An das

Bundesministerium für

Verkehr, Innovation und Technologie

Radetzkystraße 2

1030 Wien

E-Mail: infra6@bmvit.gv.at

 

Klagenfurt, 17. Dezember 2010

 

 

Betreff:  Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Bundesgesetz über die Ordnung des Öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (Öffentlicher Personen­nah- und Regionalverkehrsgesetz 1999 – ÖPNRV-G) geändert wird; Stellung­nahme der Verkehrsverbund Kärnten GmbH

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Verkehrsverbund Kärnten GmbH (VKG) nimmt zu dem im Betreff genannten Entwurf, welcher mit Schreiben vom 20. Oktober 2010, GZ BMVIT-239.597/0014-V/INFRA6/2010 zur Stellungnahme übermittelt wurde, wie folgt Stellung:

Da die Verordnung (EG) 1370/2007 (im Folgenden "PSO" genannt) unmittelbar gilt und nach dem Stufenbau der Rechtsordnung gegenüber dem nationalen Recht Anwendungsvorrang genießt, erachtet die VKG eine Anpassung des ÖPNRV-G und KflG zwar nicht für erforder­lich, jedoch in Hinblick auf Anwendungspraxis, Zuständigkeit und Finanzierung sowie auf die Abstimmung zentraler Begriffe für zweckmäßig. Dies betrifft insbesondere die Finanzierung von Verkehrsdienstleistungen für die Dauer der vertrag­lichen Bindung des Bestellers.

Die VKG schließt sich der Stellungnahme des Landes Kärnten, welche eine verlässlichere Planbarkeit von Bundestransfers insbesondere das Schienen-Grundangebot (§7) und die Besteller­förderung (§24, §26) betreffend einfordert, daher vollinhaltlich an. Wir nehmen dies jedoch zum Anlass (A) noch weitere Inhalte des Entwurfs anzusprechen und (B) die nach­fol­genden Vorschläge zur ÖV-Finanzierungssystematik zu unterbreiten:

 

 

 

 

 

 

ad A) Kritikpunkte zu weiteren Inhalten des ÖPNRV-G-Entwurfs:

 

§ 3 - Definition des wirtschaftlichen Rechtscharakters von Verkehrsdiensten:

Aufgrund der Unmittelbarkeit der PSO haben die im § 3 enthaltenen Definitionen, sowohl in ihrer ursprünglichen Form (eigen- / gemeinwirtschaftlich) als auch in der vorgeschlagenen ge­änderten Version (kommerziell / nichtkommerziell) im Zweifelsfall zwar keinerlei rechtsver­bindliche Relevanz für die Tätigkeit einer Verkehrsverbundorganisati­onsgesellschaft, den­noch geht von diesen Inhalten des ÖPNRV-G eine gewisse Sig­nalwirkung aus. In der vorge­schlagenen Form wäre dieses Signal allerdings ein äußerst irri­tierendes und destruk­tives:

Die im § 3 vorgeschlagenen Definitionen schränken die Inhalte der PSO - völlig unnotwendig - auf eine Weise ein, die, unter der Annahme sie wäre verbindlich, eine Wahlfreiheit der Be­steller zur jeweils anzuwendenden Vertragsform de facto stark in Frage stellen würde.

In der real gegebenen wirtschaftlichen Situation besonders des Regionalbusverkehrs würde die Zuordnung der Fahrpreisersätze für die Schüler- und Lehrlingsfreifahrt (SLF) und der ver­bundbedingten Fahrpreisersätze in den nicht-kommerziellen Bereich den überwiegenden Teil der laufenden Finanzierung aus der (nach derzeitiger Definition noch) benutzerinduzierten Selbstfinanzierung der Verkehrsunternehmen ausschließen.

Dadurch würde insbesondere die von der PSO explizit ermöglichte Option, Dienstleistungs­konzessionsverträge zu schließen, für Besteller in Österreich nur noch theoretisch wählbar sein. In der Praxis existieren keine Regionalbus-Verkehrsdienste, die ohne Fahrpreisersätze, d.h. alleine aus den Fahrgelderlösen, überwiegend risikobehaftet nutzerfinanziert sind. Wür­den also die Fahrpreisersätze unter Nichtbeachtung der unions­rechtlichen Möglichkeiten in öffentliche Bestellerentgelte "umgedeutet", hätte dies praktisch die Ausschaltung der Dienst­leistungskonzession sowie darüber hinaus auch die Ausschaltung der Möglichkeit zur Folge, auch rein unternehmensinitiierte Verkehrsdienste aufrecht zu er­halten. Dass beides rein theoretisch auch weiterhin zulässig wäre, bliebe für die real existie­rende Verkehrswirtschaft unwirksam - und die in den Erläuterungen zum ÖPNRVG-Entwurf erwähnte Wahlmöglichkeit der zuständigen Behörde wäre realiter nicht gegeben.

