Bundesministerium für

Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

 

stellungnahmen@bmask.gv.at

Wien, 17. November 2010

ZVR-Zahl: 975476156

 

 

 

 

 

 

Betrifft Budgetbegleitgesetz 2011-2014
            GZ-BMASK-21119/0016-II/A/1/2010

 

 

Der Österreichische Landarbeiterkammertag nimmt zu obigen Entwurf wie folgt Stellung:

 

Die zuständigen Ministerien und sonstige Stellen haben diese bedeutsamen Änderungen über Monate ausgearbeitet, wir, die Begutachtenden, sollen dies in ein paar Wochen auf Punkt und Beistrich prüfen. Dies ist unmöglich. Die Bundesregierung hat unter Bruch der Verfassung, diese Vorhaben zu spät vorgelegt. Auch die gebrochene Verfassungsnorm hat ihren Sinn.

 

Da eine Begutachtung im Detail nicht möglich und zumutbar ist, kann sich eine Stellungnahme nur im Rahmen des Grundsätzlichen halten.

 

  1. Allgemeines

 

Der Österreichische Landarbeiterkammertag unterstützt grundsätzlich alle Bemühungen, die der Sicherung des Systems der Sozialversicherung dienen und dafür notwendig sind. Der Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ wird ebenso mitgetragen wie das Ansinnen, das faktische Pensionsalter sowie die Erwerbsquote der über 50-Jährigen zu erhöhen.

 

Es dürfte allgemeiner Konsens darüber bestehen, dass die Erwerbsunfähigkeitsquote der unter 50-Jährigen in Österreich unproblematisch ist, andererseits die Erwerbsquoten jenseits des 50. Lebensjahres derart abnehmen, dass die Sicherung des Pensionssystems in Frage gestellt ist.

Der Entwurf einer ASVG-Novelle geht offenkundig davon aus, dass diese Problematik ihre Ursache in einem zu leichten Zugang zu Pensionen der geminderten Erwerbsfähigkeit hat. Dies korreliert mit der Auffassung bestimmter Interessengruppen, die diese Meinung auch immer wieder medial transportieren. Der Österreichische Landarbeiterkammertag weist diese Auffassungen entschieden zurück. Es stellt ein Kuriosum dar, dass die Interessenvertretungen jener Dienstgeber, die in Österreich wenig Bereitschaft zeigen, ältere Dienstnehmer zu beschäftigen, am vehementesten darauf drängen, den Zugang zu Pensionen wegen

Marco D’Avianogasse 1 . 1015 Wien . Telefon 01/512 23 31 . Fax 01/512 23 31 -70

oelakt@landarbeiterkammer.at . www.landarbeiterkammer.at


- 2 -

 

geminderter Erwerbsfähigkeit zu erschweren. Dies kann zur Problemlösung keinen Beitrag leisten, sondern höchstens zu Verlagerungen von der Pensionsversicherung zur Arbeitslosenversicherung führen und bringt eine erhöhte Gefahr sozialen Abstiegs samt  damit einhergehender Folgekosten mit sich.

 

Wer die gemeinsamen Ziele einer Erhöhung der Beschäftigungsquote älterer Menschen und eine Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters erreichen will, muss Rahmenbedingungen schaffen, damit ältere Dienstnehmer eine faire Chance am Arbeitsmarkt erhalten. Dabei muss die scheinbar unbegrenzbare Beschleunigung der Arbeitswelten in Frage gestellt werden und eine Neudefinierung von Lebensarbeits- und Einkommenskurven vorgenommen werden. Eine Gesellschaft ohne Arbeitsplätze für ältere Menschen verhindert beruflichen Erfolg im höheren Erwerbsalter und setzt damit eine Spirale der Verdrängung älterer Menschen vom Arbeitsmarkt in Gang:

 

Der mit dieser Novelle eingeschlagene Weg konterkariert in der Grundrichtung die soziale Realität. Die Maßnahmen werden deshalb wenig effektiv bleiben oder im Falle einer sehr restriktiven Auslegung durch die Gerichte massive soziale Probleme mit sich bringen.

 

Der Österreichische Landarbeiterkammertag bekennt sich zu einer Leistungsgesellschaft, versteht diese jedoch nicht als Beschleunigungsgesellschaft unter Ausschluss jener, die altersbedingt nicht schnell genug sind, sondern als Leistungsgerechtigkeitsgesellschaft.

Im sozialversicherungsrechtlichen Bereich entsprächen attraktive und praktikable Modelle von Gleitpensionen viel eher dem Sinne einer Anhebung des Anfallsalters als höhere Zugangsbarrieren für den Pensionsantritt zu schaffen.

