Institut für Rechtsphilosophie,

Religions- und Kulturrecht

o. Univ.-Prof. Dr. Richard Potz

Hon.-Prof. Dr. Brigitte Schinkele

Schenkenstraße 8-10

A- 1010 Wien

T+43-1-4277-358 17

F+43-1-4277-9 358

richard.potz@univie.ac.at

An das

Parlament der Republik Österreich

Präsidium des Nationalrates

Dr. Karl-Renner Ring 3

1017 Wien

 

 

 

Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften geändert wird

(283/ME XXIV. GP)

 

 

I. Grundsätzliche Überlegungen zum Entwurf

 

Durch das Erkenntnis des VfGH vom 25. 9. 2010, G 58/10 und G 59/10 im Gefolge der Rechtsprechung des EGMR wurde eine Reparatur von § 11 Abs 1 Z 1 BekGG notwendig. Die Kultusbehörde hat nach langem Zögern nun knapp vor dem Sommer einen Gesetzesentwurf mit einer außergewöhnlich kurzen Begutachtungsfrist vorgelegt, der nicht nur die Umsetzung des VfGH-Erkenntnisses versucht, sondern darüber hinaus punktuelle – leider inadäquate – Gesetzesänderungen enthält. Es ist bedauerlich, dass der Entwurf nicht im Geringsten die Gelegenheit nützt, um die aus grund- und gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten dringend gebotene, im Schrifttum von vielen Seiten geforderte umfassende Korrektur der Rechtsstellung von Religionsgemeinschaften vorzunehmen (vgl H. Kalb, R. Potz & B. Schinkele, Religionsgemeinschaftenrecht. Anerkennung und Eintragung, Wien 1998; H. Kalb, R. Potz & B. Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, 96 ff; G. Lienbacher, Die rechtliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften in Österreich, in C. Grabenwarter & N. Lüdecke (Hrsg), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht, Würzburg 2002, 154-176; G. Lienbacher, Religiöse Rechte, in D. Merten & H.-J. Papier (Hrsg), Handbuch der Grundrechte VII/1: Grundrechte in Österreich, Heidelberg 2009, 319-349; H. Ortner, Religion und Staat. Säkularität und religiöse Neutralität, Wien 2000, insb 234 ff; S. Hammer, Zur Ungleichbehandlung von Religionsgemeinschaften in der neueren Rechtsprechung, öarr 52 (2005) 209-226; L. Wallner, Die staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften, Frankfurt/Main 2007,  sowie jüngst G. Luf in einem Kommentar zu VfGHErk 25. 9. 2010, G 58/10 und G 59/10 in öarr 2010 (in Druck) und S. Hammer, Kommentar zu VfGHErk 16. 12. 2009, B 516/09, in öarr 2010 (in Druck). Dieser „Reparaturversuch“ ist im Wesentlichen missglückt. Es werden die seit langem bestehenden Probleme in einem Zentralbereich des österreichischen Religionsrechts perpetuiert bzw unter gewissen Aspekten durch die Ausgestaltung des neu eingefügten § 11a sogar neue Problemstellungen geschaffen.

Besonders ist auch zu betonen, dass von diesen die Religionsfreiheit verletzenden Bestimmungen des österreichischen Religionsrechts ausschließlich Minderheiten betroffen sind. Nach Auskunft der durch diesen Gesetzesentwurf Betroffenen sind sie in den Meinungsbildungsprozess überhaupt nicht eingebunden gewesen. Diese Vorgangsweise widerspricht nicht nur im Allgemeinen einer guten legistischen Tradition in einem demokratischen Rechtsstaat, sondern ist insbesondere im Bereich des Religionsrechts eine äußerst ungewöhnliche Vorgangsweise.

Im Hinblick darauf, dass die Voraussetzungen zur Erlangung eines spezifischen Rechtsstatus für Religionsgemeinschaften nicht isoliert von den damit verbundenen Rechtsfolgen gesehen werden dürfen, ist auch auf die vielfältigen, in einzelnen Materiengesetzen enthaltenen und sachlich nicht zu rechtfertigenden Differenzierungen zwischen den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften einerseits und den religiösen Bekenntnisgemeinschaften andererseits zu verweisen.

