o. Univ.-Prof.

Dr. Bea Verschraegen, LL.M., M.E.M.

 

 

Rechtswissenschaftliche Fakultät

Membre titulaire de l‘Académie internationale de droit comparé und Vorsitzende des österreichischen Nationalkommittees

Présidente honoraire der Commission Internationale de l’Etat Civil

Immediate past-president of the International Society of Family Law

Vice-Rector for International Relations at Pan European University (Bratislava)

Leiterin der Abteilung für Rechtsvergleichung, Einheitsrecht und IPR (Univ. Wien)

 

 

 

Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung

Abteilung für Rechtsvergleichung, Einheitsrecht und Internationales Privatrecht

 

Schottenbastei 10-16

A-1010 Wien

 

T +43 (1) 4277-35 102

F +43(1) 4277-9351

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Wien, am 12.3.2012

 

Stellungnahme zum Entwurf des SchiedsRÄG 2012

351/ME XXIV. GP - Minsterialentwurf

Die vorliegende Stellungnahme beschränkt sich auf die vorgeschlagenen Änderungen zu Art. 1 Z 1 und 2.

I. Inhalt (zum Besonderer Teil S. 5 Ministerialentwurf)

Zu Art. 1 (Änderung der Zivilprozessordnung):

Zu Z 1 und 2 (§§ 615 und 626 Abs 1 ZPO):

Der Entwurf zum SchiedsRÄG 2012 setzt sich zum erklärten Ziel, die internationale Konkurrenzfähigkeit im Wettbewerb der Schiedsorte zu erhöhen. Der geltende Rechtszug über drei Instanzen für das Verfahren über die Aufhebungsklage gegen einen Schiedsspruch stellt sich in der schiedsgerichtlichen Praxis als klaren Nachteil heraus. In diesen Verfahren stehen die Verfahrensdauer und –kosten im Vordergrund. Deshalb soll der Instanzenzug für solche Verfahren verkürzt und vor dem OGH konzentriert werden. Dem OGH kommt daher nach dem Entwurf erstmals die Aufgabe zu, Beweisverfahren über die für die Entscheidung relevanten Tatfragen in der Sache selbst durchzuführen. Dies stellt funktionell ein erstinstanzliches Verfahren dar, sodass die entsprechenden Verfahrensbestimmungen anzuwenden sind.

Zugleich hebt der Entwurf die Zweckmäßigkeit der Bündelung anderer dem Schiedsverfahren angelagerte Verfahren, wie jene über eine Klage auf Bestehen oder Nichtbestehen eines Schiedsspruchs nach § 612 ZPO sowie in Angelegenheiten nach dem dritten Titel (Bildung eines Schiedsgerichts) dem OGH zuzuweisen. Die besonderen Zuständigkeiten für die Vollziehung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen (§ 593 Abs 3 ZPO) und für die Rechtshilfe (§ 602 ZPO) sollen zweckmäßigerweise unverändert bleiben. Da auf die Angelegenheiten über die Bildung eines Schiedsgerichts die Vorschriften des AußStrG Anwendung finden, sind insofern diese Vorschriften anzuwenden.

II. Stellungnahme

Der Entwurf erläutert etwas vage, „[N]ach dem Vorbild anderer europäischer Rechtsordnungen soll daher der Instanzenzug für das Verfahren über die Aufhebungsklage gegen einen Schiedsspruch verkürzt werden.  […] Einen bloß eine Instanz umfassenden Rechtszug weist soweit ersichtlich lediglich die Schweiz auf, während in anderen vergleichbaren Schiedsplätzen ein Rechtszug über (zumindest) zwei Instanzen besteht“ (Wortgleich Erläuterungen Allgemeiner Teil S. 4, Besonderer Teil S. 5).

