Sehr geehrte Damen und Herren,
zu dem Entwurf einer 23. Novelle zur Straßenverkehrsordnung
(Aktenzeichen: 261/ME XXIV. GP) nehme ich wie folgt Stellung:
1. § 68 Absatz 2 Satz 1 soll lauten: "Die Behörde kann bestimmen, dass ein Radweg oder ein Geh- und Radweg von Radfahrern benützt werden darf, aber nicht muss." Das erscheint unzureichend. Regelfall, wenn die Behörde nichts anderes bestimmt, soll offenbar eine Benützungspflicht sein. Dies stellt eine tiefgreifende Beeinträchtigung der gleichberechtigten Nutzung der öffentlichen Straße entsprechend ihres Widmungszwecks durch alle Verkehrsteilnehmer dar. Eine Rechtfertigung aus Gefahrenabwehrgründen ist nicht gegeben. Es sollte stattdessen eine Regelung wie in Deutschland (§ 45 Absatz 9 der dortigen
Straßenverkehrs-Ordnung) getroffen werden, die solche Verkehrsbeschränkungen nur zur Abwendung besonderer Gefahren erlaubt.
2. Ein Grund für die Privilegierung der Fahrer von Rennfahrrädern bzw.
von besonderen Fahrtzwecken in § 68 Abs. 3 ist nicht erkennbar. Die Wörter "bei Trainingsfahrten mit Rennfahrrädern" sollten dementsprechend gestrichen werden.
3. Das Verbot in § 68 Absatz 4 Buchstabe a), die Füße während der Fahrt von den Treteinrichtungen zu entfernen, stammt offenbar aus der Zeit vor Erfindung des Freilaufs, also offenbar noch aus k.u.k. Zeiten. Ein Grund und noch vielmehr eine Rechtfertigung für diese Vorschrift sind nicht mehr zu erkennen.
4. Die in § 68 Abs. 8 vorgesehene Helmpflicht für Kinder unter 10 Jahren erscheint als massiver und unbegründeter Grundrechtseingriff, sowohl in die Freiheitsrechte des Kindes als auch das Erziehungsrecht der Eltern. Nachweise, dass allfällige Sicherheitsvorteile des Helmtragens die Nachteile (Irritationen im Sichtfeld, Behinderung von Reflexen wie dem Aufrichten des Nackens bei drohendem Fall auf den Hinterkopf, Verstärkung von Rotationskräften bei Unfällen durch größeren Hebelarm, Verminderung der sportlichen Betätigung beim Radfahren wegen der Unbequemlichkeit) überwiegen, liegen nicht vor. Angesichts drohender erheblicher Schäden liegt auch ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vor. Im übrigen ist auch damit zu rechnen, dass die Zahl von Urlaubern (Familien mit Kindern im entsprechenden Alter) aus dem Ausland nachlässt, weil diese solche schikanösen Vorschriften nicht akzeptieren.
5. In der Begründung heißt es: "Jedes Jahr erleiden rund 1600 Kinder durch Unfälle beim Radfahren ohne Helm Kopfverletzungen. Durch die Einführung einer Radhelmpflicht für Kinder kann diese Zahl deutlich gesenkt werden." Diese Behauptung, insbesondere der zweite Satz, ist eine Behauptung ohne jeden Beleg.
6. Die Behauptung, dass die Novelle keine geschlechtsspezifischen Auswirkungen habe, berücksichtigt nicht die geschlechterrollentypisch unterschiedlichen Frisuren von Jungen und Mädchen.
7. In den Erläuterungen heißt es: "Schätzungen gehen dahin, dass durch eine 100%ige Helmtragequote in dieser Altersgruppe rund 900 Kopfverletzungen im Jahr verhindert werden könnten." Quellen für diese angeblich existierenden Schätzungen werden nicht genannt.
8. Bei vorgezogenen Haltelinien werden Motorradfahrer gegenüber anderen Führern einspuriger Fahrzeuge privilegiert, ohne das eine hinreichende Rechtfertigung erkennbar ist. Dass sich ein Motorradfahrer so aufstellen würde, dass links neben ihm noch ein mehrspuriges Fahrzeug Platz findet, ist eh abwegig. Die Behauptung, dass Fahrradfahrer nicht (jedenfalls in dem Zeitraum bis zur Überquerung der Kreuzung) so schnell anfahren könnten, wie Kfz, ist falsch und durch nichts belegt außer das Bauchgefühl des Sachbearbeiters, der diese Begründung verfasst hat.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Müller
Schwindstraße 8
76135 Karlsruhe
Deutschland