243/KOMM XXIV. GP

 

Kommuniqué

des Ständigen Unterausschusses des Ausschusses
für innere Angelegenheiten

 

 

Überprüfungen im Fall Natascha Kampusch

 

 

Der ständige Unterausschuss für Innere Angelegenheiten hatte in der Evaluierung des Falls „Kampusch“ vor allem zwei Fragen zu beantworten:

1.      Sind die Ermittler von Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei ihrer Aufgabe mit der notwendigen Sorgfalt und Professionalität nachgekommen?

2.      Ist den wesentlichen Fragen, die sich im Laufe der Ermittlungen ergeben haben, ausreichend nachgegangen worden?

Nach Ansicht des Unterausschusses müssen beide Fragen mit „Nein“ beantwortet werden. Dabei wurde die Arbeit des Unterausschusses durch den Umstand, dass ihm nicht alle Akten vorgelegen sind, erschwert.

Daher empfiehlt der Unterausschuss dem Bundesministerium für Innere Angelegenheiten und dem Bundesministerium für Justiz die Evaluierung der Ermittlungsarbeiten zum Fall „Kampusch“ durch Cold-Case-Spezialisten mit internationaler Beteiligung, etwa durch Experten des Bundeskriminalamtes der Bundesrepublik Deutschland oder des FBI der Vereinigten Staaten von Amerika.

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist dabei abhängig von neuen Ermittlungsansätzen, die sich auch aus dieser Evaluierung ergeben können.

Ziel der Evaluierung muss sein, dass Maßnahmen gesetzt werden, damit sich in Zukunft Betroffene in vergleichbaren Fällen darauf verlassen können, dass die ermittelnden Beamten mit höchster fachlicher Qualifikation und größtmöglicher Sorgfalt alles tun, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden.

Was das Verfahren selbst anlangt, so fällt sowohl die Entführung der Natascha Kampusch als auch deren Selbstbefreiung in die Geltungszeit der alten StPO. Ein Großteil der nach dem Freikommen der Natascha Kampusch durchgeführten Ermittlungen fand jedoch bereits unter dem Regime der mit 1. 1. 2008 in Kraft getretenen StPO statt.

Inwieweit die Reform des Verfahrensrechts, aber insbesondere auch die Übergangsphase Auswirkungen auf die Ermittlungen in der Causa Kampusch gehabt hat, wurde im Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten nicht untersucht. Unabhängig vom Fall Kampusch wird die Strafprozessreform aber von einem Unterausschuss des Justizausschusses evaluiert.


 

Bericht

 

I. Allgemeines

 

Der ehem. Präsident des OGH, Dr. Johann Rzeszut, hatte sich mit Schreiben vom 29. September 2010 an die Klubobleute der fünf Parlamentsparteien gewandt und auf eine Reihe von Widersprüchen in den Ermittlungen in der sogenannten Causa Kampusch hingewiesen, die nach seiner Auffassung eine weitere Untersuchung des Falles notwendig machten. Dieses Schreiben wurde auch der damaligen Bundesministerin für Justiz zur Stellungnahme übermittelt.

Dieser Brief, in dem u.a. schwere Vorwürfe gegen die ermittelnden Staatsanwälte erhoben wurden,  wurde von Seiten der Justiz zum Anlass genommen, gegen fünf Staatsanwälte[1] ein Verfahren wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs einzuleiten. Der von der Staatsanwaltschaft Innsbruck und gemäß § 101 Abs. 2 StPO vom Landesgericht Innsbruck zu untersuchende Vorwurf war die Unterlassung von gebotenen Ermittlungsschritten in der Causa Kampusch  durch die betroffenen Staatsanwälte. Dieses Verfahren wurde schließlich, nach Durchführung von Vernehmungen und Evaluierung des gesamten Verfahrens unter dem Gesichtspunkt des Amtsmissbrauchs gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt. Der vom BMJ eingeschaltete Rechtsschutzbeauftragte hat über eine mögliche Fortsetzung des Verfahrens noch nicht entschieden.

