An das
Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT)
Sektion III, Abteilung PT 2
Ghegastraße 1
A-1030 Wien
(jd@bmvit.gv.at)
Wien, am 11. Jänner 2010
Stellungnahme zum Entwurf BMVIT-630.333/0001-III/PT2/2009
Novelle des TKG 2003 zur Umsetzung der
Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung 2006/24/EG
Zum Ministerialentwurf 117/ME (XXIV. GP) Änderung des TKG 2003 nimmt der
Verein AKVorrat.at mit dringendem Ersuchen um Kenntnisnahme und
Berücksichtigung wie folgt Stellung:
Die verdachtsunabhängige Speicherung von Kommunikationsdaten aller Nutzer
elektronischer Kommunikationsdienste stellt einen massiven Eingriff in die
Grundrechte, insb. das Gebot der Achtung der Privatsphäre des Art. 8 EMRK,
das Grundrecht auf Datenschutz des Art. 1 DSG, das Fernmeldegeheimnis des Art.
10a StGG und das Kommunikationsgeheimnis des § 93 TKG, das Recht auf freie
Meinungsäußerung der Art. 10 EMRK und Art. 13 StGG sowie die
Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK dar. Auch wenn der vorliegende
Gesetzesentwurf versucht, Grundrechtsverletzungen möglichst gering zu
halten, kann nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass bereits die
Speicherung von Kommunikationsdaten an sich grob unverhältnismäßig
in Grundrechte eingreift. Die Verletzung der Grundrechte entsteht hierbei nicht
erst durch die Nutzung der gespeicherten Daten, sondern bereits durch die
gesetzliche Anordnung der fortwährenden, pauschalen Speicherung von
Kommunikationsdaten.
1) Missachtung des Gebotes der Achtung der Privatsphäre
Art. 8 EMRK schützt sowohl das Privatleben als auch die Kommunikation in
umfassender Weise: vom Schutzbereich erfasst werden persönliche
Beziehungen als solche ebenso wie die „äußeren“
Kommunikationsdaten sämtlicher Korrespondenz, also Zeit, Ort,
Kommunikationspartner und Art der Kommunikation. Auch das Grundrecht auf
Datenschutz des Art. 1 DSG schützt Kommunikationsdaten – als
personenbezogene Daten – vor unzulässiger Verwendung.
Die Vorratsdatenspeicherung greift massiv in das Recht auf Achtung des
Privatlebens und der Korrespondenz ein, indem sie die wahllose Speicherung der
Kommunikationsdaten sämtlicher Nutzer ohne jegliches Verdachtsmoment
anordnet. Bei Kenntnis sämtlicher Verbindungs-, Standort- und
Internetzugangsdaten (Telefonate, SMS, MMS, Email, IP-Adresse, Benutzerkennung
usw.) einer bestimmten Person, also mit wem diese Person wann, von wo aus, wie
lange und in welcher Form elektronisch kommuniziert hat, können umfassende
Personenprofile erstellt und soziale Netzwerke, private und berufliche Kontakte
sowie Bewegungsprofile sichtbar gemacht werden, auch Rückschlüsse auf
persönliche Eigenschaften und Neigungen etc. werden möglich.
Ein derartig massiver Eingriff in Art. 8 EMRK ist
unverhältnismäßig und desavouiert die demokratische
Gesellschaft. Die bislang nur behauptete aber nicht nachgewiesene Eignung der
Vorratsdatenspeicherung zur Erfüllung des in der RL 2006/24/EG definierten
Zweckes, nämlich die Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer
Straftaten zu fördern, ist in Frage zu stellen. Dies angesichts der meist
unzuverlässigen Aussagekraft der aus den Daten abgeleiteten Informationen
sowie der gleichzeitig relativ einfachen Umgehungsmöglichkeiten
(Eintragung einer falschen E-Mail Absenderadresse, Mailserver außerhalb
der EU, anonyme Remailer und Proxies, Prepaid-Wertkarten, Einsatz von
Instant-Messaging Programmen). Daraus ergibt sich eine Unangemessenheit des
äußerst intensiven Eingriffs, da er zur Erreichung der gewünschten
Zwecke nur in sehr geringem Maße geeignet ist. Lückenlos erfasst
werden primär die Kommunikationsprofile argloser und unbescholtener
Bürger, während es für „organisierte Kriminelle“ ein
Leichtes ist, sich der Überwachung zu entziehen. Zudem existieren
Alternativen zur Vorratsdatenspeicherung, die weniger eingriffsintensiv und
hinsichtlich der Betroffenen zielgerichteter sind. Art. 1 Abs. 2 DSG verlangt
überdies ausdrücklich die Wahl des gelindesten zum Ziel
führenden Mittels. So ermöglicht z.B. das sogenannte „quick freeze“-Verfahren
im Verdachtsfall die kurzfristige Anordnung der Speicherung von
Kommunikationsdaten, auf die – sollte sich der Verdacht erhärten
– unter den üblichen Voraussetzungen des Strafverfahrens (in
Österreich z.B. eine richterliche Genehmigung) zugegriffen werden kann.
