Österreichische
Arbeitsgemeinschaft für
Rehabilitation (ÖAR)
Dachorganisation der
Behindertenverbände Österreichs

Dr. Christina Meierschitz · DW 119

E-Mail: meierschitz.recht@oear.or.at

 

 

 

 

 

Stellungnahme der

Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR), Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs,

zum Entwurf eines Bundesgesetzes

mit dem das Behinderteneinstellungsgesetz, das Bundesbehindertengesetz und das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz geändert werden

Budgetbegleitgesetz 2011-2014

GZ: BMASK-40101/0014-IV/2010

 

 

 

Die ÖAR erlaubt sich, zu oben angeführtem Entwurf folgende Stellungnahme abzugeben:

 

Änderung des Behinderteneinstellungsgesetzes:

Ad §§ 8 (7) und 9 (2):

Die ÖAR vertritt den Standpunkt, dass der besondere Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderungen, trotz der Bestimmungen im BEinstG zur Gleichstellung von behinderten und nichtbehinderten Menschen und angesichts der seit 2008 in Kraft befindlichen UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, notwendig ist, da wesentliche Faktoren zur Herstellung umfassender Inklusion in den Bereichen Bildung, Weiterbildung und Beschäftigung, entsprechend den Vorgaben der UN-Konvention in Österreich noch nicht umgesetzt und verwirklicht sind.

Viele potentielle Dienstgeber vertreten die, nicht den Tatsachen entsprechende Meinung, dass Menschen mit Behinderungen, die unter dem besonderen Kündigungsschutz stehen, nicht mehr kündbar sind und daher stellt sich de facto der besondere Kündigungsschutz auch tatsächlich immer mehr zum Einstellungshemmnis heraus. Tatsache ist, dass mit Stand Mai 2010 15,03 % der Arbeitslosen Menschen mit Behinderungen waren. Im Jahr 2007 war von den als begünstigt Behinderte eingestuften Personen ein Drittel nicht erwerbstätig.

Aus diesem Grund stimmt die ÖAR zu, dass die Probezeit für Menschen mit Behinderungen auf 3 Jahre verlängert wird.

Keinesfalls einverstanden ist die ÖAR mit dem gänzlichen Wegfall des Kündigungsschutzes, weder für neue noch für bereits bestehende Dienstverhältnisse. In die, in diesem Zusammenhang geplante Evaluierung müssen auch Menschen mit Behinderungen und die sie vertretenden Organisationen intensiv einbezogen werden.

Dem Abschaffen dieses Schutzes für Menschen, die bis jetzt wesentlich schlechtere Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu erhalten oder zu halten, d.h. die einer Risikogruppe angehören, die verstärkt von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen ist, könnte nur zugestimmt werden, wenn gleichzeitig alle Maßnahmen ergriffen worden sind, damit Menschen mit Behinderungen chancengleiche Teilhabe in der Arbeitswelt gewährt wird.

Als erster Schritt wäre die Ausgleichstaxe für jene, die ihrer Einstellungspflicht nicht nachkommen, empfindlich anzuheben. Die Erhöhung der Ausgleichstaxe um 120 € - und das nur für Dienstgeber, die mehr als 100 Dienstnehmer beschäftigen - entspricht nicht den Forderungen der ÖAR nach einer empfindlichen Erhöhung der Ausgleichstaxe unter gleichzeitigem Ausbau von Förderungsmaßnahmen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Die Höhe der Ausgleichstaxe sollte sich nach der Höhe eines durchschnittlichen Mindestlohnes richten. Überdies ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Unternehmen mit hohem Personalanteil auch Unternehmen sein können, die einen hohen Anteil an Teilzeitkräften aufweisen, dies sind sehr oft Frauenarbeitsplätze, die mit dieser Berechnung der Ausgleichstaxe übermäßig stark belastet werden würden.

Als Lösung schlägt die ÖAR eine Berechnung der Ausgleichstaxe auf Grundlage der Bruttolohnsumme eines Unternehmens (anstelle der Mitarbeiteranzahl) vor. Damit könnte als Nebeneffekt die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in höher bezahlten Jobs forciert werden.

Jedenfalls sind angemessene Vorkehrungen verstärkt zutreffen, damit die der Zugang zum Arbeitsmarkt auch für alle Menschen mit Behinderungen offensteht. Es ist darauf zu achten, dass bestehende Förderungen wie beispielsweise Lohnkostenzuschüsse nicht gekürzt werden.