Zusammenfassend sei vorweggenommen, dass dieser Entwurf die Reihe der missglückten legistischen Vorhaben fortsetzt und das österreichische Religionsrecht immer deutlicher von der internationalen Entwicklung dieses Rechtsgebietes abkoppelt.

Ungeachtet dessen, dass es sich beim vorliegenden Entwurf insgesamt betrachtet schlicht um den untauglichen Versuch einer „Minimalkorrektur“ handelt, sei im Folgenden auf die Problematik der einzelnen Punkte des Entwurfs eingegangen.

Davor sei noch festgehalten, dass auch die bereits anlässlich des Entwurfes zum BekGG 1998 angesprochene Problematik der defizienten Regelung des rechtlichen Status von Weltanschauungsgemeinschaften nicht aufgegriffen wird, obwohl diese durch aktuelle Entwicklungen durchaus an Schärfe gewonnen hat und in der Praxis durch betroffene Gruppierungen auch geltend gemacht wird. In diesem Zusammenhang sei auf die sich im letzten Dezennium herausgebildete, nunmehr als ständig zu bezeichnende Judikatur des EGMR verwiesen, wonach die Gewährleistung der „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“, wie sie in Art 9 EMRK verankert ist, auch „ein wertvolles Gut für Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und Gleichgültige darstellt“.

 

II. Zum Gesetzesentwurf im Einzelnen

 

ad 1.: Hemmung der Frist (§ 2 Abs 1)

Die Länge der Frist wurde bereits in den Stellungnahmen zum BekGG  1998 kritisiert und von Heinz Mayer als leichtfertiges Beiseiteschieben elementarer Grundsätze des Rechtsstaates bezeichnet (Mayer, Rechtsgutachten zur Regierungsvorlage für ein Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften, abrufbar: http://www.jehovas-zeugen.at/fileadmin/user_upload/02-Anerkennung/Anerkennung-link-file/19971121). Eine derartig lange Frist konnte man bestenfalls im Hinblick darauf rechtfertigen, dass sowohl die „Identifizierung“ als Religion als auch die Überprüfung des allfälligen Vorliegens von Untersagungsgründen entsprechende Recherchen erfordern. Dass diese Frist jetzt auch noch in rechtsstaatlich bedenklicher Unbestimmtheit zur Sicherung der entsprechenden Aufgaben gehemmt werden könnte, ist des Schlechten zuviel. Ob damit in Zukunft jener „sorgsame Umgang der Behörden mit den Bewerbern sichergestellt“ werden könnte, den ein Sprecher des Ministeriums laut APA-Meldung vom 21. 5. 2011 als Motiv herausgestellt hat, ist daher mehr als zweifelhaft. Überdies sollte die Kultusbehörde nicht übersehen, dass sie oberste Verwaltungsbehörde ist und daher der Verweis auf § 73 AVG verfehlt ist.

 

Ad 2 bis 4.: Zugänglichmachung auf der Homepage (§ 2 Abs 2, § 5 Abs 2, § 9 Abs 3)

Es ist zu begrüßen, dass die öffentliche Zugänglichmachung des Einlangens von Anträgen, der Kundmachung der Eintragung und der Aberkennung der Rechtspersönlichkeit nunmehr auf einer im Rahmen des Bundesministeriums für den Bereich „Kultusamt“ einzurichtenden Homepage geschieht. Ob dies allerdings die Kundmachung im Amtsblatt der Wiener Zeitung zu Gänze ersetzen sollte, ist zu hinterfragen.

 

Ad 5. Notwendige Neufassung des § 11 durch VfGHErk 25. 9. 2010, G 58/10 und G 59/10 

 

a) Umnummerierung der Ziffern

Zunächst ist zu hinterfragen, warum die Anzahl der Ziffern gegenüber der Ursprungsfassung um eine reduziert wurde, obwohl wie bisher der Sache nach dieselben fünf Voraussetzungskriterien angesprochen sind. Diese Reduktion erfolgte durch die Hereinnahme der geforderten Mitgliederzahl (bisher Z 2) in die Regelung der erforderlichen Bestandsdauer als Bekenntnisgemeinschaft nach diesem Bundesgesetz bzw der erforderlichen organisatorischen und lehrmäßigen Eingliederung in eine international tätige Religionsgemeinschaft (Z 1).

