An den

Hauptverband der österreichischen

Sozialversicherungsträger

Kundmanngasse 21

1030 Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Zl. 12-REP-43.00/11

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08.11.2011

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HGD-862/11

HGR-1144/11 ST 8.3

Mag. Kummer ( 463

* Christoph.Kummer@auva.at

 

Datum

21. November 2011

Betrifft:

Begutachtung Freiwilligengesetz (FWG)      

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) erlaubt sich wie folgt Stellung zu nehmen:

 

I. Melde-,Versicherungs-, Beitragsrecht

 

Zu Art 1 Abschnitt 2 § 8 Abs 4 Z 3 und 5 (SV-Meldepflicht/Taschengeld) iVm Artikeln 3 bis 5 (Änderung des ASVG, des GSVG und des BSVG).

 

Aus § 8 Abs 4 Z 3 und 5 des Entwurfs zum Freiwilligengesetz und den dazu ergangenen Erläuterungen geht hervor, dass ein sozialversicherungsrechtlich nicht beachtliches Taschengeld in der Höhe bis zur Geringfügigkeitsgrenze ausbezahlt werden kann. Dies führt ausdrücklich nicht zu einer geringfügigen Beschäftigung, sondern zu einem neuen, eigens in Berücksichtigung (und Belohnung) des sozialen Engagements ins Gesetz aufgenommenen Vollversicherungstatbestand. Begründet wird die Bezugnahme auf die Geringfügigkeitsgrenze damit, dass bis zu dieser Grenze vom Gesetzgeber von der Fiktion ausgegangen wird, dass der Zweck des freiwilligen Engagements Vorrang vor dem Erwerbszweck bzw dem Zweck einer Einkommenserzielung habe.

 

Unklar könnte der Fall erscheinen, wie die sozialversicherungsrechtliche Einordnung zu erfolgen hat, wenn das „Taschengeld" die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet (die Frage lautet: Dienstnehmer oder nach wie vor „Freiwilliger" nach § 4 Abs 1 Z 11 ASVG?). Gemäß den Erläuterungen zu den Artikeln 3 bis 5 (Seite 11) des Entwurfs ist es bzgl. der Beitragsgrundlage irrelevant, ob Taschengeld und allfällige Sachbezüge insgesamt höher oder niedriger als die „fixe" Beitragsgrundlage gem § 44 Abs 1 Z 8a (neu) ASVG sind. Der eben zitierte Text der Erläuterungen spricht dafür, auch die mit höherem Taschengeld und Sachaufwendungen versehenen Freiwilligen nach wie vor als Teilnehmer des Freiwilligen Sozialjahres gem § 4 Abs 1 Z 11 (neu) ASVG zu sehen.

 

Eigentlich widerspricht das aber dem oben zu § 8 Abs 4 Z 3 und 5 dargelegten Ziel, hier keine Bevorzugung von Freiwilligen zu schaffen, deren „Einkommen" nach Meinung des Gesetzgebers, folgt man seinen Ausführungen in den Erläuterungen, in Summe dann doch einem Erwerbseinkommen oder einem Erwerbszweck gleich kommt . Geht man von der Fiktion des Gesetzgebers aus, dass ab Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze der Vorrang des freiwilligen Engagements vor dem Erwerbszweck etc. verloren geht, hat man mit eben genannter Begründung auch gleich ein Argument dafür geschaffen, bzgl. der geplanten gesetzlichen Regelungen eine sachlich nicht gerechtfertigte Bevorzugung der Freiwilligen zu sehen.

 

Ein Beispiel:

 

Ein Freiwilliger erreicht mit Taschengeld und Sachaufwendungen ein Einkommen in der Höhe von € 500,-. Ein Arbeiter erreicht ebenfalls ein Einkommen in der Höhe von € 500,-. Beim Freiwilligen wird als Beitragsgrundlage nur der Betrag von € 374,02 herangezogen, beim Arbeiter der volle Betrag. Der Freiwillige kann eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung in Bezug auf seine niedrige Beitragsgrundlage sehen, da sich die Nichtberücksichtigung seines tatsächlich höheren Einkommens möglicherweise negativ auf seine spätere Pension oder im Falle eines Arbeitsunfalls (und hier sogar mit Sicherheit) negativ auf seine Rente auswirkt, weil ja die Bemessungsgrundlage von der Beitragsgrundlage ausgeht. Der Arbeiter könnte, ausgehend von seiner Interessenslage, dass ihm von dem wenigen Geld möglichst viel übrigbleibt, zur Auffassung gelangen, dass, wenn ein anderer seine Sozialversicherungsbeiträge bei gleichem Einkommen von einer niedrigeren Beitragsgrundlage ausgehend vorgeschrieben bekommt, sein Recht auf Gleichbehandlung verletzt wird.