Aus rechtsvergleichender Sicht scheinen diese Angaben in Anbetracht der bedeutsamen Änderung (Zuständigkeitskonzentration für 1. Verfahren über die Aufhebung eines Schiedsspruchs, 2. Klagen auf Bestehen/Nichtbestehen eines Schiedsspruchs, und 3. Bildung eines Schiedsgerichts) eher allgemein geraten. Hinzu kommt, dass – anders als nach anderen Rechtsordnungen (vgl nur Frankreich) – nicht zwischen „domestic“ und „international arbitration“ unterschieden wird. Die vorgeschlagenen Neuerungen sollen also beide Arten der Schiedsgerichtsbarkeit erfassen. Für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit liegt der österreichische Entwurf durchaus auf der Linie der einschlägigen Schiedsregeln der institutionellen Schiedsgerichte, die auch restriktiv gegenüber einer weiteren Verfahrensebene sind, wenngleich manchmal durchaus ein Oberschiedsgericht vorgesehen ist.

In der Tat ist der Instanzenzug in der Schweiz für Aufhebungsklagen auf eine Instanz, namentlich das Bundesgericht beschränkt (Art 191 chIPRG). Die Parteien können sogar, wenn es an einer Inlandsbeziehung nach Maßgabe von Art 192 chIPRG fehlt, ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Anfechtung verzichten.

In anderen Ländern ist die Rechtslage differenzierter. Der französische Gesetzgeber hat per 1.5.2011 die Regelungen zur inländischen (Art 1442-1503 frNCPC[1]) und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (Art 1504-1527 frNCPC) modernisiert.[2] Zum einen wurden die von den Gerichten erarbeiteten Grundsätze kodifiziert, zum anderen wurden durchaus strukturelle Änderungen vorgenommen. Das erklärte Ziel des Dekret no 2011-48 vom 13.1.2011 zur Reform des Schiedswesens ist, Frankreich zu einem noch attraktiveren Boden für die Schiedsgerichtsbarkeit zu gestalten. Nach französischer Rechtslage kann der Schiedsspruch, der im Rahmen inländischer Schiedsgerichtsbarkeit ergangen ist, im Prinzip (vorbehaltlich abweichenden Parteiwillens) mit dem Rechtsbehelf der Berufung nicht angefochten werden (Art 1489 frNCPC). Der Schiedsspruch erwächst, sobald er ergangen ist, in Rechtskraft und kann mit einer vorläufigen Vollstreckungsbestätigung versehen werden (Art 1484 Abs 1 und Abs 2 frNCPC). Die Berufung ist auf die Abänderung des Schiedsspruchs oder seine Aufhebung gerichtet (Art 1490 frNCPC). Allerdings ist eine Aufhebungsklage nach Maßgabe der in Art 1492 frNCPC genannten Aufhebungsgründe immer zulässig (Art 1491 frNCPC). Zuständig ist grundsätzlich das Berufungsgericht („Cour d’Appel“), in dessen Sprengel der Schiedsspruch ergangen ist (Art 1494 Abs 1 frNCPC). Gemäß Art 1503 frNCPC können gegen den Schiedsspruch weder der Rechtsbehelf des Widerspruchs noch eine Kassationsbeschwerde erhoben werden.

Bei der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit[3] ist, sofern die Parteien nicht abweichendes vereinbart haben, nach Maßgabe von Art 1505 frCPC der Präsident des Landesgerichts Paris („tribunal de grande instance de Paris“) als „juge d’appui“ für gerichtliche Unterstützungsmaßnahmen zuständig (wie sie regelmäßig sonst von den Büros der institutionalisierten Schiedsstellen besorgt werden). Ein in Frankreich im Rahmen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit erlassener Schiedsspruch kann nur mit der Aufhebungsklage angefochten werden (Art 1518 frNCPC). Die Gründe sind in Art 1520 frNCPC taxativ aufgezählt. Zuständig ist das Berufungsgericht (Art 1519 frNCPC). Auf die Möglichkeit einer Aufhebungsklage können die Parteien (nur) ausdrücklich verzichten und, unabhängig davon, Berufung gegen die Vollstreckbarerklärung (oder ihre Verweigerung) erheben (Art 1522 Abs 1 und Abs 2, Art 1523 frNCPC).