Dazu liegt der von der OStA Innsbruck und vom BMJ genehmigte Einstellungsbericht der StA Innsbruck vor.

Die beiden amtierenden Bundesministerinnen für Justiz, Dr. Beatrix Karl,  und für Inneres, Mag. Johanna Mikl-Leitner, gaben dem Unterausschuss gegenüber die Erklärung ab, dass sie alle Akten in der der „Causa Kampusch“ übermittelt hatten. Mediale Berichte über Einflussnahmen auf die Ermittlungen der OStA Innsbruck wurden vom Ausschuss nicht untersucht.

 

II. Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten

Der ständige Unterausschuss hat am 01. 12. 2011 beschlossen, die Ermittlungen im Fall Kampusch nochmals zu evaluieren.

Vom Unterausschuss  wurden folgende Personen zur Auskunftserteilung eingeladen:

         ●  Präs. des OGH i.R. Dr. Johann Rzeszut

         ●  Präs. des Verfassungsgerichtshofs i.R. Dr. Ludwig Adamovich

         ●  StA Mag. Hans-Peter Kronawetter

         ●  LOStA Dr. Kurt Spitzer

         ●  LStA Dr. Thomas Mühlbacher

         ●  GenMjr Nikolaus Koch

         ●  CI Frühstück und

         ●  ao. Univ.-.Prof. Dr. Daniele Risser

Der ebenfalls eingeladene Untersuchungsrichter in der Causa Kampusch[2], Mag. Christian Gneist, ist der Einladung des Unterausschusses bedauerlicher Weise nicht gefolgt.

III. Zeittafel

 

Zur besseren Übersicht empfiehlt sich eine kurze Darstellung des zeitlichen Ablaufs der Ermittlungen:

 

2. 3. 1998

Entführung der Natascha Kampusch
Ermittlungen durch das Sicherheitsbüro Wien

18. 7. 2002

Zuständigkeitsübertragung (durch Dr. Haidinger)

an Kriminalabteilung Burgenland
(ab 1. 7. 2005: Landeskriminalamt Burgenland)

mit anschließendem Auftrag zur Cold-Case-Evaluierung

2004 - 2005

Einscannen des Aktes in das elektronische System CONVERA

23. 8. 2006

Freikommen der Natascha Kampusch

Tod des Wolfgang Priklopil

21.9.2006

Einstellung des Verfahrens gg Priklopil (wegen Todes)

15.11.2006

Einstellung des Verfahrens gg unbekannte Täter

6. 2. 2008

Abschlussbericht des LKA Burgenland an die StA Wien

Beendigung der Ermittlungen

10. 2. 2008

Einsetzung der „Adamovich-Kommission“

25. 2. 2008

Erster Evaluierungsbericht der Adamovich-Kommission

30.4.2008

Besprechung von Erkenntnissen der Adamovich-Kommission mit Vertretern der OStA und StA Wien

9. 5. 2008

Zweiter Evaluierungsbericht der Adamovich-Kommission

9. 6. 2008

Abschlussbericht samt Empfehlungen der Adamovich-Kommission

22. 10. 2008

Sachverhaltsdarstellung „Anfangsverdacht gegen Ernst H., Elisabeth G., Peter B. u.a.“ wegen §§206, 207 und 207a StGB

StA Wien: Anordnung von Erkundigungen durch Bundeskriminalamt

1.  12. 2008

Zur Durchführung dieses Auftrages wurde beim Bundeskriminalamt eine Sonderkommission (SOKO Kampusch) unter behördlicher  Leitung von Mag. Zwettler und operativer Leitung von Oberst Franz Kröll eingesetzt

18. 12. 2008

Wiedereinsetzung der Adamovich-Kommission durch die BM für Inneres mit dem Ziel einer interdisziplinären, begleitenden strukturellen Unterstützung der Kriminalpolizei

2. 7. 2009

Zuteilung von Dr. Mühlbacher zur OStA Wien, er übernimmt die Leitung des Verfahrens