 

Für beide liefern Gesetz und Erläuterungen die Begründungen.

 

Beim einzigen tatsächlich relevanten Beispiel, der Benachteiligung bei der Bildung der Bemessungsgrundlage nach einem Arbeitsunfall, kann im nachhinein auch keine Erhöhung der Bemessungsgrundlage durch Berücksichtigung der Sachaufwendungen erreicht werden, da eine ordentliche Dokumentation derselben wohl kaum vorhanden sein wird.

 

II. Arbeitnehmerschutzrecht

 

Als gesetzlichem Unfallversicherungsträger obliegen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt insbesondere die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie Maßnahmen der Vorsorge betreffend Gesundheitsschutz und der Sicherheit bei der Arbeit. Da TeilnehmerInnen des Freiwilligen Sozialjahres in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen sein sollen, hätte die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt bei mangelnder Beachtung des tätigkeitsbezogenen Gesundheitsschutzes und der Sicherheit dieser Personen Sach- und Geldleistungen zu erbringen.

Die grundsätzlichen Ziele und Absichten des Vorhabens werden befürwortet, im Entwurf sind jedoch mehrere Nachbesserungen unbedingt erforderlich. Die AUVA nimmt zum Entwurf daher wie folgt Stellung.

 

Zum Abschnitt 1 – Allgemeine Bestimmungen zur Freiwilligentätigkeit

Das geplante Gesetz soll die Rahmenbedingungen für formelle freiwillige Tätigkeiten im Interesse der Allgemeinheit mit der Zielsetzung regeln, solche Tätigkeiten zu unterstützen und die Teilnahme zu fördern.

Freiwillige Arbeit soll – wie „normale“ Arbeit auch – so erfolgen und durchgeführt werden, dass die Sicherheit der Arbeitenden nicht gefährdet und ihre Gesundheit nicht beeinträchtigt wird. Dies wird im Zusammenhang mit „normaler“ Arbeit unter dem Begriff „Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (ArbeitnehmerInnenschutz)“ zusammengefasst.

Körperverletzungen und Gesundheitsschäden, die im Rahmen von Freiwilligen-Tätigkeit erfolgen, fallen der gesetzlichen Sozialversicherung im Wesentlichen ebenso zu Last wie Arbeitsunfälle und durch „normale“ Arbeit verursachte Krankheiten.
Nicht zuletzt auch aus diesem Grunde muss es ein hochrangiges Ziel sein, im Rahmen der Freiwilligentätigkeit und der Förderung derselben auch auf die sichere und Gesundheits-schützende Durchführung dieser Arbeit hinzuwirken.

Freiwillige im Sinne des 1. Abschnitts befinden sich in aller Regel nicht in einem Ausbildungsverhältnis, sodass für sie weder das ASchG noch das KJBG Anwendung finden.

Für viele Bereiche der formellen Freiwilligen-Tätigkeit gibt es eine „gute Praxis“ und Regeln, um die Tätigkeit sicher und ohne Gefährdung der eigenen Gesundheit durchzuführen. In großen Organisationen führen Freiwillige und ArbeitnehmerInnen dieselben Tätigkeiten aus oder arbeiten sogar Seite an Seite (zB Rotes Kreuz, Samariterbund, Johanniter, Bergrettung, sowie andere Not- und Einsatzorganisationen). In den Fällen, in denen ArbeitnehmerInnen und Freiwillige gleiche Tätigkeiten ausführen, ist zu fordern, dass beide Gruppen gleich geschützt sind, dh die zutreffenden ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen auch für Freiwillige eingehalten werden sollten.