Die Aufhebung eines Schiedsspruchs nach deutschem Recht ist in §§ 1025 ff dZPO vorgesehen. Außer bei einem ordre public-Verstoß ist eine inhaltliche Überprüfung („révision au fond“) nicht erlaubt. Das Gericht ist also im Wesentlichen darauf beschränkt, den Schiedsspruch allenfalls aufzuheben oder auf Antrag die Sache an das Schiedsgericht zurückzuverweisen (§ 1059 Abs 4 dZPO). Dagegen ist die Rechtsbeschwerde an den BGH möglich (§ 1065 ZPO). Der Antrag auf gerichtliche Aufhebung eines im Inland gefällten Schiedsspruchs ist auf die in § 1059 Abs 2 und Abs 3 dZPO genannten Gründe beschränkt. Ein Verzicht auf die Geltendmachung der Aufhebungsgründe vor Erlass des Schiedsspruchs ist nach hM nicht zulässig. Zuständig ist das in der Schiedsvereinbarung bezeichnete oder jenes OLG, in dessen Sprengel der Schiedsspruch ergangen ist (§ 1062 dZPO). Die erwähnte Rechtsbeschwerde ist nur in sehr eingeschränktem Maß möglich, und zwar bei Entscheidungen über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1062 Abs 1 Nr 2 dZPO) und über die Aufhebung und Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs (§ 1062 Abs 1 Nr 4 dZPO). Voraussetzung für die Entscheidung durch den BGH ist, dass die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung ist oder zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung notwendig ist (§ 574 Abs 2 dZPO). Im Wesentlichen kann nur die Verletzung des Gesetzes oder eines Staatsvertrages gerügt werden.

Auch nach englischem Recht sind im Arbitration Act 1996 idgF verschiedene Gründe vorgesehen, nach denen mit dem Rechtsbehelf der Berufung an ein staatliches Gericht die Aufhebung eines Schiedsspruchs beantragt werden kann (S. 67 – betrifft die sachliche Zuständigkeit; S. 68 – betrifft die Zurückverweisung an das Schiedsgericht, Aufhebung oder Nichtigerklärung durch das Gericht wegen schwerer Verfahrensverstöße; S. 69 [1] – betrifft die Relevierung von Rechtsfragen, die sich aus dem Schiedsspruch ergeben). Das Rechtsmittel setzt voraus, das es keine anderen Rechtsbehelfe mehr gibt (Entscheidung durch ein Oberschiedsgericht oder durch das Schiedsgericht selbst; S. 70[2] Arbitration Act 1996). Auf das Recht, Berufung zu erheben, kann hinsichtlich S. 69 Arbitration Act 1996 verzichtet werden.

Im Rahmen der internationalen Schiedsgerichtbarkeit sehen die einschlägigen Schiedsordnungen regelmäßig vor, dass ein Rechtsmittel gegen den Schiedsspruch, über welches ein staatliches Gericht entscheiden könnte, grundsätzlich nicht zulässig ist (wobei die Beurteilung letztlich dem staatlichen Gericht obliegt). Beispiele hierfür sind die Schiedsordnungen des London Court of International Arbitration (Art. 26.9. [vorbehaltlich von Korrekturen oder Ergänzungen nach Art 27] LCIA) und der International Chamber of Commerce (Art 34 Nr 6 ICC [2012], wonach die Inanspruchnahme des Schiedsgerichts – soweit rechtlich zulässig – als Verzicht der Parteien auf ihr Recht zur Geltendmachung jedweder Rechtsbehelfe gilt; der Erlass eines Schiedsspruchs bedarf der vorangehenden Genehmigung durch das Schiedsgericht nach Art 33 ICC [2012]; nach Art 35 ICC [2012] kann der Schiedsspruch berichtigt und auf Antrag kann auch eine Auslegung durch das Schiedsgericht erfolgen).