Durch diese unerklärliche Veränderung wurde das klassische logische Problem eines Kombinierens von „oder“- und „und“-Verknüpfungen provoziert. Gemeint ist im vorliegenden Vorschlag zwar offenbar, dass die Voraussetzung in lit d) jeweils kumulativ mit den alternativen Voraussetzungen in den lit a) bis c) gegeben sein muss. Da aber ein Grund für das völlig überflüssige Produzieren einer logischen Unklarheit nicht erkennbar ist, wäre dringend anzuraten, die Ziffern 1 bis 5 wie bisher den einzelnen Anerkennungsvoraussetzungen zuzuordnen und auf die unsinnige Zusammenfassung von zwei Voraussetzungen in einer Ziffer zu verzichten.

 

b) Regelung der „Wartefrist“ in § 11 Z 1 lit a) bis lit c)

Zunächst einmal ist zu betonen, dass es sich um eine im internationalen Vergleich überflüssig komplizierte Regelung handelt. Die verschiedenen Verknüpfungen von zeitlichen Bestandsvoraussetzungen bringen letztlich nur Scheinverbesserungen. Abgesehen davon, dass im Hinblick auf die für Anerkennungswerber weiterhin geforderte Mitgliederzahl diese Bestandsdauerregelungen für die Betroffenen sowieso nur abstrakte Spielereien darstellen, schafft die Neufassung darüber hinaus weitere Unklarheiten und geht auch an der Realität streckenweise völlig vorbei. So ist etwa eine religiöse Gruppierung kaum vorstellbar, die „organisatorisch und in der Lehre in eine international tätige Religionsgesellschaft eingebunden“ ist, seit zumindest 200 Jahren besteht und in Österreich bislang nicht organisiert war, aber über eine Anzahl vom mindestens 2 vT der Bevölkerung verfügt.

 

c) Mitgliederzahl (§ 11 Z 1 lit d)

Äußerst bedauerlich ist, dass der Entwurf weiterhin an der prohibitiv hohen Mitgliederzahl festhält und damit nicht die geringste Bereitschaft erkennen lässt, sowohl aus den sehr grundsätzlichen diesbezüglichen Erwägungen in den beiden EGMR-Urteilen – 31. 7. 2008, Appl 40825/98 (Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas ua vs Österreich) sowie 26. 2. 2009, Appl 76581/01 (Verein der Freunde der Christengemeinschaft ua vs Österreich) – als auch aus der in der Lehre vorgebrachten vielfältigen Kritik (vgl oben I.) Konsequenzen zu ziehen. Wie bereits oftmals betont, stellt die realistischer Weise nicht zu erreichende Mitgliederzahl umso mehr eine Konventionswidrigkeit dar, wenn nach Auffassung des EGMR bereits die zehnjährige Wartefrist gegen die Verpflichtung des Staates verstößt, eine „fair opportunity“ zur Erreichung dieses Rechtsstatus einzuräumen. Impliziert diese Zahl doch für nahezu sämtliche Bekenntnisgemeinschaften von vornherein eine negative Erledigung und damit „ad infinitum“ einen Ausschluss von zahlreichen „substantive privileges“, wohingegen die „Wartefrist“ lediglich – wenngleich gravierend genug – eine Verzögerung der Entscheidung über den Anerkennungsantrag zur Folge hat. Mit der in Rede stehenden gesetzlichen Regelung wird somit die Zweistufigkeit des Konzepts ad absurdum geführt – die zweite Stufe kann nie erreicht werden.

Auch die Diskrepanz zur Mitgliederzahl der bisher gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ist erheblich. Lediglich fünf der insgesamt zwölf  bzw vierzehn (wenn die drei orientalisch-orthodoxen Kirchen einzeln gezählt werden) anerkannten Religionsgemeinschaften erfüllen diese Voraussetzung, die anderen weisen wesentlich weniger Mitglieder auf.

