 5 Fragen (wobei jeweils 3 Lösungen angeboten wurden) an (http://diepresse.com/home/bildung/schule/pflichtschulen/758987/Mathematiktest-fuer-80000-Schueler, 15. Apr. 2013), die bei den Feldtestungen der Jahre 2009 und 2011 abgeprüft worden waren.

 

 

Frage 1: Ein Badezimmer hat eine Bodenfläche von 7,2 Quadratmetern. Eine Packung Fliesen reicht für 1,2 Quadratmeter. Wie viele Packungen Fliesen benötigt man mindestens zum Verfliesen des Bodens?

 

Angebotene Lösungen: 7, 6, 5.

 

Einwand: In der Frage fällt das Wort „mindestens“ auf. Damit wird offensichtlich auf den Verschnitt abgestellt. Damit fehlt im zweiten Satz der Frage das Wort 'höchstens'. Es müsste in der Frage entweder das Wort 'mindestens' gestrichen werden (bei Nichtberücksichtigung des Verschnitts) oder das Wort 'höchstens' eingefügt werden (bei Berücksichtigung des Verschnitts). Der Rechengang bleibt davon unberührt.

 

Rechengang: Man berechnet 7x1,2 = 8,4; 6x1,2 = 7,2; 5x1,2 = 6 und erhält die Antwort 6.

 

Bewertung: Dezimalzahlen und das Rechnen mit ihnen werden in der 1. Klasse der AHS unterrichtet. Dieses sollte für die Lösung der Frage genügen. Nach dem Buch 'Aufnahmsprüfung leicht gemacht' (Konrad Falk, Richard Szerelmes: Aufnahmsprüfung leicht gemacht. Österreichischer Bundesverlag, 1949) wurde dieser Stoff im Jahr 1949 bereits in der Volksschule unterrichtet.


Frage 2: Die Einwohnerzahlen folgender Gemeinden sollen in einem Balkendiagramm dargestellt werden (Bruckhausen: 15.000, Korbach: 18.000, Einsfeld: 14.000). Der längste Balken soll eine Länge von  6 cm haben. Welcher Einwohnerzahl entspricht dann eine Balkenlänge von 1 cm.

 

Angebotene Lösungen: 3.000, 2.000, 1.000.

 

Rechengang: Den 18.000 Einwohnern von Korbach entspricht ein Balken von 6 cm Länge. Daher ergibt 18000:6 = 3000 die Lösung.

 

Bewertung: Balkendiagramme werden in der Informations- und Kommunikationstechnologie in der 2. oder 3. Klasse der AHS unterrichtet. Aus mathematischer Sicht könnte die Aufgabe bei gleichem mathematischen Schwierigkeitsgrad ohne Balkendiagramme formuliert werden und damit von Volksschülern (zumindest des Jahres 1949) gelöst werden. (Siehe fiktive Aufnahmeprüfung weiter unten.)

 

 

Frage 3: In einer Schule sind die Buben deutlich in der Minderheit. In jeder einzelnen Klasse gilt sogar: 2 mal B < M (B: Anzahl der Buben, M: Anzahl der Mädchen). In einer Klasse sind 17 Mädchen. Wie viele Buben sind dann höchstens in der Klasse?

 

Angebotene Lösungen: 6, 7, 8.

 

Rechengang: Man setzt für M 17 ein und für B der Reihe nach 6, 7, 8 und nimmt das Maximum der richtigen Resultate, also

12 < 17, 14 < 17, 16 < 17 ? Alle Ungleichungen sind richtig und das Maximum ist 8.

 

Bewertung: Relationen und das Aufstellen einer Gleichung oder Ungleichung sind Stoff der 1. Klasse der AHS.


Frage 4: Die Winkelsumme im Dreieck beträgt 180 Grad. Wieso kann man daraus schließen, dass der größte Winkel in einem Dreieck wenigstens 60 Grad beträgt?

 

Angebotene Lösungen:

1.     Weil das ein allgemein gültiger Grundsatz in der Winkellehre ist.

2.     Wenn der größte Winkel weniger als 60 Grad betragen würde, dann wäre die Summe der beiden anderen Winkel größer als 120 Grad und damit wenigstens einer der beiden anderen Winkel größer als 60 Grad.