 

  1. Besonderer Teil

 

Zu Art. 1 Z 3, 13 und 52 (Erhöhung der Beitragsgrundlage für den Erwerb von Versicherungsmonaten für Zeiten des Besuches einer Bildungseinrichtung)

 

Eine derart eklatante Anhebung der Beitragsnachentrichtung für Studien-, vor allem aber Schulzeiten erschüttert das Vertrauen in die Stabilität des Pensionssystems und stellt eine massive Ungleichbehandlung dar.

 

Die geplante Anhebung wird daher als in dieser Form unsachlich und unzumutbar abgelehnt.

 

Zu Art. 1 Z 4, 10 bis 12, 14 bis 17, 24 bis 26, 29 und 30, 34 bis 38, 40 bis 43 und 45 bis 48 („Rehabilitation vor Pension“ und Rechtsanspruch auf Rehabilitation)

 

Die Schaffung eines Rechtsanspruches auf berufliche Rehabilitation wird ausdrücklich begrüßt. Vor allem bei jüngeren Invaliden führte in der Vergangenheit die Ablehnung des Pensionsantrags dazu, dass auf dem Klagsweg nur die Pensionierung durchgesetzt werden konnte, obwohl von den Betroffenen ein Verbleib im Berufsleben vorgezogen worden wäre.

 

Dies betrifft jedoch nur den sehr kleinen Teil der unter 50-Jährigen vom Thema Invalidität Betroffenen. Im Problembereich über 50-jährigen ist die Prognose, dass Maßnahmen „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherstellen“ bei objektiver Betrachtung nur in Ausnahmefällen möglich.

 

Das „Verweisungsfeld“ einer beruflichen Rehabilitation ist durch zahlreiche unbestimmte Begriffe abgesteckt. Die Erläuterungen bieten überraschender Weise keine Hilfe bei der Auslegung, sondern geben diese bloß verkürzt wieder. Das Abstellen auf unter anderem die Neigung sowie die bisherige Tätigkeit legen nahe, dass auch bei der beruflichen Rehabilitation der Berufsschutz Wirkungen entfaltet.

 

Eine Aufweichung des Berufsschutzes im Wege der beruflichen Rehabilitation wird vom Österreichischen Landarbeiterkammertag strikt abgelehnt.


- 3 -

 

Zu Art. 1 Z 5 und 6 (Aliquotierungsregelung für Pensionssonderzahlungen)

 

Wenn die Umstellung auf ein Aliquotierungssystem sicherstellen soll, dass es nicht mehr zu einer Begünstigung in den Fällen kommen soll, in denen die Pension gerade (mehr oder weniger) zufällig im April oder September anfällt, so kann dem zugestimmt werden.

 

Unsachlich ist jedoch, dass es nur zu einer Aliquotierung „in eine Richtung“ kommt. Es ist unbedingt Vorsorge zu treffen, dass auch bei Pensionen, die im April oder Oktober wegfallen (insbesondere wegen Ablauf einer befristeten Pensionsleistung, aber auch durch Tod des Pensionsbeziehers) eine Aliquotierung zu erfolgen hat.

 

Zu Art. 1 Z 19, 20 und 28 (Modifikation des Berufsschutzes)

 

Viele land- und forstwirtschaftliche Facharbeiter werden nicht während des gesamten Kalenderjahres, sondern nur saisonal beschäftigt. Dadurch sind diese Menschen bereits hinsichtlich ihres Erwerbseinkommens, ihrer sozialen Absicherung und auch hinsichtlich ihrer zu erwartenden Pensionsleistung deutlich benachteiligt. Sie arbeiten überdies fast ausschließlich in Berufen, die als Schwerarbeiter qualifiziert werden und deshalb eine erhöhte Gefahr der Invalidität im höheren Erwerbsalter mit sich bringen.

 

Die vorgeschlagene Neufassung des Berufsschutzes wird vom Österreichischen Landarbeiterkammertag entschieden abgelehnt, weil damit gerade land- und forstwirtschaftlichen Saisonarbeitern, die diesbezüglich eine besonders schützenswerte Gruppe darstellen, der Zugang erschwert wird.

 

Der Österreichische Landarbeiterkammertag kann das Ziel mittragen, den Erwerb eines Berufsschutzes durch eine bloß wenige Monate dauernde Beschäftigung zu verhindern. Das Ziel könnte aber auch ganz einfach durch eine Mindestbeschäftigungszeit erreicht werden: z.B. Ausübung in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate, mindestens aber während 60 Monaten der Pflichtversicherung in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag.

