Der gemäß den §§ 36 und 47 Abs 2 GOG beim Oberlandesgericht Graz gebildete Begutachtungssenat gibt zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafregistergesetz 1968, das Tilgungsgesetz 1972 und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden sollen,  nachstehende

Stellungnahme

ab:

 

Zu Artikel 3 Z 1 (Änderung des § 112 StPO):

Der Gesetzesentwurf ersetzt in § 112 StPO die Wendung „eine gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit“ durch die Wendung „ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit“. Diese Gesetzesänderung greift zu weit.

 

Die geplante Novellierung geht auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 13 Os 130/10g zurück. In dieser Entscheidung spricht der OGH aus, dass von einer Sicherstellung Betroffene auf das in § 112 StPO geregelte Verfahren auch zum Schutz des Redaktionsgeheimnisses zurückgreifen können. Der Wortlaut dieser Norm stelle zwar nur auf rechtlich anerkannte „Pflichten“ zur Verschwiegenheit ab, erfasst werden sollten aber nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte dazu. Dementsprechend erweise sich die Vorschrift als planwidrig lückenhaft, ihr Anwendungsbereich gelte analog auch für das Redaktionsgeheimnis.

 

Nach der Literatur (Tipold/Zerbes, Wiener Kommentar zur StPO, § 112 Rz 7) sind erklärter Anwendungsbereich des § 112 StPO alle Fälle, in denen der Schutz des Geheimnisbereiches den Strafverfolgungsinteressen vorgehe. Daher führe ein Widerspruch gegen die Einsicht in Aufzeichnungen in den Fällen zu einer gerichtlichen Entscheidung, wenn er auf eine gesetzlich anerkannte Pflicht oder aber auf ein bestimmtes Recht zur Verschwiegenheit gestützt werde.

 

§ 112 StPO erfasse nach dieser weiten Auslegung 1. alle Geheimnisse, die zu einem Sicherstellungs- und Beschlagnahmeverbot führen, unabhängig davon, ob ihnen eine Schweigepflicht oder ein Schweigerecht zugrunde liege. Dementsprechend wären darunter Geheimnisse zu verstehen, die zu einem Vernehmungsverbot führen (§ 155 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO); Berufsgeheimnisse, die nach § 157 Abs 1 Z 1 (!) bis 4 zur Aussageverweigerung berechtigen; intime Geheimnisse (§ 158 Abs 1 Z 3) und Wahlgeheimnisse (§ 157 Abs 1 Z 5). Diese – durch die Wendung „ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit“ - gestützte weite Auffassung führt dazu, dass jede durch ein – wenn auch nur partielles oder bedingtes – Aussageverweigerungsrecht privilegierte Person das Recht auf einen Widerspruch im Sinne des § 112 StPO haben soll.

 

Zweck des Widerspruchsrechtes nach § 112 StPO ist jedoch die Effektuierung der mit Verschwiegenheitsrechten verknüpften  Sicherstellungs- und Beschlagnahmeverbote. Nur in den Fällen, in denen hinter einer Befreiung von der Pflicht zur Aussage insofern ein Beweisthemenverbot steht, als sie eine Tatsache selbst als Geheimnis schützt, schlägt sie auf den Sachbeweis durch (Tipold/Zerbes, Wiener Kommentar vor §§ 110 bis 115 Rz 9). Im Gegensatz dazu stehen solche Zeugnisbefreiungsgründe, die bloß ein reines Beweismittelverbot sind, um den befreiten Zeugen einen Konflikt oder eine Konfrontation zu ersparen, ohne aber ein Geheimnis als solches zu tabuisieren. Einer Sicherstellung oder Beschlagnahme stehen sie nicht entgegen, hat ein nur insoweit entlasteter Zeuge informative Gegenstände bei sich, muss er daher eine diesbezügliche Durchsuchung und eine zwangsweise Abnahme erdulden (Tipold, aaO, Rz 10).

 

Dementsprechend soll solchen Zeugen, deren Befreiungsgründe ein bloßes Beweismittelverbot bewirken, kein Widerspruchsrecht gemäß § 112 StPO zustehen. Es handelt sich dabei um Personen, die von der Pflicht zur Aussage befreit sind (§ 156 StPO), oder denen ein Aussageverweigerungsrecht außerhalb des Berufsgeheimnisses gemäß § 157 Abs 1 Z 1 StPO oder gemäß § 158 StPO zusteht. Durch die vorgeschlagene Wendung „ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit“ wird dies nicht zum Ausdruck gebracht.

 

Es wird daher vorgeschlagen, Art 3 Z 1 des Gesetzesentwurfes wie folgt zu formulieren:

„In § 112 wird die Wendung „eine gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit“ durch die Wendung „ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit, das bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Sicherstellung umgangen werden darf“ ersetzt“.

 

Der Vorsitzende:

Dr. Manfred Scaria

 

 

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