1 Präs. 1622-5366/10v

 

 

 

 

Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs

zum Entwurf eines Budgetbegleitgesetzes-Justiz 2011-2013

 

 

A. 1. Abschnitt Zivilrechtsangelegenheiten und 3. Abschnitt Sonstiges, soweit nicht rein strafrechtsspezifische Materien betroffen sind

 

 

I. Vorbemerkungen:

 

Das Bundesministerium für Justiz hat den Entwurf eines Budgetbegleitgesetzes-Justiz 2011-2013 am 27. Oktober 2010 im Begutachtungsverfahren übermittelt und um Stellungnahme bis 17. November 2010 ersucht, wobei „im Hinblick auf die noch erforderliche Koordinierungstätigkeit des Bundeskanzleramts (Frist 19. November 2010) und die unmittelbar anschließende parlamentarische Behandlung“ ersucht wurde, die Begutachtungsfrist nach Möglichkeit nicht bis zum letzten Tag auszuschöpfen.

Es handelt sich um ein sehr komplexes Gesetzesvorhaben, das sich keineswegs auf gesetzliche Maßnahmen zur Konsolidierung des Budgethaushalts im Bereich der Justiz beschränkt. Bei einer Vielzahl der in diesem Entwurf vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen handelt es sich um sog. „leges fugitivae“, die in einem Budgetbegleitgesetz fehl am Platz sind. Bei solchen Bestimmungen ist nicht zu erkennen, welches Hindernis der Festsetzung einer angemessenen Frist für die Begutachtung entgegenstand.

In den Rundschreiben des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst vom 19. Juli 1971, GZ. 53.567‑2a/71, und vom 2. Juni 2008, GZ. BKA-600.614/0002-V/2/2008, wurde auf die Notwendigkeit der Festsetzung angemessener, grundsätzlich sechswöchiger Fristen für die Begutachtung der Entwürfe von Bundesgesetzen und von Verordnungen des Bundes hingewiesen. Diesem Ersuchen schließt sich der Oberste Gerichtshof an, zumal das Bundesministerium für Justiz ausdrücklich darauf hinweist, dass bei Unterbleiben einer fristgerechten Stellungnahme angenommen wird, dass keine Bedenken gegen den Entwurf bestehen.

 

II. Zum Vorblatt der Erläuterungen:

 

Unter den Titeln „Probleme“, „Ziele“ und „Inhalt/Problemlösung“ wird eine Vielzahl von Gesichtspunkten angeführt.

Als erstes Ziel des Budgetbegleitgesetzes wird genannt, begleitend zur Erstellung des Budgets eine Reihe von Bestimmungen in budgetwirksamer Weise zu ändern; gleichzeitig sollen diese Änderungen zu einer Entlastung der Justiz und zu einer effizienteren Nutzung der Ressourcen führen.

Der Oberste Gerichtshof wird besonders dazu Stellung nehmen, ob dieses Ziel mit den vorgesehenen Maßnahmen überhaupt erreicht werden kann und ob die elementare Pflicht des Staates, dem Einzelnen Rechtsschutz zu gewähren, durch die vorgesehenen Maßnahmen verletzt wird. Unter diesem Gesichtspunkt ist zu den Erläuterungen des Entwurfs zu den „Auswirkungen des Regelungsvorhabens“ zu bemerken, dass die Behauptung, die vorgeschlagenen Regelungen verbesserten für alle Personen den Zugang zum Recht, nicht begründet und in keiner Weise nachvollziehbar ist.

 

 

III. Zu Artikel 1 Änderung des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes:

 

1. Zu Z 1:

Gemäß § 12 Abs 6 ASGG soll sich bei der Bestimmung der fachkundigen Laienrichter die Senatszusammensetzung nicht ändern; soweit dies nicht vermieden werden kann, sind die Gründe hiefür im Akt festzuhalten.

Nunmehr soll das Gericht nicht mehr verpflichtet sein, einen derartigen Aktenvermerk zu verfassen. Begründet wird dies damit, dass Verstöße gegen § 12 Abs 6 ASGG gemäß „§ 38 Abs 2 ASGG“ nicht geltend gemacht werden könnten. Daher solle „dieser unnötige Formalismus“ entfallen; dadurch werde „Verfahrensaufwand vermieden“.

Die vorgeschlagene Änderung wird abgelehnt.

Abgesehen davon, dass die Erläuterungen ein Fehlzitat enthalten, weil sich der Rechtsmittelausschluss in § 37 Abs 2 ASGG findet, kann ein Rechtsmittelausschluss nie zum Entfall einer Verpflichtung zur Begründung führen. Da eine Änderung der Senatszusammensetzung „tunlichst vermieden werden“ soll, müssen die Gründe hiefür geklärt und überprüfbar festgehalten werden. Es handelt sich keinesfalls um einen unnötigen Formalismus; wieso ein Verfahrensaufwand vermieden würde, ist nicht nachvollziehbar.
2. Zu Z 3:

Gemäß § 38 Abs 2 ASGG hat das angerufene Gericht die Rechtssache bei sachlicher oder örtlicher Unzuständigkeit „nach Anhörung des Klägers“ von Amts wegen an das zuständige Gericht zu überweisen.

Dies führt nach den Erläuterungen zu Verzögerungen im Verfahren. „Die Verpflichtung zur zwingenden Anhörung des Klägers soll daher entfallen und das Gericht ohne Befassung des Klägers über das zuständige Gericht entscheiden.“

Die vorgeschlagene Änderung wird abgelehnt.

Das rechtliche Gehör des Klägers (Art 6 MRK) wird ohne zwingenden Grund beseitigt. Eine Anhörung einer Partei nimmt naturgemäß immer eine gewisse Zeit in Anspruch, was zur Wahrung verfassungsrechtlich geschützter Rechte in einem fairen Verfahren selbstverständlich zu akzeptieren ist. Ob dem Kläger gegen den ohne seine vorherige Anhörung ergangenen Überweisungsbeschluss ein Rechtsmittel zustehen soll, dessen Erledigung in der Regel länger als die vorherige Anhörung des Klägers dauern würde, wird im Entwurf nicht erwähnt.

Die in den Erläuterungen gebrauchte Formulierung „Verpflichtung zur zwingenden Anhörung“ ist eine Tautologie.

 

3. Zu Z 5:

In Sozialrechtssachen soll durch Aufhebung der betreffenden Wortfolge in § 67 Abs 2 ASGG die Klagefrist, wenn der Versicherungsträger mit Bescheid über Leistungen der Pensionsversicherung oder nach dem Bundespflegegeldgesetz entschieden hat, von drei Monaten auf vier Wochen ab Zustellung des Bescheides verkürzt werden.

Begründet wird dies damit, dass die Fristen für Klagen gegen Bescheide der Sozialversicherungsträger vereinheitlicht werden sollen; dies diene der Verfahrensvereinfachung.

Die vorgeschlagene Änderung wird abgelehnt.

Die unterschiedliche Dauer der Klagefristen wurde im ASGG nicht willkürlich festgelegt; sie ist schon dadurch begründet, dass die Bescheide über Leistungen der Pensionsversicherung oder nach dem Bundespflegegeldgesetz in der Regel für die Kläger von existenzieller Bedeutung sind. Die radikale Verkürzung dieser Fristen von drei Monaten auf vier Wochen bewirkt eine wesentliche Schlechterstellung des Versicherten, für die überhaupt kein konkreter Grund genannt wird; ein solcher ist auch nicht zu erkennen.

 


4. Zu Z 6:

In § 75 Abs 4 ASGG soll vorgesehen werden, dass grundsätzlich von der Justiz beigestellte Dolmetscher bestellt werden.

Die Regelung, die zu einer erheblichen Einsparung von Kosten führen soll, ist zu begrüßen. Auf den Umstand, dass die Bestellung des Dolmetschers einen Akt der Rechtsprechung darstellt, wird ausreichend Bedacht genommen.

 

5. Zu Z 7:

Nach einem neuen § 90 Abs 2 ASGG soll ein Anwendungsfall des § 496 Abs 3 ZPO jedenfalls dann vorliegen, wenn in einem sozialgerichtlichen Verfahren nach Ansicht des Berufungsgerichts über die Einholung weiterer Gutachten hinaus keine weiteren Beweise mehr aufzunehmen sind.