Am 4.9. 2009 auf unbestimmte Zeit verlängert

10. 9. 2009

Einstellung des Verfahrens gegen Ernst H., Elisabeth G. und Peter B. wegen § 207a StGB

10. 12. 2009

Abschlussbericht der SOKO Kampusch (Oberst Kröll) an die OStA Wien: „Keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsansätze“

8. 1. 2010

Pressekonferenz Pleischl, Jarosch u.a. zum Fall Kampusch

8. 1. 2010

Einstellung des Verfahrens

24. 6. 2010

Tod Oberst Kröll

29. 9. 2010

Sachverhaltsdarstellung von Präs. Dr. Rzeszut an die Klubobleute

14. 10. 2010

Zuständigkeitsbestimmung der StA Innsbruck  für das Verfahren gegen LOStA Dr. Plesichl u.a. durch die Generalprokuratur

17. 11. 2011

Genehmigung der von der StA Innsbruck beabsichtigten Einstellung des Verfahrens gegen LOStA Dr. Pleischl u.a. durch das BMJ

23. 11. 2011

Einstellung der Verfahrens gegen LOStA Dr. Pleischl u.a.

1. 12. 2011

Erste Sitzung des Unterausschusses des Ausschusses für innere Angelegenheiten in der Sache Kampusch (Beschlussfassung über Akteneinsicht)

IV. Ergebnis der Evaluierung[3]

 

Bei der Zusammenfassung der vom Unterausschuss für innere Angelegenheiten gemachten Feststellungen ist zu unterscheiden zwischen offensichtlichen Ermittlungsfehlern und einer nach Auffassung des Ausschusses bedenklichen Vernachlässigung von Erkenntnissen bzw. deren einseitiger Beurteilung.

Was den Selbstmord des W. Priklopil anlangt, so gab der die Obduktion durchführende Gerichtsmediziner in seiner Einvernahme vor dem Unterausschuss an, dass kein Hinweis auf Mord vorgelegen sei. Er wies aber darauf hin, dass die Leiche des Wolfgang  Priklopil bei seinem Eintreffen in unüblicher Weise nicht mehr in der Ausgangslage vorgefunden wurde, vielmehr lag sie bereits in einem Leichensack. Eine umfassende toxikologische Untersuchung wurde aufgrund der dem Gerichtsmediziner eröffneten Vorgeschichte, dass es sich bei dem Toten um einen polizeilich verfolgten Kindesentführer handle, der sich das Leben genommen habe, nicht vorgenommen. Weiters ist zu bemerken, dass in den Akten keine mit dem Zugbegleiter aufgenommene Niederschrift vorhanden ist.

 

1.      Ermittlungsfehler vor der Flucht von Natascha Kampusch

 

         Auffallend ist, dass im Zuge der Ermittlungen, gleichgültig ob diese bis Ende 2007 vom Untersuchungsrichter oder in der Folge von der Staatsanwaltschaft geführt  wurden, in ganz besonders geringem Ausmaß justizielle Vernehmungen durchgeführt wurden, was gerade bei einem so bedeutenden Kriminalfall nur schwer verständlich ist. Ebenso fällt auf, dass manche Aussagen von für den Fall bedeutenden Zeugen oft nur in Berichtsform (und nicht als Wortprotokoll) durch die handelnden Polizeibeamten Eingang in den Akt gefunden haben.

 

         Als schwerer Ermittlungsfehler muss wohl die Nichtbeachtung des Hinweises eines Polizei-Hundeführers auf Wolfgang Priklopil bereits im Jahr 1998 gewertet werden, der neben einem Hinweis aus der Nachbarschaft des Wolfgang Priklopil bereits der zweite direkte Hinweis auf den Entführer war. Dazu kommt, dass dieser Hinweis gemeinsam mit dem zweiten Hinweis auf Priklopil gemeinsam in einem Akt abgelegt und nicht weiter beachtet wurde.

