1 Präs. 1617-3126/10g

 

 

 

 

Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs

zur Finanzstrafgesetznovelle 2010

 

 

 

            Der Entwurf sieht neben einer Reihe bloß das finanzstrafbehördliche Verfahren betreffender Regelungen eine grundsätzliche Abkehr von der seit Jahrzehnten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor.

            Nach dieser Rechtsprechung sind die im FinStrG angedrohten Sanktionen nicht schon im Zusammenhang mit der Schuldfrage (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) von Bedeutung, sondern bestimmen die Strafrahmenbildung, maW die Strafbefugnisgrenze. Der (demnach bloß) strafbestimmende Wertbetrag ist nach Maßgabe dieser zumindest bis in die frühen achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreichenden ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kein Tatbestandsmerkmal. Vorsatz oder Sorgfaltswidrigkeit (vgl § 8 FinStrG) des jeweiligen Täters brauchen sich auf den Verkürzungsbetrag nicht zu erstrecken.

            Daraus folgt allerdings ‑ am Beispiel des § 33 Abs 1 FinStrG erklärt ‑ keineswegs, dass jenen Beteiligten (§ 12 FinStrG), deren Vorsatz sich auf einzelne in ein und derselben Abgabenerklärung als tatbestandliche Handlungseinheit zusammengefasste Tatumstände nicht erstreckt (etwa der Mitarbeiterin, die nur an der Verschleierung einzelner Einkünfte beteiligt war), auch diese „zugerechnet“ werden, wie dies zuletzt Kert (Tatbegriff und Teilrechtskraft im Finanzstrafrecht, Jbl 2010, 284 [288]) behauptet hat. Allein der Strafrahmen, maW die Strafbefugnisgrenze, ist für alle Beteiligten gleich. Mitnichten aber führt der für alle an ein und derselben strafbaren Handlung Beteiligten gleich hohe Strafrahmen zu gleicher Bestrafung. Die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht damit im Ergebnis mit den Prinzipien des sogenannten Schuldstrafrechts durchaus im Einklang.

            Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs trägt der Tatsache Rechnung, dass der Verkürzungsbetrag bei Finanzvergehen ‑ anders als der von der Tat erfasste Wert bei nach dem StGB strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen - wegen der oft komplexen steuerrechtlichen Bestimmungen (wie zB den Bestimmungen des EStG über die Gewinnermittlung [§ 4 EStG], die Absetzung für Abnutzung [§§ 7 ff EStG], Freibeträge [§§ 10 ff EStG], Werbungskosten [§ 16 EStG], Sonderausgaben [§ 18 EStG] sowie der unterschiedlichen Steuersätze und Absetzbeträge [§§ 33 ff EStG]) - idR nicht ohne Schwierigkeit erkannt werden. Der Täter, der im Verfahren behauptet, die Folgen der Verletzung abgabenrechtlicher Vorschriften nicht überblickt zu haben, beriefe sich auf einen Irrtum über ein normatives Tatbestandsmerkmal, der den Vorsatz ausschließt. Er begeht zwar eine vorsätzliche Abgabenverkürzung, handelt aber, was den Verkürzungsbetrag betrifft, nicht vorsätzlich. Auf der Grundlage der in Aussicht genommenen Novellierung könnte es für leugnende Angeklagte erfolgversprechend sein, sich auf Unkenntnis über die Berechnung des Verkürzungsbetrags zu berufen, obwohl diese Unkenntnis ihr Verhalten wenn überhaupt, so doch nur unwesentlich beeinflusst.

            Dass nach Maßgabe der ständigen Rechtsprechung zum geltenden FinStrG die Unkenntnis (§ 8 Abs 1 FinStrG) einzelner von mehreren ein und dieselbe Abgabenerklärung betreffenden Malversationen erst bei der Strafzumessung Berücksichtigung (§ 23 Abs 1 FinStrG) findet, benachteiligt den Angeklagten weder materiell noch prozessual. Nur ist sie nicht Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde, sondern der Berufung, was allerdings Neuerungen auch noch im Rechtsmittelverfahren ermöglicht (zu einem gleichartigen Vorgehen 12 Os 119/06a [verst Senat], JBl 2008, 401 [Burgstaller]; krit Moos, Die Abgrenzung Versuch/Vollendung als Nichtigkeitsgrund, JBl 2008, 341, und Burgstaller, JBl 2008, 743; eingehend Ratz, Sanktions- statt Subsumtionsrüge bei fraglicher Vollendung der Tat, JBl 2008, 708). Objektiv determinierte Strafrahmen kommen auch im StGB vor (vgl zu § 91 StGB zuletzt 13 Os 26/10p).