Als ergänzende wichtige Maßnahmen wären ebenfalls zu ergreifen:

·         Schaffung flächendeckender, abgesicherter Arbeitsassistenz bzw. Beistellung von Unterstützern/innen oder Mentoren/innen – auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Damit dieser Personenkreis eine reale Chance auf Eingliederung in den primären Arbeitsmarkt erhält, bedarf es jedenfalls intensiver flankierender Maßnahmen.

·         Gehörlosen Menschen soll das Recht auf eine Berufsausbildung ihrer Wahl gesichert sein und nicht durch Sprachbarrieren behindert werden.

·         Ausweitung von Qualifizierungsmaßnahmen für Menschen mit Behinderungen zur Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt usw.

 

§ 8 (7) bestimmt weiter, dass der besondere Kündigungsschutz bestehen bleibt, wenn die Behinderung innerhalb des Zeitraumes zwischen 1. Jänner 2011 und 31. Dezember 2013 eintritt und die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 14 Abs. 2 auf Grund eines unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung gestellten Antrages festgestellt wird. Völlig unklar ist, was unter „unverzüglich“ zu verstehen ist, bzw. kann es zu besonderen Härten kommen, wenn eine unverzügliche Antragstellung aus unverschuldeten Gründen nicht erfolgt ist.

Ad § 10a (1) lit. j:

Die Einschränkung der Gewährung von Zuschüssen und Darlehen für von Betrieben durchgeführte investive Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit wird in den Erläuterungen damit begründet, dass das seit 2006 in Geltung stehende BGStG Barrierefreiheit vorschreibe. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wird jedoch im BGStG die Verlängerung der Frist zur verpflichtenden Herstellung der Barrierefreiheit festgelegt.

Die ÖAR fordert statt der geplanten Kürzungen massive Unterstützungsleistungen für die Herstellung von Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen, damit diese ihr Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft wahrnehmen können.

Ad § 12 Abs. 1:

Sehr zu begrüßen ist die Vorschaltung einer verpflichtenden Krisenintervention vor der Einleitung eines Kündigungsverfahrens gemäß § 8. Nicht klar geht jedoch weder aus dem Gesetzestext noch aus den Erläuterungen hervor, wo oder durch wen die Krisenintervention stattzufinden hat. Auch ist nicht ersichtlich, welche Konsequenz es hat, wenn der Dienstgeber den Betriebsrat und den Behindertenvertrauensrat nicht verständigt. Nach Ansicht der ÖAR müsste festgehalten werden, dass andernfalls das Kündigungsverfahren nicht eingeleitet wurde.

 

Änderung des Bundesbehindertengesetzes:

Ad §§ 36 – 39:

Gleichzeitig mit den Bestimmungen zum Wegfall der Abgeltung der NOVA wird mit Änderung der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen festgelegt, dass der Freibetrag, zur Abgeltung des Mehraufwandes für besondere Behindertenvorrichtungen und für den Umstand, dass ein Massenbeförderungsmittel aufgrund der Behinderung nicht benützt werden kann, von 153 € auf 190 € angehoben wird.

Abgesehen davon, dass dieser Betrag bereits seit seiner Einführung im Jahr 1988 nie wertangepasst, geschweige denn valorisiert worden ist, stellt diese Maßnahme für Menschen mit Behinderungen eine massive Verschlechterung ihrer Situation dar.

Die NOVA wurde bisher jenen wenigen Menschen mit Behinderung rückerstattet, die, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, unbedingt auf die Benützung eines Auto angewiesen waren. Dies jedoch auch nur bis zu einem Kaufpreis des Kraftwagens von 20.000 € innerhalb von 5 Jahren.

Das österreichische Einkommensteuerrecht bevorzugt bei den Freibeträgen primär jene Steuerpflichtigen, die hohe Einkommen erzielen und ist aus diesem Grund sachlich nicht in der Lage, den Wegfall der Rückerstattung der NOVA auszugleichen. Daher ist die bisherige Regelung jedenfalls beizubehalten, weil nur auf diesem Weg auch jene Menschen mit Behinderungen, die über ein geringes Einkommen verfügen, beziehungsweise auch jene mit einem mittleren Einkommen, die aber sehr hohe behinderungs- oder gesundheitsbedingte Kosten zu tragen haben, von einem geringen Ausgleich profitieren würden.

