BUNDESMINISTERIUM

FÜR

EUROPÄISCHE UND INTERNATIONALE

ANGELEGENHEITEN

 

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E-MAIL

 

GZ:

BMeiA-AT.8.15.02/0051-I.A/2010

Datum:

23. März 2010

Seiten:

4

An:

Parlament: Verfassungsausschussbegutachtung@parlament.gv.at

Von:

Bot. Dr. H. Tichy

SB:

Ges. Dr. Kumin, LR Mag. Csörsz

DW:

3992

 

BETREFF:    Bundesverfassungsgesetz, mit dem zur Durchführung des Vertrags von Lissabon das Bundes-Verfassungsgesetz und das Bundesverfassungsgesetz, mit dem besondere Bestimmungen für die Neuermittlung der Verteilung von nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zu vergebenden Mandaten durch die Bundeswahlbehörde erlassen werden, geändert werden (Lissabon-Begleitnovelle);

Stellungnahme des BMeiA

 

Zu da. E-Mail vom 25. Februar 2010

 

 

Das BMeiA nimmt zum oz. Initiativantrag wie folgt Stellung:

 

 

1. Zu den vorgeschlagenen Bestimmungen

 

Zu Art. 1 Z 5 des Antrags:

 

Art. 23e Abs. 1a:

 

Aus der Begründung geht hervor, dass sich dieser Absatz (auch) auf Bestimmungen der Verträge beziehen soll, die vom Europäischen Rat beschlossen werden (so die zitierten Art. 31 Abs. 3 EUV bzw. Art. 312 Abs. 2 AEUV). Der Absatz wäre daher durch die Wortfolge „des Europäischen Rates oder“ zu ergänzen („über einen bevorstehenden Beschluss des Europäischen Rates oder des Rates“).

Zur besseren Verständlichkeit und um Art. 48 Abs. 7 EUV besser zu entsprechen,  wird angeregt, in diesem Absatz noch Folgendes zu ändern: „Übergang vom Einstimmigkeitserfordernis zur qualifizierten Mehrheit bzw. von einem besonderen Gesetzgebungsverfahren zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“.

 

Überdies wird darauf hingewiesen, dass dieser Absatz keinen Mehrwert zu haben scheint, da Initiativen für Passerelle-Beschlüsse (wie auch aus der Begründung hervorgeht) bereits unter den Vorhabensbegriff des Abs. 1 fallen.

 

Art. 23e Abs. 2 und Abs. 3:

 

Aus der Begründung geht hervor, dass mit der Änderung des Wortlauts von „unmittelbarer Anwendbarkeit“ auf „unmittelbare Geltung“ lediglich eine terminologische Anpassung vorgenommen werden soll. Gemäß Rechtsprechung und Lehre kann „unmittelbare Geltung“ jedoch keineswegs mit „unmittelbarer Anwendbarkeit“ bzw. (in der deutschen Lehre häufiger) „unmittelbarer Wirkung“ gleichgesetzt werden. Eine Änderung des Wortlauts des Art. 23e Abs. 2 B-VG (von „Anwendbarkeit“ auf „Geltung“) könnte daher durchaus als materielle Änderung interpretiert werden, zumal der Vertrag von Lissabon keine terminologische Änderung der Definition der Verordnung bewirkt (vgl. Art. 249 EGV einerseits bzw. identisch Art. 288 AEUV andererseits, wonach die Verordnung in jedem Mitgliedstaat „unmittelbar gilt“).

 

Angesichts der europarechtlichen Komplexität und im Interesse der Rechtssicherheit sollte daher bei der geltenden Formulierung („die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsakts“) verblieben werden.

 

Art. 23f Abs. 3:

 

Es hätte wohl „nach Maßgabe der Artikel 23g bis 23j“ zu heißen (vgl. Begründung „nach Maßgabe der nachfolgenden Artikel“).

 

Art. 23g Abs.1:

 

Es wird in Hinblick auf die Begründung festgehalten, dass sich die begründete Stellungnahme nach Art. 6 des Subsidiaritätsprotokolls auf die Frage zu beschränken hat, „weshalb der Entwurf … nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist“. Ausführungen zur Übereinstimmung des Entwurfs mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, zur Rechtsgrundlage oder zum Inhalt eines Entwurfs hätten in einer solchen Stellungnahme keine Rechtsgrundlage und damit keine rechtlichen Wirkungen, auch wenn sich naturgemäß die Überlegungen zum Subsidiaritätsprinzip nicht immer genau von den genannten Aspekten trennen lassen.

 

Art. 23h:

 

Es wird darauf hingewiesen, dass es sich bei der sog. „Subsidiaritätsklage“ nicht um eine neue, eigenständige Verfahrensart handelt, sondern um eine (durch den Vertrag von Lissabon geschaffene) spezielle, auf den Verstoß eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip beschränkte Klagebefugnis im Namen der nationalen Parlamente bzw. deren Kammern im Nichtigkeitsverfahren nach Art. 263 AEUV.