 

Die vorgeschlagene Fassung führt überdies zu negativen Lenkungseffekten. Sowohl Arbeiter als auch Angestellte, die Berufsschutz genießen, werden bei gesundheitlichen Problemen geradezu dazu gedrängt, in eine Pension aufgrund geminderter Erwerbsfähigkeit zu „flüchten“. Menschen, die bei gesundheitlichen Problemen bereit waren, weniger qualifizierte Tätigkeiten anzunehmen, waren durch das bestehende System des Berufsschutzes schon immer benachteiligt und werden dies durch die vorgeschlagene Fassung noch mehr.

 

Der Österreichische Landarbeiterkammertag fordert daher ein System einer begrenzten „Nachwirkung des Berufsschutzes“ um - gerade im Sinne der beabsichtigten Novelle - eine „freiwillige berufliche Rehabilitation“ zu fördern anstatt zu bestrafen.

 

Ausdrücklich begrüßt wird die nunmehr angeordnete Zusammenrechnung von berufgeschützten Zeiten als Arbeiter und Angestellter.

 

Zu Art. 1 Z 21 (Härtefallregelung)

 

Diese Regelung wird im Grundsätzlichen begrüßt.

 

Nicht sachgerecht ist die verlangte Voraussetzung einer mindestens zwölfmonatigen Arbeitslosigkeit. Dies wird zur Auflösung von Dienstverhältnissen führen, um die Möglichkeit der Pensionserlangung zu eröffnen. Gerechter und zur Vermeidung von negativen Lenkungseffekten notwendig wäre eine Regelung, die darauf abstellt, dass die versicherte Person in den letzten 12 Monaten arbeitslos war oder Krankengeld bezogen hat.

 

Weiters wird auf das Redaktionsversehen hingewiesen, dass § 255 Abs. 3 b auf Abs. 3 a Z 3 anstelle der Z 4 verweist.


- 4 -

 

Zu Art. 1 Z 22 (Erleichterung beim Tätigkeitsschutz)

 

Die Regelung wird begrüßt.

 

Es wird darauf hingewiesen, dass eine vergleichbare Regelung auch beim Berufsschutz der Arbeiter und Angestellten zweckmäßig wäre, um bei längerer Krankheit nicht automatisch einen Anreiz zur Pensionierung zu setzen.

 

Gefordert wird ein Ende der Benachteiligung land- und forstwirtschaftlicher Hilfsarbeiter, die nur saisonal beschäftigt werden und typischerweise Schwerarbeiten verrichten. Ungelernte land- und forstwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte werden heute selten erheblich über acht Monate/Kalenderjahr beschäftigt. Manchmal wird nicht einmal diese Beschäftigungsdauer erreicht. Diese Saisonarbeiter können auch nicht von der nunmehrigen Einbeziehung des Krankengeldbezuges profitieren, weil sie im Falle der Arbeitsunfähigkeit in der Praxis gar nicht wieder eingestellt werden.

 

Der Österreichische Landarbeiterkammertag fordert daher Tätigkeitsschutz auch für Personen, die während der letzten 15 Jahre in 12 Jahren zumindest durchschnittlich 8 Monate eine Tätigkeit im Sinne von § 255 Abs. 4 ASVG ausgeübt haben.

 

Zu Z 23, 32 und 50 (Verminderung des Abschlages für invalide Schwerarbeiter)

 

Die Honorierung von Schwerarbeit bei den Abschlagsregeln wird begrüßt.

 

Zu Art. 1 Z 33 (Ausgleichszulage nur bei legalem Aufenthalt in Österreich)

 

Diese Regelung zur Bekämpfung von Sozialmissbrauch wird ebenfalls ausdrücklich begrüßt.

 

Zu Art. 1 Z 49 (Nachkauf von Ausübungsersatzzeiten)

 

Grundsätzlich ist die Beitragspflicht für Ausübungsersatzzeiten im vorgeschlagenen Ausmaß diskutabel. Abzulehnen ist sie aber deshalb, weil sie den Vertrauensschutz verletzt und überdies zu unsachlicher Ungleichbehandlung führt.

 

Die meisten Betroffenen haben bereits Pensionsauskünfte eingeholt und diese Ausübungsersatzzeiten angerechnet erhalten. Eine nachträgliche Verpflichtung zum Einkauf dieser Versicherungszeiten verletzt den Vertrauensschutz vor allem deshalb, weil dadurch nicht nur die Pensionshöhe, sondern auch der Pensionsantritt betroffen ist.