Ebenso bestätigt ein internationaler Vergleich diesen Befund. Hingewiesen sei insbesondere auf die Rechtslage in Deutschland, wo die Praxis in den deutschen Bundesländern die „Gewähr der Dauer“ im Allgemeinen bei einer Anhängerzahl von 1 Promille der Bevölkerung eines Landes sowie bei kontinuierlichen religiösen Aktivitäten der Glaubensgemeinschaft unabhängig von einer Organisationsform durch etwa dreißig Jahre annimmt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um strikt einzuhaltende Vorgaben, diese dienen im Rahmen der Gesamtbeurteilung vielmehr als Orientierungshilfe.

Auch dies macht deutlich, dass eine schematische Vorgangsweise, wie sie im BekGG vorgesehen ist, keinesfalls sachgerecht sein kann, es bedarf vielmehr einer auf den jeweiligen Einzelfall abstellenden flexiblen Gesamtbeurteilung.

 

Im Kontext der erforderlichen Mitgliederzahl wird insbesondere die Erteilung des Religionsunterrichts als die mit der Anerkennung verbundene umfassendste Pflicht bezeichnet. Auf die zu diesem Zweck in den Erläuterungen völlig sachfremd herangezogenen Berechnungsmethoden für Lehrerplanstellen sei nicht weiter eingegangen. Das Konzept einer auf den Religionsunterricht reduzierten Funktion der gesetzlichen Anerkennung von Kirchen und Religionsgesellschaften bedarf aber unter verschiedenen Gesichtspunkten differenzierender Erörterungen.

In § 5 AnerkennungsG 1874 wird indirekt davon ausgegangen, dass die Erteilung eines geregelten Religionsunterrichts eine Anerkennungsvoraussetzung darstellt, indem die Anerkennungswerberin gemäß dieser Bestimmung den Nachweis hinreichender Mittel ua auch für den Religionsunterricht zu erbringen hat. Eine Voraussetzung, die zwar nunmehr im Hinblick auf die grundsätzliche staatliche Finanzierung des Religionsunterrichts weitgehend obsolet geworden ist, aus der jedoch eine Pflicht zur Erteilung des Religionsunterrichts abzuleiten wäre. Sofern diese Frage in der weiteren Folge überhaupt thematisiert wurde, ging man dem gegenüber allerdings davon aus, dass es sich bei der Besorgung des Religionsunterrichts in der Schule um ein in die freie Entschließung der Religionsgemeinschaft gestelltes Recht handelt, von dem sie entsprechend ihrem Selbstverständnis Gebrauch machen könne oder auch nicht.

Dies ist aus heutiger Sicht durchaus zu hinterfragen. Wenngleich festzuhalten ist, dass grundrechtlichen Gewährleistungen der Angebotscharakter grundsätzlich immanent ist, so geht es in unserem Kontext doch auch und primär um die religiösen Interessen der Schüler und Schülerinnen sowie deren Eltern, denen gegenüber der Staat seine grundrechtlichen Gewährleistungspflichten wahrnimmt. Zum anderen steht diese Frage auch im Zusammenhang mit einer notwendigen Neubestimmung der öffentlich-rechtlichen Stellung, die durch die Schaffung der religiösen Bekenntnisgemeinschaften an Brisanz gewonnen hat. Die expressis verbis als zusätzliche Anerkennungsvoraussetzung geforderte „positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat“ wird dann auch in einer Bereitschaft zu einem positiven Dialog, zur Unterstützung des Staates bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben seinen Niederschlag zu finden haben. Anderenfalls würde die öffentlich-rechtliche Stellung ausgehöhlt und sinnentleert werden. In diesem Sinn wäre in einem so wichtigen Bereich wie den Lebenszusammenhängen Erziehung – Schule – Bildung ein gewisses Maß an Kooperationsbereitschaft einzufordern. Aus solchen Überlegungen resultiert dann wohl, verstärkt durch die staatliche Schutzpflicht gegenüber den Schülern und ihren Eltern, eine grundsätzliche Verpflichtung von Seiten der Religionsgemeinschaften zur Erteilung des Religionsunterrichts. Eine solche stellt gewissermaßen eine „legitime Verfassungserwartung“ des Staates an die Religionsgemeinschaften dar.