Diese Bestimmung stellt nur eine nähere Beschreibung einer bereits von § 496 Abs 3 ZPO erfassten Fallkonstellation vor. Sie ist unter diesem Gesichtspunkt entbehrlich, zumal (auch) die Nichtbefolgung dieser vorgeschlagenen Regelung keine Sanktionen nach sich ziehen würde.

 

6.

Zu den übrigen Änderungen im Zusammenhang mit dem vorgeschlagenen Entfall des Protokollaranbringens in Zivilverfahren wird zu Artikel 23 Änderung der Zivilprozessordnung Stellung genommen.

 

 

IV. Zu Artikel 2 Änderung des Außerstreitgesetzes:

 

1. Zu Z 3:

§ 46 Abs 3 AußStrG, wonach Beschlüsse nach Ablauf der Rekursfrist angefochten werden können, wenn ihre Abänderung oder Aufhebung mit keinem Nachteil für eine andere Person verbunden ist, soll ersatzlos aufgehoben werden.

Die Erläuterungen begründen dieses Vorhaben damit, es verbleibe „nur ein ganz geringer (unbedeutender) Anwendungsbereich des Abs 3, der jedoch in keinem Verhältnis zu dem damit verbundenen Aufwand der Gerichte steht. Die Befassung der Instanzgerichte mit verspäteten Rekursen, die letztlich ohnedies nicht berücksichtigt werden können, bindet Kapazitäten, die besser für die Behandlung von rechtzeitigen und damit inhaltlich zu beurteilenden Rechtsmitteln verwendet werden“.

Die vorgeschlagene Aufhebung des § 46 Abs 3 AußStrG wird abgelehnt.

Gerade in dem auf Rechtsfürsorge ausgerichteten Außerstreitverfahren ist diese Bestimmung sinnvoll (siehe auch die EB zum AußStrG), auch wenn ihr Anwendungsbereich nicht groß ist. Die vorgesehene Änderung bringt in diesem Bereich eine durch nichts gerechtfertigte Verschlechterung des Zugangs zum Recht. Welche Kapazitäten bei den Rechtsmittelgerichten dadurch freigesetzt werden sollen, ist schon angesichts der geringen Zahl von Rekursen, die auf § 46 Abs 3 AußStrG gestützt werden, nicht nachzuvollziehen. Im Übrigen muss ein - aus welchen Gründen auch immer - verspätetes Rechtsmittel mit Beschluss zurückgewiesen werden.

 

2.

Zu den übrigen Änderungen im Zusammenhang mit dem vorgeschlagenen § 86a ZPO und dem Entfall des Protokollarrekurses wird zu Artikel 23 Änderung der Zivilprozessordnung Stellung genommen.

 

 

V. Zu Artikel 3 Änderung des Baurechtsgesetzes, Artikel 11 Änderung der Insolvenzordnung, Artikel 20 Änderung des Urkundenhinterlegungsgesetzes und Artikel 22 Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes:

 

Die Zustellung zu eigenen Handen soll auch in diesen Gesetzen, in denen sie ausdrücklich und nicht durch die Anordnung, dass bestimmte Schriftstücke „wie Klagen zuzustellen“ sind, vorgesehen ist, entfallen.

Diese im Budgetbegleitgesetz 2009 nicht getroffene Maßnahme wird nun nachgeholt.

Dem Obersten Gerichtshof liegen keine Erfahrungen vor, ob sich die auch heftig kritisierte, am 1. Juli 2009 in Kraft getretene Änderung des § 106 Abs 1 ZPO, wonach nunmehr die Zustellung von Klagen an einen Ersatzempfänger zulässig ist, tatsächlich bewährt oder zu wesentlichen Beeinträchtigungen des Rechtsschutzes im Besonderen der beklagten Parteien führt. Auch den Erläuterungen zum vorliegenden Entwurf ist hiezu nichts zu entnehmen.

 

 

VI. Zu Artikel 4 Änderung des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes:

 

1. Zu Z 1:

Nach einem neuen § 7 Abs 3 EisbEG soll dem Enteignungsgegner voller Kostenersatz gebühren, soweit der Enteignungsantrag ab- oder zurückgewiesen oder in einem nicht nur geringfügigen Umfang zurückgezogen wird. In allen anderen Fällen soll dem Enteignungsgegner eine Pauschalvergütung in Höhe von 1,5 vH der festgesetzten Enteignungsentschädigung, mindestens aber 500 Euro und höchstens 7.500 Euro, gebühren; dies gilt auch dann, wenn der Enteignungsantrag zum Teil ab- oder zurückgewiesen wird.

Nach den Erläuterungen soll durch die Einführung einer Regelung, die für bestimmte Fälle einen pauschalierten Kostenersatz vorsieht, eine rasche Abdeckung der Kosten der Enteignungsgegner durch das Eisenbahnunternehmen ermöglicht werden.

Eine nachvollziehbare sachliche Begründung für die vorgeschlagene Einschränkung der Ansprüche des Enteignungsgegners auf vollen Kostenersatz in diesen Fällen kann den Erläuterungen jedoch nicht entnommen werden.

 

2. Zu Z 2:

(Entfall der Zustellung zu eigenen Handen) wird auf die Stellungnahme Punkt V. verwiesen.

 

 

VII. Zu Artikel 5 Änderung der Exekutionsordnung:

 

1. Zu Z 1:

Die im - insbesondere gegenüber der EuGVVO nur subsidiär anzuwendenden - § 80 EO (Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Exekutionstitels) vorgesehene Änderung, dass die verfahrenseinleitende Ladung oder Verfügung der Person, gegen die Exekution geführt werden soll, nicht mehr persönlich zugestellt worden sein muss, wird mit dem gänzlichen Entfall der Eigenhandzustellung in den österreichischen Zivilverfahren begründet.

Konsequenterweise ist dieser geminderte Maßstab für die Gewährleistung einer zuverlässigen Zustellung der verfahrenseinleitenden Verfügung auch auf ausländische Exekutionstitel anzuwenden.

 

2. Zu Z 2:

Nach dem vorgeschlagenen § 249 Abs 3 EO kann im vereinfachten Bewilligungsverfahren die Zustellung der Exekutionsbewilligung an den Verpflichteten vor Vollzug der Pfändung in der Fahrnisexekution entfallen, wenn die hereinzubringende Forderung an Kapital 500 Euro nicht übersteigt und die Zahlung der hereinzubringenden Forderung aufgrund der Zustellung der Exekutionsbewilligung nicht zu erwarten ist. Damit soll auch im vereinfachten Bewilligungsverfahren die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher beim Vollzug ermöglicht werden, „sodass hohe Portokosten eingespart werden können“.

Dieser aus fiskalischen Gründen vorgesehenen Änderung stehen keine gravierenden Bedenken entgegen, zumal § 54f und § 54g EO ausreichende Sanktionen gegen einen Missbrauch der Vorschriften über das vereinfachte Bewilligungsverfahren bieten.

 

 

VIII. Zu Artikel 6 Änderung des Firmenbuchgesetzes wird bei Artikel 19 Änderung des Unternehmensgesetzbuchs Stellung genommen.

 

 

IX. Zu Artikel 7 Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes:

 

Die nach § 7 Abs 3 FMedG vorgesehene eingehende Beratung über die rechtlichen Folgen der Zustimmung zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung soll nicht mehr ein Gericht, sondern nur mehr ein Notar vornehmen; ebenso soll die Zustimmung zu einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung unter Lebensgefährten oder bei Verwendung von Samen eines Dritten (§ 8 Abs 1 FMedG) nur mehr in Form eines Notariatsakts, nicht mehr in Form eines gerichtlichen Protokolls erklärt werden.

Zur Begründung führen die Erläuterungen aus, es habe sich gezeigt, dass eine derartige Beratung nach § 7 Abs 3 FMedG - nicht bloß eine Information über die Rechtslage - das letztlich zur Entscheidung berufene Gericht in einen Rollenkonflikt führe. „Im Sinn einer Konzentration der Außerstreitgerichte auf deren Entscheidungstätigkeit in strittigen Fällen“ solle die Beurkundungsbefugnis der Gerichte nach § 8 Abs 1 FMedG beseitigt werden.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs ist damit nicht ausreichend begründet, dass der Staat die den Gerichten im Fortpflanzungsmedizingesetz zugewiesenen Aufgaben, die sich nicht auf eine bloße Beurkundungstätigkeit beschränken, zur Gänze den Notaren übertragen will. Gerade in dieser sensiblen Materie bedarf es einer eingehenden Diskussion mit allen beteiligten Kreisen, um die Berechtigung der vorgeschlagenen Maßnahmen beurteilen zu können. Eine derartige Gesetzesänderung im Budgetbegleitgesetz-Justiz 2010-2013, zu der auch keinerlei dringende Notwendigkeit besteht, wird abgelehnt.