Die oben genannten unionsrechtlichen Möglichkeiten hiezu bestehen insbesondere in der Definition einer "allgemeinen Vorschrift" für einen Fahrpreisersatz, was im vorliegenden Ent­wurf nicht einmal Erwähnung findet.

Aus der Nichtverwendung der Option "allgemeiner Vorschriften" würde über die oben ge­nannten Einschränkungen aller Leistungsbesteller hinaus auch für die die SLF verwaltenden Stellen (BMWFJ) zusätzlich auch das Problem entstehen, dass deren Fahrpreisersätze dann einem mit der bisherigen Praxis sowie auch mit einigen auf dem Familienlasten­ausgleichs­gesetz (FlaG) basierenden Bestimmungen nicht kompatiblen Vergaberegime unterlägen.

Da in einigen Bundesländern die allumfassende Umsetzung des sogenannten Brutto-Be­stell­prinzips beabsichtigt ist, würde eine bundesweit einheitliche Anwendung allgemeiner Vor­schriften für Fahrpreisersätze dort u. U. ebenso systemstörend wirken, wie in anderen Bun­des­ländern das Fehlen allgemeiner Vorschriften. Um diesen Zielkonflikt aufzulösen, schla­gen wir vor, es grundsätzlich den Bundesländern zu überlassen, sich für ein diesbezügliches, im Rahmen der PSO zulässiges System zu entscheiden. Um diese föderale Wahrmög­lich­keit auch praxistauglich zu erhalten, wäre eine begleitende Änderung auch anderer Bun­destätig­keiten hilfreich, darunter insbesondere der SLF (dazu weiter "ad B").

Als weitere Kritik am § 3 des vorliegenden Entwurfs ist anzuführen, dass in dessen Abs. 2 die Wortfolge "...noch teilweise...aus öffentlichen Mitteln" dazu führen könnte (immer unter der Annahme, diese Definitionen hätten trotz PSO-Unmittelbarkeit eine zwingende Rechts­wirkung), dass Entgelte und/oder Fahrpreisersätze nichtöffentlicher Dritter (z.B. Hotel- und Lift­betreiber), sofern sie Finanzierungsbeiträge zu einem mit öffentlichen Mitteln teilfinanzier­ten Verkehrsdienst darstellen, dann ebenfalls dem für öffentliche Dienstleistungsaufträge vor­gesehenen Vergaberegime unterliegen. Um hier von vornherein kein Missverständnis auf­-kommen zu lassen, müsste die Stellung solcher Privatbeiträge eindeutig als "kommerziell" und daher als unberührt von den sonstigen Bestimmungen festgehalten werden,

entweder durch entsprechende Umformulierung des Abs. 2 (etwa, dass nur die nicht-kom­merziellen Teile eines kombiniert öffentlich/privat finanzierten Verkehrsdienstes als nicht-kommerziell gelten)

- oder durch die Ausnahme der privatfinanzierten Teile eines ansonsten öffentlich finanzier­ten Verkehrsdienstes von allen einschlägigen Vergabevorschriften.

Wird diese Klarstellung nicht explizit vorgenommen, könnte es passieren, dass diese Privat­beiträge bzw. die dadurch finanzierten Verkehrsteile oder Auftrags-Teilvolumina mit in die für nicht­kommerzielle Verkehrsdienste vorgesehenen Vergabe- und Berichtspflichten fallen.

Solches hätte nämlich - zumindest in Kärnten - verheerende Auswirkungen: Die Regional­bus-Verkehrsdienste v.a. in den Frem­denverkehrsregionen werden derzeit in er­heblichem Ausmaß durch Private mitfinanziert. Da nur die wenigsten dieser Privatinteressenten auch weiterhin ihr Geld in den Öffentlichen Verkehr einbringen würden, wenn sie dann keine Kon­trolle mehr über dessen konkrete Verwendung hätten und/oder die Höhe ihrer Beiträge bun­desweit veröffentlicht würde, müssten deren Verkehrsinteressen in Zu­kunft getrennt vom son­stigen, öffentlich (mit-)finanzierten Öffentlichen Verkehr verfolgt werden oder aber - die wahrscheinliche Variante - deren Beiträge gingen dem ÖV überhaupt verloren. Zudem ver­zichten isoliert betriebene Verkehrsdienste auf erhebliche Synergien in der Produktion. Kurz: Es würde beträchtlicher Schaden am gesamten Verkehrssystem angerichtet, insbesondere bei den ohnehin auch anderweitig unter starkem Druck befindlichen Regionalbussen und dort beson­ders im ländlichen Raum (Bevölkerungsentwicklung, Gemeindefinanzen u.a.).