 

         Diese zwei Hinweise wurde erst nach dem Freikommen der Natascha Kampusch bei einer Suche nach Wolfgang Priklopil in dem erst nachträglich eingerichteten Aktensystem CONVERA gefunden. Eine frühere Beachtung dieses Hinweises hätte möglicherweise dazu beitragen können, den Freiheitsentzug der Natascha Kampusch wesentlich zu verkürzen. Zu kritisieren ist, dass nach dem Freikommen der Natascha Kampusch versucht wurde, durch Einflussnahme auf den Hinweisgeber dieser offensichtliche Ermittlungsfehler zu verschleiern und vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Weiters wurde festgestellt, dass im Jahr 2002 anlässlich der Übertragung des Aktes an die Kriminalabteilung Burgenland durch den Direktor des Bundeskriminalamtes eine umfassende Evaluierung der bisherigen Ermittlungen beauftragt wurde. Statt einer Aufarbeitung der bisherigen Erhebungen im Sinne eines „Cold-Case-Managements“ führte jedoch die eingesetzte Sonderkommission die Ermittlungen fort, insbesondere im Hinblick auf die Behauptungen eines Privatdetektivs. Auch hier wurde eine Chance verpasst festzustellen, dass es bereits zwei Hinweise auf Priklopil gab.

 

         Die Verantwortung dafür trifft neben den Beamten der SOKO Burgenland auch den Staatsanwalt, der in auffallender Weise in entscheidenden Phasen der Ermittlungen untätig geblieben ist.

 

2.      Einzeltäter – Mehrtätertheorie – Mitwisser

 

         Die Frage, ob die Einzeltätertheorie aufrechterhalten werden kann, stellt die zentrale Frage jeder Evaluierung der Causa Kampusch dar. Dabei kommt der Zeugin Ischtar A. eine wesentliche Bedeutung zu, nach deren Aussage zwei Männer an der Entführung von Kampusch beteiligt waren. Die bestehenden Widersprüche zwischen den Aussagen von Kampusch und Ischtar A. sind bis heute nicht ausgeräumt. Die durchgeführte Gegenüberstellung wurde nicht in einem Wortprotokoll festgehalten, und kann nicht alle Zweifel ausräumen.

 

         In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Aussage der Ischtar A. vor dem Untersuchungsrichter in Innsbruck zu verweisen, dass sie von einvernehmenden Beamten, an deren Namen sie sich allerdings nicht erinnern konnte, unter Druck gesetzt worden sei. Noch deutlicher wird dieser Vorwurf in dem von der Richteramtsanwärterin Mag. Bettina E. am LG Innsbruck aufgenommenen Aktenvermerk dargestellt.

 

         Bei Beurteilung dieser Frage sind auch weitere Umstände der Entführung von Bedeutung, nämlich:

 

             • Warum fuhr Wolfgang Priklopil nach der Entführung in ein Waldstück, telefonierte dort und stellt fest, dass Natascha Kampusch nicht abgeholt würde?

             • Warum erfolgte die Entführung am 2. 3. 1998, obwohl zu diesem Zeitpunkt nachgewiesenermaßen das „Verlies“ noch nicht fertiggestellt war? In diesem Zusammenhang ist auch die Verletzung des Wolfgang Priklopil zu erwähnen, die im Krankenhaus Korneuburg behandelt wurde. Dabei ist auffällig, dass Priklopil von einem Nachbarn ins Krankenhaus gebracht und am folgenden Tag von dort wieder abgeholt worden war. Priklopil war jedoch nicht stationär aufgenommen worden, weshalb  anzunehmen ist, dass er zwischendurch  von einem Dritten abgeholt und wieder ins Krankenhaus zurückgebracht worden war. Das lässt den Schluss zu, dass er nicht zulassen konnte, eine Nacht von seinem Haus fern zu bleiben.

