Amt der Wiener Landesregierung

 

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MD-VD - 813-3/09                                                            Wien, 5. Juni 2009

Entwurf eines Bundesgesetzes,

mit dem das Bundesvergabe-

gesetz 2006 geändert wird;

Begutachtung;

Stellungnahme

 

zu BKA-600.883/0044-V/8/2008

 

 

An das

Bundeskanzleramt

 

 

Zu dem mit Schreiben vom 11. Mai 2009 übermittelten Entwurf eines Bundesgesetzes wird nach Anhörung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien wie folgt Stellung genommen:

 

I. Grundsätzliches:

 

Gegen den Entwurf bestehen insoweit grundsätzliche Bedenken, als die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße („PSO-Verordnung“) nicht berücksichtigt und damit strengeres nationales Recht, als die PSO-Verordnung und die Vergaberichtlinien erfordern, aufrecht erhalten wird.

 

Insbesondere die in Art. 5 Abs. 2 sowie 4 bis 6 der PSO-Verordnung sehr differenziert geregelten Möglichkeiten der Direktvergabe von „öffentlichen Dienstleistungsaufträgen“ im Bereich der öffentlichen Personenverkehrsdienste stellen das ausgewogene Ergebnis eines jahrelang europaweit geführten Diskussionsprozesses dar, das im Interesse einer funktionierenden Daseinsvorsorge auf hohem qualitativen Niveau nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden sollte.

 

Es wäre somit sehr wohl möglich, den nur durch die PSO-Verordnung, nicht auch durch die EG-Vergaberichtlinien, erfassten Bereich von der Anwendbarkeit des Bundesvergabegesetzes 2006 auszunehmen.

 

Der auszunehmende Bereich umfasst insbesondere folgende „öffentliche Dienstleistungsaufträge“ im Sinne des Art. 2 lit. i der PSO-Verordnung:

 

1. Dienstleistungskonzessionsverträge (Art. 5 Abs. 1 der PSO-Verordnung)

 

2. Nicht prioritäre Dienstleistungen im Sinne des Anhanges IV zum Bundesvergabegesetz 2006: Ausgenommen werden soll damit im Wesentlichen der Bereich der Eisenbahnen.

 

Die Beibehaltung der entgegenstehenden restriktiveren Regelungen des Bundesvergabegesetzes 2006 würde den öffentlichen Personenverkehr durch ausgegliederte Rechtsträger der Gebietskörperschaften ohne Not gefährden. Die Stadt Wien erlaubt sich in diesem Zusammenhang auf die im Zuge des Begutachtungsverfahrens von den entsprechenden Sektorenauftraggebern erstatteten Formulierungsvorschläge zu dieser Thematik hinzuweisen.

 

Sollten die oben geschilderten Ausnahmemöglichkeiten vom Bundesvergabegesetz 2006 im Zuge dieser Novelle weiterhin nicht entsprechend ausgeschöpft werden, sieht sich die Stadt Wien auf Grund der Wichtigkeit der gegenständlichen Angelegenheit allenfalls sogar gezwungen, von der erforderlichen Zustimmung zur Kundmachung des Gesetzes gemäß Art. 14b Abs. 4 B-VG Abstand zu nehmen.

 

II. Zu den einzelnen Bestimmungen des Entwurfes wird bemerkt:

 

Zu den Z 19 und 58 (§§ 70 und 231):

 

Die im Zuge des bisherigen Begutachtungsverfahrens u.a. vom Land Wien geäußerten Bedenken gegen das System der Eigenerklärungen bleiben nach wie vor aufrecht.

 

Dass die Abs. 3 und 4 der §§ 70 bzw. 231 BVergG dem Auftraggeber nunmehr ausdrücklich die Möglichkeit eröffnen, benötigte Nachweise zumindest im Einzelfall einzufordern, wird ausdrücklich begrüßt.

 

Darüber hinaus wäre im Gesetz selbst aber auch eine ausdrückliche Festlegung wünschenswert, welche klarstellt, dass der Auftraggeber nicht verpflichtet ist, die Richtigkeit der abgegebenen Eigenerklärungen zu überprüfen.

 

Die Bestimmung, dass der Auftraggeber vor Zuschlagserteilung vom Zuschlagsempfänger Nachweise zu verlangen hat, ist in keinster Weise nachvollziehbar und darüber hinaus systemwidrig. Mit dem Eintreten der Unanfechtbarkeit der Zuschlagsentscheidung endet der Wettbewerb unter den Bietern, weshalb ein allfälliges Verlangen von Nachweisen nach diesem Zeitpunkt aus vergaberechtlicher Sicht nicht mehr zielführend ist.