3.     Diese Annahme ist falsch, der größte Winkel in einem Dreieck beträgt immer wenigstens 90 Grad.

 

Lösung: Die zweite angebotene Lösung ist richtig.

 

Einwand: Aus der Aussage 'Die Winkelsumme im Dreieck beträgt 180 Grad' alleine kann man nicht auf die Behauptung 'Der größte Winkel in einem Dreieck beträgt wenigstens 60 Grad' schließen. Man benötigt dazu, wie auch in der zweiten angebotenen Lösung angegeben, Sätze der Aussagenlogik und der Arithmetik.

 

Bewertung: Dreiecke werden in der 2. Klasse der AHS unterrichtet.

 

Es wäre besser, die Frage 4 etwa folgendermaßen zu formulieren:

 

Frage 4’: Man beweise den Satz, dass der größte Winkel in einem Dreieck wenigstens 60 Grad beträgt.

 

Angebotene Lösungen:

1.     Das Zweifache des zweitgrößten Winkels ist wenigstens so groß wie die Summe des größten und des kleinsten Winkels. Daher ist das Dreifache des zweitgrößten Winkels wenigstens so groß wie die Summe aller drei Winkel, also 180 Grad. Damit ist der zweitgrößte Winkel wenigstens 60 Grad. Daraus folgt, dass auch der größte Winkel wenigstens 60 Grad ist.


2.     Die Winkelsumme im Dreieck beträgt 180 Grad. Wenn der größte Winkel weniger als 60 Grad betragen würde, dann wäre die Summe der beiden anderen Winkel größer als 120 Grad und damit wenigstens einer der beiden anderen Winkel größer als 60 Grad.

3.     Der Satz ist nicht gültig, da der größte Winkel in einem Dreieck immer wenigstens 90 Grad beträgt. Denn der größte Winkel ist wenigstens so groß wie die Summe des zweitgrößten und des kleinsten Winkels. Daher ist das Zweifache des größten Winkels wenigstens so groß wie die Summe aller drei Winkel, also 180 Grad. Damit ist der größte Winkel wenigstens 90 Grad.

 

Lösung: Durch Überprüfung, ob die zweite angebotene Lösung einen Beweis darstellt oder durch Exklusion: Jedes Dreieck mit einem Winkel, der größer als 120 Grad ist, widerlegt den ersten Satz der ersten angebotenen Lösung. Damit ist der Beweis der ersten angebotenen Lösung falsch. Das gleichseitige Dreieck widerlegt die dritte angebotene Lösung.

 

Bemerkung: Frage 4 ist eine Frage, die geeignet ist, um die Streu vom Weizen zu trennen. Daher sollte man das Erraten der richtigen Lösung etwas schwieriger gestalten.

 

 

Frage 5: Sie möchten die Mandatsverteilung im Österreichischen Parlament graphisch so darstellen, dass man daraus möglichst leicht erkennen kann, welche Koalitionen eine Mehrheit im Parlament hätten. Sie überlegen, welche statistische Graphik dafür gut geeignet wäre.

 

Angebotene Lösungen: Streudiagramm, Liniendiagramm, Kreisdiagramm.

 

Einwand: Der ORF und andere Fernsehanstalten haben sicherlich von Fachleuten untersuchen lassen, welche Art der Graphik am besten dafür geeignet wäre. Diese Fachleute waren vermutlich Kommunikationstechniker oder Psychologen und keine Mathematiker. Die Fragestellung gehört in das Fach Psychologie und hat eigentlich mit Mathematik nichts zu tun.


Bemerkung: Für jede der 5 Fragen werden 3 Lösungen angeboten. Daher ist die Wahrscheinlichkeit p, dass mindestens x Fragen zufällig (etwa durch Würfeln) richtig gelöst werden wie folgt:

 

x = 1  p = 211/243

x = 2  p = 131/243

x = 3  p = 51/243

x = 4  p = 11/243

x = 5  p = 1/243

 

Es ist also z. B. die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schüler zufällig (d. h. ohne eine Ahnung von den Lösungswegen der Beispiele zu haben, also etwa durch Würfeln) mindestens zwei richtige Lösungen angibt, größer als ½. In ähnlicher Weise könnten die Wahrscheinlichkeiten berechnet werden, dass ein Schüler einige Fragen durch eigenes Wissen und die übrigen Fragen zufällig richtig beantwortet.