             • In welchem Zusammenhang stehen die Geldüberweisungen an und von Wolfgang Priklopil im Wege des Kontos seiner Mutter unmittelbar nach dem Zeitpunkt der Entführung (die Aussagen des Freundes von Wolfgang Priklopil, Ernst H., sind diesbezüglich widersprüchlich)? Auch die Aufklärung der Besitzverhältnisse an mehreren Wohnungen hätte möglicherweise zur Aufklärung der Causa beitragen können.

             • Was die  Gründe für die Entführung  betrifft, kann jedenfalls eine Entführung zur  Erlangung von Lösegeld, ebenso wie eine Entführung im Zuge eines Obsorgestreits ausgeschlossen werden.

             • Was die Frage einer Tätermehrheit anlangt, wirft  die Aussage von Natascha Kampusch bei ihrem Freikommen: „Ich weiß keine Namen“, Fragen auf.

             • Wenngleich Ernst H. vom Vorwurf der Begünstigung rechtskräftig freigesprochen worden ist -  es bleibt offen, warum gegen dieses Urteil von Seiten der Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel ergriffen worden ist -, bleiben dennoch Fragen offen, die sich auf ein Zusammentreffen des Ernst H. mit der in Begleitung des Wolfgang Priklopil befindlichen Natascha Kampusch beziehen. Diese Fragen werden durch die Intensität der telefonischen Kontakte zwischen Ernst H. und Natascha Kampusch – Natascha Kampusch führte mit ihm nach ihrem Freikommen Telefonate im Gesamtausmaß von etwa 100 Stunden -  noch verstärkt.

 

Es ist somit festzustellen, dass die Frage nach der Einzeltäterschaft insbesondere dahingehend, ob Priklopil Helfer oder Mitwisser hatte, welche auch nicht mit Frau Kampusch in Kontakt gekommen sein müssen, aufgrund des Todes von Wolfgang Priklopil und der vorliegenden Ermittlungsergebnisse nicht abschließend beantwortet werden kann.


 

3.      Mangelhafte Ermittlungen im zeitlichen Zusammenhang mit dem Freikommen von Natascha Kampusch

 

         Es besteht der Verdacht, dass der Tatort erst mehrere Stunden  nach dem Freikommen der Natascha Kampusch polizeilich versiegelt worden ist, wodurch es Dritten – allenfalls auch Wolfgang Priklopil selbst - gelungen sein könnte, Gegenstände zu verbringen. Möglich erscheint aber auch, dass Wolfgang Priklopil bei seiner Flucht Gegenstände mitgenommen und in der Folge an dritte Personen (möglicherweise Ernst H.) weitergegeben hat. Unverständlich ist, dass trotz des  auffälligen Verhaltens des Ernst H.  am Abend des 23.8.2006 die ausdrückliche Weisung erteilt worden war, H. sei als Zeuge zu behandeln. Dies obwohl, wie sich aus dem Akt ergibt, sich Ernst H. in einem Ausnahmezustand befunden habe, auffallend nervös gewesen sei und geschwitzt habe, weshalb die einschreitenden Beamten angefragt hatten, ob sie eine Durchsuchung der Lagerhalle vornehmen sollten. Auch die Frage H.‘s „Hot er si umbrocht“ ist aus dem Zusammenhang der Amtshandlung heraus nicht zu erklären. Dazu kommt, dass diese Aussage in zweierlei Hinsicht verstanden werden kann.

 

         In Medien wurde von einer Hausdurchsuchung bei Ernst H. berichtet, bei der angeblich ein dem Wolfgang Priklopil gehöriger Laptop gefunden worden war, auf dem große Datenmengen gelöscht worden waren. Diesbezügliche Aktenvorgänge sind dem Unterausschuss jedoch nicht vorgelegen. Die Auswertungen der Daten einschließlich einer forensischen Wiederherstellung von Dateien wäre jedoch von großer Bedeutung gewesen.

 

         Schließlich ist es aus Sicht der Ermittlungen problematisch, dass vom Tagebuch der Natascha Kampusch und der vorgefunden Videokassetten vor der Ausfolgung an sie nicht Kopien für den Akt angefertigt wurden. Darüber hinaus gibt es, was die Sichtung des Videomaterials anlangt, Widersprüche zwischen der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsbehörden.