 

Vor allem gilt es jedoch zu bedenken, dass die in Aussicht genommene Regelung dem Bestbieter eine einfache Möglichkeit eröffnen würde, sich aus der Bindung an sein Angebot durch Nichtvorlage oder mangelhafte Vorlage der geforderten Nachweise zu befreien (etwa, wenn er nach Verlesung der Konkurrenzangebote erkennt, „zu nieder“ kalkuliert zu haben und er sein Angebot zurückziehen will).

 

Zu Z 24 und 59 b (§§ 80 und 237):

 

Art. 2 der Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Ausnahmen u.a. für Fahrzeuge, die hauptsächlich für den Einsatz auf Baustellen, in Steinbrüchen, in Häfen oder auf Flughäfen konstruiert und gebaut sind, für Fahrzeuge, die für den Einsatz durch die Streitkräfte, den Katastrophenschutz, die Feuerwehr und die Ordnungskräfte konstruiert und gebaut sind, sowie für selbstfahrende Arbeitsmaschinen vorzusehen, sofern solche Fahrzeuge nicht der Typengenehmigung oder der Einzelgenehmigung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates unterliegen.

 

Diese europarechtlich zulässige Ausnahme wurde im Entwurf nicht entsprechend genutzt. Es wird mit Nachdruck gefordert, die Möglichkeiten einer solchen Ausnahme auszuschöpfen.

 

Die Richtlinie 2009/33/EG geht offenbar von der Prämisse aus, dass es sich bei den anzuschaffenden Straßenfahrzeugen um neue Fahrzeuge handelt. Dies ist insbesondere dadurch erkenn- und ableitbar, dass die Richtlinie auf die spezifischen Probleme im Zusammenhang mit Gebrauchtfahrzeugen - insbesondere solchen, die aus nostalgischen oder repräsentativen Gründen im Einsatz sind - nicht eingeht. Bei solchen Fahrzeugen wird die Einhaltung der Richtlinie entweder gar nicht möglich sein oder zumindest keinen Sinn ergeben. Der Begriff des Straßenfahrzeuges wäre daher im Sinne von „neuen Straßenfahrzeugen“ zu präzisieren.

 

Weiters sollte - um Missinterpretationen hintanzuhalten - klargestellt werden, dass sich der vorgeschlagene § 80 nur an öffentliche (Sektoren)Auftraggeber richtet und nicht auch an (private) Betreiber, die öffentliche Personenverkehrsdienste im Sinne der PSO-Verordnung erbringen.

Zu Z 24a (§ 83):

 

Die nunmehrige gesetzlich verankerte Zulässigkeit der Weitergabe des gesamten Auftrages an „verbundene Unternehmen“ ist für die Auftraggeber unzumutbar. Diese sind gesetzlich verpflichtet, aufwendige Vergabeverfahren durchzuführen, deren Ergebnis wäre, dass weder bei der Angebotsprüfung noch bei Auftragserteilung für den Auftraggeber feststeht, wer die Leistung tatsächlich erbringt.

 

Die diesbezügliche Eignungsprüfung, vor allem im Hinblick auf die technische Leistungsfähigkeit, läuft unter Umständen komplett ins Leere bzw. müssten alle Beteiligten für sich alle genannten Eignungskriterien erfüllen/nachweisen, da ja schlussendlich jeder von ihnen für die Erbringung der Gesamtleistung in Frage kommt.

 

Speziell im (Tief-)Baubereich sind mittlerweile nur wenige große Konzerne tätig, in denen der überwiegende Teil der in der Branche tätigen Unternehmen „verbunden“ sind. Diese Regelung würde daher den Wettbewerb einschränken und die wenigen eigenständigen Unternehmen (vor allem KMU's) gegenüber den konzernangehörigen Unternehmen benachteiligen.

 

Unter diesem Gesichtspunkt besteht die Gefahr, dass die Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Freiheiten sowie der Gleichbehandlung aller Bieter, die Einhaltung des Diskriminierungsverbotes und der Grundsätze des freien und lauteren Wettbewerbes verletzt wird.