Zuletzt ist auch die stringente Beschränkung des Begriffs "Verkehrsdienst" auf nur Schienen­personen- und Kraftfahrlinienverkehr im § 3, Abs. 1 zu hinterfragen, wenn in Zukunft - aber­mals besonders im ländlichen Raum - innovative Lösungen abseits der herkömmlichen Pro­dukti­onsformen immer notwendiger werden (z.B. Kleinfahrzeugsysteme auf gemeinnütziger Basis, Selbsthilfeorganisationen, organisierte Zubringer-Fahrgemeinschaften, Verknüpfung­en mit Taxi-, Mietwa­gen und Gelegenheitsverkehr u.dgl.). Um eine umfassendere Begriffsbe­deutung von "öffentlicher Straßenpersonenverkehr" offenzuhalten würde es schon genügen, den Klammerausdruck "(Kraftfahrlinienverkehr)" im Abs. 1 ersatzlos wegzulassen.

§ 7 - Schienen-Grundangebot:

Die Planung und die Durchführung des Busverkehrs sind stark vom Angebot im Schienen­verkehr abhängig, und daher mit Unsicherheit behaftet, wenn der Bund seine Aufgabenträ­gerschaft für das Schienen-Grundangebot nicht ausreichend wahrnimmt. Dies wird, über die Problematik von durch ein Bundesland initiierten Zusatzbestellungen auf der Schiene hinaus, auch im Zusammenhang mit der Erfüllung von Verkehrsdienstverträgen im Busverkehr pro­blematisch sein. Zum einen bedarf es für die Dauer eines Vertrages einer Finanzierungs­sicherheit, zum anderen muss auch das jeweilige Verkehrsunternehmen, das aufgrund des in Kärnten anzuwendenden Bestellprinzips sämtliche Risken trägt, seine künftigen Einnah­men prognostizieren können. Damit zum Zeitpunkt der Bestellung alle für die Planung und Abwicklung des Vertrages relevanten Umstände bekannt sind, bedarf es Maßnahmen um eine Prognostizierbarkeit herbeizuführen. Dies ist auch im Sinne des Vergaberechts gebo­ten, wonach die Übertragung nicht kalkulierbarer Risiken verboten ist. Abhilfe könnte eine nach Bundesländern unterschiedene Erfüllung der Bundes-Aufgabenträgerschaft schaffen.

Der neue § 7 ÖPNRV-G müsste daher

entweder (vorzugsweise) die vom Bund bei den Schienenbahnen bestellten und als Grund­angebot längerfristig zu garantierenden Leistungsvolumina [in Zug-km] getrennt nach Bun­desländern ausweisen

oder die vom Bund an die Schienenbahnen vergebenen Auftragsvolumina [in EUR] länger­fristig werthaltig sicherstellen und ge­trennt nach Bundesländern auflisten.

Eine allenfalls noch detailliertere Festsetzung der Grundangebotsbestellungen des Bundes (etwa auf Strecken- oder gar Kurs-Ebene) wäre allerdings nicht nur entbehrlich, sondern für eine flexi­ble Planung und laufende Anpassung des Schienen-Gesamtangebots je Bundes­land sogar hinderlich.

§ 10 - Ausschrumpfende Bezuschussung für Bundesunternehmen im Kraftfahrlinienverkehr:

Der gesamte Paragraph ist inhaltlich nicht mehr zutreffend und zeitlich abgelaufen, daher schlagen wir seine Streichung vor (einschließlich Anpassung von dessen Zitierungen an anderen Stellen).

§§ 24 bis 26 - Bestellerförderung:

Hiezu schließt sich die VKG zur Gänze der Stellungnahme des Landes Kärnten an.

§§ 32 bis 37 - Verkehrsanschlußabgabe:

siehe weiter unten

 

ad B) begleitende Vorschläge zu Organisations- und Finanzierungssystem:

Reform der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt:

Um den ad § 3 angesprochenen Zielkonflikt zwischen umfassender Bruttobestellung und all­gemeiner Vorschrift / Dienstleistungskonzession / Nettobestellung zu lösen und eine dies­be­zügliche Wahlfreiheit auf Bundesländerebene (die aufgrund der PSO-Unmittelbarkeit un­ab­hängig vom ÖPNRV-G ohnehin gegeben ist) auch durch die österreichische Gesetzge­bung praxisrelevant zu gewährleisten, aber auch um eine Reihe andere, hier nicht gegen­ständli­cher Probleme zu lösen (sinkende Schülerzahlen, hoher Verwaltungsaufwand, kom­plizierter Vollzug, Abstimmung mit Schüler-Gelegenheitsverkehr u.dgl.), schlagen wir daher vor:

1.)   eine Pauschalierung der Mittel für die Finanzierung der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt und damit eine Entkoppelung von der Pro-Kopf-Abhängigkeit. Damit würde die Notwen­digkeit entfallen, jeden Schüler einzeln zu verwalten und die Zahlung aus dem Famili­en­lastenausgleichsfonds (Flaf) nicht mehr von Parametern wie die Anzahl der Fahrtage, die Entfernung, den Zeitraum, u.s.w. abhängig sein;

2.)   eine Zusammenführung der Ausgaben des BMWFJ, aus dem Flaf für die Beförderung von Schülern und Lehrlingen (also Fahrpreisersätze für den Öffentlichen Verkehr, Entgel­te/Zuschüsse für den Gelegenheitsverkehr sowie die Schulfahrtbeihilfe) sowie

3.)   eine Übertragung der Aufgabenerfüllung durch die für den Verkehr zuständigen Länder-Ressorts in mittelbarer Bundesverwaltung, wobei dem BMWFJ die Funktion der General­aufsicht zukommt. Wichtig ist, dass außer der Aufgabenerfüllung gegenüber den Begün­stigten (Schüler, Lehrlinge bzw. deren Erziehungsberechtigte), die keine Änderung erfah­ren würde, sonst keine weiteren Auflagen über die Art der Durchführung vorgegeben wer­den (bei pauschalierten länderweisen Budgets ist dies für die Finan­zierung dann auch nicht mehr erforderlich)

Damit könnte die SLF in den bruttobestellenden Bundesländern (siehe oben) auch als rein nichtkommerzielles Bestellerentgelt definiert werden, ohne dass eine Störung der Bruttobe­stellung durch nichtsynergetische, unternehmensinduzierte Verkehrdienste droht - in den übrigen Ländern aber auch nach PSO-zulässigen allgemeinen Vorschriften und weiterhin (jedoch vereinfacht) kopfbezogen an die leistenden Verkehrsunternehmen bezahlt werden.

Die schülerzahl-unabhängigen Transfers an die Bundesländer würden zu einer besser plan­baren Finanzierbarkeit der Leistungserbringung insbesondere im ländlichen Raum führen, die Zusammenfassung von SLF, Schülergelegenheitsverkehr und Schulfahrtbeihilfen eine ef­fizientere Leistungserbringung durch synergetisch kombinierte Bereitstellung von Linien- und / oder Gelegenheitsverkehr bzw. deren Ersatz durch Beihilfen, wo ein Verkehrsdienst nicht mehr wirtschaftlich ist, ermöglichen.

Für die Gemeinden würde die vorgeschlagene Reform eine Teilentlastung von den Be­stel­lungen von Schülerbeförderung im Gelegenheitsverkehr bzw. steigenden Beiträgen zum Öf­fentlichen Verkehr bedeuten.

Zudem könnte sich der Bund erhebliche Verwaltungskosten einsparen, welche derzeit we­gen der kopfgenauen Abrechnung und Kontrolle aufgewendet werden. Und nicht zuletzt blie­be dem BMWFJ eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen neuen Vorschriften für Aus­gleichszahlungen und öffentliche Dienstleistungsaufträge erspart.

 

Verkehrsanschlussabgabe:

Bedingt durch den Standortwettbewerb zwischen den Gemeinden hat sich der an sich zweckmäßige Abschnitt VI des ÖPNRV-G über die Verkehrsanschlussabgabe zum toten Recht entwickelt. Bisher haben die Gemeinden, zumindest in Kärnten, davon jedenfalls kei­nen Gebrauch gemacht. Wir schlagen daher vor, die Ermächtigung zur Erhebung einer der­artigen Ab­gabe auch auf die Bundesländer auszudehnen.

 

 

 

 

Zusammengefasst darf somit festgestellt werden, dass eine Reform des ÖV-Finanzierungs­systems nur unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Organisations- und Bestellstruk­turen der Verkehrsverbünde (Verkehrsverbund als Mobilitätsdienstleister oder Koordinator, Brutto- oder Nettovertrag) zweckmäßig wäre, um für die Akteure im Öffentlichen Verkehr so­wohl eine Planungs- als auch Finanzierungssicherheit zu gewährleisten.

 

Den vorliegenden Entwurf können wir daher ohne Berücksichtigung mindestens der oben angerissenen Problemstellungen nicht gutheissen.

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen!

Dipl.-Ing. Christian Heschtera

Geschäftsführer