Der Wettbewerb um den attraktivsten Schiedsplatz ist seit geraumer Zeit im Gang. Neben den institutionalisierten Schiedsgerichten in Europa, Übersee (einschließlich Lateinamerika) und Asien (allen voran Hongkong), haben sich nationale Gesetzgeber diesem Wettbewerb gestellt (jüngst bspw die Niederlande Anfang dieses Jahrtausends, die Tschechische Republik vergangenes Jahr, Litauen meines Wissens bevorstehend).

Im Einzelnen ist anzumerken, dass es nicht so sehr darum geht, ob nun eine einzige staatliche Instanz über die Aufhebung oder Nichterklärung zu entscheiden hat, sondern eher um die Gründe, weshalb staatliche Gerichte angerufen werden können. Grosso modo sind die Revisionsgründe rechtsvergleichend betrachtet restriktiv gehalten. Im Vordergrund stehen dabei Effizienz und Kostenersparnis. Die Qualität der jeweiligen Schiedsgerichte prägt auch ihren Ruf auf internationaler Bühne, denn niemandem ist mit einem mediokren Schiedsspruch gedient.

Was nun die vorgeschlagene Instanzenkürzung im Entwurf zum SchiedsRÄG 2012 anbelangt, so wäre im Rahmen einer künftigen Reform eine Differenzierung zwischen inländischer und internationaler Schiedsgerichtsbarkeit wünschenswert, weil hier möglicherweise andere Interessen im Vordergrund stehen. Auch wird man sich zu überlegen haben, ob nicht über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit hinaus, die ja der vorliegende Entwurf primär im Auge hat, nicht auch Abwägungen hinsichtlich des Streitgegenstandes vonnöten wären (Konsumentenangelegenheiten, familien- und erbrechtliche Streitigkeiten, Sportagenden etc). Angedacht werden könnte auch, ob nicht das staatliche Gericht, welches sich mit der Schiedssache zu befassen hat, sich derselben Sprache wie sie vor dem Schiedsgericht verwendet wurde, bedient.[4] Das ist ja in der Regel die englische Sprache.

Fraglich ist jedoch, ob die Prognose richtig ist, wonach eine nennenswerte Mehrbelastung des OGH nicht zu erwarten sei, wenn aufgrund der Konzentration der Aufhebungsverfahren und aller anderen im Zusammenhang mit einem Schiedsverfahren stehenden Verfahren beim OGH die internationale Attraktivität erhöht und längerfristig damit gerechnet wird, dass mehr Schiedsverfahren in Österreich abzuhandeln sein werden. Die Beweisaufnahme durch den OGH – selbst wenn grundsätzlich die Möglichkeit besteht, sich der Beweisaufnahme durch einen ersuchten oder beauftragen Richter zu bedienen – stößt auf eine gewisse Skepsis, zumal dessen Qualifikation sich dadurch auszeichnet, auf die Prüfung von Rechtsfragen spezialisiert zu sein.

Insgesamt betrachtet, und zwar vor allem im Hinblick auf internationale Wirtschaftsangelegenheiten, ist der doch sehr weitreichende Entwurf durchaus zu begrüßen. Die Praxis wird zeigen, ob Österreich einen „Schulterschluss“ mit der Schweiz erreicht.

 

Univ.-Prof. B. Verschraegen



[1] Nouveau Code de Procédure Civil idgF (NCPC).

[2] In deutscher Version abrufbar unter http://www.parisarbitration.com/Decret-2011-48-G.pdf .

[3] Zu diesen Aspekten Heitzmann/Schwartz Miralles, The 2011 French Arbitration Reforms in Comparative Perspective, in Mealey’s, International Arbitration Report, online abrufbar unter http://www.jonesday.com/files/Publication/e6f00067-3e36-4938-a20e-10365ac0bdad/Presentation/PublicationAttachment/66c6bc39-3bb2-4d56-94af-1397e4899569/Heitzmann%20and%20Miralles.pdf .

[4] Die Anregung ist nicht neu, vgl nur etwa Kröll, Die Entwicklung des Schiedsrechts 2009-2010, NJW 2011, 1265 (1271).