Hier sei ein kleines Rechenbeispiel angeführt:

 

Einkommen mtl. brutto

abzgl. LST (Freibetrag 153)

abzgl. LST (Freibetrag 190)

Differenz monatlich

1.250

0,00

0,00

0,00

1.500

23,55

10,04   

13,51

3.000

485,92

469,93

15,99

5.000

1263,52

1247,53

15,99

10.000

3701,66

3683,16

18,50

 

Daraus ist zu ersehen, dass Menschen mit Behinderungen mit Einkommen von Brutto 1.250 € auf die Rückerstattung der NOVA (durchschnittlich 2,200 € in 5 Jahren) zur Gänze verzichten müssen und über den Steuerausgleich keinen Euro erhalten.

Menschen mit Behinderungen mit Einkommen von Brutto 1.500 € lukrieren jährlich 162,12 € (in 5 Jahren 810, 60 €).

Menschen mit Einkommen von 3.000 € oder 5.000 € bekommen 191,88 € (in 5 Jahren 959,40 €). Hier ist mit Einsparungen auf Basis der NOVA Rückerstattung von durchschnittlich 2.200 € pro Fall mit mindestens 56 % für den Staat zu rechnen.

Schon mit der bisherigen Regelung sind Umbauten der Fahrzeuge nicht ansatzweise abgegolten worden. Hinzu kommt, dass etwa 80 % der Menschen mit Behinderungen grundsätzlich teurere Fahrzeuge mit Automatiken benötigen. Wenn dann noch Hebevorrichtungen usw. für die Beförderung eines Rollstuhles erforderlich sind, sind die Belastungen für Menschen mit Behinderungen schon bisher oft kaum bewältigbar gewesen.

Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ergibt sich aus weiteren zusätzlichen Freibeträgen für außergewöhnliche Belastungen, aber auch für Kranken- und Lebensversicherungen, Wohnraumbeschaffung usw., die ebenfalls über Freibeträge abgegolten werden. Bei einem Einkommen von Brutto 1600 € und Freibeträgen von zusammen 300 € (190 € Freibetrag Fahrzeug und 110 € weitere andere Freibeträge), die geltend gemacht werden könnten, beträgt die Lohnsteuer ebenfalls 0 Euro, d.h. Menschen mit Behinderungen müssen ihre Mehraufwendungen zur Gänze selbst tragen!

Weiters ist noch darauf hinzuweisen, dass der Mobilitätszuschuss Personen ab dem 15. Lebensjahr bis einschließlich dem 65. Lebensjahr zusteht. Die NOVA-Befreiung kann jedoch unabhängig vom Alter des Menschen mit Behinderungen geltend gemacht werden. Auch aus diesem Grund käme es zu massiven Verschlechterungen für Menschen mit Behinderungen und deren Familien.

Jedenfalls entspricht diese Vorgangsweise keinesfalls der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und verletzt vor allem den Artikel 20 dieser Konvention.

 

Änderung des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes:

Der geplanten Verlängerung der Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit bis zum 31. Dezember 2019 kann die ÖAR keinesfalls zustimmen.

Die Frist von 10 Jahren beim Inkrafttreten des BGStG im Jahr 2006 wird als ausreichend gesehen, um die dringend erforderliche Ermöglichung der Teilhabe für eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Personen vorzuschreiben. Auch im Hinblick dessen, dass bereits seit dem Jahr 1997, seit dem Gleichheitsgebot durch die Bundesverfassung, für den Staat die Verpflichtung besteht, Menschen mit Behinderungen nicht zu diskriminieren und diesen barrierefreie Teilhabe zu gewähren.

Menschen mit Behinderungen können innerhalb von annähernd 20 Jahren erwarten, dass ihre Menschenrechte ernst genommen werden und dass sie nicht immer zu dieser Menschengruppe gehören müssen, die aufgrund fehlenden Bewusstseins der Verantwortlichen auf die Erfüllung ihrer Bedürfnisbefriedigung verzichten müssen.

Die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen muss so gestaltet werden, damit sie den Bestimmungen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entspricht.

 

 

 

Wien, am 16.11.2010