Mag.a Daniela Musiol

Sprecherin für Familien-, Demokratiepolitik und Verfassung

Tel.: 01-40110/6304

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Bundeskanzleramt

Verfassungsdienst

Per Email: v@bka.gv.at und florian.herbst@bka.gv.at

 

Wien, am 29. 10. 2012

 

Sachbearbeiterin: Dr Meyer

 

 

 

 

Stellungnahme des Grünen Klubs

zum Entwurf eines Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetzes 2012

 

 

 

Im Rahmen der Begutachtungsfrist nimmt der Grüne Klub wie folgt Stellung, behält sich aber vor, weitere Kritikpunkte, die in anderen Stellungnahmen aufgezeigt werden, noch zusätzlich im Rahmen der parlamentarischen Behandlung des Gesetzesentwurfs aufzugreifen:

 

Vorbemerkungen: Die Erlassung zweier eigenständiger Gesetze bietet die Möglichkeit zur geschlechtergerechten Formulierung. Gerade in einer Materie mit so vielen Funktionsbezeichnungen wäre dies im Sinne der sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen wünschenswert. Dass dies möglich ist, hat u.a. das UVP-G  bewiesen.

Angeregt wird, die Entschließung betreffend rechtliche Stellung von Legalparteien bereits mit diesem Gesetzesvorhaben zu erledigen.

Die Begutachtungsfrist war für diese umfassende Materie viel zu kurz bemessen, zumal die Erläuterungen äußerst knapp gehalten sind bzw zum Teil völlig fehlen. Der Begutachtungsentwurf im Umfang von 55 Gesetzestextseiten langte am 4. 10. im Nationalrat ein, die Begutachtungsfrist endet am 29. 10., dh sie  umfasste 17 Arbeitstage.

 

 

 

 

Artikel 1 VerwaltungsgerichtsverfahrensG

 

1.      In § 6 Abs 2 Zif 3 sollte es heißen „Behörde, die den Verwaltungsakt nicht erlassen hat“. Nicht nur wegen Säumigkeit bei der Erlassung eines Bescheides sondern auch bei Säumigkeit bei Erlassung anderer Verwaltungsakte sollte aus rechtsstaatlicher Sicht eine Zuständigkeit für Säumnisschutz bestehen.

2.      § 10 stellt für den Inhalt von Beschwerden zu hohe Hürden auf. Dies wird mit dem in § 32 festgelegten Prüfungsumfang begründet. Damit würde der Zugang zum Recht wesentlich erschwert bzw verteuert, da zu derartigen Ausführungen („Bezeichnung der Rechte, in den der Beschwerdeführer verletzt zu sein behauptet“ und „Umfang der Anfechtung“) nur mehr RechtsanwältInnen befähigt sind. Dies läuft den politischen Absichten völlig zuwider. Die Entschließung des NR zum Verfahrensrecht Zif 4 beinhaltet den Auftrag, dass „das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu keiner Verteuerung für die Bürgerinnen und Bürger führen (soll)“.  Zif 3 (Prüfungsumfang) der Entschließung war von der Intention getragen, von der strengen – von der Judikatur geschaffenen (von der Rechtswissenschaft kritisch hinterfragten) – Rechtslage (siehe etwa VwGH 2010/06/0262), wonach die Berufungsbehörde nur in dem Umfang prüfen dürfe, in dem eine Partei eine Rechtsverletzung bei der Berufungsbehörde geltend machen kann, wegzukommen und sie in die Lage zu versetzen, auch sehr gravierende andere Rechtswidrigkeiten auch amtswegig aufgreifen zu können. In diesem Sinne wird um Neuformulierung der §§ 10 und 32 ersucht. § 63 Abs 3 AVG ist als Vorgabe für den Beschwerdeinhalt völlig ausreichend. Der Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichts soll gegenüber dem Status quo nicht verengt sondern erweitert werden.