In Organisationen, die ausschließlich von Freiwilligen getragen sind, bestehen zumindest Regeln, Sicherheitsleitlinien und Arbeitsanleitungen, um das Eintreten von Körper- und Gesundheitsschäden zu vermeiden. Der Vermittlung dieser Regeln an die Freiwilligen und deren Einhaltung ist ein wichtiges Element auch in Hinblick auf den Sektor der informellen Freiwilligenarbeit (zB Nachbarschaftshilfe) sowie auf die „normale“ Arbeitswelt, in welcher bekanntlich ebenfalls noch Sicherheitsmängel festzustellen sind. Da der Mensch und sein Gefährdungsbewusstsein eine Einheit darstellen, ist eine gesamtheitliche, kohärente Betrachtung unverzichtbar.

 

In einem ersten Schritt soll die Förderbarkeit von Freiwilligenorganisationen davon abhängig gemacht werden, dass die verpflichtende Information nach § 3 Abs 3 des Entwurfs auch die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Freiwilligentätigkeit zu umfassen hat.

§ 3 Abs 3 soll daher in folgender Weise erweitert werden:

(3)  Freiwilligenorganisationen können nur dann nach § 2 gefördert werden, wenn sie ihre Freiwilligen nachweislich über die Rahmenbedingungen für freiwillige Tätigkeiten aufklären, und zwar insbesondere über: Aufnahmemodus, Tätigkeitsfelder, Ansprechperson, zum Zweck von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Freiwilligentätigkeit bestehende Regeln, Aus- und Fortbildung, Mitsprachemöglichkeiten, Tätigkeitsnachweis, Aufwandsentschädigung sowie Versicherung.

 

Erforderliche Umsetzung einer EU-Richtlinie

Das geplante FreiwilligenG soll unbedingt genutzt werden, um der anstehenden Umsetzung der EU-Richtlinie 2010/32 zur Durchführung der von HOSPEEM und EGÖD geschlossenen Rahmenvereinbarung zur Vermeidung von Verletzungen durch scharfe/spitze Instrumente im Krankenhaus- und Gesundheitssektor (ABl Nr L 134 vom 1.6.2010, S. 66–72) hinsichtlich der freiwillig Tätigen die erforderliche gesetzliche Grundlage zu geben.

Die umzusetzende RL betrifft den Schutz von Personen im Gesundheitssektor vor Verletzungen durch scharfe/spitze Instrumente (zB Injektionsnadeln) und stellt auf die Einführung und Verwendung sicherer Nadelsysteme, guter Unterweisung und Arbeitsorganisation sowie sicherer Entsorgung scharfer/spitzer medizinischer Gegenstände ab. Weiters verpflichtet die RL dazu, den MitarbeiterInnen verfügbare Schutzimpfungen kostenfrei anzubieten und für eine regelhaft organisierte Postexpositionsprophylaxe Vorsorge zu treffen, was nach einer Stichverletzung zB mit einer möglicherweise HIV-infizierten Nadel größte Bedeutung hat.

Gemäß der RL gilt diese für alle ArbeitnehmerInnen im Krankenhaus- und Gesundheitssektor sowie für alle Personen, die unter der Weisungsbefugnis und der Aufsicht des Arbeitgebers stehen (§ 2). Als „ArbeitnehmerInnen“ definiert die RL alle Personen, die von einem Arbeitgeber im entsprechenden Tätigkeitsbereich beschäftigt werden (§ 3 Abs 1).

Als „ArbeitgeberInnen“ bezeichnet die RL alle Organisationen und Personen, „die ArbeitnehmerInnen beschäftigen“ und die für die Organisation und Erbringung der Tätigkeiten verantwortlich sind (Paragraf 3 Abs 3). Die Ziele und Zwecke der RL erfordern eine breite Auslegung des Begriffsmerkmals der „Beschäftigung von ArbeitnehmerInnen“. Dies ergibt sich aus Paragraf 2; nach diesem gilt in ihrem sachlichen Geltungsbereich die RL für alle ArbeitnehmerInnen sowie für alle (sonstigen) Personen in der Weisungssphäre des Arbeitsgebers, dh des Organisators der Erbringung der Tätigkeiten.

Die Erstreckung des Anwendungsbereichs auf alle Personen in der Weisungssphäre des für die Tätigkeiten Verantwortlichen wäre sinnlos, wenn das Ziel der RL darin bestünde, den Anwendungsbereich der RL allein auf ArbeitnehmerInnen einzuschränken. Die RL ist somit auch für Freiwillige im sachlichen Geltungsbereich der RL umzusetzen, für die (mangels Ausbildungsverhältnis) das ASchG nicht gilt.