 

 


X. Zu Artikel 8 Änderung des Gebührenanspruchsgesetzes:

 

Die vorgesehenen Änderungen sehen bei den Zeugengebühren und bei den Zuschlagsverordnungen betreffend die festen Gebührenbeträge nunmehr eine kaufmännische Rundung vor (Z 2: § 20 Abs 3 GebAG, Z 4: § 64 GebAG).

Bei den Sachverständigengebühren wird hingegen eine Abrundung auf volle Euro vorgesehen (Z 3: § 39 Abs 2 GebAG).

Diese Ungleichbehandlung ist in keiner Weise gerechtfertigt und wird abgelehnt. Vielmehr sollten die Regeln dahin vereinfacht werden, dass in allen Fällen eine kaufmännische Rundung vorgesehen wird.

 

 

XI. Zu Artikel 9 Änderung des Gerichtlichen Einbringungsgesetzes, wonach das Zurückbehaltungsrecht des Bundes insbesondere an den in gerichtliche Verwahrung genommenen Geldbeträgen und beweglichen körperlichen Sachen des Zahlungspflichtigen zur Sicherung bereits absehbarer Ansprüche auf Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren neu geregelt und erweitert wird, werden keine Einwände erhoben.

 

 

XII. Zu Artikel 10 Änderung des Gerichtsgebührengesetzes wird nicht Stellung genommen. Es wird nur grundsätzlich betont, dass das Recht auf Zugang zu Gericht im Zentrum der Verfahrensgarantien des Art 6 MRK steht. Unangemessen hohe Gerichtsgebühren können dazu führen, dass der Zugang zu Gericht beschränkt oder verhindert wird.

 

 

XIII. Zu Artikel 12 Änderung der Jurisdiktionsnorm:

 

Nach dem vorgeschlagenen § 8a JN entscheidet bei den Landes- und Handelsgerichten sowie den Oberlandesgerichten über Rechtsmittel gegen Entscheidungen über den Kostenpunkt und über die Gebühren der Sachverständigen der Einzelrichter.

Nach den Erläuterungen soll der Grundsatz, dass in zweiter Instanz grundsätzlich Senate zur Entscheidung berufen sind, „zur Erzielung einer zusätzlichen Straffung der Verfahren und Einsparung richterlicher Kapazitäten ... eingeschränkt werden“.

Die vorgeschlagene Regelung wird entschieden abgelehnt.

Im Rechtsmittelverfahren bedarf es der Kontinuität der Entscheidung, der Diskussion und Kontrolle der Rechtsmeinung. Daher ist das Rechtsmittelverfahren der Senatsgerichtsbarkeit vorzubehalten (Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozessrechts² Rz 168).

Diese grundsätzlichen und fundamentalen Grundsätze des österreichischen Zivilverfahrens gelten ohne Einschränkungen auch für die Entscheidungen über Kosten in zweiter Instanz. Gerade in Kostenfragen gewährleistet die Senatsgerichtsbarkeit eine erhöhte Sicherheit und eine Kontinuität der Rechtsprechung der Rechtsmittelgerichte.

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Einwendungen sind die in den Erläuterungen angeführten Gründe für eine derartige Regelung nicht nachvollziehbar. Der Einzelrichter soll nicht nur über Kostenrekurse, sondern auch über die Anfechtung des Ersturteils mit Berufung (auch) im Kostenpunkt entscheiden. Wie in einem solchen Fall, wo einerseits der Senat, andererseits der Einzelrichter über verschiedene Punkte einer Berufung zu entscheiden haben, richterliche Kapazitäten eingeschränkt werden sollen, ist unverständlich.

Nicht zuletzt verhindert die größere Richtigkeitsgewähr einer Senatsentscheidung zweiter Instanz im Kostenpunkt eine Zunahme der Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen, die einen wesentlichen Verfahrensaufwand und Kosten für die Parteien und den Bund mit sich bringen.

 

 

XIV. Zu Artikel 13 Änderung der Notariatsordnung wird auf die Stellungnahme zu Punkt V. zum Wegfall der Zustellung zu eigenen Handen und zu Artikel 33 Änderung des Rechtspraktikantengesetzes verwiesen.

 

 

XV. Zu Artikel 14 Änderung des Privatstiftungsgesetzes:

 

Die „aus Anlass der Budgetgesetzgebung“ vorgesehenen „Klarstellungen“ (Kathrein in ÖJZ 2010/97, 931) stellen in Z 2 die Korrektur eines früheren Redaktionsversehens, im Übrigen aber durchaus neue Regelungen dar, die über ein Festschreiben von Judikatur des Obersten Gerichtshofs hinausgehen. Der Oberste Gerichtshof sieht sich zu rechtspolitischen Ausführungen über die Berechtigung dieser vorgesehenen Regelungen nicht berufen. Jedenfalls handelt es sich um Bestimmungen, die in einem Budgetbegleitgesetz nicht erwartet werden.

 

 


XVI. Zu Artikel 15 Änderung der Rechtsanwaltsordnung und Artikel 16 Änderung des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes wird auf die Stellungnahme zu Artikel 33 Änderung des Rechtspraktikantengesetzes verwiesen.

 

 

XVII. Zu Artikel 17 Änderung des Rechtspflegergesetzes:

 

1. Zu Z 1:

Die in § 5 Abs 3 RpflG vorgesehene neue Funktionsbezeichnung „Diplomrechtspfleger“ ist nicht mit einer Ausweitung der Wirkungskreise (etwa ähnlich wie in Deutschland bei Bestimmung der Prozesskosten) verbunden.

 

2. Zu Z 2:

§ 11 Abs 3 und 4 RpflG, wonach der Richter über Entscheidungen des Rechtspflegers, jedoch nur stattgebend, entscheiden kann, soll aufgehoben werden.

Begründet wird dies damit, dass die Entscheidung des Rechtspflegers in vielen Fällen zweimal kontrolliert werde. „Findet der Richter, dass dem Rechtsmittel nicht stattzugeben ist, so ist der mit der Überprüfung verbundene Aufwand frustriert. Es soll daher die Überprüfungstätigkeit des Richters entfallen und das Rechtsmittel sofort dem Instanzgericht vorgelegt werden. Damit wird auch verdeutlicht, dass der Rechtspfleger in den ihm zugewiesenen Wirkungskreisen ein dem Richter gleichwertiges Entscheidungsorgan ist.“

Die vorgeschlagene Änderung wird abgelehnt.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass im zuletzt zitierten Satz der Erläuterungen die Rechtslage (Art 87a B-VG, § 9 RpflG) verkannt wird.

Die vorgeschlagene Änderung führt zu keiner Verfahrensbeschleunigung oder Freisetzung von Kapazitäten. Vielmehr ist es sinnvoll, wenn der Richter der ersten Instanz in Stattgebung eines Rekurses eine unrichtige Entscheidung des Rechtspflegers korrigieren kann, ohne dass mit erhöhtem Verfahrensaufwand das Rekursgericht damit befasst werden muss.

 

 


XVIII. Zu Artikel 19 Änderung des Unternehmensgesetzbuches:

 

1. Zu Z 1:

Mit dem vorgeschlagenen § 283 UGB soll das Zwangsstrafenverfahren zur Durchsetzung der Offenlegungsverpflichtungen gestrafft und verschärft werden.

Derartige Maßnahmen sind auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs dringend notwendig. Der vorgeschlagenen Neuregelung wird daher grundsätzlich zugestimmt. Die sofortige Verhängung einer Zwangsstrafe ohne vorherige Androhung durch Zwangsstrafenverfügung mit einer entsprechenden Rechtsbelehrung über die Möglichkeit des Einspruchs ist angebracht und entspricht etwa auch der Vorgangsweise bei Durchsetzung einer Unterlassungsverpflichtung nach § 355 EO. Durch die Möglichkeit der Erhebung eines Einspruchs sind die Rechte des betreffenden Organs, das zur Zahlung verpflichtet wurde, ausreichend gewahrt.