 

4.      Sonstige ungeklärte Zusammenhänge

 

         Die Durchleuchtung der Vermögensverhältnisse sowie der Vermögensverschiebungen nach dem Ableben des Wolfgang Priklopil ist niemals erfolgt. Dem Unterausschuss lagen dazu auch keine Akten vor.

 

         Auffällige Telefonkontakte gibt es zwischen Elisabeth G. und Ernst H. In diesem Zusammenhang gibt es auch keine überzeugende Erklärung der Speicherung der Telefonnummer des Peter B. unter „Be kind slow“  auf dem Mobiltelefon von Ernst H.

 

         Ferner gab es eine Reihe von Verbindungen aus dem Umfeld des Wolfgang Priklopil  zur Rotlicht-Szene. Ob diese Beziehungen im Zusammenhang mit dem Fall Kampusch gestanden sind, ist allerdings nicht nachzuweisen gewesen.

 

5.      Das Verhalten der Staatsanwaltschaft

 

         Nach Auffassung des Unterausschusses wurden Beweisergebnisse von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht ausreichend erörtert; vielmehr besteht der Eindruck, dass Ergebnisse im Zweifelsfall dahingehend interpretiert wurden, dass sie in die bestehenden Ermittlungsansätze passten. Aussagen von Zeugen, die dem widersprachen, wurden in der Regel als wenig glaubwürdig qualifiziert bzw. wurde solchen  Personen die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Das gilt insbesondere für die Angaben der Tatzeugin A., die über einen langen Zeitraum im Kern immer dieselben Angaben machte und auch daher als besonders glaubwürdig anzusehen ist.

 

         Am 22.9.2006 erstattete die SOKO ihre abschließende Anzeige an die Staatsanwaltschaft.  Die darin enthaltene „Darstellung der Tat“ widerspricht jedoch in wesentlichen Punkten den Erkenntnissen, die sich aus den Erhebungen, insbesondere aus den Einvernahmen von Natascha Kampusch ergeben haben. So wird etwa die Entführung selbst geschildert wie folgt[4]:

         „…habe Wolfgang P. am 2.3.1998 gegen 7.30 Uhr in 1220 Wien, am Rennbahnweg zwischen Melangasse und Tegelweg gegenüber der „Hundewiese“ die damals 10jährige Natascha K. auf ihrem Weg zur Volksschule Brioschiweg in seine Gewalt gebracht. Er habe sie in seinen Kombinationskraftwagen Mercedes Benz 100 D-L, weiß, Originalkennzeichen W-xxxxxxL, auf welchem bisher unbekannte manipulierte Kennzeichen angebracht gewesen seien, gezerrt. Wolfgang P. habe das Mädchen durch gefährliche Drohung zur Unterlassung der Gegenwehr genötigt und sie eingehüllt in eine Decke, im Fahrzeug hinter dem Fahrersitz auf dem Boden liegend zum Anwesen Strasshof, Hxxxxxstrasse XX, verbracht. Dort habe er sie in einen vorbereiteten Raum (Verlies), welcher bereits Jahre zuvor von ihm unter seiner Garage neben der Montagegrube angelegt worden sei, eingesperrt.“

 

         Dieser erste Teil der Darstellung steht in klaren Widerspruch zur Kampusch‘s Aussage. In ihrer ersten Einvernahme hat Kampusch berichtet, dass

         •      sie „stundenlang“ durch dicht besiedeltes Gebiet im Zentrum des 22. Bezirks gefahren wurde;

         •      der Entführer für sein Opfer weder Toilettesachen noch Matratze und Polster vorbereitet hatte;

         •      das Verlies Anfang März nicht geheizt war und ein alter Ölradiator provisorisch aufgestellt werden
       musste;

 

         Dann beschreiben die Beamten die Zeit der Gefangenschaft[5]:

         „Ab etwa Herbst 1998 habe sie unter seiner ständigen Aufsicht in unregelmäßigen Abständen ihr Verlies verlassen und im Haus Arbeiten verrichten müssen sowie Körperpflege durchführen dürfen. Das Haus sei stets durch elektrische Vorrichtungen wie Rollläden, Türschlosscodierung etc. gesichert gewesen“

Die Ausflüge, die regelmäßigen gemeinsamen Einkäufe und die gemeinsame Arbeit in den vier Wohnungen lassen die Beamten unerwähnt. Alles, was das Bild von der Gefangenen, die dem Einzeltäter bei der ersten Gelegenheit entflieht, stört, kommt in der „Darstellung der Tat“ nicht vor.

 

Diese Fehler und Unrichtigkeiten wurden durch den zuständigen Staatsanwalt jedoch in keiner Weise hinterfragt oder aufgegriffen.

 

Auffallend ist weiters das Verhalten der Staatsanwaltschaft nach Wiedereinsetzung der Adamovich-Kommission Ende 2008. Bei einer Besprechung am 30. 4. 2008 wurden zwar mit der Kommission offene Fragen dargestellt und die Einsetzung eines Ermittlungsteams zur Abarbeitung dieser Fragen vereinbart, doch wurde dieses Vorhaben niemals umgesetzt. Im Gegenteil: StA Mag. Kronawetter berichtete am 11. 7. 2008 über die Abstandnahme von weiteren Ermittlungen.

 

Weiters musste in diesem Fall ein schwerwiegendes Kommunikationsproblem zwischen der Staatsanwaltschaft und den ermittelnden Polizeibeamten festgestellt werden. Insbesondere ab dem Zeitpunkt der Einsetzung der „SOKO Kampusch“ im Jahr 2008 herrschte offenbar bei den Kriminalbeamten weitgehende Unklarheit über die Vorgaben der Staatsanwaltschaft. Zu schriftlichen Berichten gab es soweit ersichtlich keine Reaktionen, gemeinsame Besprechungen der Ermittlungsschritte und weiteren Maßnahmen wurden erst ab der Übernahme des Verfahrens durch LOStA Mühlbacher wieder gesetzt. Ob es sich hier nur um Defizite der konkret handelnden Personen handelte, oder ob hier ein Systemproblem im Bereich des neuen StPO-Verfahrens besteht, wird gesondert zu untersuchen sein. Durch bessere Kommunikation hätten jedoch weitreichende Verzögerungen und Leerläufe im Verfahren vermieden werden können.

Auffallend ist insgesamt auch, dass Oberst Kröll auch nach Einstellung des Verfahrens –  aus welchen Gründen immer – weitere Ermittlungen anstellte. Unterlagen darüber dürfte jedenfalls sein Bruder gehabt haben, dem Untersuchungsausschuss standen aber offensichtlich nicht alle derartigen Unterlagen zur Verfügung.

V.  Zusammenfassung

Der Unterausschuss anerkennt Natascha Kampusch selbstverständlich als Opfer.

Es ist anzuerkennen, dass Aktenbestandteile im Sinne des Opferschutzes restriktiv behandelt worden sind. Der Opferschutz darf aber nicht so weit gehen, dass einzelne Aktenteile nicht einmal den beteiligten Ermittlungsbeamten und ihren Vorgesetzten bekannt waren. Um ein Bekanntwerden von Aktenbestandteilen zu vermeiden, wären vielmehr, neben der Bewusstseinsbildung sowohl auf Beamtenseite wie auch auf Seiten der Medien,  eingehende Untersuchungen und  strenge Sanktionen gegen die Weitergabe von Aktenteilen notwendig gewesen.