 

Zu Z 81 (§334):

 

Auch in Zusammenhang mit der Einführung dieser neuen Regelung, welche zwar für die Länder nicht unmittelbar Anwendung findet, aber zweifellos eine große Signalwirkung auf die Vergaberechtsschutzgesetze der Länder ausübt, wird - um Wiederholungen zu vermeiden - bereits auf die Ausführungen in der Stellungnahme vom 17. Dezember 2008 verwiesen.

Schwerwiegende Bedenken bestehen dagegen, dass nunmehr nach Abs.  4 und 7 ein Absehen von der vollständigen ex-tunc-Nichtigerklärung des Vertrages möglich sein soll, ohne dass der Auftraggeber dies beantragt hat. Da für diese Fälle die Verhängung sogenannter „alternativer Sanktionen“ vorgesehen ist, besteht die Gefahr, dass Auftraggebern ohne deren Mitwirkungsmöglichkeit (etwa zur schwierigen Frage der Teilbarkeit der erbrachten Leistungen oder der Wertverminderung im Falle einer Naturalrestitution) ein Absehen von der Nichtigerklärung unter gleichzeitiger Verhängung alternativer Sanktionen aufgezwungen wird.

 

Wegen der „Vorbildwirkung“, die auch die Rechtsschutzregelungen des Bundes für die Vergaberechtsschutzgesetze der Länder regelmäßig haben, wird mit Nachdruck gefordert, alternative Sanktionen ausschließlich für den Fall vorzusehen, dass der Auftraggeber ein Absehen von der Nichtigerklärung beantragt hat (wie dies auch im Entwurf vom 23. Oktober 2008 so vorgesehen war).

 

Ferner fällt auf, dass im Unterschied zum ersten Entwurf die „Aufhebung“ des Vertrages zu einem von der Vergabekontrollbehörde festzusetzenden „späteren Zeitpunkt“ in § 334 nicht mehr vorgesehen ist. Damit bliebe der Vergabekontrollbehörde bei aufzuhebenden langfristigen oder auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Verträgen nur mehr die Möglichkeit der ex-tunc-Vernichtung, was aus Gründen der Versorgungssicherheit (insbesondere im Fall einer notwendigen Neuausschreibung) entschieden abzulehnen ist.

 

Weiters wird massiv kritisiert, dass auch der überarbeitete Entwurf nach wie vor alternative Sanktionen für den Unterschwellenbereich vorsieht, sowie dagegen, dass dieser Schritt in den Erläuterungen als verfassungsrechtlich notwendig und ein Absehen von alternativen Sanktionen für den Unterschwellenbereich als sachlich nicht zu rechtfertigen, dargestellt wird. Damit werden aktuelle Bestrebungen der Länder, für den Unterschwellenbereich die Verhängung von alternativen Sanktionen nicht vorzusehen, geradezu unterlaufen und der Beschluss der Landesamtsdirektorenkonferenz vom 16. April 2009 ignoriert.

Es wird daher mit Nachdruck die Forderung erhoben, für den Unterschwellenbereich von der Verhängung alternativer Sanktionen Abstand zu nehmen. Dies insbesondere auch im Hinblick auf die neueren Tendenzen des österreichischen Verfassungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 19. Juni 2006, Zl. B 3378/05), wonach der Gesetzgeber für Vergaben im Unterschwellenbereich nicht gehalten ist, den gleich umfänglichen Rechtsschutz wie in Fällen des Oberschwellenbereiches zu gewähren.

 

Die österreichischen Verfassungsrichter haben sich bei der oben zitierten Entscheidung offensichtlich zum Teil von der Rechtsprechung des Deutschen Bundesverfassungsgerichtshofes leiten lassen, welcher mit Beschluss vom 13. Juni 2006 ausgesprochen hat, dass die Beschränkung der Zulässigkeit des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens auf öffentliche Aufträge ab den EU-Schwellenwerten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Dies wird in Deutschland im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei Vergaben im Unterschwellenbereich um ein Massenphänomen handelt und ein übertriebener Rechtsschutz die Verwaltungsarbeit beeinträchtigen und die Unwirtschaftlichkeit von Kleinvergaben nach sich ziehen würde. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet geradezu eine Differenzierung, weil eben im Wirtschaftsleben durchaus unterschiedliche Interessen sowohl bei Bietern als auch bei Vergabestellen vorliegen, wenn einerseits zum Beispiel ein U-Bahnlos zur Disposition steht oder andererseits Bürobedarf wie Kugelschreiber angeschafft werden soll.