Das in dem sehr umfangreichen neuen § 283 UGB vorgesehene Verfahren führt jedoch zu Unsicherheiten und zu einem nicht gerechtfertigten Mehraufwand an Kapazitäten bei den Firmenbuchgerichten.

Daher werden folgende Vereinfachungen vorgeschlagen:

Eine unterschiedliche Behandlung von begründeten und nicht begründeten Einsprüchen, wie dies der Entwurf vorsieht, ist nicht erforderlich und auch nicht zweckmäßig. Vielmehr sollte jeder rechtzeitig erhobene Einspruch, auch wenn er keine Begründung enthält, die Zwangsstrafenverfügung außer Kraft setzen, vergleichbar dem Einspruch gegen den Zahlungsbefehl im bezirksgerichtlichen Mahnverfahren (§§ 249, 448 ZPO). Damit wären auch Unsicherheiten, ob im konkreten Fall ein Einspruch mit ausreichender Begründung vorliegt, der nach dem Gesetzesentwurf allein zur Außer-Kraft-Setzung der Zwangsstrafenverfügung führen würde, obsolet.

Die Anwendbarkeit der Verbesserungsvorschrift des § 10 Abs 4 AußStrG wäre vorzusehen.

In Abs 2 Satz 7 wäre die sprachlich unschöne Formulierung „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erteilt“ durch „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt“ zu ersetzen.

Zweckmäßigerweise wäre zur Klarstellung festzuhalten, dass die in Abs 3 vorgesehene „Anhörung“ des jeweiligen Organs auch schriftlich erfolgen kann.

Die vorgesehene Einstellung des Zwangsstrafverfahrens ist sinnvoll.

Die in Abs 7 vorgesehene Verschärfung durch Verhängung von Zwangsstrafen in bestimmten Fällen auch gegen die Gesellschaft ist sinnvoll und erhöht die Effizienz des Zwangsstrafenverfahrens.

Letztlich wäre die vorliegende Formulierung des § 283 UGB insofern zu straffen, als zweimalige Anordnungen gleichen Inhalts zu entfallen hätten; so finden sich die grundsätzlichen Regelungen des Abs 1 zum Teil nochmals in den folgenden Absätzen.

 

2. Zu Z 3:

§ 907 UGB, dem ein Abs 20 angefügt werden soll, enthält die „Übergangsbestimmungen zum Handelsrechts-Änderungsgesetz“. Richtigerweise wäre die Bestimmung wohl in den neuen Abs 23 des § 906 UGB aufzunehmen.

 

 

XIX. Zum in Artikel 21 vorgesehenen Verwahrungs- und Einziehungsgesetz wird inhaltlich keine Stellungnahme abgegeben. Die Aufnahme dieses Gesetzes in ein Budgetbegleitgesetz ist fehl am Platz.

 

 

XX. Zu Artikel 23 Änderung der Zivilprozessordnung:

 

1. Zu Z 1:

In § 52 ZPO wird die Möglichkeit vorgesehen, die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorzubehalten.

Eine derartige Möglichkeit besteht bereits im Außerstreitverfahren (§ 78 Abs 1 AußStrG).

In welchem Umfang von dieser Möglichkeit im Zivilprozess Gebrauch gemacht werden wird, und ob die Prognose, dies erwirke eine Erleichterung der Tätigkeit des Erstrichters, zutrifft, wird in Zukunft wohl zu beobachten sein.

 

2. Zu Z 2:

Die mit dem Budgetbegleitgesetz 2009 eingeführte Bestimmung des § 54 Abs 1a ZPO über die Kosteneinwendungen hat in vielen Punkten zu großer Rechtsunsicherheit und umfassend begründeter Ablehnung geführt (siehe eingehend Obermaier, Kostenhandbuch² Rz 52-69 mit Nachweis aller Einwände).

In den Erläuterungen wird auf diese Bedenken überhaupt nicht eingegangen. Nunmehr soll ausdrücklich im Gesetz niedergeschrieben werden, dass das Gericht die verzeichneten Kosten ohne Einwendungen „ungeprüft“ der Entscheidung zu Grunde zu legen hat. „Nur so kann eine tatsächliche Entlastung der Gerichte erreicht werden.“

„Klargestellt“ werden soll auch, dass dann, wenn das Kostenverzeichnis dem Gegner nicht gleichzeitig mit dessen Übergabe an das Gericht ausgehändigt wird, die Partei ihren Kostenersatzanspruch verliert.

„Klargestellt“ werden soll weiters, dass für die Einwendungen zum Kostenverzeichnis ein Kostenersatz nicht stattfindet.

Der Oberste Gerichtshof lehnt nicht nur die vorgeschlagenen Änderungen entschieden ab, sondern schlägt auch die ersatzlose Aufhebung des den Mindesterfordernissen eines fairen Verfahrens nicht entsprechenden § 54 Abs 1a ZPO vor.

In der gebotenen Kürze sind die Haupteinwände festzuhalten:

Die Unterlassung von Einwendungen aus welchem Grund auch immer hat die Folge, dass dem Gericht jegliche Kontrolle des Kostenverzeichnisses untersagt ist. Das gilt auch dann, wenn offenkundig nicht erbrachte Leistungen verzeichnet werden. Die Sanktion trifft auch die unvertretene Partei. Obermaier aaO Rz 63-65 legt die Problematik eingehend dar und hält den Willen des Gesetzgebers nach den ErläutRV zum Budgetbegleitgesetz 2009 zutreffend fest: Sogar dann, wenn eine verzeichnete Leistung nicht erbracht oder ein Kostenvorschuss nicht verbraucht wurde oder wenn ein Schriftsatz nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen ist, muss das in den Einwendungen gerügt werden. Damit läge im österreichischen Recht eine wahrhaft einzigartige Norm vor, nämlich eine, die 1. sogar aktenkundig nicht erbrachte Leistungen honoriert, die 2. eine Bereicherung der im Prozess siegreichen Partei, deren Kostenvorschuss nicht verbraucht worden war, anordnet, weil sie ihn vom Gericht zurück- und vom Gegner ersetzt erhält und die 3. an ein Schweigen oder an eine Säumnis derartige Rechtsfolgen knüpft. Nicht einmal im Mahnverfahren dürfte darüber ein Zahlungsbefehl erlassen werden (§§ 244 f ZPO).

Diese Konsequenzen werden im Entwurf damit begründet, nur so könne eine tatsächliche Entlastung der Gerichte erreicht werden. Dass damit der Aufgabe der staatlichen Gerichte, einen effizienten Rechtsschutz zu gewähren, nicht entsprochen wird, liegt mehr als klar auf der Hand.

Auch der Zweck der Gerichtsentlastung wird nicht erreicht, weil jeder Anwalt im Interesse seines Mandanten und auch zur Vermeidung einer Haftung alle in Frage kommenden Einwendungen erheben wird, die nun vom Gericht überprüft werden müssen.

Eine Rechtfertigung, dass derartige erfolgreiche Einwendungen, die durchaus einen großen Aufwand erfordern können, nun nach dem klaren Gesetzeswortlaut vom Gegner nicht zu ersetzen sind, ist den Erläuterungen nicht zu entnehmen. In der Praxis wird die obsiegende Partei die zusätzlichen Kosten für die Verfassung der Einwendungen ihrem Anwalt ersetzen, ohne einen Kostenersatzanspruch geltend machen zu können.

Auf die massiven verfassungsrechtlichen Bedenken schon gegen die bestehende Regelung und umso mehr gegen die vorgesehene „Verschärfung“ wird hier bewusst nicht eingegangen.

Zusammenfassend ist aber nochmals festzuhalten, dass hier die Aufgabe des Staates, dem Einzelnen Rechtsschutz zu gewähren, in gravierender Weise verletzt wird.

 

 

3. Zur Abschaffung protokollarischen Vorbringens durch eine Vielzahl von Änderungen in der ZPO, aber nicht im AußStrG:

 

Diese Regelung stellt jedenfalls eine einschneidende Änderung der ZPO, aber auch des in der Bevölkerung weit verbreiteten Richterbildes dar, das nicht zuletzt auch vom Bundesministerium für Justiz mit den Schlagworten des besseren Zugangs zum Recht, der Bürgernähe der Justiz und deren Dienstleistungsfunktion gepflegt wird (vgl Fucik in Rechberger, ZPO³ § 439 Rz 2).

