15344/J XXIV. GP

Eingelangt am 03.07.2013
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Anfrage

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Justiz

betreffend schwerer Missstände im Jugendstrafvollzug

BEGRÜNDUNG

 

Die Wochenzeitung der "Falter" berichtet am 26.06.2013:

Kind, Knast, Besenstiel
Bericht: Florian Klenk

„Ein 14-Jähriger wird wegen einer Bagatelle verhaftet und von Mithäftlingen vergewaltigt. Eine Jugendrichterin nennt den Jugendstrafvollzug in Wien unverblümt "Folter“

Genau zehn Jahre ist es her, dass der damalige FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer den Jugendgerichtshof abschaffte. Die Richter protestierten damals. Sie hielten den in den 1920er-Jahren gegründeten Jugendgerichtshof für eine progressive Institution. Sie sollte verhindern, dass die Wucht des Strafrechts Jugendliche hart trifft. "Alles wird besser!“, vor allem die Haftbedingungen für Jugendliche, beruhigte Böhmdorfer.

Der Häftling, den wir hier Mario K. nennen, war damals vier Jahre alt. Heute ist er 14, und er saß kürzlich in Böhmdorfers Jugendabteilung in der Justizanstalt Josefstadt.

Mario K. ist kein brutaler Wiederholungstäter, sein Verbrechen bestand darin, dass er einem Mann mit vorgehaltenem Taschenmesser ein Handy wegnehmen wollte. Der Mann sagte "Das täte dir so passen“ und hielt den Burschen fest. Die Staatsanwälte nennen es schweren Raub und beantragen bei Gericht U-Haft, obwohl Mario K. unbescholten ist.


Mario K. kam in eine Zelle mit vier anderen Jugendlichen. Weil es in der Justizanstalt Josefstadt viel zu wenig Personal gibt, werden die Zellen am Freitag bereits um 15 Uhr geschlossen und erst am Montag um acht Uhr früh wieder geöffnet. Die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig, eine der engagiertesten Jugendrichterinnen Wiens, nennt das "Folter“. Die Jugendlichen, sagt sie, sind völlig sich selbst überlassen. Würden Eltern ihre Kinder so einsperren, "wir würden sie wegen Kindesmisshandlung verfolgen“. Die Justiz habe die Obsorge über die Gefangenen.

Auch an Werktagen beginnt manchmal schon um 15 Uhr der "Nachtdienst“, und die Jugendlichen sind sich selbst überlassen. Beamte sind nicht mehr im Stock. Die Kids können zwar einen Notknopf drücken, doch das tun die wenigsten. Denn nicht selten folgen für die Verräter Zwangstätowierungen.

Mario K. hatte sich dennoch den Beamten anvertraut. Am 6. Mai dieses Jahres war das. Die Beamten sind einiges gewohnt - dass Mithäftlinge den Jugendlichen die Köpfe in die Klomuschel stecken, dass sie ihre Mitgefangenen zwingen, mit Zahnbürsten den Kot aus der Toilette zu schrubben, um sich dann damit die Zähne zu putzen. Beate Matschnig sagt, in Haft säßen viele "dissoziale Kinder“, vor allem Schwache seien ihnen auch sexuell schutzlos ausgeliefert.

Doch was Mario K. erzählte, macht Matschnig sichtlich wütend. Die Medien müssten endlich hinschauen. Im Rahmen eines Expertenzirkels, den der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser vergangene Woche aufgrund der Falter-Berichterstattung zu den Missständen in der Justizanstalt Josefstadt (Korruption, sexuelle Übergriffe, Schmuggel durch Beamte) im Nationalrat organisierte, legte Jugendrichterin Matschnig die Fakten auf den Tisch.

Mario K., so enthüllte sie, wurde nicht nur von Mithäftlingen gezwungen, Erbrochenes vom Boden aufzuschlecken. Der 14-Jährige wurde danach auch noch mit einem Besenstiel vergewaltigt.

Matschnig sagt: "Solche Misshandlungen an Jugendlichen kommen immer wieder vor.“ Die Jugendlichen würden in den heißen Zellen aggressiv. Es gebe kaum Sportmöglichkeiten im Josefstädter Gefängnis, kaum Beschäftigung. Und am Wochenende sei die Zellen von Freitag 15 Uhr bis Montag acht Uhr früh überhaupt geschlossen, das sind 65 Stunden, mitunter bei brütender Hitze.

Die Jugendrichterin offenbart noch etwas: Die für den Strafvollzug zuständige "Vollzugsdirektion“ habe bereits ein fertiges Konzept für eine Betreuung Jugendlicher in Wohngemeinschaften vorgelegt. 14-Jährige, so Matschnig, hätten im Gefängnis eigentlich nichts verloren. In der Schweiz würde man sie nicht mehr einsperren. Doch das Justizministerium habe die Verbesserung der tristen Lage aus "Spargründen“ gestrichen. Auch die FPÖ-Exekutivgewerkschaft wettert schon gegen zu viele Freizeitaktivitäten. So müssen weiterhin rund 20 Jugendliche im Knast sitzen. Manche sogar deshalb, weil die Jugendbehörden keinen Heimplatz für sie finden, wie Matschnig erzählt.