3.      §§ 14 und 21 Aufschiebende Wirkung einer Beschwerde und Ausschluss derselben: Gemäß § 14 Abs 2 kann die Behörde die aufschiebende Wirkung der Beschwerde im Bescheid selbst oder gesondert ausschließen, gemäß Abs 5 kommt Rechtsmitteln dagegen keine aufschiebende Wirkung zu, dh der Bescheid bleibt bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts vollstreckbar bzw konsumierbar. Verschärft wird die Situation durch das Recht der Beschwerdevorentscheidung innerhalb von 2 Monaten durch die Behörde, dh der Akt bleibt für diesen Zeitraum jedenfalls bei der Behörde, wird also nicht dem Verwaltungsgericht vorgelegt. Eine Beschwerdevorentscheidung sollte daher in Fällen der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausgeschlossen sein, da ansonsten die sofortige Vorlageverpflichtung an das Verwaltungsgericht nach § 14 Abs 4 konterkariert wird. Insgesamt ist Art 13 MRK (siehe EGMR Conka v Belgium Nr 51564/99 und Sing et autres c Belgique, Nr 33210/11), wonach hinsichtlich möglicher Verletzungen von Rechten der EMRK ein Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung verbunden sein muss, zu beachten. Weiters ist auf die Judikatur des VfGH hinzuweisen, siehe VfGH G 199/90, RS: „Die Aussage des Erk. VfSlg. 11196/1986, wonach es unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Prinzips nicht angeht, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist, betrifft den Rechtsschutz in allen Arten behördlicher Verfahren.“ Kritisch festzuhalten bleibt auch, dass auch die Problematik der fehlenden aufschiebenden Wirkung bei laufenden Bleiberechtverfahren ungelöst bleibt.

4.      § 20 Akteneinsicht:  Es ist nicht nachvollziehbar, warum zu den Voraussetzungen, die nach § 17 AVG zur Verweigerung der Akteneinsicht ermächtigen, noch zusätzlich ein Titel „öffentliches Wohl“ geschaffen werden soll und warum das Verwaltungsgericht nicht selbständig über die Zulässigkeit der Akteneinsicht befinden kann. Weiters soll offenbar ein Beschluss über die Akteneinsicht gesondert bekämpfbar sein. Dies wird nicht näher erläutert.

5.      § 22 Einstweilige Verfügungen: Das Recht einstweilige Verfügungen zu treffen kommt selbst dem IGH und dem EGMR zu. Diese Ermächtigung an die Verwaltungsgerichte ist im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes unerlässlich. Siehe auch die Entschließung des Nationalrats zum Verfahrensrecht.

6.      § 34 Abs 2  und § 34 Abs 3 Ausnahmen von der Befugnis zur Entscheidung in der Sache: Die B-VG-Novelle hat das Recht zur Entscheidung in der Sache mit Ausnahme bei Verwaltungsstrafsachen, bereits relativiert. Art 130 Abs 4 B-VG ist durch § 34 Abs 1 umgesetzt. Darüber hinausgehende Relativierungen der Entscheidungsbefugnis werden abgelehnt. So gibt § 34 Abs 2 der betroffenen Behörde ein Einspruchsrecht gegen die Entscheidung in der Sache, dieses Einspruchsrecht wird abgelehnt. In § 34 Abs 3 wird eine wesentliche weitere Relativierung vorgesehen. Selbst wenn die Behörde das Ermessen rechtswidrig ausgeübt hat, darf das Verwaltungsgericht nicht in der Sache entscheiden sondern den Bescheid nur aufheben. Es ist klar, dass das Verwaltungsgericht rechtmäßig ausgeübtes Ermessen zu achten hat, aber beim rechtswidrig geübten Ermessen muss es unter den ohnehin gegeben Kautelen des § 34 Abs 1 im Sinne der Verfahrensökonomie selbst entscheiden können. § 34 Abs 3 sollte daher entfallen. Das Verwaltungsgericht soll in der Regel – und nicht ausnahmsweise – meritorisch entscheiden.

7.      § 35 Abs 1 Begründung des Bescheids.  Hier wird ohne Not vom Text des § 60 AVG, zu dem es eine umfassende Judikatur gibt, abgewichen. § 60 AVG sollte maßgeblich bleiben.