Sobald Ehrenamtliche unter Weisungsbefugnis oder Aufsicht einer Leitung tätig werden, wie dies bei Rettungsorganisationen, Pflegeeinrichtungen, karitativen Institutionen, uU GastärztInnen, etc zwangsläufig der Fall ist, fallen sie gem § 2 der Vereinbarung unter die EU-RL („alle Personen, die unter der Weisungsbefugnis und der Aufsicht der Arbeitgeber stehen“, wobei unter Arbeitgebern gem § 3 alle Organisationen zu verstehen sind, die Personen mit dieser Eigenschaft beschäftigen).

Auch die Erforschung der RL-Ziele führt zum Ergebnis, dass ehrenamtlich Beschäftigte zu schützen sind, wenn sie doch sogar Studierende ausdrücklich einbezieht. Es ist darüber hinaus aus Gründen des sozialen und gesundheitlichen Schutzes erforderlich, für freiwillig in einer Rettungs- oder Gesundheitsinstitution tätige Personen dasselbe Schutzniveau zu gewährleisten wie für ArbeitnehmerInnen.

Das BMASK hat zur Umsetzung der genannten EU-RL im Geltungsbereich des ASchG kürzlich einen Verordnungsentwurf für eine „Nadelstichverordnung“ in Begutachtung gegeben (http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Begut/BEGUT_COO_2026_100_2_ 698070/BEGUT_COO_2026_100_2_698070.pdf). Eine Stellungnahme der AUVA vom 28.9.2011 (Zl. HGD 786/11-HGR 973/11) zum Begutachtungsentwurf und zur Umsetzung der RL liegt dem BMASK – Zentral-Arbeitsinspektorat vor.

Es ist zur vollen Erfüllung der EU-Verpflichtungen notwendig, diese auch für die Freiwilligen / Ehrenamtlichen im Gesundheitswesen umzusetzen. Die seitens des ZAI geplante Nadelstichverordnung sollte (der Einfachheit halber) daher auch auf Grund des Freiwilligengesetzes erlassen werden.

Im Übrigen ist keineswegs unwahrscheinlich, dass auch künftige EU-Richtlinien bisweilen einen über ArbeitnehmerInnen und Ausbildungsverhältnisse hinausgehenden persönlichen Geltungsbereich haben werden.

Es wird daher vorgeschlagen, in Abschnitt 1 des Entwurfs folgende allgemeine Verordnungsermächtigung einzufügen:

Zur Erfüllung internationaler Übereinkommen kann der BMASK durch Verordnung Organisationen, die die Tätigkeit von Freiwilligen organisieren, verpflichten, Maßnahmen zur Einhaltung von Bestimmungen zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Freiwilligen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durchzuführen.

Die Regelung muss für alle Organisationen, die die Tätigkeit von Freiwilligen organisieren, zutreffen können, und nicht nur für solche, die unter die Förderungswürdigkeit des § 3 des Entwurfs fallen.

 

Zum Abschnitt 2 – Freiwilliges Sozialjahr

Zu den für die TeilnehmerInnen geltenden ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen:

Auf Grund des Charakters des Freiwilligen Sozialjahrs als Ausbildungsverhältnis gelten für die TeilnehmerInnen desselben das ASchG und das KJBG unmittelbar. Zu beachten wäre, dass der Begriff des „gesetzlich geregelten Ausbildungsverhältnisses“ in § 1 Abs 2 KJBG-VO mit dem FreiwilligenG eine neue, nicht beabsichtigte Bedeutung erhält. Es ist jedenfalls damit zu rechnen, dass in den Einsatzstellen Sozialjahr-TeilnehmerInnen gegebenenfalls ab dem 16. Lebensjahr auch im Hausdienst, in der Haustechnik, in der Küche, in der Entsorgung, im Hol- und Bringdienst, in der Gartenbetreuung, im Bereich von starken elektromagnetischen Feldern und Röntgenanlagen, in möglichem Kontakt mit Blut, mit konzentrierten Reinigungs- und Desinfektionsmitteln eingesetzt werden.

