Die verdachtsunabhängige Speicherung von Kommunikationsdaten aller Nutzer elektronischer
Kommunikationsdienste stellt einen massiven Eingriff in die Grundrechte, insb. das Gebot der
Achtung der Privatsphäre des Art. 8 EMRK, das Grundrecht auf Datenschutz des Art. 1 DSG, das
Fernmeldegeheimnis des Art. 10a StGG und das Kommunikationsgeheimnis des § 93 TKG, das
Recht auf freie Meinungsäußerung der Art. 10 EMRK und Art. 13 StGG sowie die
Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK dar. Auch wenn der vorliegende Gesetzesentwurf
versucht, Grundrechtsverletzungen möglichst gering zu halten, kann nicht darüber hinweggetäuscht
werden, dass bereits die Speicherung von Kommunikationsdaten an sich grob unverhältnismäßig in
Grundrechte eingreift. Die Verletzung der Grundrechte entsteht hierbei nicht erst durch die Nutzung
der gespeicherten Daten, sondern bereits durch die gesetzliche Anordnung der fortwährenden,
pauschalen Speicherung von Kommunikationsdaten.
Das gewählte Vorgehen ist aus unserer Sicht nicht zulässig und typisch für den Umgang der
österreichischen Politik bei der Umsetzung von europarechtlichen Normen. Üblicherweise werden
durch den österreichischen Gesetzgeber zahlreiche europarechtliche Standards, die verpflichtend
wären, nur zögerlich und schleppend umgesetzt, insbesondere dann, wenn die korrekte Umsetzung
mit einem Zuwachs an persönlichen Rechten des Einzelnen verbunden wäre. Zu verweisen ist etwa
auf die mangelhafte Umsetzung der EU-Datenschutzrichtlinie und anhängige Beschwerden bei der
EU-Kommission zu den datenschutzrechtlich relevanten Fragen des Fehlens einer unabhängigen
Datenschutzbehörde sowie der rechtswidrigen Regelung der indirekt personenbezogenen Daten in
Österreich.
Aufgrund der bisherigen Vorgehensweise ist demnach evident: Die Republik Österreich ist für den
Inhalt der zugrundeliegenden Richtlinie wesentlich verantwortlich, die österreichischen
Entscheidungsträger identifizieren sich offensichtlich mit ihrem Inhalt und stehen somit der
Überwachung der Bürger positiv gegenüber. Die grundsätzliche Kritik an der
Vorratsdatenspeicherung richtet sich demnach an den österreichischen Gesetzgeber und kann nicht
mit dem Verweis auf Vorgaben aus Brüssel ignoriert werden.
Die österreichischen Abgeordneten sollten diesem Entwurf ihre Zustimmung verweigern und
stattdessen, unter Hinweis auf die seit 1. Dezember 2009 geltenden EU-Grundrechtscharta, den
Verflichtungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den verfassungsgesetzlich
garantierten Grund- und Freiheitsrechten auf eine Aufhebung der EG-Richtlinie 2006/24/EG
hinarbeiten.
Ein derartig massiver Eingriff in Art. 8 EMRK ist unverhältnismäßig und desavouiert die
demokratische Gesellschaft. Die bislang nur behauptete aber nicht nachgewiesene Eignung der
Vorratsdatenspeicherung zur Erfüllung des in der RL 2006/24/EG definierten Zweckes, nämlich die
Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten zu fördern, ist in Frage zu stellen. Dies
angesichts der meist unzuverlässigen Aussagekraft der aus den Daten abgeleiteten Informationen
sowie der gleichzeitig relativ einfachen Umgehungsmöglichkeiten (Eintragung einer falschen E-Mail
Absenderadresse, Mailserver außerhalb der EU, anonyme Remailer und Proxies, Prepaid-
Wertkarten, Einsatz von Instant-Messaging Programmen). Daraus ergibt sich eine
Unangemessenheit des äußerst intensiven Eingriffs, da er zur Erreichung der gewünschten Zwecke
nur in sehr geringem Maße geeignet ist. Lückenlos erfasst werden primär die
Kommunikationsprofile argloser und unbescholtener Bürger, während es für „schwere Straftäter“
ein Leichtes ist, sich der Überwachung zu entziehen.
Wie in den Fällen "SWIFT" und „PNR-Daten“ zeigt sich hier die Unfähigkeit und der Unwillen der
europäischen Regierungen, gegenüber dem großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks in
Grundrechtsfragen einen eigenständigen Kurs einzuschlagen. Das Paradoxon, dass man
offenkundig vermeint, Angriffen auf den Rechtsstaat ausgerechnet dadurch beikommen zu können,
dass man diesen aushöhlt und abschafft, schlägt im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung voll
durch.
Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet einen höchst gefährlichen Einschnitt im Umgang
der Politik mit bürgerlichen Freiheitsrechten.Das eigentliche Ziel des Vorhabens, dem internationalen Terrorismus und der
organisierten Kriminalität Einhalt zu gebieten, wird man anhand des vorliegenden
Gesetzesentwurfs nicht erfüllen können. Stattdessen wird man massenweise Daten
unbescholtener Bürger ohne irgendein Verdachtsmoment verarbeiten und diese dem Risiko
aussetzen, dass deren persönliches Leben bloß auf Grund vager verdachtsmomente
massiv durchleuchtet wird.
Über den Sinn der Richtlinie geht der vorgelegte Entwurf insoweit beträchtlich hinaus,
dass er sich nicht auf Datenzugriffe bei tatsächlicher organisierter Kriminalität beschränkt,
sondern undifferenziert und unklar bei „schweren Straftaten“ zugegriffen werden soll. Mit
EU-Recht lässt sich der vorgelegte Entwurf nicht rechtfertigen, vielmehr bekundet er den
Willen des österreichischen Gesetzgebers zur exzessiven Überwachung des Privatlebens
seiner Bürger in allen Lebensbereichen.
Es wird daher empfohlen diesem Entwurf generell die Zustimmung zu verweigern und in
einem allfälligen Verfahren vor dem EuGH unter Hinweis auf die seit 1. Dezember 2009
geltenden EU-Grundrechtscharta, den Verflichtungen der Europäischen
Menschenrechtskonvention und der verfassungsgesetzlich garantierten Grund- und
Freiheitsrechte auf eine Aufhebung der EG-Richtlinie 2006/24/EG hinzuarbeiten.
Dr. A. B. Jelinek
8990 Bad Aussee