1 Präs. 1623-5368/10p

 

 

 

 

Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs

zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem

das Behinderteneinstellungsgesetz, das Bundesbehindertengesetz

und das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz geändert werden;

Budgetbegleitgesetz 2011-2014.

 

 

              Zu Art X1 Z 6 (§ 8 Abs 7 Behinderteneinstellungsgesetz):

 

              I. § 8 Abs 7 1. Satz

              Nach dieser Bestimmung gilt der Kündigungsschutz der begünstigten Behinderten (§ 2) nicht, wenn ein Dienstverhältnis nach dem 1.1.2011 „begründet“ wurde.

              Da der Vertragsabschluss, der vorgesehene und der tatsächliche Dienstantritt auseinander fallen können und oft zwischen Dienstverhältnis und Dienstvertrag unterschieden wird (ausführlich etwa 8 ObS 141/01w) wäre eine Klarstellung etwa dahin, dass die Anwendung auf Arbeitsverhältnisse unterbleibt, deren „vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 1.1.2011 liegt“, hilfreich.

 

              II. § 8 Abs 7 2. Satz

              Nach dieser Bestimmung soll der Kündigungsschutz auch bei nach dem 1.1.2011 begründeten Arbeitsverhältnissen in 3 verschiedenen Sonderfällen gelten.

              II. 1. Zum ersten Fall - „die Feststellung der Begünstigteneigenschaft innerhalb dieses Zeitraumes infolge eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 14 Abs 1 lit b erfolgt“ - finden sich in den Erläuterungen keine näheren Ausführungen. Nach dem Wortlaut wäre darauf abzustellen, dass die verfahrensrechtliche Feststellung zwischen 1.1.2011 und 31.12.2013 erfolgt. Dies wäre wohl schon wegen der verfahrensrechtlichen Zufälligkeiten (Erlassung des Bescheides, Rechtskraft etc) sogar verfassungsrechtlich bedenklich (VfSlg 17.344; VfSlg 16.490). Weiters ist darauf zu verweisen, dass § 14 Abs 1 lit b nicht den Arbeitsunfall näher definiert, sondern die Art der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit.


              II. 2. Der zweite Fall stellt darauf ab, dass „die Behinderung innerhalb dieses Zeitraumes eintritt und die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 14 Abs 2 auf Grund eines unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung gestellten Antrages festgestellt wird.“

              Die Erläuterungen halten dazu fest, dass es um Behinderungen geht, die während dieses Zeitraumes eintreten und dass es sich um eine schwerwiegende, vor Beginn des Dienstverhältnisses noch nicht vorhandene Gesundheitsschädigung handeln muss. Im Bescheid, mit dem die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten festgestellt wird, solle auch festgestellt werden, dass der besondere Bestandschutz des § 8 für das aktuell bestehende Dienstverhältnis zum Tragen kommt. Eine ausdrückliche verfahrensrechtliche Zuweisung an den Behindertenausschuss wurde allerdings weder in § 14 noch in § 8 vorgenommen. Da eine Beteiligung des Arbeitgebers an dem Verfahren auf Zuerkennung der Behinderteneigenschaft nicht vorgesehen ist, könnten jedenfalls mangels ausdrücklicher Zuweisung verfassungsrechtliche Überlegungen für eine Zuständigkeit der Gerichte sprechen. Insoweit sollte also eine Klarstellung erfolgen.

              II. 3. Der dritte Fall - „ein Arbeitsplatzwechsel innerhalb eines Konzerns erfolgt“ - sollte verdeutlicht werden. Wenn gemeint ist, dass das Arbeitsverhältnis zwar nach dem Inkrafttreten neu begründet wurde, aber bereits davor ein Arbeitsverhältnis zu einem anderen Konzernunternehmen bestand, so sollte dies zum Ausdruck gebracht werden.

              Darauf, dass in anderen Fällen auch auf Wiedereinstellungszusagen und unterbrochene Arbeitsverhältnisse Bedacht genommen wurde, wird hingewiesen (§ 46 Abs 3 BMSVG).