            Will man eine (ausnahmsweise denkbare) Stigmatisierung eines Täters aufgrund eines ‑ für ihn unabsehbar ‑ die Gerichtszuständigkeitsgrenze erreichenden strafbestimmenden Wertbetrags vermeiden, kann dies ohne Verfahrensaufwand durch Ausdehnung der Feststellung nach § 53 Abs 4 zweiter Satz FinStrG auf derartige Fälle erreicht werden. Eine solche Feststellung ist nicht Gegenstand des Sanktionsausspruchs und diesem auch nicht gleichgestellt.

            Die mit dem Entwurf gemäß dem AT der Erläuterungen insgesamt angestrebte Steigerung der Ressourceneffizienz wird jedenfalls konterkariert. Dass ausgerechnet der für die gerichtliche Strafbarkeit von Finanzstraftaten (§ 53 Abs 1 und 2 FinStrG) maßgebende Wertbetrag nicht vom Vorsatz umfasst sein muss, sei als merkwürdig am Rande erwähnt.

            Der im AT der Erläuterungen erfolgte Hinweis auf „nicht unwesentliche praktische Probleme“, welche angeblich „am gleitenden strafbestimmenden Wertbetrag orientierte Strafdrohungen“ aufwerfen, bleibt ohne Begründung. In der oberstgerichtlichen Praxis sind solche bislang jedenfalls nicht sichtbar geworden. Geringfügig unrichtiger Berechnung des Verkürzungsbetrags ist mit der von 13 Os 105/08b judizierten Teilrechtskraft bloß einzelner steuerlich trennbarer Einzelaspekte ohne besonderen Aufwand beizukommen, sodass die angeblich erforderliche Reaktion des Gesetzgebers gerade auf diese Entscheidung unter dem Blickwinkel der mit dem Entwurf angestrebten Ressourceneffizienz nicht verständlich wird.

            Unter dem Aspekt beschränkter Ressourcen ist zuzugeben, dass die höchste Qualifikationsgrenze übersteigende Verkürzungsbeträge nach Maßgabe des Entwurfs weder Gegenstand der Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde noch amtswegiger Kontrolle wären (§§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO), weil ein solcher Verkürzungsbetrag keine für die Strafbefugnisgrenze entscheidende Tatsache mehr wäre (vgl 13 Os 27/09h, EvBl 2009/138, 920). Ob diese Konsequenz beabsichtigt ist, darf bezweifelt werden. Die Erläuterungen sagen dazu jedenfalls nichts. Dass diese zu Z 12 bis 17, 21 bis 24 durchgängig von „Strafrahmen“ sprechen, wo „Strafsatz“ gemeint ist (vgl dazu gleich unten zu Z 2 sowie, treffend, die EBRV TerrorismuspräventionsG 2009, 674 BlgNR 24. GP, 4 f), sei erwähnt.

            Zu Z 2: Der Entwurf vertieft die Unklarheit in Bezug auf den Begriff „Finanzvergehen“. Während die StPO idF des StPRef G (BGBl I 2004/19) und die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs strikt zwischen der Tat als historischem Geschehen und den rechtlichen Kategorien (strafbaren bzw mit Strafe bedrohten Handlungen) differenzieren (eingehend: 13 Os 105/08b, EvBl 2009/78, 515), wird der Begriff „Finanzvergehen“ an der einen Stelle (vgl §§ 1 Abs 1, 31 Abs 1 und 4 lit b FinStrG, nunmehr auch § 1 Abs 3 in der vorgeschlagenen Fassung) für ein historisches Geschehen, an der anderen für eine rechtliche Kategorie (vgl § 21 Abs 1 FinStrG) gebraucht.