Dieser Auffassung scheint die Behörde jedoch im Jahre 2009 (noch) nicht gewesen zu sein, wenn es in den Erläuterungen zur Verordnung betreffend die Anerkennung von Jehovas Zeugen ausdrücklich heißt: „Kosten für den Religionsunterricht sind nicht zu erwarten, da nach den in § 18 der mit dem Antrag auf Anerkennung vorgelegten Verfassung Erteilung des Religionsunterrichts zunächst grundsätzlich in den Aufgabenbereich der Eltern und Erziehungsberechtigten fällt“. Weiters wird darauf hingewiesen, dass der staatliche Religionsunterricht nicht abgelehnt wird, im Hinblick auf den mit der Durchführung verbundenen Organisationsaufwand und die erforderlichen Schülerzahlen realistischerweise nicht damit zu rechnen ist, dass ein solcher in den nächsten Jahren geführt werden wird. Dabei ging die Behörde bei Jehovas Zeugen von einer Anhängerzahl von 23.206 nach der letzten Volkszählung aus.

In Parenthese sei angemerkt, dass auch der Gesetzgeber des Jahres 2003 bei Erlassung des Gesetzes betreffend die Orientalisch-orthodoxen Kirchen diesbezüglich eine andere Auffassung vertreten hat. Gemäß der Volkszählung 2001 wiesen sowohl die Armenisch-apostolische Kirche (1.824) und die Syrisch-orthodoxe Kirche (1.589) als auch die Koptisch-orthodoxe Kirche (1.633) weniger als 2000 Mitglieder auf.

Der VfGH spricht in seinem Erkenntnis vom 16. 12. 2009, B 516/09, davon, dass die Religionsgemeinschaften „das Recht und die Aufgabe“ haben, gemäß § 2 Abs 1 RelUG den Religionsunterricht zu besorgen (2.1.). Nicht nachvollziehbar ist jedoch, wenn eine Verbindung zwischen dem zu fordernden „dauerhaften Bestand“ und hinreichenden finanziellen Mitteln einer Religionsgemeinschaft für die Sicherstellung eines geregelten Religionsunterrichts hergestellt wird, da im Hinblick auf die staatliche Finanzierung des Religionsunterrichts (§ 7 RelUG) diesbezüglich für die Religionsgemeinschaften keine Kosten anfallen (bzw geringe Kosten, wenn bei kleineren Religionsgemeinschaften der Religionsunterricht außerhalb der Schule abgehalten wird). Dies ist umso bemerkenswerter, als die Baptistengemeinden der Behörde gegenüber ausdrücklich erklärt haben, dass sie – so wie dies die Evangelisch-Methodistische Kirche bereits handhabt – den Religionsunterricht gemeinsam mit der Evangelischen Kirche veranstalten würden.

Die Aufgabe bzw Pflicht zur Besorgung des Religionsunterrichts wird allerdings auch dann erfüllt, wenn dieser mangels erforderlicher Schülerzahl bzw Zustandekommens von Religionsunterrichtsgruppen im Sinn von § 7a RelUG von der betreffenden Kirche bzw Religionsgesellschaft außerhalb des schulischen Unterrichts erfolgt, wofür sie dann den Lehrpersonalaufwand zu tragen hat. Einige der anerkannten Religionsgemeinschaften besorgen den Religionsunterricht derzeit in dieser Form, einschließlich einer Benotung im Zeugnis der betroffenen Schüler und Schülerinnen.

Wollte man der Argumentation in den EB folgen, wären Religionsgemeinschaften, die weniger als 16.000 Mitglieder aufweisen, grundsätzlich nicht in der Lage, die mit der gesetzlichen Anerkennung verbundene „umfassendste Pflicht“ – nämlich die Erteilung des Religionsunterrichts – zu erfüllen.