Indem das Sozialjahr ein gesetzliches Ausbildungsverhältnis im Sinne der KJBG-VO darstellt, kommt die Durchbrechung des Beschäftigungsverbotes mit gefährlichen Arbeitsstoffen für die 17- oder 16-jährigen Freiwilligen zu Anwendung. Dies bedeutet, dass die Sozialjahr-TeilnehmerInnen trotz ihrer jugendlichen Unerfahrenheit mit krebserzeugenden, erbgutverändernden oder fortpflanzungsgefährdenden Arbeitsstoffen (zB Zytostatika) durch die ihnen aufgetragenen Arbeiten ebenso in Kontakt geraten können wie mit sensibilisierenden, ätzenden oder reizenden Arbeitsstoffen (zB Reinigungskonzentrate, Desinfektionsmittel, Großküchenchemikalien, Gartenchemikalien, etc).

Anders als in einem herkömmlichen Lehrverhältnis wird die ständige Aufsicht (§ 1 Abs 4 KJBG-VO) bei Anordnung gefährdender Tätigkeiten im Betrieb der Einsatzstellen (Pflege- und Betreuungseinrichtungen) kaum oder gar nicht realisiert sein. Angesichts des in diesen Einrichtungen bestehenden Personalengpasses und mangels eines der Lehrausbildung vergleichbaren Ausbildungsplans und -bildes (Ausbildungsvorschriften) muss bei der Gestaltung von Rechtsvorschriften davon ausgegangen werden, dass die TeilnehmerInnen für derartige gefährdende Tätigkeiten nicht bloß in dem Maße herangezogen werden, soweit dies „für die Vermittlung des wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse nach den Ausbildungsvorschriften unbedingt erforderlich“ (§ 1 Abs 3 KJBG-VO) ist.

Die durch die geplante Rechtskonstruktion Platz greifenden Ausnahmen erscheinen bedenklich und werden abgelehnt.

 

Zu den zulässigen Arbeitszeiten:

Einschränkungen hinsichtlich des diesbezüglichen „Risikos von Ausbeutung / Überforderung“ (Erläuterungen, S. 6) bestehen nur in einer Begrenzung der Wochenstunden (§ 7 letzter Satz) und in der Mindest-Arbeitsruhe (§ 14). Nur für Jugendliche und für werdende/stillende Mütter bestehen darüber hinaus Beschränkungen nach KJBG und MSchG.

Eine maximale Tages- oder Schichtarbeitszeit fehlt im Entwurf jedoch. Gerade in den Pflege- und Betreuungseinrichtungen und Krankenanstalten sind auf Grund chronischen Personalmangels überlange Arbeitszeiten geradezu erwartbar. Es kann nicht angehen, dass – weil nur (!) die in den Einrichtungen beschäftigten ArbeitnehmerInnen unter den gesetzlichen Arbeitszeitschutz fallen – derartige Lücken dann mit TeilnehmerInnen des Sozialjahres gefüllt werden.

Eine Bestimmung über die maximale Tagesarbeitszeit soll deshalb in das geplante Gesetz aufgenommen werden.
Diese Bestimmung wäre in § 17 von einer Strafbestimmung zu begleiten.

 

Ebenso ist zu bedenken, dass möglicherweise den TeilnehmerInnen die Ansprüche gemäß Artikel V des Bundesgesetzes, mit dem Maßnahmen zum Ausgleich gesundheitlicher Belastungen für das Krankenpflegepersonal getroffen werden, BGBl Nr 473/1992 idgF, eröffnet werden müssen. Auch bei TeilnehmerInnen des Sozialjahres ist es ohne weiteres vorstellbar, dass diese zur unmittelbaren Betreuungsarbeit für Patienten in der Nacht im Sinne des § 2 des genannten Artikels V herangezogen werden. Auch hier wäre eine Schlechterstellung sachwidrig.

 

Zu § 6 – Zielumschreibung:

Im Sinne der Ausführungen in den Erläuterungen zum Entwurf wird angeregt, den letzten Teilsatz wie folgt zu erweitern:

Ziele des Freiwilligen Sozialjahrs sind … die Stärkung sozialer und interkultureller Kompetenzen und die Förderung des sozialen Engagements der Teilnehmer/innen.

