Dr. Peter  Fessler

Mitglied des Verfassungsgerichtshofes a. D.

 

Zu dem mir von der Österreichischen Juristenkommission zur Kenntnis gebrachten Initiativanträgen 2031/A und 2032/A, XXIV GP, betr. Änderung des B-VG, nehme ich Stellung wie folgt:

1.     Das eine Hauptanliegen der Entwürfe besteht darin, einen „Subsidiarantrag auf Normenkontrolle“ vorzusehen.

Diesem Vorhaben ist vollinhaltlich zuzustimmen:

Bekanntlich scheitert die bereits jetzt und auch weiterhin bestehende Möglichkeit eines „Individualantrages“ gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 3 und Art. 140 Abs. 1 lit. c B-VG meist am Fehlen der formellen Voraussetzungen der Antragslegitimation, die nur schwierig und selten erfüllt wird.

Aber auch die andere, für den „Normunterworfenen“ dzt. bestehende Chance, dadurch an ein von ihm als verfassungswidrig angenommenes Gesetz oder an eine als gesetzwidrig vermutete Verordnung heranzukommen, dass er ein ordentliches Gericht bewegt, beim VfGH einen Gesetzes- oder Verordnungsprüfungsantrag zu stellen, führt – wie die Praxis gezeigt hat - nur selten  zum erwünschten Ziel, weil die Gerichte sich offenbar scheuen, solchen Anregungen zu folgen. Der Grund liegt offenbar darin, dass die Wahrscheinlichkeit, vom VfGH aus formellen Gründen zurückgewiesen zu werden, groß ist, und damit vom antragstellenden Gericht ein als negativ empfundenes Ergebnis erwartet wird. Die vorgeschlagene Neuerung könnte diesem Zustand zwar mühsam aber doch abhelfen.

In Kauf genommen werden muss allerdings die Verzögerung des endgültigen Abschlusses des Gerichtsverfahrens durch die der Aufhebung der generellen Norm folgende Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens (Art. 139 Abs. 7 und Art. 140 Abs. 8 B-VG).

Eine Überlastung des VfGH wird durch die – begrüßenswerte – Ablehnungsmöglichkeit (Art. 139 Abs. 1 b und Art. 140 Abs. 1 b B-VG) verhindert.

2.     Das zweite Hauptanliegen des IA 2032/A ist die Aufhebung des Art. 144 B-VG .

Auf  den ersten Blick erscheint dieses Vorhaben begrüßenswert, weil es den VfGH spürbar entlasten und die offenbar schwer durchschaubare Doppelkompetenz der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts beseitigen würde.

Die Mehrbelastung des VwGH wäre für diesen im Hinblick auf die Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit und der damit bewirkten Entlastung tragbar.

Dennoch ist von der Beseitigung der verfassungsgerichtlichen Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit abzuraten:

Aus der reichhaltigen Judikatur beider Höchstgerichte lässt sich deutlich die bestehende Kompetenzlage erkennen.

Als wesentlicher Grund für den Art. 144 B-VG wurde bisher angesehen, dass damit die angenommene Rechtswidrigkeit genereller Normen direkt an den VfGH herantragbar ist. Ungeachtet des geplanten „Subsidiarantrages auf Normenkontrolle“ (s. o. Pkt. 1) ist es für den Einzelnen viel einfacher und zielführender, wenn das bisherige System beibehalten wird. Noch wesentlicher für die Beibehaltung spricht folgende Überlegung: Bei der Anwendung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geht es nicht nur um die Lösung juristischer Fragen, sondern auch – und vor allem – von Problemen mit grundsätzlicher politischer Dimension. Deren Beurteilung gehört zu den Kernaufgaben des VfGH. Dabei handelt es sich um prinzipielle Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Staat und  seinen BürgerInnen und zwar sowohl auf der Ebene der generellen Normen, als auch des individuellen Vollzuges. Die alles soll zueinander im Einklang stehen und aufeinander abgestimmt sein. Das ist nur dann gewährleistet, wenn jeweils ein und demselben Höchstorgan die gesamte Beurteilung überlassen wird. Da beim VfGH die Kontrolle genereller Normen monopolisiert ist, sollte ihm auch die Kontrolle des mit der Verfassung besonders eng verbundenen Vollzuges überlassen bleiben.

 

 

Wien, am 14. 9. 2012                                         Dr. Peter Fessler