Betrifft:   Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Gerichtsorganisationsgesetz, die

               Jurisdiktionsnorm, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das

               Gerichtsgebührengesetz und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden -

               Begutachtungsverfahren

 

     Zu Art X5 des im Betreff angeführten Gesetzesvorhabens wird folgende

 

S t e l l u n g n a h m e

abgegeben:

     Die in Art X5 Z 1, 2, 3, 4, 7 und 8 des Entwurfes vorgeschlagenen Regelungen werden als zweckmäßig erachtet und daher begrüßt.

 

     Gegen die mit Art X5 Z 5 und 6 vorgeschlagenen Bestimmungen eines § 192 Abs 1 Z 1a StPO und eines § 198 Abs 3 StPO bestehen jedoch erhebliche Bedenken.

     Zwar wäre die mit diesen in Aussicht genommenen Bestimmungen verbundene Erweiterung der Entscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaften durchaus im Interesse der Anklagebehörden; auch wird der Einführung von der Verfahrensbeschleunigung dienenden, Ressourcen schonenden Maßnahmen nicht grundsätzlich entgegengetreten. Jedoch werden diese Bestimmungen aus nachstehend angeführten Gründen als zu weit gehend erachtet.

 

     Zu Z5:

     Bei der bereits bestehenden Regelung des § 192 Abs 1 Z 1 StPO handelt es sich um ein im Interesse der Verfahrensökonomie äußerst zweckmäßiges Instrument. Mit Blick auf das Erfordernis, dass die Anwendung dieser Bestimmung voraussichtlich weder auf die Strafen noch die sonstigen, dort näher beschriebenen weiteren Folgen wesentlichen Einfluss haben darf, ist die damit verbundene Einschränkung des Legalitätsprinzips unbedenklich. Die - in den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf zum Ausdruck kommende - Intention, Entscheidungen über die Setzung von Schwerpunkten beim Verdacht mehrerer strafbarer Handlungen an den Beginn des Ermittlungsverfahrens vorzuverlagern, um Effizienzverluste auch im Vorverfahren zu vermeiden, wäre in diesem Umfang sehr begrüßenswert.

     Wenn nun in den Erläuterungen zum Gesetzesvorhaben ausgeführt wird, dass bei solchen zu Beginn des Ermittlungsverfahrens vorzunehmenden Opportunitätserwägungen die staatlichen Interessen an der Strafverfolgung der Prozessökonomie gegenüberzustellen und dabei general- und spezialpräventive Erfordernisse und auch unter anderem die Dringlichkeit des Tatverdachtes, die jeweilige Schadenshöhe, die Aussicht auf erfolgreiche Beweissammlung und die Schwere der Schuld zu berücksichtigen sind, so ist dem zuzustimmen.

     Jedoch lässt sich das Erfordernis der Berücksichtigung der angeführten Parameter aus dem Wortlaut der vorgeschlagenen Bestimmung des § 192 Abs 1 Z 1a StPO nicht ableiten. Dieser stellt neben der Eignung der weiteren Taten, einen beträchtlichen Erhebungsaufwand zu verursachen und die Erledigung in der Hauptsache zu verzögern, ausschließlich darauf ab, dass deren Nachweis im Fall gemeinsamer Führung keinen Einfluss auf den anzuwendenden Strafsatz hätte.

      Abgesehen davon, dass der vorgeschlagene strafprozessuale Begriff des Strafsatzes im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. 13 Os 44/09h) konkretisierungsbedürftig wäre, würde dies bedeuten, dass für die Opportunitätserwägung im Sinne der vorgeschlagenen Bestimmung  die Frage, ob der Verzicht auf die Verfolgung einzelner Straftaten etwa auf die zu erwartende Strafe wesentlichen Einfluss hätte, ebenso außer Betracht zu bleiben hätte wie general- und spezialpräventive Aspekte, soferne sich dadurch bloß keine Änderung im anzuwendenden Strafsatz ergibt.

     Damit wäre bei Verfolgung eines Beschuldigten wegen einer beispielsweise als Untreue mit einem Euro 50.000,00 - auch nur knapp - übersteigenden Schaden, wofür der zweite Strafsatz des § 153 Abs 2 StGB zur Anwendung gelangt, zu qualifizierenden Tat bei Ausübung des gebundenden Ermessers entsprechend der in Aussicht genommenen Bestimmung schon von Ermittlungshandlungen (und wohl in der Folge überhaupt von der Verfolgung) betreffend weitere dem selben Beschuldigten zur Last liegenden Untreuehandlungen, deren Aufklärung beträchtlichen Aufwand verursachen oder die Erledigung verzögern würden, selbst dann abzusehen, wenn diese mit weitaus höheren Schadenssummen als das weiter in Verfolgung gezogene Faktum verbunden oder aus sonstigen Gründen gewichtiger als dieses wären.

     Mit der in Aussicht genommenen Bestimmung wäre somit nicht mehr bloß eine zielführende Einschränkung des Legalitätsprinzips, welches die gleichmäßige Durchsetzung des materiellen Strafrechtes, die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und die Vorausbestimmbarkeit justiziellen Handelns sichern soll (Schroll, WK-StPO § 192 Rz 10), sondern dessen Aushöhlung verbunden.

 

     Zu Z 6:

     Ähnliche, um die Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes im Sinne des Art 7 Abs 1 B-VG zu ergänzende Bedenken begegnen der in Aussicht genommenen Bestimmung des § 198 Abs 3 StPO.