 

Zu § 8 – Pflichten der Träger:

Die jährlich oder halbjährlich wechselnde Beschäftigung von teilweise jugendlichen Auszubildenden bedarf der besonderen Aufmerksamkeit der Arbeitsinspektion. Damit die Arbeitsinspektion diesbezüglich tätig werden kann, muss sie Kenntnis erhalten, in welchen Einrichtungen wie viele Sozialjahr-TeilnehmerInnen eingesetzt werden.

Der Träger des Freiwilligen Sozialjahres soll daher verpflichtet sein, die konkreten Einsatzstellen, an welche er TeilnehmerInnen vermittelt, mit der Zahl der an diese vermittelten TeilnehmerInnen sowie Änderungen in diesen Angaben dem für die Einsatzstelle zuständigen Arbeitsinspektorat mitzuteilen.

 

Zu § 9 – Unabhängigkeit:

Die faktische Unabhängigkeit zwischen Träger des Sozialjahres und Träger der Einsatzstelle ist unter anderem für die Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards eine Voraussetzung. Die Kriterien der faktischen Unabhängigkeit werden deshalb in den Erläuterungen eingehend dargelegt. Dies erscheint als nicht ausreichend.

Vielmehr sollten die näheren Voraussetzungen der faktischen Unabhängigkeit auch im Rechtstext gefordert und umschrieben werden.

 

 

 

Zu § 10 – Informationspflichten:

Der Entwurf lautet:

Die nach § 8 anerkannten Träger haben die Teilnehmer/innen nachweislich über die Rahmenbedingungen des Freiwilligen Sozialjahres aufzuklären und zwar insbesondere über: sozialrechtliche Absicherung und Familienbeihilfe, Tätigkeitsfelder, Ansprechperson und fachliche Anleitung in der Einsatzstelle, pädagogische Betreuung und Begleitung, wesentliche Inhalte der Vereinbarung nach § 12, Tätigkeitsnachweis/Zertifikat, sowie Taschengeld bzw. allfällige Aufwandsentschädigung.

Ein äußerst wesentlicher Punkt bei der Heranführung an die Arbeitswelt, der Berufsorientierung und der Persönlichkeitsentwicklung besteht in der Bewusstmachung der Bedeutung von Sicherheit und Gesundheitsschutz bei allen auszuführenden Arbeiten. Für die materielle Verwirklichung dieser Notwendigkeit ist die Einsatzstelle bzw deren Träger zuständig (Information, Unterweisung, sicherheitstechnische und arbeitsmedizinischen Betreuung, Einbeziehung, usw). Junge Menschen sowie Berufsein- oder Berufsumsteiger wissen darüber zumeist sehr wenig.

Der Träger des Sozialjahres soll daher jedenfalls auch aufzuklären haben über die „für die Tätigkeit geltenden ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen“ und über die „für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit in der Einsatzstelle zuständigen Akteure und Ansprechpersonen“. Es wird ersucht, diesen Aspekt ausdrücklich in die Aufzählung des § 10 einzufügen.

So wird es beispielsweise auch wichtig sein, den BerufsinteressentInnen im Vorfeld die Funktion und Zuständigkeit von ArbeitgeberIn, LeiterIn, SVP, ArbeitsmedizinerIn, Sicherheitsfachkraft und Betriebsrat darzustellen.

 

Zu § 15 Abs 1 – Mutterschutz:

Der Entwurf sieht lediglich die Geltung der §§ 3 – 9 MSchG für TeilnehmerInnen des Sozialjahres vor. Diese Einschränkung ist sachwidrig und wird abgelehnt.

Nach Dafürhalten der AUVA muss jedenfalls auch § 2a und § 2b MSchG zur Anwendung gelangen.

Dies ergibt sich nicht nur aus allgemeinen Schutzerwägungen, sondern auch aus dem Umstand, dass das ASchG sowie das KJBG gelten sollen und die „Mutterschutzevaluierung“ eine die entsprechenden ASchG- und KJBG-Bestimmungen ergänzende Maßnahme darstellt. Auch setzen die inhaltlichen Beschäftigungsbeschränkungen (Arbeiten, die für den mütterlichen Organismus oder für das werdende Kind schädlich sind, § 4) zwingend die eingehende Ermittlung und Beurteilung der „Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit von werdenden und stillenden Müttern und ihre Auswirkungen auf die Schwangerschaft oder das Stillen“ (§ 2a) und die Planung von Präventionsmaßnahmen (§ 2b) voraus. Auch die Freistellung der schwangeren Freiwilligen durch die Einrichtung, falls die Tätigkeit die Schwangere oder das Kind gefährdet, ist eine unverzichtbare Schutzbestimmung des § 2b MSchG.