8.      § x. Schaffung eines subsidiären verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfs: Zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken etwa unionsrechtlicher Natur (vgl EuGH C-237/07 Janecek vom 25. 8. 2008 betreffend subjektives Recht auf Erlassung von Aktionsplänen bzw Maßnahmen und eine damit bestehende Antragslegitimation sowie Art 9 Abs 3 Aarhus-Konvention Zugang zum Gericht bei Verletzung des Umweltrechts durch den Staat oder Private) sollte im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz ausdrücklich ein subsidiärer Rechtsbehelf geschaffen werden (siehe zur Problematik etwa das Erkenntnis VwGH vom 26. 6. 2012, Zl 2010/07/0161). Dieser könnte etwa wie folgt lauten: „Wenn dies zur Durchsetzung von subjektiv-öffentlichen Rechten notwendig ist und  geeignete Rechtsmittel nicht zur Verfügung stehen, kann das Verwaltungsgericht die zuständige Verwaltungsbehörde auf Grund einer darauf gerichteten Beschwerde zur Erlassung eines Verwaltungsaktes oder geeigneter hoheitlicher Maßnahmen innerhalb angemessener Frist verpflichten.“ Vgl auch die Verpflichtungsklage in dt VwGO.

Weitere Fälle, in denen ein subjektives Recht auf Erlassung einer Verordnung besteht: Erklärung einer Kollektivvertrages zur Satzung gemäß § 18 Abs. 3 Arbeitsverfassungsgesetz (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/08/0064, betreffend einen Antrag eines Arbeitgebers). Nach dieser Rechtsprechung hat das Bundeseinigungsamt im Versagungsfall einen Bescheid zu erlassen, die positive Erklärung zur Satzung kann aber offensichtlich nicht gerichtlich durchgesetzt werden.

Bundesgesetz über Vereine zur Namhaftmachung von Sachwaltern, Patientenanwälten und Bewohnervertretern (Vereinssachwalter-, Patientenanwalts- und Bewohnervertretergesetz – VSPBG):   § 1. (1) Die Eignung eines Vereins, gemäß § 279 Abs. 3 und 4 ABGB zum Sachwalter bestellt zu werden, gemäß § 13 Abs. 1 UbG Patientenanwälte oder gemäß § 8 Abs. 3 HeimAufG Bewohnervertreter namhaft zu machen, hat die Bundesministerin für Justiz mit Verordnung festzustellen.(2) Eine solche Verordnung kann nur mit Zustimmung des betreffenden Vereins erlassen werden.(3) In der Verordnung ist der sachliche und räumliche Tätigkeitsbereich des Vereins anzuführen.

9.      § 61 Abs 2 Sonderverfahrensrecht. Zum Satz: „Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen bleiben unberührt.“ Die Grünen sind bisher davon ausgegangen, dass nach Erlassung des „Ausführungsgesetzes“ die einzelnen Materiengesetze adaptiert werden. Dies ist ja schon allein deswegen notwendig, weil klargestellt werden muss, in welchen Rechtssachen Senate zu entscheiden haben. Insofern ist die Bezugnahme auf bestehendes Sonderverfahrensrecht in dieser Bestimmung erläuterungsbedürftig.

 

Artikel 2 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz

 

1.      § 1 Abs 2 Außenstellen: Gemäß § 1 Abs 2 sollen Außenstellen in Graz, Innsbruck und Linz eingerichtet werden. Dies ist überraschend, weil weder in den Erläuterungen noch in den politischen Gesprächen zur B-VG-Novelle davon die Rede war. Der Asylgerichtshof hat lediglich eine Außenstelle in Linz. Mangels differenzierender Vorgaben im Gesetz können alle Materien auch in den Außenstellen entschieden werden. Allerdings liegt auf der Hand, dass es in gewissen Materien weder ökonomisch noch fachlich sinnvoll ist, vier Senate auf Bundesebene zum Einsatz zu bringen. Hier besteht Diskussions- und Regelungsbedarf.

2.      § 2 Abs 2 Auswahl des Präsidenten/der Präsidentin und des Vizepräsidenten/der Vizepräsidentin: Diese Bestimmung entspricht nicht der Entschließung des Nationalrats betreffend die Sicherstellung der höchsten Unabhängigkeit und Einheitlichkeit der Organisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz. Dort heißt es:

3.      § 12 Abs 3 Bestellung der Laienrichter/innen durch die Bundesregierung: Hier werden Vorgaben zur Objektivierung der Auswahl vermisst, sei es durch ein Vorschlagsrecht einer eigenständigen Kommission, sei es durch ein Anhörungsrecht oder Dreiervorschlagsrecht der Vollversammlung.

4.      § 13 Rechtspfleger/innen:  Eine Mitwirkung des Ausschusses bei Auswahl der Rechtspfleger/innen wäre wünschenswert. Erläuterungen, was unter „Angelegenheiten der Geschäftsstelle“, „selbständiger Parteienverkehr“ und „vorbereitende Erledigungen“ zu verstehen wäre, fehlen.