 

Dieser Umstand muss berücksichtigt werden, da eine unkritische Auswertung der Ergebnisse eine höhere Grundkompetenz der Überprüften vorspiegelt als es der Wirklichkeit entspricht.

 

 

Die Grundkompetenzen der Volksschulabsolventen des Jahres 1949

Im Folgenden werden einige Fragen aus dem Buch 'Aufnahmsprüfung leicht gemacht' (Konrad Falk, Richard Szerelmes: Aufnahmsprüfung leicht gemacht. Österreichischer Bundesverlag, 1949) angegeben und zu einer fiktiven Aufnahmeprüfung für die damalige Mittelschule zusammengestellt. Dabei sind die Ähnlichkeiten der ersten drei Fragen mit den ersten drei Fragen aus der 'Presse' gewollt.

 

 

Frage XIII.c): 'Ein rechteckiges Zimmer ist 24,89 Quadratmeter groß. Eine Seitenlänge misst 5,24 Meter. Wie groß ist die andere Seite?'


Frage XLVI. (modifiziert): 'Von Münster nach Bruckhausen sind es 150 km, nach Korbach 180 km und nach Einsfeld 140 km. Ein Moped benötigt 6 l Benzin für die längste dieser Strecken. Wie viele Meter kann das Moped mit 1 l Benzin zurücklegen?'

 

Frage VII.c): 'Wenn man das Neunfache einer Zahl um 111 vermehrt, erhält man das Zwölffache dieser Zahl. Wie groß ist die Zahl?'

 

Frage XLV.: 'Die Hälfte, das Viertel und Achtel einer Zahl geben zusammen 35. Wie groß ist die Zahl?'

 

Frage XXIV.: 'Einst kostete ein Stück Leinwand (23 m) 48 S 30 g. Wie viel zahlte man für 12 m dieser Leinwand?'

 

Antworten auf die Fragen wurden im Jahr 1957 nicht vorgegeben.

 

Die Lösung der Frage XIII.c) zeigt, dass die Volksschulabsolventen des Jahres 1949 Divisionen durchführen konnten, in denen Dividend und Divisor positive rationale Zahlen mit zwei Kommastellen sind. Die Fragen aus 'Aufnahmsprüfung leicht gemacht' zeigen, dass diese Schüler auch den Dreisatz in einigen Varianten beherrschten.

 

 

Zusammenfassung:

1.     Größere Sorgfalt bei der Erstellung der Fragen und der vorgesehenen Antworten ist zu empfehlen.

2.     Die Fragen aus der 'Presse' sollten von Absolventen der sechsten Schulstufe ohne größere Schwierigkeiten gelöst werden können.

3.     Die Fragen der fiktiven Aufnahmeprüfung des Jahres 1949 sind mindestens genauso schwer zu lösen wie die fünf Fragen aus 'Presse'. Es wäre interessant, eine reale Aufnahmeprüfung des Jahres 1949 (ohne angebotene Lösungen, wie es damals üblich war) den Schülern der sechsten und der achten Schulstufe in einer Feldtestung vorzulegen und die Ergebnisse mit den Feldtestungen der Jahre 2009 und 2011 zu vergleichen.“


In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Frau Bundesminister für Unterricht, Kunst und Kultur die folgende

 

 

Anfrage

 

 

1.     Wurden die o.g. fünf Fragen, die in der Tageszeitung „Die Presse“ veröffentlicht wurden, tatsächlich in dieser Form gestellt?

2.     Für welche der Fragen 1 bis 5 wurden die angegebenen Lösungen angeboten?

3.     Wie erklären Sie sich den Niveauunterschied der Fragen aus dem Lernbehelf von 1949 verglichen mit den Fragen der Feldtestung von 2012, der überdies mehrere Schulstufen ausmacht?

4.     Wie erklären Sie sich die Ergebnisse der Feldtestung 2012 angesichts des Niveauunterschieds der Fragen aus dem Lernbehelf von 1949 verglichen mit den Fragen der Feldtestung von 2012, der überdies mehrere Schulstufen ausmacht?

5.     Ist das BMUKK dazu bereit, repräsentative Aufnahmeprüfungen der Jahre 1949 bis 1954 bei Schülern der 6. und 8. Schulstufe im Rahmen einer Feldtestung abzuprüfen und die Ergebnisse mit jenen der o.g. Feldtestung zu vergleichen?