Die Ermittlungen im Fall Kampusch sind, neben offensichtlichen Ermittlungsfehlern, dadurch gekennzeichnet, dass Ermittlungsschritte unterlassen worden sind, die unter Umständen zu einer umfassenderen Klärung des Falles hätten beitragen können. Insgesamt fällt, auch unter Beachtung der Aussagen jener Personen, die dem Unterausschuss zur Auskunft zur Verfügung gestanden sind, eine mangelnde Analyse der Ermittlungsergebnisse und der Mangel einer strategischen Ermittlungsplanung auf.  Im Bereich des neuen Vorverfahrens erscheint eine bessere und engere Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei, als sie in diesem Fall vorlag, unbedingt erforderlich.

Der Unterausschuss kommt zum Schluss, dass der Verdacht besteht, dass eine objektive Evaluierung der Ermittlungen von außen beeinflusst worden ist. All das lässt eine neuerliche eingehende Beurteilung des Falles durch Experten aus dem Bereich der Kriminalpolizei, der Cold-Case – Evaluierung und der  Forensik angezeigt erscheinen, um Erkenntnisse auch zur Vermeidung vergleichbarer Pannen und Fehler in der Zukunft zu gewinnen.

Bei den Ergebnissen des Innsbrucker Verfahrens ist zu berücksichtigen, dass dieses Verfahren den Verdacht des Amtsmissbrauchs  zum Inhalt hatte und daher keine Evaluierung des Gesamtfalles leisten konnte.

Aus diesem Grund erscheint es dem Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten wünschenswert, wenn – auch im Lichte der Erörterungen dieses Unterausschusses – der Fall und die offen gebliebenen Fragen einer neuerlichen Evaluierung unter Einbeziehung externer Kriminalisten unterzogen würde. Sollten sich dabei Ansätze für eine Wiederaufnahme von Verfahren ergeben, wäre diesen nachzugehen.

Unabhängig von dem konkret untersuchten Fall ist festzustellen, dass durch das Strafprozessreformgesetz, mit welchem die Aufgabe zur Untersuchung des Verdachts strafbarer Handlungen vom Untersuchungsrichter an die Staatsanwälte übertragen worden ist, die Kompetenzen der Staatsanwälte enorm ausgeweitet wurden.  Mit dieser erweiterten Kompetenz ist auch die Verantwortung der Staatsanwälte gestiegen. Einzelne Experten vertreten die Ansicht, dass durch  die Verankerung der Staatsanwälte in der Verfassung - als Organe der Gerichtsbarkeit –  die Staatsanwälte der Kontrolle ihrer Tätigkeit durch das Parlament entzogen worden sind.

Auch im Hinblick auf die festgestellten offensichtlichen Mängel bei den Ermittlungen  erscheint es daher notwendig klarzustellen, dass die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden in Ausübung ihrer Tätigkeit im Sinne des Offizialprinzips einer nachprüfenden parlamentarischen Kontrolle unterliegt.  Zur besseren Handhabung sollte daher eine nachprüfende Kontrolle in einem parlamentarischen Unterausschuss verwirklicht werden.

Dadurch darf jedoch nicht in die Unabhängigkeit der Rechtsprechung eingegriffen werden.

Wien, 2012 06 28



[1] LOStA Dr. Werner Pleischl, LStA Dr. Thomas Mühlbacher, HR Dr. Otto Schneider, GL- Mag. Hans-Peter Kronawetter und EStA Mag. Gerhard Jarosch

[2] Auf Grund des 2004 beschlossenen, aber erst mit 1. 1. 2008 in Kraft getretenen Strafprozessreformgesetzes war bis 3.12.2007 der Untersuchungsrichter Mag. Gneist und danach StA Mag. Kronawetter für die Ermittlungen zuständig.

[3] Eine detaillierte Auflistung der Ergebnisse wird dem BMI sowie dem BMJ übermittelt, um diese in die Lage zu versetzen, auf dieser Grundlage mögliche weitere Schritte anzuordnen

[4] Vgl. Veröffentlichung der OStA Innsbruck gem. § 35a StAG  vom 9.3.2012 auf www.edikte.at,  S 11

[5] Ebenfalls Veröffentlichung der OStA Innsbruck vom 9.3.2012 auf www.edikte.at, S.12