Und Justizministerin Karl? Sie bedauert den Fall, der nun vor der Wahl eine Debatte über die Zustände in Wiens Jugendgefängnissen auslösen könnte.

Der 14-jährige Häftling wurde übrigens aus der Haft entlassen, das Strafverfahren gegen ihn wegen "mangelnder Reife“ eingestellt.“

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Wie viele männliche Jugendliche befinden sich zum Stichtag 30.6. 2013 in der Justizanstalt Wien-Josefstadt in Haft?

2)    Wie viele männliche junge Erwachsene befinden sich zum Stichtag 30.6. 2013 in der Justizanstalt Wien-Josefstadt in Haft?

3)    Wie viele weibliche Jugendliche befinden sich zum Stichtag 30.6. 2013 in der Justizanstalt Wien-Josefstadt in Haft?

4)    Wie viele weibliche junge Erwachsene befinden sich zum Stichtag 30.6. 2013 in der Justizanstalt Wien-Josefstadt in Haft?

5)    Wie viele männliche Jugendliche befinden sich zum Stichtag 30.6. 2013 in der Justizanstalt Gerasdorf in Haft?

6)    Wie viele männliche junge Erwachsene befinden sich zum Stichtag 30.6. 2013 in der Justizanstalt Gerasdorf in Haft?

7)    Wie viele weibliche Jugendliche befinden sich zum Stichtag 30.6. 2013 in der Justizanstalt Schwarzau in Haft?

8)    Wie viele weibliche junge Erwachsene befinden sich zum Stichtag 30.6. 2013 in der Justizanstalt Schwarzau in Haft?

9)    Welche Einschlusszeiten gelten für das Jugenddepartment der Justizanstalt Wien-Josefstadt?

10) Welche Einschlusszeiten gelten für die Justizanstalt Gerasdorf?

11) Welche Einschlusszeiten gelten für Jugendliche und junge Erwachsene in der Justizanstalt Schwarzau?

12) Wie viele körperliche Übergriffe wurden im Jahr 2010, 2011, 2012 und im ersten Halbjahr 2013 jeweils im Jugenddepartment der Justizanstalt Wien-Josefstadt dokumentiert?

13) Wie viele körperliche Übergriffe wurden im Jahr 2010, 2011, 2012 und im ersten Halbjahr 2013 jeweils in der Justizanstalt Gerasdorf dokumentiert?

14) Wie viele körperliche Übergriffe an Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden im Jahr 2010, 2011, 2012 und im ersten Halbjahr 2013 jeweils in der Justizanstalt Schwarzau dokumentiert?

15) Wie viele sexuelle Übergriffe wurden im Jahr 2010, 2011, 2012 und im ersten Halbjahr 2013 jeweils im Jugenddepartment der Justizanstalt Wien-Josefstadt dokumentiert?

16) Wie viele sexuelle Übergriffe wurden im Jahr 2010, 2011, 2012 und im ersten Halbjahr 2013 jeweils in der Justizanstalt Gerasdorf dokumentiert?

17) Wie viele sexuelle Übergriffe an Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden im Jahr 2010, 2011, 2012 und im ersten Halbjahr 2013 jeweils in der Justizanstalt Schwarzau dokumentiert?

18) Kommt es vor, dass Jugendliche oder junge Erwachsene in der Justizanstalt Wien-Josefstadt von Freitag 15:00 bis Montag 8:00 Uhr mangels Personal in Ihren Zellen eingeschlossen bleiben müssen?

19) Wenn ja, wie oft?

20) Wie oft wird der Sporthof und der Turnsaal von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Justizanstalt Josefstadt in der Woche benutzt.

21) Welche Schritte wurden eingeleitet, um den in der Begründung geschilderten Sachverhalt aufzuklären?

22) Welche Schritte wurden bereits gesetzt, um bestmöglich sicherzustellen, dass sich derartige tragische Vorfälle nicht mehr wiederholen?

23) 2010 wurde der Personaleinsatz in der Justizanstalt Wien-Josefstadt unter anderem mit dem Ziel evaluiert, die Betreuung der Jugendlichen weiter zu verbessern. Was ist seither in diesem Zusammenhang geschehen?

24) Wie viele Arbeits- und Ausbildungsplätze stehen in der Justizanstalt Wien-Josefstadt für Jugendliche und junge Erwachsene zur Verfügung?

25) Wie lautet die Besuchszeitenregelung für Jugendliche und junge Erwachsene in der Justizanstalt Wien-Josefstadt?

26) In welchem Stadium befinden sich die Überlegungen ein neues Jugendgefängnis im Großraum Wien zu schaffen?

27) Welche Überlegungen gibt es in Ihrem Ressort, die U-Haft für Jugendliche durch einen elektronisch überwachten Hausarrest in geeigneten Jugendeinrichtungen zu ersetzen?

28) Wann ist die Realisierung dieses Konzepts geplant?