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Parlament

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per E-Mail an :

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Wien, 10.01.2012

 

 

Betreff: Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Durchführung von Europäischen Bürgerinitiativen (1780/A XXIV.GP)

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Das ÖKOBÜRO (http://www.oekobuero.at/) ist die Koordinationsstelle österreichischer Umweltschutzorganisationen. Unser Ziel ist es, kontinuierlich den Einfluss und die Effektivität der Umweltbewegung in Österreich zu erhöhen und eine steigende Integration von Umweltschutz in unterschiedlichen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Recht und Gesellschaft zu erreichen.

 

Zu gegenständlichem Gesetzesentwurf ergeht seitens des ÖKOBÜROs folgende Stellungnahme:

 

1. Grundsätzliche Kritik

 

Vorab sei die fehlende Involvierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Zuge der Ausarbeitung der Verordnung Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative genannt. Konkret wurde ua. Kriterien zur Identifikation von Unterstützungsbekundungen ausgearbeitet und in weiterer Folge in Annex III der vorzitierten Verordnung länderspezifisch aufgelistet.

 

Für Österreich wurde das Erfordernis der Angabe einer Reisepass- bzw. Personalausweisnummer festgelegt, was aus unserer Sicht eine erhebliche Erschwerung der Unterschriftenakquirierung mit sich bringt (siehe dazu unten mehr).

 

Auch in der Bundesrepublik Deutschland war ursprünglich eine derartige Identifikation der einzelnen UnterstützerInnen einer entsprechenden Europäischen Bürgerinitiative (in weiterer Folge kurz EBI) vorgesehen. Dieses überschießende Erfordernis konnte aber durch einen konstruktiven Meinungsaustausch von Zivilgesellschaftsorganisationen und mit der Ausarbeitung der Identifikationskriterien befassten LegistInnen verhindert werden, die schlussendlich von einer derartigen, die Durchführung einer EBI erheblich erschwerenden Regelung, absahen.

 

Ein selbiges Vorgehen in Österreich im Vorfeld der Determinierung der Identifikationskriterien im Zuge der Ausarbeitung der entsprechenden Verordnung wäre aus Sicht des ÖKOBÜROs äußerst sinnvoll gewesen. Dies hätte eine fachliche Diskussion in Gang gebracht und in weiterer Folge in eventu dieses, die Sammlung von Unterstützungsbekundungen behindernde Erfordernis, obsolet werden lassen. 

 

Generell sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Involvierung der Zivilgesellschaft im Rahmen von legislativen Prozessen, die in weiterer Folge selbige betreffen, ein äußerst wünschenswerter, aber leider in der österreichischen Praxis offensichtlich nicht gangbarer Weg zu sein scheint.

 

Angesichts der Tatsache, dass eine EBI im Erfolgsfall lediglich dazu führt, dass die EU-Kommission dazu aufgefordert wird, etwas zu tun, erscheinen die Formvorschriften zur EBI in Ö überzogen. Es ist unverständlich, warum für ein derartiges politisches Instrument ohne unmittelbaren Rechtswirkungen die Preisgabe persönlicher Daten und extrem hohe Sicherheitsstandards gesetzt werden.

 

 

2. Konkrete Kritikpunkte

 

§  Erfordernis der Abgabe einer ID-Nummer zur gültigen Unterstützungserklärung

 

Wie schon oben unter Punkt 1. kurz erwähnt, stellt die österreichische Variante der Anführung einer Pass- oder Personalausweisnummer zur gültigen Abgabe einer  Unterstützungserklärung einer EBI ein Erfordernis dar, das die Unterschriftenakquirierung massiv erschwert. Konkret hat dieses Identifikationskriterium schwerwiegende Auswirkungen sowohl auf die Unterschriftensammlung „auf der Straße“ als auch im Internet. Ein Großteil der österreichischen Bevölkerung erachtet die Pass- bzw. Personalausweisnummer als eine höchst  private und im Hinblick auf den Datenschutz sehr sensible Information.

 

Einschlägige Erfahrungen mit der Sammlung von Unterschriften lassen das Zustandekommen der gem. Annex I der diesbezüglichen EU-Verordnung (Nr. 211/2011) benötigten Anzahl von Unterstützungsbekundungen in Österreich im Zusammenhang mit diesem zusätzlichen Kriterium als ein weitgehend unmögliches Unterfangen erscheinen und stellen ein unzumutbares Erschwernis der Unterschriftensammlung dar.

 

Keine Abgabe einer derartigen höchst persönlichen Identifikationsnummer zur gültigen Unterstützungserklärung wird in Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Irland, Niederlande, Slowakei, Finnland und dem Vereinigten Königreich verlangt. Dies entspricht den Intentionen dieses europaweit neuartigen demokratiepolitischen Instruments, indem es die freie Unterstützungsbekundung voranstellt und nicht von diffizilen Identifikationskriterien abhängig macht.

 

Auch unserer Ansicht nach stellt dies die Ideallösung dar, auf die von österreichischer Seite im Zuge der Evaluierung der diesbezüglichen Verordnung hingearbeitet werden sollte (siehe dazu unten Punkt 3).