§§ 2a und 2b MSchG stellen eine Umsetzung der „EG-Mutterschutz-RL“ dar. Diese gilt als Einzel-RL zur Rahmen-RL und findet daher auf ausbildungsbezogene Tätigkeiten (Artikel 2 Abs 1 Rahmen-RL) Anwendung. Die Geltung der §§ 2a und 2b MSchG ist somit auch aus unionsrechtlichen Gründen erforderlich.

Die Beschränkung auf §§ 3 – 9 MSchG resultiert offenbar aus dem Umstand, dass § 24 Rechtspraktikantengesetz, BGBl Nr 644/1987, der dem Entwurf als Vorbild dient, viele Jahre vor dem Inkrafttreten der §§ 2a und 2b MSchG geschaffen (und bisher nicht EG-konform angepasst) wurde.

 

Zu § 17 Abs 1 – Überwachung:

Der Entwurf sieht die unverzügliche Mitteilung der festgestellten Verstöße gegen ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften durch das Arbeitsinspektorat an den jeweiligen Träger des Freiwilligen Sozialjahres vor.

a)

Es bleibt jedoch unklar, was der so informierte Träger in diesem Fall zu tun hat, und zwar auch dann, wenn man das Bestehen einer Fürsorgepflicht (§ 1157 ABGB) des Trägers des Sozialjahres annimmt, was gleichfalls unklar ist. Im nicht unwahrscheinlichen Praxisfall „wächst einfach Gras über die Mitteilung“, weil das Sozialjahr nach 12 oder 6 Monaten ohnehin endet.

Die AUVA tritt dafür ein in den Entwurf die Verpflichtung aufzunehmen, dass im Fall des Verstoßes gegen eine ArbeitnehmerInnenschutzvorschrift der Träger des Sozialjahres beim Träger der Einsatzstelle unverzüglich auf sofortige Abhilfe zu drängen und sich an der Einsatzstelle über die Behebung des Mangels zu vergewissern hat. falls der Mangel nicht in der vom Arbeitsinspektorat vorgeschriebenen Frist behoben ist, hat er die vom Mangel betroffenen TeilnehmerInnen abzuziehen , wobei der Taschengeldanspruch aufrecht bleibt.

Nach § 8 Abs 4 Z 7 hat der Träger des Sozialjahres die Interessen der TeilnehmerInnen gegenüber der Einsatzstelle zu vertreten. Diese Bestimmung ist jedoch nicht ausreichend, da ein nachvollziehbares Interesse des/der TeilnehmerIn aus persönlichen Gründen (zB Bequemlichkeit, minder ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein insbesondere bei jungen Menschen, usw) sogar im Fortbestehen des Rechtsverstoßes bestehen kann.

b)

Im Auslegungsweg könnte der Eindruck entstehen, dass die zur Wahrnehmung des ArbeitnehmerInnenschutzes berufenen Behörden sich hinsichtlich der Sozialjahr-TeilnehmerInnen nur auf die Mitteilung an den Träger des Sozialjahres zu beschränken hätten, weil es sich hier um eine nähere und jüngere Bestimmung hinsichtlich der Tätigkeit der Arbeitsinspektion für diese Personengruppe handelt.

Hingegen soll im Gesetz ausdrücklich klargestellt werden, dass die volle Tätigkeit der Arbeitsinspektion gemäß Arbeitsinspektionsgesetz auch hinsichtlich der TeilnehmerInnen des Sozialjahres stattfindet.

Die Schaffung ausdrücklicher Klarheit hinsichtlich der vollen Anwendung des ArbIG auch für Sozialjahr-TeilnehmerInnen ist umso wichtiger, als Personen in Ausbildungsverhältnissen nicht ausdrücklich unter das ArbIG fallen: „Die Arbeitsinspektion … hat … die Einhaltung der dem Schutz der Arbeitnehmer/innen dienenden Rechtsvorschriften und behördlichen Verfügungen zu überwachen…“ (§ 3 Abs 1 ArbIG).