     Grundsätzlich wird zwar die in den Erläuterungen zum Gesetzesvorhaben zum Ausdruck kommende Ansicht, dass der generelle Ausschluss diversionellen Vorgehens bei Straftaten, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes als Schöffengericht fallen, nicht in allen Fällen sachgerecht ist, geteilt, wobei als Beispiel etwa die zur Vornahme von unrichtigen Registereintragungen gedrängte Kanzleibedienstete (§ 302 Abs 1 StGB) angeführt werden kann. Die Oberstaatsanwaltschaft Linz ist darüber hinaus der Ansicht, dass eine diversionelle Erledigung auch bei in die Zuständigkeit des Geschworenengerichtes fallenden Taten sinnvoll sein kann, wie dies etwa bei jugendlichen Tätern schon mehrfach bei minderschweren, nach § 3g VG zu qualifizierenden Sachverhalten durch Bestimmung einer Probezeit, verbunden mit der Pflicht zur Absolvierung eines zeitgeschichtliche Bildung vermittelnden Seminars, erfolgreich praktiziert wurde. Dem könnte durch Einschränkung der Z 1 des § 198 Abs 2 StPO auf in die Zuständigkeit des Geschworenengerichtes fallende Straftaten oder deren gänzlichen Entfall Rechnung getragen werden.

     Gegen die vorgeschlagene Fassung des § 198 Abs 3 StPO bestehen hingegen zunächst insoferne Bedenken, als bei bestimmten, in die Zuständigkeit des Landesgerichtes als Schöffengericht fallenden Straftaten diversionell auch dann vorgegangen werden kann, wenn der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt ist. Damit ist zu erwarten, dass in solchen Fällen Hintergründe der Tat und allfällige weitere Taten unaufgeklärt sowie mögliche Mittäter unentdeckt blieben. Dies wäre, insbesondere im Bereich der von der Neuregelung erfassten Amtsdelikte, angesichts der - berechtigten - derzeitigen besonderen Bemühungen um die Korruptionsbekämpfung und der Kritik, welcher sich nicht nur die Justiz in der öffentlichen Meinung, sondern auch die Republik Österreich in der internationalen Wahrnehmung (vgl. zuletzt und anstatt vieler das mit EU-Kommissarin Viviane Reding geführte Interview, Wiener Zeitung, Ausgabe vom 21.2.2012, Seite 4) ausgesetzt sieht, kontraproduktiv.

     Durch die Ermöglichung diversionellen Vorgehens bei nicht hinreichend geklärtem Sachverhalt ergeben sich weitere Problemfelder insoferne, als dadurch oftmals das Ausmaß jenes Schadens, dessen Gutmachung nach der in Aussicht genommenen Regelung Voraussetzung für deren Anwendung ist, ebenso nicht ausreichend bestimmbar sein wird wie die Schwere der Schuld; weiters werden bei nicht hinreichend geklärtem Sachverhalt die Grenzen des von der diversionellen Erledigung umfassten Sachverhalts und damit der Umfang der mit dieser verbundenen ne-bis-in-idem-Wirkung nicht treffsicher beurteilbar sein.

     Eine nicht sachgerechte Differenzierung ergibt sich weiters insoferne, als es nach der in Aussicht genommenen Regelung lediglich davon abhängt, welchem Abschnitt des Besonderen Teiles des StGB die Straftaten unterfallen und welche Gerichtszuständigkeit hiefür vorgesehen ist, ob eine hinreichende Sachverhaltsklärung erforderlich ist oder nicht; besonders deutlich zeigt sich diese Problematik etwa bei Straftaten des sechsten Abschnittes des Besonderen Teiles des StGB, bei welchen bei Einzelrichterzuständigkeit eine hinreichende Sachverhaltsklärung erforderlich wäre, bei Schöffenzuständigkeit hingegen nicht.

     Als problematisch wird auch die nicht flexible, einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen entsprechende Festsetzung des zu entrichtenden Geldbetrages erachtet, weil dabei die für jede Sanktionsfindung maßgeblichen Grundsätze des § 32 StGB, welche nicht nur bei der Strafbemessung, sondern auch bei herkömmlichem diversionellem Vorgehen bei der Bestimmung des zu entrichtenden Geldbetrages gemäß § 198 Abs 1 Z 1 StPO zu beachten sind (Schroll, WK-StPO § 200 Rz 2), völlig unberücksichtigt blieben.

     Letztlich wird als nicht erstrebenswert erachtet, dass ein Beschuldigter, welcher der Begehung von Straftaten mit bereits erheblichen Gewicht verdächtig ist, in den Genuss einer diversionellen Erledigung gelangen kann, soferne er über die finanziellen Mittel in der Höhe etwa eines Jahresgehalts für den zu entrichtenden Geldbetrag sowie für die zu leistende Schadensgutmachung verfügt, wodurch der Eindruck einer 2-Klassen-Justiz entstehen könnte.

     Den in der letzten Zeit durch Großverfahren und Korruptionsfälle zweifellos erheblich gestiegenen Anforderungen an die Anklagebehörden (und in weiterer Folge auch an die Gerichte) sollte nicht durch eine Reduktion der Ermittlungs- und Verfolgungsintensität begegnet werden, sondern vielmehr im Interesse der Sache, des Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz und der internationalen Reputation der Republik Österreich durch eine Vermehrung der Ressourcen sowohl in der personellen als auch der materiellen Ausstattung der Justiz; dies umso mehr, als eine solche zwanglos damit begründet zu argumentieren wäre, dass - bei Ausklammerung des Strafvollzugs - die Justiz mehr als kostendeckend arbeitet.     

 

Oberstaatsanwaltschaft

Linz, 24. Februar 2012

Dr. Ulrike Althuber, Leitende Oberstaatsanwältin

 

Elektronische Ausfertigung
gemäß § 79 GOG