Noch unverständlicher ist es, wenn diese Rechenspielereien über Schüler- und Lehrerzahlen auch auf das Privatschulwesen ausgedehnt werden. Die Privatschulfreiheit ist gemäß Art 17 Abs 2 StGG verfassungsrechtlich garantiert, das Führen von Privatschulen jedoch keinesfalls eine mit der gesetzlichen Anerkennung verbundene Pflicht. Darüber hinaus ist es dem Träger einer konfessionellen Privatschule überlassen, auch Schüler und Schülerinnen anderer Konfessionen oder ohne Konfession aufzunehmen und sich auch entsprechende Lehrer gemäß § 20 PrivSchG zuweisen zu lassen. Dass die Führung einer Privatschule auch durch Religionsgemeinschaften mit einer wesentlich geringeren Mitgliederzahl bestens funktionieren kann, wird von der Bekenntnisgemeinschaft „Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten“ unter Beweis gestellt, die seit langem eine Schule in Bogenhofen mit verschiedenen Schultypen betreibt.  Laut Volkszählung 2001 bekennen sich 4.220 Einwohner zur Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten. An dieser Stelle sei auch festgehalten, dass – wie ebenfalls mehrfach betont – die Regelung des § 21 PrivSchG, wonach nur gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften einen Rechtsanspruch auf Subventionierung haben, einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz sowie das Diskriminierungsverbot gemäß Art 14 iVm Art 9 EMRK darstellt.

 

Ad 6. Einfügung von § 11a – Aufhebung der Anerkennung

Durch den neu eingefügten § 11a soll die Frage einer Aufhebung der Anerkennung, die auch im Schrifttum angesprochen wird, einer gesetzlichen Regelung zugeführt werden. Im Prinzip wäre eine derartige gesetzliche Regelung unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit und Bestimmtheit und damit im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich zu begrüßen. Sie könnte aber nur in einem größeren Reformkontext erfolgen, der eine grundsätzliche Neugestaltung des österreichischen Anerkennungsrechts umfassen müsste. Der folgende Entwurf ist für die Klärung dieser Frage auf Grund einer Reihe von verfassungsrechtlichen Bedenken weitestgehend ungeeignet.

Vorweg stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung der potenziellen Ungleichbehandlung von gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, je nach dem, auf welcher Rechtsgrundlage die Anerkennung beruht. Der vorliegende Entwurf bezieht sich lediglich auf Kirchen und Religionsgesellschaften, die nach dem Anerkennungsgesetz anerkannt wurden, und nicht auf solche, die als „historisch anerkannt“ gelten bzw nach dem Inkrafttreten des Anerkennungsgesetzes 1874 durch ein eigenes Gesetz anerkannt wurden. In den zuletzt genannten Fällen handelt es sich im Wesentlichen um die „traditionellen“ Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich. Die allgemeine Entwicklung des europäischen Religionsrechts geht nun dahin, die Privilegien dieser Religionsgemeinschaften aufzuheben bzw zumindest in Grenzen zu halten. Österreich ginge mit dieser Bestimmung den entgegengesetzten Weg. Die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften würden im Falle einer Aufhebung der Anerkennung einem unterschiedlichen Regime unterworfen sein. Die im Entwurf enthaltene Bevorzugung der traditionellen Religionsgemeinschaften, deren äußere Rechtsverhältnisse durch eigene gesetzliche Regelungen umschrieben sind, gegenüber den anderen gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften wäre aus grund- bzw gleichheitsrechtlichen Überlegungen nicht zu rechtfertigen.

 

Was die Voraussetzungen für die Aufhebung der Anerkennung im Einzelnen betrifft, so ist nicht klar, welche „maßgeblichen Voraussetzungen“ in Z 1 angesprochen  sind (richtig muss es dort heißen: § 11 Ziffer 2 bis 4 statt Abs 2 bis 4); nämlich ob mit dem impliziten Verweis auf „andere Voraussetzungen“ die allgemeinen in §§ 1 und 2 Anerkennungsgesetz genannten Voraussetzungen gemeint sind oder in § 11a nicht ausdrücklich aufgenommene, in § 11 enthaltene Voraussetzungen, von denen aber nur Z 1 lit d) – also die Mitgliederzahl – in Betracht kommen kann. Vor diesem Hintergrund ist als Minimalkorrektur jedenfalls „insbesondere“ in Z 1 ersatzlos zu streichen.