Dass eine derartige Maßnahme in einem Budgetbegleitgesetz ohne vorausgehende ausreichende Diskussion insbesondere mit denjenigen Institutionen, die nun offenbar nach den Erläuterungen die von den Gerichten in jahrzehntelanger Übung erfüllten Aufgaben übernehmen sollen, erfolgen soll, ist jedenfalls verfehlt und strikt abzulehnen. Einer solchen Maßnahme kann nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs nur nahe getreten werden, wenn flächendeckend für das ganze Bundesgebiet durch entsprechende Maßnahmen konkret auch für nicht in diversen Institutionen organisierte Personen Rechtsschutz gewährt wird.

Ohne derartige Maßnahmen würde das Recht des Einzelnen auf Zugang zu Gericht schwerwiegend beeinträchtigt. Jedenfalls würde dem Ruf der Justiz in der Öffentlichkeit ein (weiterer) schwerer Schaden zugefügt.

 

4. Zu Z 5:

a) Nach einem neuen § 86a Abs 1 ZPO sind Schriftsätze, die „beleidigende Äußerungen im Sinn des § 86“ enthalten, „wenn ein Verbesserungsversuch erfolglos geblieben ist, vom Gericht als nicht zur ordnungsmäßigen geschäftlichen Behandlung geeignet zurückzuweisen“. Jeden weiteren derartigen Schriftsatz soll das Gericht ohne inhaltliche Behandlung zum Akt nehmen können, ohne dass ein Verbesserungsversuch erforderlich ist. „Dies ist in einem Aktenvermerk festzuhalten; es hat keine beschlussmäßige Entscheidung darüber zu ergehen. Auf diese Rechtsfolge ist im Verbesserungsauftrag hinzuweisen.“

In den Erläuterungen werden umfangreich aus zwei - ohnehin im RIS-Justiz abrufbaren - Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Schriftsätzen enthaltene Beleidigungen zitiert, ohne dass nachvollziehbar wäre, welchem Zweck derartige Ausführungen in Erläuterungen eines Gesetzesentwurfs dienen sollen. Weiters wird ausgeführt: „Derartige Beschimpfungen ... binden Kapazitäten, die für die Führung dieses Verfahrens, aber auch anderer Verfahren nicht zur Verfügung stehen. ... Um zu erreichen, dass die Parteien sich in ihren Schriftsätzen einer angemessenen Ausdrucksweise bedienen, soll neben der derzeit bestehenden Möglichkeit der Verhängung einer Ordnungsstrafe vorgesehen werden, dass Schriftsätze, die beleidigende Äußerungen ... enthalten, vom Gericht nicht mehr zu behandeln sind, wenn die Partei nicht bereit ist, die Beleidigungen zu unterlassen.“

Die vorgeschlagene Regelung wird abgelehnt.

Die in § 86 ZPO vorgesehene Möglichkeit der Verhängung einer Ordnungsstrafe gegen die Partei und die Ahndung beleidigender Äußerungen eines Rechtsanwalts in der Disziplinargerichtsbarkeit bieten ausreichende Sanktionen. Die nun vorgesehenen Maßnahmen führen im Regelfall zu einer Erschwerung und Verzögerung des Verfahrens und zusätzlicher Arbeitsbelastung für die Gerichte, weil die vom Gericht getroffenen Maßnahmen durch Anfechtung des Zurückweisungsbeschlusses, Fristsetzungsanträge und Geltendmachung von Verfahrensmängeln bekämpft werden können - und wohl auch in den nach den Erläuterungen offenbar Anlass zu der vorgeschlagenen Regelung gebenden Fällen bekämpft werden. Letztlich ist festzuhalten, dass eine Verbesserung eine bereits erfolgte Beleidigung nicht rückgängig machen kann.

 

b) Der weiters vorgeschlagene § 86a Abs 2 ZPO enthält im ersten Satz folgende Regelung: „Besteht ein Schriftsatz aus verworrenen, unklaren, sinn- oder zwecklosen Ausführungen und lässt er das Begehren nicht erkennen, oder erschöpft er sich in der Wiederholung bereits erledigter Streitpunkte oder schon vorgebrachter Behauptungen, so ist er ohne Verbesserungsversuch zurückzuweisen.“

Durch diese Regelung soll eine Entlastung der Gerichte bewirkt werden. Langfristig soll sie dazu führen, dass derartige Schriftsätze nicht mehr eingebracht werden.

Die vorgeschlagene Regelung wird abgelehnt.

Die vorgesehene Zurückweisung derartiger Schriftsätze, die ausdrücklich - anders als bei beleidigenden Schriftsätzen nach Abs 1 - ohne vorhergehendes Verbesserungsverfahren zu erfolgen hat, beeinträchtigt die Rechte der Parteien in gravierender Weise und steht in Widerspruch zur grundlegenden Bestimmung des § 182 ZPO, der das Gericht zur materiellen Prozessleitung verpflichtet.

Inwiefern hier eine Entlastung der Gerichte bewirkt werden soll, ist nicht nachvollziehbar, weil einem derartigen Beschluss eine inhaltliche Beurteilung eines solchen Schriftsatzes zugrundezulegen ist.

 

c) Der nun vorgesehene § 86a ZPO ist nicht notwendig und führt nur zu einer Erschwerung und Verzögerung des Verfahrens.

In Art 32 Änderung des Gerichtsorganisationsgesetzes wird in Justizverwaltungssachen in § 78 Abs 5 und 6 GOG eine unterschiedliche Behandlung von beleidigenden und substratlosen  Eingaben nicht vorgesehen. Diese Neuregelung ist in Justizverwaltungssachen durchaus angebracht.

 

5. Zu Z 6 und 6a:

Diese die Zustellung betreffenden Regelungen erscheinen sinnvoll.

Es ist zweckmäßig und dient einer Beschleunigung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung von Parteienrechten, wenn nun in einem neuen § 92 ZPO nach dem Vorbild des § 21 Abs 3 FBG vorgesehen wird, dass den im Firmenbuch eingetragenen Personen an der dem Firmenbuch gerade als für Zustellungen maßgeblich bekannt gegebenen Geschäftsanschrift auch tatsächlich zugestellt werden kann.

 

6. Zu Z 10 und 11:

Die „verhandlungsfreie Zeit“ soll beseitigt werden.

Begründet wird dies damit, dass dieses Rechtsinstitut „nicht mehr zeitgemäß“ sei und auch das Wirtschaftsleben keine „Sommer- und Winterferien“ kenne. Es komme zu einer rascheren Verhandlungsführung. Durch die gleichmäßige Verteilung der Arbeitsmenge könnten „die Gerichtsverfahren rascher abgewickelt, die Ressourcen besser eingesetzt und damit die Effizienz gesteigert werden“. Auch die unnötige Mehrbelastung durch die Fehler bei den verlängerten Fristen, die „aufwändiger zu berechnen“ seien, könnte vermieden werden.

Die vorgesehene Regelung wird abgelehnt.

Die verhandlungsfreie Zeit ist durchaus „zeitgemäß“ und trägt dem gerechtfertigten Bedürfnis besonders der Rechtsanwaltschaft, in diesen Zeiten leichter Urlaube planen zu können, Rechnung. Dies gilt besonders für Rechtsanwälte, die ihre Kanzlei allein führen.

Unverständlich ist die Begründung, dass auch das Wirtschaftsleben keine „Sommer- und Winterferien“ kenne. Die verhandlungsfreie Zeit richtet sich im Wesentlichen nach den Schulferien und der Haupturlaubszeit, in der erfahrungsgemäß Verhandlungen wegen der Abwesenheit von Parteien, Zeugen und Rechtsanwälten überhaupt nur in eingeschränktem Ausmaß abgehalten werden könnten bzw zusätzliche Verhandlungstermine mit zusätzlichen Kosten erforderlich würden.

Die Ausführungen, dass diese Maßnahme zu einer besseren Einsetzung der Ressourcen bei Gericht führen soll, sind nicht nachvollziehbar und erwecken den Eindruck, man gehe von der irrigen Meinung aus, derzeit hätten alle Richterinnen und Richter während der gesamten „Gerichtsferien“ Urlaub.

