Ao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Tipold

Institut für Strafrecht und Kriminologie

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Entwurf eines Budgetbegleitgesetzes-Justiz 2011-2013

Begutachtungsverfahren

BMJ-Pr350.00/0001-Pr/2010

Wien, am 17. November 2010

1.   Das Budgetbegleitgesetz 2011-2013 ist ein Sammelgesetz. Sammelgesetze sind an sich eine bedenkliche Technik (vgl Arnold Sammelgesetze – „das Kind beim Namen nennen“, SWK 2003 T 173; Schäffer Bürgernahe Gesetzgebung, RZ 1989, 155; Novak Lebendiges Verfassungsrecht (2004), JBl 2007, 226 f; vgl auch VfGH G 211/03 vom 13. 3. 2004 und VfSlg 16.151). Derartige Gesetze behindern das Erfassen des jeweils geltenden Rechtsbestandes und sollten in Zukunft nach Möglichkeit vermieden werden. Angesichts der kurzen Begutachtungsfrist erfolgt hier eine kurze Stellungnahme:

2.   Etwas versteckt wird mit einem kleinen Federstrich die bedingte Geldstrafe beseitigt. Für eine derartige Reduktion der richterlichen Reaktionspalette gibt es keinen überzeugenden Grund. Auch erscheint das Budgetbegleitgesetz schon gar nicht der richtige Rahmen für eine derartige einschneidende Änderung. Immerhin wurden nach Birklbauer, SbgK § 43 Rz 72 20% aller Geldstrafen bedingt nachgesehen. Warum bei diesen 20% dies nun nicht mehr gehen soll, nach den Materialien es sogar „geboten“ sei, diese 20% zu verhindern, ist nicht ganz einsichtig. Weder gibt es einen konkreten Anlass noch wurde eine derartig einschneidende Maßnahme entsprechend diskutiert. Diese Änderung sollte nicht vorgenommen werden.

3.   Eine Zustellung ohne Zustellnachweis ist an sich bedenklich (vgl dazu aus zivilprozessualer Sicht Nimmerrichter, Zak 2010/595, 347 mwN). Mag die strafrechtliche Praxis diesen Bedenken gefolgt sein oder aus Gewohnheit auf Zustellnachweise nicht verzichtet haben, die Bedenken gegen eine Zustellung ohne Zustellnachweis sind ernst zu nehmen; der Entwurf beseitigt die Möglichkeit, diesen Bedenken im vielleicht durchaus berechtigten Einzelfall nachzukommen. Dies erscheint verfrüht, vielmehr sollte erhoben werden, ob und in welchen Fällen die Zustellung ohne Nachweis Probleme erzeugt. Erst dann kann sachgerecht reagiert werden. Die geplante Novelle sollte daher unterbleiben.

4.   Der hohe Aufwand für das Protokollieren von Rechtsmittel ist nicht ganz einsichtig. Sollte die Möglichkeit nicht erhalten bleiben?

5.   Die Begründung des Entfalls des § 187 Abs 3 StPO ist nicht nachvollziehbar: Der Beschuldigte kann nichts dafür, dass ihm keine Arbeit zugewiesen wird, und deswegen ist der Entfall des Hausgeldes sachgerecht?

6.   Die Verkürzung der Rechtspraktikantenzeit ist eine sehr bedenkliche Reform. Universitäten können nur einen kleinen Ausbildungsteil übernehmen, die Praxis muss den Rest übernehmen. Und Teil dieser Praxis ist die Justiz mit dem Gerichtsjahr. Ein Rückzug aus der Ausbildung von Jungjuristen ist kein Qualitätsmerkmal der Justiz. Das Gerichtsjahr ist sehr prägend für Jungjuristen, und mehrere Ausbildungsstationen sind wichtig, um den Gerichtsbetrieb kennen zu lernen, Teil davon zu werden und ihn zu verstehen. Diese Zeit wird auch genützt, um richterlichen Nachwuchs auszuwählen. Eine Verkürzung der Zeit bedeutet auch ein Qualitätsverlust bei dieser Auswahl; es sind schon 9 Monate recht wenig angesichts der Wichtigkeit des „Gerichtsjahres“, bei einer weiteren Verkürzung bleibt kaum noch etwas übrig. Darüber hinaus entsteht durch die Arbeit bei Gericht Verständnis für den Gerichtsbetrieb selbst bei jenen Praktikanten, die nicht das Richteramt anstreben. Dieses Grundverständnis sorgt für das spätere Verständnis zwischen den verschiedenen juristischen Berufsgruppen. Dieses ginge verloren, mit der Konsequenz, dass vielleicht noch mehr Unverständnis dem Justizbetrieb entgegengebracht wird, als dies heute ohnedies schon passiert (wenn auch von Nichtjuristen).

7.   Im Übrigen soll hier nochmals betont werden, dass aus dem Fehlen einer Stellungnahme – entgegen dem Begleitschreiben des Ministeriums – keine Zustimmung abgeleitet werden kann. Grundsätzlich gilt, dass Schweigen kein Erklärungswert beigemessen werden darf, weil es viele Ursachen haben kann (Koziol/Welser/Kletecka Bd I13 102 f mwN). Daher darf aus dem Fehlen von Kritik in dieser Stellungnahme nicht auf Zustimmung geschlossen werden. Es wurden nur die subjektiv wichtigsten Punkte herausgegriffen.

Alexander Tipold