 

Da in Österreich, im Gegensatz zu Deutschland, ohnehin auch im Unterschwellenbereich ein vollwertiger vergabespezifischer Rechtsschutz zur Verfügung steht, besteht aus Sicht des Landes Wien eben keine (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit, die Möglichkeit der Verhängung von „alternativen Sanktionen“ auch unterhalb der EU-Schwellenwerte gesetzlich zu normieren.

 

Da die geplante Höhe der Geldbuße im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf (darin waren noch 10 % vorgesehen) nunmehr sogar auf 20 % der Auftragssumme verdoppelt worden ist, ist offensichtlich, dass das Bundeskanzleramt die bereits im ersten Begutachtungsverfahren vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken, ob die Verhängung einer derart hohen Geldbuße durch eine Verwaltungsbehörde überhaupt zulässig ist, nicht teilt.

 

Auch wenn es sich bei diesem neuen Sanktionssystem um keine Verwaltungsstrafe handelt, sondern um eine sogenannte „verschuldensunabhängige Maßnahme zur Wiederherstellung des gestörten Wettbewerbes“, ist dennoch davon auszugehen, dass die bisherige verfassungsrechtliche Judikatur betreffend die zulässige Höhe von Verwaltungsstrafen zu berücksichtigen ist.

 

Aus der Sicht des Verfassungsgerichtshofes ist die Verhängung von Sanktionen durch Verwaltungsbehörden u.a. dann unstatthaft, wenn diese wegen ihrer Schwere dem Kernbereich der Gerichtsbarkeit zuzuzählen und daher durch Gerichte zu verhängen sind. Darüber hinaus darf die Höhe der Strafe in keinem exzessiven Missverhältnis zum sanktionierten Verhalten stehen und auch nicht das Ausmaß einer „criminal charge“ im Sinne des Art. 6 EMRK erreichen.

 

Bei der im Entwurf enthaltenen Bestimmung, welche das Bundesvergabeamt nunmehr sogar zur Verhängung einer Geldbuße bis zu 20 % des Auftragswertes (ohne Einführung der geforderten absoluten Obergrenze!) ermächtigen soll, ist auf Grund der zu erwartenden schwerwiegenden finanziellen Einbußen für den Auftraggeber jedenfalls von einem unzulässigen Eingriff in den Kernbereich der Gerichtsbarkeit auszugehen, welcher mit österreichischem Verfassungsrecht in eklatantem Widerspruch steht.

 

Da durch diese in Aussicht gestellte, nunmehr sogar noch strengere Regelung, auch die Verhandlungsposition der Länder im Gesetzgebungsprozess gegenüber Brüssel erheblich verschlechtert würde, wird die geplante weitere Anhebung der Höhe der Geldbuße massiv beeinsprucht. In diesem Zusammenhang wird daher die Forderung erhoben, die im ursprünglichen Entwurf vom Oktober vorgesehene Geldbuße in Höhe von 10 % der Auftragssumme (nur für den Oberschwellenbereich!) beizubehalten sowie die Strafhöhe auch betragsmäßig, im Sinne einer absoluten Obergrenze, zu limitieren.

 

III. In formaler Hinsicht wird bemerkt:

 

Zu § 315:

 

Die Erläuterungen des in Aussicht genommenen § 315 legen dar, dass „die zustellrechtliche Sonderregelung des § 315 Abs. 1 BVergG 2006... ergänzt werden“ soll. Der Entwurf sieht jedoch statt einer Ergänzung der bisherigen Regelung deren weitgehende Aufhebung vor.

 

Es dürfte insoweit ein Redaktionsversehen vorliegen. Gemeint dürfte sein, dass der bisherige erste Satz des § 315 leg. cit. durch die in Aussicht genommene Neuregelung ersetzt und der übrige Text der bisherigen Regelung belassen - anstatt aufgehoben - wird.

 

 

                                                                      Für den Landesamtsdirektor:

 

 

Mag. Andreas Trenner                                            Dr. Peter Krasa

Obermagistratsat                                                      Obersenatsrat

 

 

Ergeht an:

1.  Präsidium des Nationalrates

 

2.  alle Ämter der Landes-

regierungen

 

3.  Verbindungsstelle der

Bundesländer

 

4.  MDZ

(zu MDZ-2534/2008)

mit dem Ersuchen um Weiter-

leitung an die einbezogenen

Dienststellen