Die genannte Bestimmung ist auch deshalb erforderlich, weil die Arbeitsinspektorate nur berechtigt, nicht aber verpflichtet sind, die zuständige Behörde (zB Bezirksverwaltungsbehörde) zu verständigen, wenn sie im Rahmen ihrer Tätigkeit zu dem begründeten Verdacht gelangen, dass eine Übertretung von Vorschriften des Arbeitsrechts vorliegt (§ 20 Abs 4 ArbIG). Erst durch die zweifelsfreie Überwachungszuständigkeit auch für Sozialjahr-TeilnehmerInnen und die volle Geltung des ArbIG für deren Ausbildungsverhältnis kann die Bezirksverwaltungsbehörde erforderlichenfalls eine Strafe nach § 17 Abs 2 des Entwurfs verhängen. Anderenfalls würde Sie von der Übertretung keine Kenntnis erhalten, da das Arbeitsinspektorat keinen auf das ArbIG begründeten Strafantrag an die Bezirksverwaltungsbehörde stellen kann.

c)

Es sollte in Einklang mit dem ArbIG von den zur Wahrnehmung des ArbeitnehmerInnenschutzes berufenen Behörden gesprochen werden. Zur „Wahrung“ des ArbeitnehmerInnenschutzes sind vielmehr die Einsatzstellen bzw deren Träger berufen, nicht aber die Behörde.

Vorgeschlagen wird für den § 17 Abs 1 somit:

(1)   Die zur Wahrnehmung des ArbeitnehmerInnenschutzes berufenen Behörden haben unbeschadet ihrer Aufgaben gemäß ArbIG festgestellte Verstöße gegen ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften samt der von ihnen jeweils festgelegten angemessenen Frist zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes unverzüglich dem jeweiligen Träger des Freiwilligen Sozialjahres zu berichten. Dieser hat unverzüglich beim Träger der Einsatzstelle auf sofortige Abhilfe zu dringen und sich an der Einsatzstelle über die Behebung des Mangels zu vergewissern und, falls der Mangel nicht in der von der Behörde festgelegten Frist behoben ist, die vom Mangel betroffenen TeilnehmerInnen abzuziehen, wobei der Taschengeldanspruch aufrecht bleibt.

 

Die verpflichtend vom Träger des Freiwilligen Sozialjahres zu unternehmenden Schritte sind nötig, um der entsprechenden Aufforderung des Arbeitsinspektorats eine erhöhte Wirksamkeit, Dringlichkeit und Nachhaltigkeit verleihen.

 

Zu § 17 Abs 2 – Strafbestimmungen:

Ziffer 1 sieht bei Verletzung der Arbeitsruhebestimmung des § 14 einen Strafrahmen vor, der weit hinter dem entsprechenden Strafrahmen des geltenden Arbeitsruhegesetzes (ARG) zurückbleibt. Dies ist sachlich unbegründet und wird abgelehnt.

Analoge Verstöße bedroht das ARG mit Geldstrafe von 72 bis 2180 Euro, im Wiederholungsfall von 145 bis 2180 Euro (§ 27 Abs 1), wobei im Wiederholungsfall eine Geldstrafe von 218 bis 3600 Euro zu verhängen ist, wenn die wöchentliche Ruhezeit weniger als 24 Stunden betragen hat (§ 27 Abs 2b).

Die AUVA spricht sich nachdrücklich dafür aus, in Abs 2 Z 1 zumindest den Strafrahmen des ARG zu übernehmen.

Dieser Strafrahmen entspricht im Übrigen etwa auch jenem, der bei Verstößen gegen das (in Ziffer 2 verwiesene) Mutterschutzgesetz zutrifft.

 

Zu § 17 – Zur Übertretung der Arbeitszeitbeschränkungen:

Weiters ist im Gesetz dafür Vorkehrung zu treffen, dass auch Verstöße gegen Arbeitszeitbeschränkungen geahndet werden können.

Nach § 7 letzter Satz dürfen TeilnehmerInnen nicht mehr als 34 Wochenstunden in der Einsatzstelle beschäftigt werden. Eine maximale Tages- oder Schichtarbeitszeit fehlt im Entwurf überhaupt (siehe oben).

Der Entwurf enthält hinsichtlich der Übertretung von Arbeitszeitbestimmungen bisher keine Strafnorm, und auch das Arbeitszeitgesetz ist nicht anwendbar.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Der Generaldirektor

i.V. Dr. Helmut Köberl