 

Zu Art. 1 Z 52 (Hacklerregelung)

 

Der Österreichische Landarbeiterkammertag spricht sich nachdrücklich gegen das Auslaufen einer „Hacklerregelung“ aus. Vielmehr wird verlangt, eine tatsächliche „Hackerregelung“ zu schaffen, welche auf die Schwere der Arbeit, die Unfallgeneigtheit, Berufsunfähigkeitsrisken und lange Versicherungszeiten abstellt. Dass derartige Personengruppen verdient früher abschlagsfrei in Pension gehen können, findet in der Solidaritätsgemeinschaft der Versicherten höchste Zustimmung.

 

Zu Art. 1 Z 52 (Pensionsanpassung 2011)

 

Der Österreichische Landarbeiterkammertag hat Verständnis dafür, dass auch Pensionisten zur Budgetkonsolidierung beitragen müssen. Auch dass Eingriffe nicht bei kleinen Pensionen, sondern bei den besser gestellten Pensionisten erfolgen müssen, steht außer Frage. Eine Nullerhöhung für sämtliche Pensionen von € 2.310,-- und höher findet jedoch nicht unsere Zustimmung.

 

Wir gehen davon aus, dass im ASVG ein System besteht, dass eine gerechte Balance zwischen Beitragspflichten und Leistungsrechten gewährleistet. In der gesetzlichen Sozialversicherung ist es weiters nicht nur legitim, sondern notwendig, an jenem Ende, an dem es um


- 5 -

 

Existenzsicherung geht, andere Maßstäbe anzulegen als an jenem Ende, an dem es um den Erhalt von Wohlstand geht. Das Aussetzen jeglicher Erhöhung im Bereich der höheren ASVG-Pensionen verzerrt jedoch das Verhältnis zwischen Beitragszahlungen und Pensionsleistungen in einem Ausmaß, dass das Vertrauen in die gesetzliche Pensionsversicherung erschüttert. Die Meinung, dass die heute jüngeren Generationen ohnehin „keine Pensionen mehr bekämen“ und dass „es sich nicht auszahlt, in die gesetzliche Pensionsversicherung einzuzahlen“, gefährden das Pensionssystem in gleichem Maße wie demografische Entwicklung. Massive Eingriffe in die Beitragsgerechtigkeit erschüttern das Vertrauen der Versicherten, dass es sich auszahle, in diesem System Beiträge zu leisten.

 

Im Sinne der Beitragsgerechtigkeit würde es der Österreichische Landarbeiterkammertag begrüßen, wenn sämtliche ASVG-Pensionisten zumindest eine moderate Pensionserhöhung mit einem Fixbetrag zugestanden würde.

 

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die gewählte Vorgangsweise absolut nicht treffsicher ist. Gerade in der Generation der heutigen Pensionisten sind typischerweise sehr viele Ehepaare betroffen, bei denen der Mann eine Pension in einer Höhe, die bereits von der Erhöhung ausgenommen ist, bezieht, während die Ehefrau keine oder nur eine Kleinstpension bezieht. In diesen Fällen müssen Menschen die weit davon entfernt sind, zu den „Reichen“ gezählt werden zu können, erhebliche Realeinkommensverluste hinnehmen.

 

 

Pensionen: Noch vor ein paar Jahren hieß es die Pensionen sind auf Jahrzehnte gesichert, bevor vor der Wahl 2008 von den Politikern aus wahltaktischen Gründen wieder Benefizien verteilt wurde. Am Pensionssystem kann man nicht alle paar Jahre „planlos herumdoktern“. Schon aus Vertrauensschutzgründen muss eine Regelung eine gewisse Bestandsdauer aufweisen.

 

Das Problem ist, dass sich der Staat aus der Finanzierung der Pensionen immer mehr zurückziehen will, obwohl das gesamte System von der Drittelparität ausgeht. Auf der anderen Seite sorgt er aber nicht dafür, dass die Flucht aus den Sozialsystemen verhindert wird. Die Änderungen bei der I-Pension sind sicher nicht der große Wurf und schaffen noch mehr Rechtsunsicherheit.

 

Auch dass die bis heute nachgekauften Versicherungsmonate auf die "Hacklerregelung" nicht mehr anrechenbar sein sollen, stellt einen Verstoß gegen Vertrauensgrundsatz und Gleichheit dar.

 

Positiv ist  die Schaffung einer Härtefallregelung für ungelernte Erwerbstätige mit besonders eingeschränktem Leistungskalkül.

 

 

                        Der Vorsitzende:                                                          Der Generalsekretär:

 

Präsident Ing. Christian Mandl e.h.                                       Mag. Walter Medosch e.h.