Jaro Sterbik-Lamina, MSc

Wallensteinstraße 11/8

1200 Wien

 

 

An das

Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (jd@bmvit.gv.at)

sowie die

Parlamentsdirektion (begutachtungsverfahren@parlament.gv.at)

 

 

Betrifft: Stellungnahme zum Ministerialentwurf betreffend eines Bundesgesetzes, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003 - TKG 2003 geändert wird

 

 

 

Sg. Damen und Herren!

 

Ich möchte mich in meiner Stellungnahme grundsätzlich den beiden Stellungnahmen des AK Vorrat (6/SN-117/ME) und der ARGE Daten (3/SN-117/ME) anschließen, die - inhaltlich ähnlich - die essentiellen Kritikpunkte an dem vorliegenden Gesetzesentwurf beleuchten und die Probleme bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung darstellen. Besonders möchte ich auch auf die Stellungnahmen der Österreichischen Ärztekammer (41/SN-117/ME) und des ORF-Redakteursrates (43/SN-117/ME) hinweisen, sowie auf die Stellungnahme von Dr. Alexander Grunicke, LL.M. (44/SN-117/ME). Eine zusätzliche detaillierte Auflistung der Argumente an dieser Stelle erübrigt sich.

 

Auch nach meiner Ansicht ist eine grundrechtskonforme Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung undenkbar. Das anhängige Verfahren am deutschen Bundesverfassungsgerichtshof und das diesbezügliche Urteil des rumänischen Verfassungsgerichts zeigen, daß auch andere europäische Demokratien große Probleme bei dem Versuch haben. Abgesehen von jenen Staaten der europäischen Union, die (wie in den Erläuterungen zum Entwurf festgehalten) sich mit einer Umsetzung Zeit lassen und entsprechend ebenfalls mit einem Vertragsverletzungsverfahren konfrontiert sind.

 

Ich verstehe die Absicht der Republik vertragskonform den Verpflichtungen zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG nachzukommen (wobei ich nicht verstehe, warum nicht schon während der Entstehung der Richtlinie darauf hingearbeitet wurde, daß nichts beschlossen wird, was sich mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht in Einklang bringen läßt) und würde es begrüßen, wenn der gleiche Eifer auch in anderen Fällen einer fehlenden oder mangelnden Umsetzung europäischer Richtlinien zu sehen wäre (vgl. Stellungnahme der ARGE Daten), halte in diesem speziellen Fall eine Mißachtung der Umsetzungsverpflichtung allerdings für wichtig und für sinnvoller als den bewußten Verstoß gegen österreichische Verfassungsbestimmungen.

 

Abgesehen von formalen Problemen, die in der Stellungnahme des Rechnungshofes (10/SN-117/ME) aufgelistet werden und einen Beschluß in der vorliegenden Fassung nicht praktikabel erscheinen lassen, hoffe ich, daß die Abgeordneten des Nationalrates darüber hinaus die Tragweite der vor ihnen liegenden, richtungsweisenden Entscheidung erkennen und entsprechend ihre Zustimmung zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in dieser und allen vielleicht noch kommenden Formen verweigern. Die Verfügbarkeit von Daten, die das soziale Netz und die Lebensgewohnheiten jeder einzelnen Person darstellen können, wird unweigerlich zu fortschreitenden Begehrlichkeiten und Mißbrauch führen. Darüber hinaus muß ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema auch die Möglichkeit berücksichtigen, daß Kräfte, die keinen demokratischen Staat im Sinn haben, sich der Daten bemächtigen und zu Zwecken nutzen, die nicht im Sinne des österreichischen Gesetzgebers sein können (vgl. dazu beispielsweise die Meldedaten zur Religionszugehörigkeit in den Niederlanden zum Zeitpunkt des Einmarschs deutscher Truppen, die es den Nationalsozialisten viel einfacher als in jedem anderen Land ermöglichten in kurzer Zeit alle Personen jüdischen Glaubens ausfindig zu machen).

 

Der Schutz der Privatsphäre und der freien Meinungsäußerung sind eine conditio sine qua non für eine Demokratie. Das Wesen einer Demokratie setzt freie Bürgerinnen und Bürger voraus. Das ist der Grund für den Schutz der Persönlichkeitsrechte in der österreichischen Verfassung. Ich kann mir nichts vorstellen, das es rechtfertigen würde, sich von diesen Grundsätzen zu verabschieden.

 

Daher verbleibe ich in der Hoffnung auf Berücksichtung der kritischen Stellungnahmen zum vorliegenden Entwurf

mit freundlichen Grüßen,

Jaro Sterbik-Lamina