Die Abschaffung der verhandlungsfreien Zeit würde die gerechtfertigten Interessen der Rechtsanwaltschaft wesentlich beeinträchtigen und dem mit dem Budgetbegleitgesetz angestrebten Ziel einer Entlastung der Justiz und einer effizienteren Nutzung der Ressourcen nicht dienen.

Auf das Redaktionsversehen, dass auch § 254 Abs 1 Z 4 IO, der die verhandlungsfreie Zeit erwähnt, aufzuheben wäre, wird hingewiesen.

 

7. Zu Z 17:

Mit einem neuen § 393a ZPO soll ein neues „Zwischenurteil zur Verjährung“ eingeführt werden.

Die praktische Notwendigkeit einer derartigen Regelung, wonach nunmehr das Erstgericht mit einem anfechtbaren Zwischenurteil das Vorliegen der von der beklagten Partei eingewendeten Verjährung verneinen kann, liegt keineswegs auf der Hand.

 

8. Zu Z 27 b):

Nunmehr soll nach einem neuen § 469 Abs 3 ZPO das Erstgericht einer auf den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO gestützten Berufung selbst stattgeben können. Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Die vorgeschlagene Bestimmung ist an sich der Verfahrensbeschleunigung und Verfahrensvereinfachung dienlich. Der Oberste Gerichtshof gibt aber zu bedenken, dass dem Kläger als Berufungsgegner kein Rechtsmittel gegen die Stattgebung der vom Beklagten erstatteten Nichtigkeitsberufung zustehen soll. Dies stellt gegenüber der bisherigen Rechtslage, wonach die mit Beschluss ergehende, gemäß § 519 ZPO nicht anfechtbare Entscheidung von einem Drei‑Richter‑Senat des Berufungsgerichts gefällt wird und eine höhere Richtigkeitsgewähr bietet, eine Verschlechterung des Rechtsschutzes dar.

 

9. Zu Z 29:

Nach einem neuen § 517 Abs 3 ZPO soll ein Kostenrekurs unzulässig sein, wenn der Betrag, dessen Zuspruch oder Aberkennung beantragt wird, 50 Euro nicht übersteigt.

Auch hier wird für Fälle, die nicht häufig vorkommen werden, für den Einzelnen aber durchaus von Bedeutung sein können, der Rechtsschutz verschlechtert. Die als Argument für diese Regelung genannte Entlastung der Rechtsmittelgerichte wäre praktisch nicht gegeben. Die Möglichkeit einer Amtshaftungsklage mit wesentlich größerem Aufwand besteht in solchen Fällen weiterhin.

 

 


XXI. Zu Artikel 33 Änderung des Rechtspraktikantengesetzes:

 

1. Zu Z 4:

In § 5 RPG wird die Gerichtspraxis von neun Monaten auf fünf Monate verkürzt; weiters wird der Ausbildungsbeitrag vermindert.

Mit dieser budgetär begründeten Maßnahme nimmt der Staat seine Aufgabe, nicht zuletzt auch im Interesse der bei Gericht ihr Recht suchenden Parteien für eine entsprechende Ausbildung zu sorgen, nicht mehr wahr. Auch das Interesse der Justiz, bestens geeignete Personen als Richterinnen und Richter gewinnen zu können, wird geschädigt, weil naturgemäß nach dieser kurzen Ausbildungszeit oftmals noch keine Entscheidung über die Übernahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst getroffen werden kann und ein vermehrtes Abwandern in andere Berufe zu befürchten ist.

Nicht zuletzt stellt die Ausbildung der Rechtspraktikanten nicht bloß eine Belastung der Ausbildungsrichterinnen und Ausbildungsrichter dar; gerade in der - nun wegfallenden - zweiten Hälfte ihrer Ausbildungszeit übernehmen die Rechtspraktikanten etwa bei Vorbereitung von Entscheidungen durchaus wesentliche Arbeiten, die nunmehr von den betreffenden Richterinnen und Richtern verrichtet werden müssen.

 

2. Zu Z 6:

Nach § 6 Abs 3 RPG können nunmehr Rechtspraktikanten nach einer fünfmonatigen Ausbildung auch beim Oberlandesgericht, bei einer Justizanstalt oder beim Bundesministerium für Justiz ausgebildet werden.

Hiezu hält der Oberste Gerichtshof fest, dass auch die Möglichkeit einer Ausbildung beim Obersten Gerichtshof wünschenswert wäre. Dies wird im Entwurf ohne jede Begründung nicht vorgesehen.

 

3. Zu Z 10:

Die in § 12 Abs 5 RPG vorgesehene Änderung ist sprachlich verunglückt.

 

 

XXII. Zu Artikel 34 Änderung des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes:

 

Zu Z 3:

In § 9c Abs 1 Z 3 hat es richtig „Oesterreichische Nationalbank“ zu heißen.


B. 1. Abschnitt Art 18 und 2. Abschnitt Art 25 bis 31 Strafrechtsangelegenheiten

 

 

I.

 

1. Die in Aussicht genommenen Gesetzesänderungen zur Entlastung des Budgets fügen der Qualität der Rechtspflege keinen Schaden zu und sind demnach grundsätzlich zu begrüßen. Das gilt besonders für die Einführung eines - durchaus maßvollen - Pauschalkostenbeitrags bei erfolglosen Anträgen auf Fortführung, den Kostenbeitrag beim vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung nach § 35 SMG, die ins Auge gefasste Klarstellung im § 83 Abs 1 StPO aber auch den Ausschluss eines Ersatzanspruchs nach dem StEG 2005 im Fall diversionellen Vorgehens und die kostensenkenden Anordnungen bei den gesundheitsbezogenen Maßnahmen nach dem SMG. Durch eine Justizbetreuungsagentur bereitgestellte Dolmetscher stellen eine Erleichterung für die gerichtliche Arbeit dar, die Kostenregelung für Dolmetscher ist grundrechtskonform und sachgerecht.

 

2. Sinnvoll erscheint auch der Entfall sogenannter Jugendschutzsachen (§ 25 JGG) und von Protokollaranbringen in dem in Aussicht genommenen Umfang. In Betreff der grundsätzlich obligatorischen Vernehmung außerhalb des Sprengels des zuständigen Gerichts aufhältiger Zeugen unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung ist allerdings auf § 248 Abs 1 erster Satz StPO hinzuweisen. Danach ist in der Hauptverhandlung bei der Vernehmung von Zeugen „grundsätzlich nach den für Vernehmungen im Ermittlungsverfahren geltenden Bestimmungen vorzugehen“. So gesehen bedürfte es besonderer Gründe, um Zeugen im Verhandlungssaal unmittelbar zu befragen, dies - vor allem im bezirksgerichtlichen Verfahren - auch bei Zeugen mit bloß geringfügig vom Sitz des Gerichts entferntem Aufenthaltsort. Fraglich könnte sein, ob § 153 Abs 4 StPO in der vorgeschlagenen Fassung Zeugen ein subjektives Recht auf Nichterscheinen vor dem erkennenden Gericht verleiht.

 

3. Was die ins Auge gefasste Zuständigkeit von Einzelrichtern im Verfahren über eine Beschwerde anlangt (Art 27 Z 1), ist aufgrund des beschränkten Kompetenzbereichs dagegen nichts Grundsätzliches einzuwenden. Für Grundsatzentscheidungen könnte allerdings eine dem § 7 Abs 2 OGHG vergleichbare Lösung erwogen werden.

 

4. Sinnvoll erscheinen auch die von Art 25 angepeilten Ziele, insbesondere die Rechtsbereinigung im § 88 StGB und ein Strafaufhebungsgrund für das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB. Der Entfall gänzlich bedingter und die Einschränkung für teilbedingte Geldstrafen erscheinen - insbesondere auch vor dem Hintergrund eines möglichen Rücktritts von der Verfolgung nach dem 11. Hauptstück der StPO und mit Blick auf das Verwaltungsstrafrecht - ebenfalls sachgerecht.