 

Diese von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat variablen Identifikationskriterien widersprechen weiters Erwägungsgrund (3) der diesbezüglichen EU-Verordnung, gem. dem  Mitgliedsstaaten „gewährleisten sollten, dass für alle Unionsbürger unabhängig von dem Mitgliedsstaat, aus dem sie stammen, die gleichen Bedingungen für die Unterstützung einer Bürgerinitiative gelten sollten.“

 

Der Gesetzgeber sollte prüfen, ob es mit der EU-Verordnung vereinbar ist, dass neben/statt den Kriterien Reisepass/Personalausweis auch andere, nicht explizit in der Verordnung gelistete Identifikationsmerkmale verwendet werden können. Als Beispiel seien hier die multiplen Identifikationsmöglichkeiten in Frankreich erwähnt. Aus unserer Sicht ist eine derartige Regelung möglich, sofern sie neben den Kriterien Reisepass/Personalausweis steht. 

 

In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass durch eine ausschließliche gültige Abgabe einer Unterstützungserklärung durch die Angabe einer Pass- bzw. Personalausweisnummer ein Teil der österreichischen Bevölkerung von ihrem explizit in Art. 11 EU-Vertrag von Lissabon bzw. Art. 3 der entsprechenden EU-Verordnung festgeschriebenen Recht der Unterstützung einer Europäischen Bürgerinitiative ausgeschlossen werden, da diese Personen schlicht und einfach weder Pass noch Personalausweis besitzen. Dies widerspricht auch schon prinzipiell den demokratiepolitischen Intentionen einer Europäischen Bürgerinitiative, deren (unter gewissen Einschränkungen wie beispielsweise einem Mindestwahlalter) allen EU-Unionsbürgern  zustehen sollte!

 

§  Verkürztes Zeitintervall zur Unterschriftensammlung

 

Der Gesetzesentwurf sieht in § 2 Abs. 3 vor, dass die Zertifizierung eines Online-Sammelsystems von Unterstützungserklärungen erst beantragt werden darf, nachdem die EBI entsprechende der Verordnung von der Europäischen Kommission registriert wurde und somit nachdem die 12-monatige Sammelfrist zu laufen begonnen hat.  Die Bundeswahlbehörde als zuständiges Organ entscheidet gem Abs. 4 des vorzitierten Paragraphen wiederum binnen eines Monats über die Bescheinigung der Rechtskonformität des Onlinesammelsytems.

 

Dies bedeutet in weiterer Folge, dass das Zeitintervall von 12 Monaten, binnen derer die benötigte Unterschriftenanzahl gesammelt werden muss, in Österreich um ein Monat verkürzt wird.

 

Dies stellt ein weiteres, den Organisatoren einer EBI nicht zumutbares, Erschwernis bei der Unterstützungserklärungssammlung dar.

 

Als Vergleich sei hier das entsprechende deutsche Pendant zum vorliegenden Gesetzesentwurf angeführt, das ohne diese de-facto-Fristverkürzung sein Auslangen findet. Es ist unverständlich, warum dies in Deutschland möglich ist, in Österreich jedoch nicht.

 

§  Überzogene Kosten der Zertifizierung

 

Auch die immensen Kosten, die den Organisatoren einer EBI durch das angedachte aufwendige Zertifizierungsprocedere entstehen, sind nicht im Sinne der Erwägungsgründe der entsprechenden EU-Verordnung. Erwägungsgrund (2) schreibt  zur Etablierung einer Europäischen Bürgerinitiative „klare, einfache, benutzerfreundliche und dem Wesen einer Bürgerinitiative angemessene Bedingungen und Verfahren“ vor. Durch den im vorliegenden Gesetzesentwurf vorgesehenen unglaublich aufwendigen Zertifizierungsprozess mit entsprechend hohen Kosten werden potentielle Organisatoren von EBIs abgeschreckt. Die Einhaltung der in § 14 DSG gesetzlich vorgeschriebenen Bestimmungen durch die Systeme erscheint ausreichend. Eine Detailprüfung jedes einzelnen Systems kann aus unserer Sicht unterbleiben.

 

 

3. Evaluierung der  EU-Verordnung

 

Gem. Art. 22 der diesbezüglichen Verordnung hat die Kommission bis zum 1. April 2015 und anschließend alle drei Jahre dem Rat einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vorzulegen.

 

Aus österreichischer Sicht sollte hierbei insbesondere auf die Entschärfung der Identifikationsnummernproblematik hingearbeitet werden. Wie oben schon erwähnt stellt die von zahlreichen Mitgliedsstaaten praktizierte Unterstützungserklärungsabgabe ohne Identifikationsnummer die Ideallösung dar.

 

Eine Kompromisslösung wäre aus unserer Sicht ein Modell, das sich an Frankreich orientiert und zur Identifikation die Angabe beispielsweise der Führerscheinnummer erfordert. Dies würde die Unterschriftenakquirierung bereits bedeutend erleichtern, da ein Großteil der Bevölkerung diesen Ausweis mit sich trägt und dessen Nummer auch nicht als so hoch sensibel wie eine Pass- oder Personalausweisnummer erachtet.

 

Zu prüfen wären in diesem Zusammenhang auch bestehende Onlinesysteme zur Abgabe von Unterstützungserklärungen wie beispielsweise die bereits bestehende Möglichkeit zur Abgabe einer Unterstützungserklärung zu einer Onlinepetition auf der Homepage des österreichischen Parlaments (siehe http://www.parlinkom.gv.at/PAKT/BB/).

 

Abschließend halten wir fest, dass wir sowohl die Stellungnahme der parteiunabhängigen Initiative für eine Stärkung direkter Demokratie (kurz: mehr demokratie) als auch die Stellungnahme der Grünen vollinhaltlich unterstützen.

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

 

Mag. (FH) DI Markus Piringer

Geschäftsführung ÖKOBÜRO

 

 

 

 

 

 

 

Mag. Thomas Alge

Vorsitzender Justice and Environment