Amt der Wiener Landesregierung

 

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MD-VD - 332-1/11                                                            Wien, 18. März 2011

Entwurf eines Bundesgesetzes,                                        

mit dem die Straßenverkehrs-

ordnung 1960 geändert wird

(23. StVO-Novelle);

Begutachtung;

Stellungnahme

 

zu BMVIT-160.008/0001-II/ST5/2011

 

 

 

An das

Bundesministerium für

Verkehr, Innovation und

Technologie

 

 

Zu dem mit Schreiben vom 23. Februar 2011 übermittelten Entwurf eines Bundesgesetzes wird nach Anhörung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien wie folgt Stellung genommen:

 


Zu § 3 Abs. 1:

 

Die gegenständliche Bestimmung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung von Gemeinschaftsflächen, was in den Erläuterungen zum Ausdruck gebracht werden sollte. Das Rücksichtnahmegebot in der vorliegenden Form hat jedoch bloß deklaratorischen Charakter und lässt die in Deutschland geltende und bewährte, hie­rauf aufbauende Folgebestimmung vermissen. Es wird vorgeschlagen, das Rücksichtnahmegebot auch in der Straßenverkehrsordnung 1960 zu ergänzen und dem neuen § 3 Abs. 1 folgenden zweiten Satz anzufügen:

 

„Jeder Straßenbenützer hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird.“

 

Erst hierdurch kann über die bloße Deklaration hinaus wirksam Einfluss auf das Verhalten der Verkehrsteilnehmer genommen werden.

 

Zu § 9 Abs. 3:

 

Bedingt durch die im § 12 Abs. 5 für alle einspurigen Fahrzeuge bestehende Sonderregelung ist die angestrebte Einschränkung auf Motorräder, trotz der in den Erläuterungen formulierten Begründung, nicht nachvollziehbar. Zudem ist die Anbringung eigener vorgezogener Haltelinien für Radfahrer in Wien und vielen anderen Städten Österreichs schon jetzt sehr verbreitet. Auch in der RVS-Radverkehr wird diese Lösung ausdrücklich empfohlen.

 

Mit der geplanten Novelle würden zusätzliche Haltelinien (und damit auch die bereits für Radfahrer geschaffenen) nur noch für Motorräder gelten. Vorgezogene Haltelinien für Fahrräder stellen sich jedoch nicht als „übertriebene" Bevorzugung des Radverkehrs dar, sondern sind oft die einzige Möglichkeit zum sicheren Aufstellen außerhalb des toten Winkels einbiegender Lastkraftwägen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich Radfahrer, die selbst keine giftigen Abgase erzeugen, vor den Kraftfahrzeugen statt hinter deren Auspufföffnungen aufstellen können.

 

Zu verweisen ist auch auf die Erläuterungen zu § 12 Abs. 5 der Regierungsvorlage zur 20. StVO-Novelle: Mit der 15. StVO-Novelle wurde Radfahrern gestattet, an angehaltenen Fahrzeugen vor Kreuzungen usw. vorbei bis zur Kreuzung vorzufahren. Da diese Regel sich in der Praxis bewährt hat (die Verkehrssicherheit wurde durch die Erlaubnis des Vorfahrens nicht beeinträchtigt), soll nunmehr das Vorfahren für alle einspurigen Fahrzeuge erlaubt werden.

 

Es besteht daher keine Veranlassung, das Aufstellen mit Fahrrädern nicht auch auf vorgezogenen Haltelinien zu erlauben, wobei sich in Einzelfällen, etwa wenn Radfahrer eine Kreuzung zunächst queren, um sich an deren Ende auf der Fahrbahn so aufzustellen, dass sie die Kreuzung nochmals im rechten Winkel nach links queren können, sogar eine Einschränkung auf den Radverkehr alleine ergeben kann. § 9 Abs. 3 sollte daher lauten:

 

„(3) Ist an einer geregelten Kreuzung auf der Fahrbahn eine Haltelinie (§ 55 Abs. 2) angebracht, so darf beim Anhalten nur bis an diese Haltelinie herangefahren werden. Sind an einer geregelten Kreuzung auf der Fahrbahn zwei parallele Haltelinien angebracht, so darf in dem in § 12 Abs. 5 geregelten Fall mit einspurigen Fahrzeugen bis zu der dem Kreuzungsmittelpunkt näher liegenden Haltelinie herangefahren werden. Aus zusätzlichen Bodenmarkierungen (z. B. Fahrradsymbolen) kann sich auch ergeben, dass nur mit bestimmten einspurigen Fahrzeugen bis zu dieser Haltelinie herangefahren werden darf.“