 

 

              Zu Art X1 Z 11 (§ 12 Abs 1 Behinderteneinstellungsgesetz):

 

              Mit den angefügten Sätzen wird die Verpflichtung der Dienstgeber festgelegt, vor Einleitung eines Kündigungsverfahrens den Betriebsrat und den Behindertenvertrauensrat zu verständigen, die innerhalb einer Woche hiezu Stellung nehmen können, um eine Krisenintervention durchzuführen. Die Rechtsfolgen einer Unterlassung der Verständigung oder der Krisenintervention (reine Formvorschrift, Unzulässigkeit der Zustimmung zur Kündigung etc…) werden - anders als etwa in § 105 Abs 2 ArbVG - nicht geregelt. Auch wird nicht näher definiert, was das Erfordernis der „Krisenintervention“ erfüllt.

              Zu Art X1 Z 16 (§ 22e Abs 1 Behinderteneinstellungsgesetz):

 

              Gerade im Hinblick darauf, dass an die richtige Verständigung des Kollegialorgans Behindertenvertrauensrat nunmehr allenfalls auch rechtliche Konsequenzen geknüpft werden (so Z 11), scheint es wesentlich, dass für den Behindertenvertrauensrat klare Vertretungsregeln bestehen. Die Vorgehensweise bei einer mangelnden Einigung eines aus zwei Mitgliedern bestehenden Behindertenvertrauensrats auf den Vorsitzenden wird aber nur im Zusammenhang mit der Geschäftsführung in § 22e Abs 3 (§ 66 Abs 7 ArbVG - Los), aber nicht bei der Funktionsverteilung (§ 22e Abs 1 iVm § 66 ArbVG) geregelt. Im Ergebnis könnte dies dahin verstanden werden, dass es gar keinen Mechanismus zur Bestimmung des Vorsitzenden gibt und immer beide Mitglieder verständigt werden müssen. Auch wäre nicht klar, wessen Stellungnahme dann als Stellungnahme des „Kollegialorgans“ Behindertenvertrauensrat anzusehen wäre.

 

 

              Zu Art X1 Z 19 (§ 25 Abs 15 Behinderteneinstellungsgesetz):

 

              Mit Satz 2 des Abs 15 wird angeordnet, dass § 8 Abs 7, der die Ausnahme vom Kündigungsschutz für nach dem 1.1.2011 begründete Arbeitsverhältnisse regelt, mit 31.12.2013 außer Kraft tritt. Damit gelangt dann auch auf diese Arbeitsverhältnisse der Kündigungsschutz des § 8 Abs 2 bis 6 zur Anwendung.

              Da die Regelung des Kündigungsschutzes ja während der gesamten Zeit in Kraft bleibt und nur aufgrund des § 8 Abs 7 für bestimmte Arbeitsverhältnisse nicht gilt, könnte allenfalls angezweifelt werden, wie Kündigungen zu beurteilen sind, die zwar vor dem 31.12.2013 - allenfalls mit einer längeren - Kündigungsfrist ausgesprochen, aber danach erst wirksam wurden. Unklarheiten könnten sich auch in Fällen ergeben, in denen die Behinderteneigenschaft erst nach dem 31.12.2013 festgestellt wurde, aber auf den Tag der Antragstellung und damit auch auf bereits vor dem 31.12.2013 ausgesprochene Kündigungen zurückwirkt (§ 14 Abs 2). Eine präzisierende Übergangsbestimmung scheint wünschenswert.

 

 


              Zu Art X1 Z 19 (§ 27 Abs 8 Behinderteneinstellungsgesetz):

 

              Nach dieser Bestimmung sollen die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes gewählten Behindertenvertrauenspersonen ihre Tätigkeit für die Dauer, für die sie gewählt sind, nach den bisher geltenden Vorschriften weiterführen.

              Die Erläuterungen verstehen dies auch dahin, dass die neuen Kollegialorgane erst nach dem Ablauf der derzeitigen Funktionsperioden ins Leben gerufen werden sollen. Das ist dem Gesetzestext aber nicht klar zu entnehmen. Insoweit sollten die Übergangsbestimmungen verdeutlicht werden. Dies gilt aber vor allem für die Frage, ob damit auch die neuen Mitwirkungsrechte bei Kündigungsverfahren bis zur ersten Wahl eines kollegialen Behindertenvertrauensrats aufgeschoben werden sollen.

 

Wien, am 16. November 2010

Hon.-Prof. Dr. Griss