Im nunmehrigen § 11 Z 2 bis 4 (ex Abs 1 Z 3 bis 5) werden komplexe Themenbereiche angesprochen, die bereits bei Verleihung der Anerkennung zahlreiche Fragestellungen aufwerfen. Diese erfahren jedoch im Zusammenhang mit einem solch massiven Eingriff in Rechtspositionen, wie dies eine Aufhebung der Anerkennung darstellt, noch eine Verschärfung.

Es sei hier auch auf die umfangreiche aktuelle Diskussion in Deutschland verwiesen, wie sie im letzten Dezennium deutlich verstärkt unter den Schlagworten „Rechtstreue“ und „Staatsloyalität“ geführt wird.    

In Bezug auf die in Z 4 angesprochene staatliche Ingerenz bei statutenwidrigem Verhalten sei weiters betont, dass sich die Kultusbehörde diesbezüglich auch in Zukunft einer entsprechenden Zurückhaltung wird befleißigen müssen. Es ist daran zu erinnern, dass gemäß höchstgerichtlicher Rechtsprechung etwa die Bestellung der leitenden Organe einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft innere Angelegenheit ist und die staatliche Kultusverwaltung diesbezüglich keine Kompetenz besitzt. Da diese Organe aber auch für den äußeren, staatlichen Rechtsbereich vertretungsbefugt sind, kommt der staatlichen Kultusverwaltung durch Kenntnisnahme bzw Nichtkenntnisnahme solcher Wahlen eine beschränkte Ingerenz zu. Die staatliche Behörde hat sich dabei von der Verfassung der betreffenden gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft leiten zu lassen. Wenn daher ein Wahlvorgang unter grober Missachtung (!) der Bestimmungen der Verfassung der Religionsgemeinschaft erfolgt ist, dürfen die auf diese Weise gewählten Personen nicht für den staatlichen Bereich zur Kenntnis genommen werden (vgl VfGH 10. 12. 1987, Slg 11574). Bei statutenwidrigem Verhalten generell eine Aufforderung zur Abstellung durch die Kultusbehörde und in der Folge die Sanktion der Aufhebung der Anerkennung vorzusehen, stellt jedoch einen Eingriff in die Religionsfreiheit dar und erinnert an eine Rückkehr zu staatskirchenhoheitlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts.

Überhaupt rätselhaft erscheint die Ziffer 5. Es stellt sich die Frage, was unter den „mit der Anerkennung verbundenen Pflichten“ verstanden wird. Man wird wohl davon ausgehen dürfen, dass damit über die bereits genannten Pflichten hinausgehende angesprochen sein sollen. Eine solche Regelung ist in ihrer Unbestimmtheit und mangelnden Voraussehbarkeit schlicht als verfassungswidrig einzustufen.

Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, insbesondere solchen des Rechtsschutzes, äußerst bedenklich ist auch die Regelung in § 11a Abs 2. Diese soll offenbar als contrarius actus zur „Bescheid-Einbauthese“ gedacht sein. Es macht jedoch wenig Sinn, der Aufhebungsverordnung, die nicht anfechtbar ist, einen Feststellungsbescheid über die Gründe der Aberkennung nachfolgen zu lassen, welcher der Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegt und daher gegebenenfalls auch aufgehoben werden kann – was wohl die „Rücknahme“ der Aufhebungsverordnung zur Folge haben müsste.

Offenbar nicht mit bedacht wurden auch die Konsequenzen der mit der Aufhebung der Anerkennung verbundenen Beendigung der Rechtspersönlichkeit, einschließlich der Liquidation, da diese völlig ausgeblendet bleiben. 

 

In seiner Gesamtheit vermittelt dieser Gesetzesentwurf den Eindruck, die österreichische Gesetzgebung wolle insbesondere mit der Auflistung der Gründe für eine Aufhebung der Anerkennung, welche eine intensive anachronistische Kontrolle der Religionsgemeinschaften voraussetzt, im Sinne einer Rückkehr zum System der Staatskirchenhoheit des 19. Jahrhunderts das Rad der Geschichte weiter ein Stück zurückdrehen.

 

 

Richard Potz                                                                           Brigitte Schinkele