 

5. Auch das mit Art 25 Z 1 verfolgte kriminalpolitische Ziel ist nicht zu beanstanden, wohl aber die vorgesehene Formulierung des § 21 Abs 3 StGB, die - gesetzestechnisch verfehlt - nicht nur historisches Geschehen (Anlasstat) mit rechtlicher Kategorie (strafbare Handlung) gleichsetzt, sondern auch übersieht, dass § 21 Abs 1 StGB auf die Begehung strafbedrohter, nicht auch strafbarer Handlungen abstellt. Richtig müsste  es statt „kommen strafbare“ lauten: „kommt die Begehung mit Strafe bedrohter“.

 

 

II.

 

1. Die beabsichtigte Möglichkeit bloß kassatorischer Entscheidung des Beschwerdegerichts durch Änderung des § 89 Abs 2 StPO (Art 27 Z 6) ist aus Gründen der Verfahrensökonomie und aus logisch-systematischen Gründen abzulehnen.

 

2. Entscheidung des Rechtsmittelgerichts „in der Sache“ (vgl §§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 3 erster Satz, 350 Abs 2 zweiter Satz, 351 erster Satz, 474, 476 StPO) trägt entscheidend zur Verfahrensbeschleunigung, einer besonderen Stärke des österreichischen Strafverfahrens, bei. Insbesondere im Ermittlungsverfahren, dem Hauptanwendungsbereich des § 89 StPO in der Rechtswirklichkeit, sind rasch rechtskräftige Entscheidungen von unschätzbarem praktischen Wert, was von Staatsanwälten nach den richtungweisenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs über die grundsätzliche Unzulässigkeit kassatorischen Vorgehens durch Beschwerdegerichte auch immer wieder zu hören ist.

 

3. Wo Zweiseitigkeit des Beschwerdeverfahrens aus faktischen Gründen nicht gewährleistet werden kann (§ 89 Abs 5 zweiter Satz zweiter Fall StPO), kommt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aus Gründen des rechtlichen Gehörs (vgl Art 6 MRK) Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache schon derzeit nicht in Betracht (13 Os 95/08g, EvBl 2008/182, 965; 12 Os 80/09w, EvBl 2010/27, 182). Indem die in Aussicht genommene Neutextierung des § 89 Abs 2 StPO ausgerechnet diesen einzigen Fall - zufolge Art 6 MRK - unabdingbar kassatorischer Vorgangsweise nicht anspricht, setzt sie sich grundrechtlichen Bedenken aus. Denn planwidrige Unvollständigkeit des § 89 Abs 2 StPO wäre nach Gesetzwerdung des Entwurfs kaum mehr zu argumentieren und die vom Obersten Gerichtshof für erforderlich gehaltene teleologische Reduktion des Auftrags an das Beschwerdegericht, außerhalb der Fälle des § 89 Abs 2 erster Satz StPO „in der Sache“ zu entscheiden, methodisch nicht mehr vertretbar. Dies umso mehr, als der Oberste Gerichtshof - im Gegensatz zur vorgeschlagenen Fassung des § 89 StPO - in den von § 89 Abs 5 zweiter Satz zweiter Fall StPO angesprochenen Konstellationen zur Sicherung der (im Grundrechtsbereich stets unverzichtbaren) Effektivität des rechtlichen Gehörs das Fehlen einer Bindung an die Rechtsansicht des Beschwerdegerichts für erforderlich gehalten hat (eingehend zum Problem: ÖJZ 2006, 318 [322 f]).

 

4. Die von kassatorischem Vorgehen erwartete erzieherische Wirkung für mangelhaft arbeitende Erstrichter kann weitaus zeitsparender und effektiver über den von 12 Os 80/09w aufgezeigten Weg erreicht werden, vom Erstgericht in Anwendung des § 89 Abs 5 erster Satz StPO (erforderlichenfalls knapp terminisiert) „weitere Aufklärungen“ zu verlangen; dies ganz formlos und rasch, ohne das mit einem weiteren Rechtsgang stets erforderlich werdende neuerliche Einlesen in die Akten, womöglich sogar nach zwischen den Rechtsgängen geänderter Senatszusammensetzung. Das Beschwerdegericht ist zu Beweisaufnahmen nicht weniger rechtlich in der Lage und befugt als das Erstgericht. Zudem gilt im Fall von Beschlüssen (§ 35 Abs 2 erster Fall StPO) und demnach auch in darauf bezogenen Beschwerdeverfahren statt eines sogenannten Strengbeweises der Freibeweis, was unter anderem bedeutet, dass unmittelbare Beweisaufnahme weder durch das Erst-, noch (wie hier von Interesse) durch das Beschwerdegericht erforderlich ist. Kommt ein bereits säumig gewesenes Erstgericht auch nach § 89 Abs 5 erster Satz StPO erteilten Aufträgen nicht nach, ist schließlich disziplinäres Vorgehen zulässig, während ein solches im Fall erneut mangelhafter Beschlussfassung angesichts verfassungsrechtlich garantierter Unabhängigkeit der Richter zumindest nicht unproblematisch erscheint.

 

5. Sodann trifft der Hinweis der Erläuterungen zu Art 27 Z 6, dass § 114 Abs 4 StPO in der vor 1.1.2008 geltenden Fassung kassatorische Beschwerdeentscheidung ermöglicht habe, nicht zu. Vielmehr ist - ungeachtet möglicherweise abweichender Praxis mancher Beschwerdegerichte - das Gegenteil der Fall (RIS-Justiz RS0120000, RS0118078). Das vom Obersten Gerichtshof bei Entscheidungen nach § 114 Abs 2 vierter Fall StPO idF BGBl I 164/2004 verlangte bloß kassatorische Vorgehen entspricht exakt der seit 1.1.2008 von § 89 Abs 5 zweiter Satz zweiter Fall StPO angesprochenen, oben zu 2. erwähnten Konstellation und sichert grundrechtskonforme Zweiseitigkeit für diejenigen Fälle, in denen von einem Eingriff Betroffene zur Sicherstellung des Aufklärungserfolgs davor nicht gehört werden können. Soweit ein aus drei Richtern bestehender Senat des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2001 (13 Os 61/01) eine „kassatorische Entscheidung“ des Oberlandesgerichts für zulässig angesehen hatte (vgl RIS-Justiz RS0115168), hatte er betont, dass eine solche zwar nicht auf der Basis von § 114 Abs 2 StPO (nunmehr § 89 Abs 2 StPO), wohl aber nach „§ 114 Abs 4 erster Satz zweiter Halbsatz StPO“ (der § 89 Abs 2 dritter Satz zweiter Fall StPO idgF entspricht) zulässig sei. Für die Frage, ob kassatorische Entscheidungen über Beschwerden zulässig sind, trägt diese Entscheidung nichts bei. Die von § 114 Abs 4 StPO (nunmehr § 89 Abs 2 dritter Satz zweiter Fall StPO) verlangte „Beseitigung wahrgenommener Gebrechen des Verfahrens“ (vgl dazu den Praxishinweis zu 15 Os 33/09f, 34/09b, 35/09z, 36/09x; EvBl‑LS 2009/130, 782) meint nämlich gerade nicht die - hier allein maßgebliche - Entscheidung über eine Beschwerde. Was den Verweis auf 13 Os 167/97 anlangt, genügt es, auf die Erläuterungen zu Art 27 Z 6 hinzuweisen, wonach in den Fällen „der Bewilligung der Festnahme und Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft“ an der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs festgehalten werden soll, dass das Beschwerdegericht „ausnahmslos in der Sache zu entscheiden hat“.

 

6. Soweit nach Maßgabe der Erläuterungen zu Art 27 Z 6 „für die Fälle der Bewilligung der Festnahme und Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaftdaran festgehalten werden“ soll, „dass das Oberlandesgericht ausnahmslos in der Sache zu entscheiden hat“, wird übersehen, dass es sich dabei ohnehin stets um Entscheidungen „in der Sache“ handelt, die Argumentation mithin zirkulär verläuft. Dass das über Festnahme oder Untersuchungshaft entscheidende Beschwerdegericht aber stets „bewilligen“, „verhängen“ oder „fortsetzen“ muss, lässt sich § 174 Abs 4, 176 Abs 5 StPO keineswegs entnehmen, sodass mangels spezieller Anordnung § 89 StPO gilt. Nach Maßgabe der vorgeschlagenen Fassung könnte das Beschwerdegericht hinkünftig demnach gar wohl bloß kassatorisch vorgehen. Auch dies zeigt die Unausgewogenheit der vorgeschlagenen Regelung, deren Auswirkungen auf Haftfristen hier nicht beurteilt werden.