Die Möglichkeit eines Mitgliedstaats, einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip im Nichtigkeitsverfahren zu relevieren, bestand dagegen bereits nach dem EGV und wird durch den Vertrag von Lissabon lediglich hervorgehoben. Die Mitgliedstaaten sind darüber hinaus nicht auf diesen Nichtigkeitsgrund beschränkt, sondern können auch weitere, mit dem Subsidiaritätsprinzip eng zusammenhängende Aspekte vorbringen, wie etwa Ausführungen zur Übereinstimmung des Entwurfs mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip oder zur Angemessenheit der Rechtsgrundlage.

 

Art. 23i Abs. 2:

 

Es wird darauf hingewiesen, dass die Formulierung „innerhalb der unionsrechtlich vorgesehenen Fristen“ auf die Möglichkeit der Ablehnung durch ein nationales Parlament verweist, d.h. Art. 48 Abs. 7 EUV sowie Art. 81 Abs. 3 AEUV, denn nur diese beiden Bestimmungen sehen eine Frist für die Ablehnung vor. Bei allen anderen, sog. „kleinen“ Passerelle-Bestimmungen, ist die Ablehnung durch das österreichische Mitglied im Rat bzw. im Europäischen Rat zwar ebenfalls möglich, jedoch sind im Rahmen der Beschlussfassung dafür keine spezifischen Fristen vorgesehen. Es wird daher angeregt, die Bestimmung durch die Wortfolge „Soweit unionsrechtlich die Möglichkeit der Ablehnung einer Initiative oder eines Vorschlages betreffend … Gesetzgebungsverfahren durch ein nationales Parlament vorgesehen ist“ zu ergänzen.

 

Art. 23i Abs. 3:

 

Die Aufnahme einer Bestimmung in das B-VG, die eine ausdrückliche Regelung für die innerstaatliche Genehmigung von Organbeschlüssen der EU vorsieht, die gemäß Primärrecht der Annahme nach den verfassungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten bedürfen, wird ausdrücklich begrüßt. Es wird jedoch angeregt zu überdenken, ob wirklich in allen von Art. 23i Abs. 3 erfassten Fällen in Anbetracht des Inhalts und der Bedeutung der jeweiligen Maßnahme auf Art. 50 Abs. 4 B-VG und somit auf die dort vorgesehenen besonderen Quoren verwiesen werden sollte. Der Beschluss des Rates über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften wurde bislang mit einfacher Mehrheit genehmigt (vgl. u.a. BGBl. Nr. 367/1996; BGBl. III Nr. 70/2002;  bzw. zuletzt BGBl. III Nr. 40/2009), beim Direktwahlakt (Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002, 2002/772/EG, Euratom, zur Änderung des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments; BGBl III Nr. 35/2004) wurde lediglich dessen Art. 1 Pkt. 7 lit. a als verfassungsergänzend genehmigt.

 

Zu Z 6 (Art. 73 Abs. 2):

 

Obwohl die formal korrekte Bezeichnung des Organs der Europäischen Union nach Art. 13 EUV „Rat“ ist, wird angeregt, die Wortfolge „der Europäischen Union“ außerhalb des Kontextes der Bestimmungen über die Europäische Union aus Verständnisgründen nicht zu streichen.

 

2. Zur Begründung – Allgemeiner Teil:

 

Subsidiaritätsrüge:

 

Gesetzgebungsakte werden den nationalen Parlamenten von der Europäischen Kommission, vom Rat oder vom Europäischen Parlament zugeleitet.

Die in Art. 7 des Subsidiaritätsprotokolls definierten Rechtsfolgen einer Subsidiaritätsrüge sind verkürzt dargestellt, insbesondere bei Rüge durch die einfache Mehrheit der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten zugewiesenen Stimmen.

 

Subsidiaritätsklage:

 

Auf die Ausführungen zu Art. 23h wird hingewiesen.

 

Art. 23 j:

 

Betreffend die Ausführungen zu Art. 23j wäre darauf hinzuweisen, dass die GASP und die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon „Politikbereiche der Europäischen Union“ waren. Der letztgenannte Politikbereich wird allerdings in den AEUV überführt, es gelten in Zukunft die für alle im AEUV definierten Politikbereiche anwendbaren Instrumente (Art. 288 AEUV) und Verfahren (einschließlich das ordentliche Gesetzgebungsverfahren). Sonderbestimmungen für diesen Politikbereich erübrigen sich daher. Lediglich im Bereich der GASP (Titel V, Kapitel 2 EUV idFdVvL) gelten besondere Bestimmungen und Verfahren (vgl. Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 EUV).

 

 

 

Für den Bundesminister:

H. Tichy m.p.