 

Mit diesem zweiten Satz wäre es nicht nur möglich, ausschließlich Radfahrer zu bevorzugen, sondern auch, wo es die Verkehrssicherheit erfordert, mit der Anbringung von Motorradsymbolen ausschließlich den Motorradverkehr zu bevorzugen, sodass dem in den Erläuterungen dargestellten Schutzzweck von der Behörde im Einzelfall immer noch entsprochen werden könnte.

 

Zu § 24 Abs. 1 lit. p und Abs. 3 lit. a und § 55 Abs. 8:

 

Es wird in diesem Zusammenhang angeregt, die gelben Linien grundsätzlich neben dem Fahrbahnrand aufzubringen. Im Bereich von Randlinien ist dies im Entwurf schon jetzt vorgesehen, aber auch im Falle von Gehsteigkanten erscheint eine darauf an­gebrachte Linie aufgrund des Niveauunterschiedes besser erkennbar. Für den Fall, dass eine Fahrbahn weder mit einer Randlinie noch mit einer Gehsteigkante abschließt,
wäre die Anbringung auf der Fahrbahn selbst zweckmäßig.

 

§ 55 Abs. 8 letzter Satz könnte daher wie folgt lauten:

„Die genannten Linien sind außerhalb einer allenfalls vorhandenen Randlinie anzubringen und können bei Vorhandensein eines Gehsteigs auch auf diesem in einer Entfernung von nicht mehr als 0,30 m zum Fahrbahnrand angebracht werden.“

 

Zu § 53 Abs. 1 Z 26 und § 68 Abs. 3:

 

Die Einführung der „Fahrradstraße“ wird grundsätzlich begrüßt, jedoch erweisen sich die mit dieser Radfahranlage konkret verbundenen Verhaltensbestimmungen als unzulänglich. Zunächst wird gefordert, dass die Möglichkeit, „auch eine ganze Straße dem Fahrradverkehr vorzubehalten“ (siehe Erläuterung) selbstverständlich damit einher ge­hen sollte, Radfahrern das Nebeneinanderfahren zu erlauben. Dementsprechend sollte in § 68 Abs. 3 vorgesehen werden, dass auch in Fahrradstraßen Radfahrer nebeneinander fahren dürfen.

 

Der Verweis in der Klammer auf Fahrzeuge des Kraftfahrlinienverkehrs ist unzureichend, da es insbesondere in Großstädten, wo Fahrradstraßen ein besonders sinnvolles Instrument zur Attraktivierung des Radverkehrs erscheinen, lebensfremd ist, anzunehmen, es könnten ganze Straßenzüge ausschließlich dem Radverkehr vorbehalten werden. Der Ausdruck in der Klammer sollte daher ergänzt werden auf „(z. B. Fahrzeugen des Kraftfahrlinienverkehrs oder bestimmte Fahrzeugkategorien)“. Mit dieser Ergänzung könnte rechtlich einwandfrei auch gestattet werden, dass z. B. mit Fahrzeugen bis 3,5 t höchstzulässigem Gesamtgewicht die Fahrradstraße benützt werden darf. Gerade bei den in Wien in Diskussion stehenden Straßenzügen erscheint es ausgeschlossen, nicht auch den (Anrainer-)Verkehr mit solchen Fahrzeugen zu gestatten.

 

Weiters wird dringend vorgeschlagen, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit des Verkehrs in Fahrradstraßen mit 30 km/h zu limitieren. Tempo 30 ist eine übliche, oftmals im Verordnungswege eingeführte Geschwindigkeitsbeschränkung in Wohngebieten und erscheint auch in Fahrradstraßen zum Schutze des Radverkehrs und zur Hintanhaltung eines rasanten Durchzugsverkehrs als zweckmäßig.

 

Zum wirksamen Schutz des Radverkehrs erscheint es außerdem unerlässlich, die Lenker von Kraftfahrzeugen zur Rücksichtnahme gegenüber Radfahrern analog zur Bestimmung des § 8 Abs. 4 Z 2 letzter Halbsatz zu verhalten. § 53 Abs. 1 Z 26 sollte daher entsprechend ergänzt werden.