 

7. Bereits vor Inkrafttreten des StPRefG hat die StPO bei der Anfechtung von Entscheidungen durch ordentliche Rechtsmittel zwischen Nichtigkeitsbeschwerde (§§ 281, 281a, 345 StPO) und Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe (§ 464 Z 1 StPO) einerseits und allen anderen ordentlichen Rechtsmitteln, nämlich Berufungen nach §§ 464 Z 2 und 3, 283 StPO und Beschwerden gegen nicht bloß prozessleitende andere Verfügungen, welche § 35 Abs 2 erster Fall StPO nunmehr dogmatisch korrekt als Beschlüsse bezeichnet, unterschieden (zur Rechtsnatur von in der Hauptverhandlung gefassten, nicht abgesondert anfechtbaren „Beschlüssen“ s ÖJZ 2010, 387 [394]). Während Nichtigkeitsbeschwerde und Nichtigkeitsberufung - dem Grundsatz nach (vgl aber § 281 Abs 1 Z 1, 1a und 5a, § 345 Abs 1 Z 1, 2 und 10a StPO) - berechtigter Kritik an Fehlern des Erstgerichts zum Durchbruch verhelfen sollen und daher dem Neuerungsverbot unterliegen, zielen alle anderen ordentlichen Rechtsmittel auf eine davon unabhängige eigenständige Entscheidung - ein judicium novum - des Rechtsmittelgerichts ab. Das Gesetz selbst lässt kassatorische Entscheidung konsequent denn auch nur in Stattgebung (oder aus Anlass; § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) einer Nichtigkeitsbeschwerde (§ 288 Abs 2 Z 1, 2 und 3 zweiter Satz StPO; vgl auch §§ 349 ff StPO) oder Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe (§ 475 [§ 489 Abs 1 zweiter Satz] StPO) zu. Doch selbst hier verhält die - im internationalen Vergleich (erfolgreich und grundrechtsfreundlich; Art 6 Abs 1 MRK) besonders am Ziel sinnvoller Verfahrensbeschleunigung ohne Verzicht auf Gründlichkeit ausgerichtete - StPO das Rechtsmittelgericht nach Möglichkeit zu endgültiger Entscheidung „in der Sache“. Bei sachlicher Zuständigkeit eines Einzelrichters, „steht es der Berufungsbehörde frei, sofort oder in einer späteren Sitzung, nötigenfalls unter Wiederholung oder Ergänzung der in erster Instanz gepflogenen Verhandlung und unter Verbesserung der mangelhaft befundenen Prozesshandlung, in der Sache selbst zu erkennen“, und zwar selbst dann, wenn das Erstgericht „örtlich unzuständig oder nicht gehörig besetzt war oder wenn ein gesetzlich ausgeschlossener Richter das Urteil gefällt hat“ (§ 476 StPO). Dort, wo es das B-VG ermöglicht, soll selbst in einem auf Nichtigkeitsgründe bezogenen Rechtsmittelverfahren in der Hauptsache rasch eine endgültige Entscheidung ergehen, was Art 2 des 7. ZPMRK zulässt. Nur wo die Bundesverfassung Laienbeteiligung in der Schuldfrage verlangt, also in jenen Fällen, in denen der Oberste Gerichtshof aufgrund eines ordentlichen Rechtsmittels gegen die Entscheidung in der Schuldfrage ins Spiel kommt, sieht die StPO in der Regel bloß kassatorisches Vorgehen vor. Sind die erforderlichen Feststellungen vom Tatgericht allerdings getroffen worden und in der Diversionsfrage, darf selbst der Oberste Gerichtshof nicht kassatorisch entscheiden (§ 288 Abs 2 Z 2a und 3 erster Satz, 351 erster Satz StPO). Wo - wie im Fall einer Berufung nach §§ 464 Z 2 und 3, 283 StPO oder einer Beschwerde - das Rechtsmittel von vornherein bloß auf den Ersatz der erstgerichtlichen Entscheidung durch diejenige des Rechtsmittelgerichts abzielt, verstößt kassatorisches Vorgehen nicht bloß gegen den Grundsatz der Verfahrensökonomie, ist vielmehr schlechterdings sachfremd.

 


8. Zur beabsichtigten Bindung des Erstgerichts an die Rechtsansicht des Beschwerdegerichts sei angemerkt, dass § 293 Abs 4 StPO für die Urteilsaufhebung zusätzlich die Bindung des Rechtsmittelgerichts an seine eigene Rechtsansicht anordnet. Das Erstgericht entscheidet ungeachtet einer möglicherweise verfehlten Rechtsauffassung des Rechtsmittelgerichts dann und nur dann rechtsrichtig, wenn es der Rechtsauffassung des Rechtsmittelgerichts folgt - so wie ein in erster Instanz entscheidendes Gericht mangels Normanfechtungsbefugnis nach Art 89 B-VG ein von ihm als verfassungswidrig beurteiltes Gesetz anwenden muss, auf den Punkt gebracht also dann rechtsrichtig vorgeht, wenn es „rechtsfehlerhaft“ entscheidet. Dass § 293 Abs 4 StPO bei Urteilsanfechtung mit Nichtigkeitsgründen Sinn macht, ist klar. Ebenso klar ist aber die Sinnhaftigkeit eines Verzichts auf eine solche Bindung im Beschwerdesystem der StPO, und zwar nicht nur bei Ermessensentscheidungen (vgl oben Punkt 2).

 

9. Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache ist in der Praxis stets möglich: Soweit in erster Instanz ein sachlich unzuständiges Gericht entschieden hat, ist die Entscheidung ersatzlos zu beseitigen, was ebenfalls eine inhaltliche und gerade keine bloß kassatorische Entscheidung mit Verweisung an die Unterinstanz darstellt. Bei örtlicher Unzuständigkeit bloß des Erst-, nicht auch des Beschwerdegerichts ist das Beschwerdegericht  ohne weiteres in der Lage, in der Sache zu entscheiden, bei örtlicher Unzuständigkeit auch des Beschwerdegerichts wird ebenfalls nicht bloß kassatorisch entschieden, indem nämlich die Verfügung (§ 35 Abs 2 StPO) des Erstgerichts beseitigt und gerade nicht diesem oder einem anderen Gericht eine neue Entscheidung aufgetragen wird; selbst bei Ausgeschlossenheit eines in erster Instanz an der Entscheidung beteiligten Richters ist Entscheidung in der Sache selbst möglich. Gegen wirkungslose Verfügungen (vgl den Praxishinweis zu 11 Os 10/09v, EvBl 2009/70, 470) gibt es schließlich definitionsgemäß kein Fehlerkalkül, mithin keine Beschwerde.

 

10. Zusammenfassend ist von der beabsichtigten Ergänzung mit Nachdruck abzuraten, nicht zuletzt auch, um nicht die nach Burgstaller (Über die Neugestaltung des Strafprozesses in Österreich, FS Györgyi [2004] 103 [105]) im internationalen Vergleich „außerordentlich hohe Effizienz des österreichischen Strafverfahrens und das damit verbundene Vertrauen der Bevölkerung in das Funktionieren der Strafjustiz“ im ohnehin für Verzögerungen anfälligen Ermittlungsverfahren ohne Not aufs Spiel zu setzen. Keiner der Fälle des § 89 Abs 2 StPO idF des Art 27 Z 6 erfordert kassatorisches Vorgehen, schon gar nicht formale Mängel oder - ohnehin aus den Akten bereits ersichtliche - erhebliche Bedenken an der Würdigung (nota bene) bereits aktenkundiger Beweismittel. Vielmehr widerspricht Art 27 Z 6 grundlegenden Zielsetzungen der StPO, in besonderem Maß aber dem Grundsatz der Verfahrensökonomie. Zur bloßen Neubewertung von Beweisen bedarf es der beabsichtigten Regelung ebenso wenig wie für deren Herbeischaffung. Zur - in Einzelfällen möglicherweise nötigen - Disziplinierung von Erstrichtern taugen nach § 89 Abs 5 erster Satz StPO erteilte Aufträge weit mehr.

 

Wien, am 17. November 2010

Hon.-Prof. Dr. Griss