Damit wird einerseits der Verlust möglicherweise relevanter Daten im
Ermittlungsverfahren verhindert, andererseits sind nur jene Personen Ziel einer
derartigen Maßnahme, gegen die begründete Verdachtsmomente vorliegen.
Ein solches „quick freeze“-Verfahren kennt beispielsweise die
europäische Cybercrime-Convention und wird auch in den USA praktiziert.
3) Aushöhlung des Fernmelde- und des
Kommunikationsgeheimnisses
Das Fernmeldegeheimnis des Art. 10a StGG wird in § 93 TKG als Kommunikationsgeheimnis
einfachgesetzlich näher ausgestaltet. Das Fernmeldegeheimnis umfasst
sowohl Kommunikationsinhalte als auch die Tatsache, ob eine Kommunikation
stattgefunden hat, also Verkehrsdaten, und erlaubt Eingriffe nur bei
richterlicher Genehmigung. Das Kommunikationsgeheimnis führt das
Fernmeldegeheimnis weiter aus und verbietet das Mithören, Abhören,
Aufzeichnen, Abfangen und sonstige Überwachen von Nachrichten und der
damit verbundenen Verkehrs- und Standortdaten, wenn nicht eine Einwilligung
aller beteiligten Benutzer, eine Genehmigung für eine Fangschaltung oder
ein Notruf vorliegen. Die Vorratsdatenspeicherung verlangt nun in vollkommener
Ignoranz des Fernmelde- und des Kommunikationsgeheimnisses die pauschale
Speicherung aller Verkehrs- und Standortdaten sämtlicher Nutzer. Auch wenn
Kommunikationsinhalte von der Vorratsdatenspeicherung prinzipiell nicht erfasst
sind, kann bei Kenntnis des Adressaten (z.B.
hilfe@krebshilfe.at,
frauennotruf@wien.at,
info@akvorrat.at)
und der Art, Häufigkeit und des Zeitpunkts der Kontakte vielfach auf die
Inhalte der Kommunikation rückgeschlossen werden, wodurch das Fernmelde-
und das Kommunikationsgeheimnis auch in Hinblick auf die Kommunikationsinhalte
ausgehöhlt werden. Selbst besonders geschützte Personen- oder
Berufsgruppen werden unterschiedslos erfasst, womit das besondere
Vertrauensverhältnis z.B. zwischen Arzt und Patient, Anwalt und Mandant
oder zwischen Redakteur und Informant (Redaktionsgeheimnis, Informantenschutz!)
nachhaltig gestört wird.
4) Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung
Die Vertraulichkeit der Kommunikation ist unabdingbare Vorraussetzung für
die freie Bildung und den Austausch von Meinungen in einer liberalen und
demokratischen Gesellschaft. Die intensive und beständige
Kommunikationsüberwachung unter Bruch des Fernmelde- und
Kommunikationsgeheimnisses wird auch das Recht auf freie
Meinungsäußerung einschließlich des Rechts auf Freiheit zum
Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten verletzt. Kommunikation ist nicht
mehr frei, sondern wird protokolliert, um im Nachhinein kontrollierbar zu sein.
Das Wissen um die Protokollierung der Kommunikationsdaten reicht aus, um das
Kommunikationsverhalten empfindlich zu verändern. Bereits die Speicherung
(und nicht erst die Verwendung!) führt somit zu einer Verletzung der in
Art. 10 EMRK und Art. 13 StGG verbürgten Grundrechte.
5) Pervertierung der Unschuldsvermutung
Die gesetzliche Anordnung der Speicherung von Kommunikationsdaten stellt alle
Nutzer elektronischer Kommunikationsdienste von vornherein unter Verdacht,
schwere Straftäter oder hochgradig gefährlich zu sein, zumindest aber
mit solchen Personen zu kollaborieren, und verstößt somit gegen die
in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung. Private
Telekommunikationsanbieter sollen durch vorliegenden Gesetzesentwurf zur
Bürgerüberwachung verpflichtet werden und als Handlanger des Staates
dienen. Während Telekommunikationsanbieter bislang lediglich im konkreten
Verdachtsfall betriebsnotwendig vorhandene Daten an die Strafverfolgungsbehörden
übermitteln, sollen sie künftig gegen finanzielle Entschädigung
dem Staat möglichst umfassende Daten für allfällige spätere
Verwendungen verschaffen. Eine für den Staat bequeme wenn auch
ineffiziente und die Menschenwürde missachtende Ermittlungsmethode zur
„Beruhigung“ des Bürgers.