 

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass mit dem Verkehrszeichen „Fahrrad­straße“ eine gewisse Verbotswirkung verbunden ist, konkret ein allgemeines Fahrverbot ausgenommen der Verkehr mit Fahrrädern, sowie - wie oben vorgeschlagen - allenfalls eine Geschwindigkeitsbeschränkung. Es bedarf somit einer Verordnung, die entsprechend kundzumachen ist. § 44 Abs. 1 sollte daher bezüglich der Fahrradstraße ergänzt werden, wie dies u. a. auch für „Fahrstreifen für Omnibusse“ geschehen ist.

 

Zu § 53 Abs. 1 Z 27, 28 und 29 und § 68 Abs. 2:

 

Es wird vorgeschlagenen, anstelle des im Entwurf vorgesehenen Verkehrszeichens zu (Geh- und) Radwegen ohne Benützungspflicht die international gängige Variante eines quadratischen blauen Verkehrszeichens mit einem weißen Fahrradsymbol zu verwenden. Allenfalls könnte dieses Verkehrszeichen, wie z. B. in Frankreich gängig, weiß umrahmt werden. Die im Entwurf vorgesehene nicht quadratische Ausführung erscheint überdimensioniert und dem Ortsbild abträglich. Eine Verwechslungsgefahr des international gängigen Verkehrszeichens mit dem Verkehrszeichen „Kennzeichnung eines Schutzweges“ erscheint nicht nahe liegend.

 


Zu § 68 Abs. 8 und § 99 Abs. 6 lit. e:

 

Seitens des Landes Wien kann die Erforderlichkeit der Normierung einer Radhelmpflicht nicht erkannt werden, zumal bereits 87 % der Kinder beim Radfahren einen Helm tragen. Es ist daher von einer Überregulierung auszugehen, die überdies auf sensiblen Flächen wie namentlich Kinderspielplätzen im Hinblick auf den räumlichen Geltungsbereich der Straßenverkehrsordnung 1960 ohnehin nicht zur Anwendung gelangt. Es wird daher vorgeschlagen, auf diese mangels Strafbarkeit rein programmatische Bestimmung zu verzichten.

 

Zu § 82 Abs. 5 und § 84 Abs. 4:

 

Es wird im Hinblick auf die Darstellungen in den Erläuternden Bemerkungen bemerkt, dass seitens des Landes Wien keine Forderung zur Abänderung des § 82 Abs. 5 erhoben wurde. Vielmehr erachtet das Land Wien die Anpassung der Bewilligungsmöglichkeit an § 84 als nicht zielführend, da den beiden Bestimmungen ein unterschiedlicher Schutzzweck immanent ist. Nach § 84 sollen die Lenker von Kraftfahrzeugen im Hochgeschwindigkeitsbereich insbesondere vor ablenkender Werbung verschont bleiben. § 82 findet jedoch Anwendung insbesondere im Ortsgebiet etwa zur Genehmigung von Schanigärten, Würstel- und Blumenständen ebenso wie für Zeitungstaschen und Werbeanlagen. Es ist aus Sicht des Landes Wien nicht nachvollziehbar, dass auch nur eine dieser Einrichtungen einem vordringlichen Bedürfnis der Straßenbenützer dient oder auch nur von erheblicher Bedeutung ist. Eine gegenteilige Auffassung sollte in den Erläuterungen näher ausgeführt werden.

 

Die in § 84 Abs. 4 vorgesehene unmittelbare Entfernungsmöglichkeit durch die Behörde ist zweckmäßig und sollte auch auf konsenslose, dem § 82 unterliegende Benützungen ausgedehnt werden.

 

                                                                      Für den Landesamtsdirektor:

 

 

 

Mag. Andreas Wostri                                         Mag. Jürgen Fischer

Ergeht an:

1.  Präsidium des Nationalrates

 

2.  alle Ämter der Landes-

regierungen

 

3.  Verbindungsstelle der

Bundesländer

 

4.  MA 65

(zu MA 65 - 635/2011)

mit dem Ersuchen um Weiter-

leitung an die einbezogenen

Dienststellen