            Es wäre angebracht, in § 1 Abs 1 FinStrG (sowie dort, wo das FinStrG mit dem Begriff Finanzvergehen ein historisches Geschehen bezeichnet; vgl § 31 Abs 1 FinStrG) iSd StPO idF BGBl I 2004/19 von Finanzstraftaten zu sprechen, jedenfalls nicht denselben Begriff zu verwenden, den § 21 Abs 1 FinStrG für rechtliche Kategorien gebraucht, weil sonst nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO der Schuldspruch zu lauten hätte, dass ein Finanzvergehen ein oder mehrere Finanzvergehen begründet ‑ ein unsinniger logischer Zirkel, im zweiten Fall ein Widerspruch.

            Der Sinn des in Aussicht genommenen § 1 Abs 3 könnte durch folgende Formulierung erreicht werden: „Vorsätzliche Finanzstraftaten, die mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, sind Verbrechen im Sinne des § 17 Abs 1 StGB.“

            Zu Z 3: Statt des ersichtlich auf ein historisches Geschehen, das einer rechtlichen Kategorie des Finanzstrafrechts subsumierbar ist, gemünzten, seinerseits mehrdeutigen Begriffs „Finanzdelikt“ könnte der zu Z 2 vorgeschlagene, mit der StPO harmonisierte Begriff der Finanzstraftat verwendet werden. Denn „im Inland verfolgt“ kann nur ein historisches Geschehen werden, nicht eine rechtliche Kategorie (vgl § 1 Abs 1 StPO idgF).

            Zu Z 21, 23 und 24: Die für § 44 Abs 2, § 45 Abs 2 und § 46 Abs 2 und 3 in Aussicht genommene Textierung stellt die vom Entwurf angestrebte Vorsatz- bzw Fahrlässigkeitsrelevanz der Bemessungsgrundlage in Frage. Es müsste nach Maßgabe der ‑ vorstehend in Frage gestellten ‑ Zielsetzung des Entwurfs auch hier gesagt werden: Wer … mit einer Bemessungsgrundlage von … begeht, ist … zu bestrafen.

            Zu Z 25: Zu lit a wäre nun nach „Umsatzsteuer“ ein Beistrich zu setzen. Zu lit c gilt das zu Z 21, 23 und 24 Gesagte sinngemäß.

            Zu Z 26: Es gilt das zu Z 21, 23 und 24 Gesagte sinngemäß. Demnach wären auch andere Strafdrohungen idS umzustellen.

            Zu Z 27: In den Erläuterungen dazu sollte statt von „Delikten“ von „strafbaren Handlungen“ die Rede sein. Es werden rechtliche Kategorien, nicht Taten angesprochen.

            Zu den das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren betreffenden Teilen des Entwurfs wird nicht Stellung genommen.

            Zu Z 51: Die Einstellung nach § 190 StPO begründet für das gerichtliche Verfahren ein nur durch Fortführung zu beseitigendes Verfolgungshindernis, das die Finanzstrafbehörde gleichermaßen bindet (§§ 193, 195 f StPO, § 54 Abs 6 FinStrG). Durch Einstellung nach § 190 StPO wird das Ermittlungsverfahren beendet. Nach Beendigung des Ermittlungsverfahrens ist gemäß § 107 Abs 1 StPO „ein Einspruch nicht mehr zulässig“. So gesehen würde die Finanzstrafbehörde durch Z 50 zu einem generell unzulässigen Rechtsbehelf legitimiert, was nicht sinnvoll erscheint. Im Übrigen stellt der Einspruch nach § 106 StPO auf die Verletzung subjektiver Rechte ab. Auch wenn nach § 200 Abs 1 FinStrG der Finanzstrafbehörde „kraft Gesetzes die Stellung“ eines Privatbeteiligten zukommt, macht die Finanzstrafbehörde keine solchen geltend, sodass die in Aussicht genommene Vorschrift auch aus diesem Blickwinkel systemwidrig erscheint.

 

Wien, am 28. Juni 2010

Hon.‑Prof. Dr. Griss