6) Fortgesetzte Datenverwendung, Missbrauchgefahr
Sind Daten erst vorhanden, so besteht stets Gefahr, dass neue Begehrlichkeiten
in Hinblick auf die Verwendung der Daten entstehen und die Hemmschwelle
für den Zugriff auf die Daten sinkt. Zudem besteht die Gefahr
missbräuchlicher Datenverwendung bis hin zur wirtschaftlichen Nutzung der
Daten. Der Nutzer hingegen hat de facto keine Kontrolle über die ihn
betreffenden Kommunikationsdaten und die auf Basis dieser Daten evtl. fälschlich
gezogenen Schlussfolgerungen über seine Person. Der Nutzer muss nicht mit
allen hinter einer Telefonnummer oder Email-Adresse stehenden Personen in
persönlicher Beziehung stehen, noch weniger hat der Nutzer Kontrolle
über eingehende Anrufe oder Emails, die sein „Personenprofil“
nach außen jedoch verändern und ihn „verdächtig“
machen können.
Eine zusätzliche Gefahrenquelle stellen die nach § 102c Abs. 2 des
Entwurfes von den Providern an die Datenschutzkommission (also das
Bundeskanzleramt) und das Bundesministerium für Justiz zu liefernden
Protokolldaten dar. Um Missbrauch hintan zu halten und für statistische
Zwecke ist nach § 102c jeder Zugriff auf Vorratsdaten sowie jede Anfrage
und Auskunft über diese zu protokollieren, wobei das Justizministerium nur
anonymisierte statistische Werte erhalten soll. Diese Protokolldaten sind
jedoch doppelbödig: sie geben Namen und Anschrift der
„suspekten“ Personen wieder, nämlich jener, die abgefragt
wurden, jedoch einschließlich jener, die erfolglos, irrtümlich oder
sonst „mitabgefragt“ wurden. Hierdurch entsteht das - kaum
lösbare - Dilemma, dass die Protokollierung für den Rechtsschutz
gleichzeitig den Grundrechtseingriff fortschreibt und eine weitere
Gefahrenquelle darstellt. In diesem Zusammenhang ist erneut auf die mangelnde
Unabhängigkeit der Datenschutzkommission hinzuweisen, ein Mangel, der auch
durch die aktuelle DSG-Novelle nicht behoben wurde.
7) Fehlende öffentliche Diskussion der Grundrechtsfragen
Bedauerlich ist ferner, dass für das Begutachtungsverfahren die Weihnachtszeit
gewählt wurde und derart erneut eine breite Diskussion der wichtigen
Grundrechtsfragen vermieden wurde. Wie wichtig es ist, die Probleme und Risiken
beim Namen zu nennen und die entsprechenden Debatten in einer informierten
Öffentlichkeit zu führen, zeigt die Entscheidung des Rumänischen
Verfassungsgerichts Nr. 1258 vom 08. Oktober 2009, das als erstes
europäisches Verfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung an sich unter
Verweis auf deren Menschenrechtswidrigkeit für verfassungswidrig erklärt
hat.
8) Außerachtlassung legistischer Grundprinzipien
Das Vorblatt stellt lapidar fest, dass die Höhe der mit der Umsetzung des
Gesetzesentwurfes verbundenen Kosten nicht vorhersehbar, mit einer
Kostensteigerung jedoch zu rechnen sei. Die RL 2006/24/EG wurde am 15.
März 2006 beschlossen, womit zum heutigen Zeitpunkt zumindest eine grobe
Kostenschätzung vorliegen sollte, andernfalls § 14
Bundeshaushaltsgesetz (BHG) schlichtweg als politische Scheinbestimmung zu
werten ist. Dies umso mehr, als der Gesetzesentwurf in § 94 Abs. 1 und 2
sowie § 99 Abs. 5 für die Anbieter und Betreiber von
Telekommunikationsdiensten einen Ersatz der Investitionskosten, der Kosten der
laufenden Mitwirkung und der Auskunftserteilung vorsieht. Dies legt nahe, dass
die Kosten entweder nicht budgetiert werden können oder bewusst
verschleiert werden.
In Anbetracht der durch die TKG-Novelle angeordneten massiven und dauerhaften
Eingriffe in die Grundrechte fordern wir:
Keine Vorratsdatenspeicherung in Österreich!
Keine Vorratsdatenspeicherung in Europa!
Österreich soll die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht umsetzen
sondern bekämpfen!
Von dieser Stellungnahme wird eine Ausfertigung dem Präsidium des
Nationalrates übermittelt.
--
Mit freundlichen Grüßen,
Florian Kremsner