5.      § 14 Amtssachverständige: Die Regelung wird grundsätzlich begrüßt, sie greift aber zu kurz. Der erwähnte Art 131 Abs 2 erster Satz B-VG umfasst nur Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Unberücksichtigt bleiben die auf der Grundlage des Art 131 Abs 4 B-VG geschaffenen Zuständigkeiten des Bundesverwaltungsgerichts. In diesen Materien (Art 11, 12 und 14 B-VG) wie zB den Entscheidungen nach dem 2. Hauptstück des UVP-G  dürften keine Sachverständigen des Bundes herangezogen werden, geschweige denn die – wie bisher üblich – ergänzende Heranziehung der Sachverständigen des Landes. Hier besteht also Ergänzungsbedarf ansonsten der politische Wille, eine Verteuerung des Rechtsschutzes auszuschließen und in allen Materien die Heranziehung von Amtssachverständigen zu ermöglichen, nicht umgesetzt werden würde. Siehe auch hier wieder die Entschließung des Nationalrats betreffend Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte Zif 4.

6.      § 17 Abs 3 Abnahme von Rechtssachen: Gemäß dieser Bestimmung kann der Geschäftsverteilungsausschuss einem Einzelrichter/einer Einzelrichterin oder einem Senat eine Rechtsache wegen Überlastung bzw Umfang der Rechtssache abnehmen. Derartige Abnahmen stehen im Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Verwaltungsrichter/innen. Zwar ist der Wortlaut durch Art 135 Abs 3 B-VG gedeckt, doch darf im Lichte der schon erwähnten Entschließung des Nationalrats, also im Sinne der Schaffung eines möglichst einheitlichen Richterbilds eine stärkere Anlehnung an § 27 a Abs 3 GOG angeregt werden. Hier ist es dem Richter/der Richterin vorbehalten, eine Änderung der Geschäftsordnung zu beantragen, ein Recht zur Abnahme findet sich – zumindest auf den ersten Blick - im GOG nicht. Die Abnahme sollte also also nur als ultima ratio – nach Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Änderung der Geschäftsverteilung (Umschichtung von Geschäften pro futuro) möglich und zumindest eine Anhörung des Betroffenen vorgesehen werden.

 

Artikel 3 Verwaltungsgerichtshofgesetz

 

1.      § 25 a Abs 2 und 4 Revisionsverbote: Art 133 Abs 4 B-VG regelt die Zulässigkeit der Revision. Wirft die Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, ist sie zuzulassen. „Hat das Erkenntnis nur eine geringe Geldstrafe zum Gegenstand kann, kann durch Bundesgesetz vorgesehen werden, dass die Revision unzulässig ist.“ Weitergehende Einschränkungen der Revision sind von Verfassungs wegen nicht möglich, möchte man meinen. § 25 a Abs 2 schließt jedoch die Revision gegen bedeutsame Beschlüsse aus. Aus rechtsstaatlicher Sicht besonders bedenklich ist § 25 a Zif 3, wonach gegen Zurückweisungen „wegen offenbarer Unzuständigkeit“ wie auch gegen die Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht mit Revision vorgegangen werden kann. Bedeutet § 25 a Abs 2 Zif 1 dass die Frage der Akteneinsicht überhaupt nicht an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen werden kann?  Offenbar soll eine weitere Beschlussform noch dem Absatz 2 hinzugefügt werden, siehe Zif 5 XXX. Mit § 25 a Abs 4 macht der Entwurf von der oben zitierten Ermächtigung Gebrauch, ohne jedoch die Vorgaben durch Art 2 7. ZP-EMRK zu beachten. Im Übrigen wird an die aktuelle Betragsschwelle in § 33 a  VwGG idHv 1.500,-- € angeknüpft, obwohl die Konstellation nicht vergleichbar ist. Bisher kann der VwGH Beschwerden über Geldstrafen unter 1.500,-- ablehnen, wenn sie nicht Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen. Gemäß § 25 a Abs 3 soll für Geldstrafen bis zu 1.500,-- die Revision absolut ausgeschlossen sein. Eine Fortschreibung der Schwelle von 1.500,-- der vorgeschlagenen Art wird daher jedenfalls abgelehnt. § 25 a Abs 4 ist aber auch wegen Art 2 7. ZP-EMRK verfassungsrechtlich bedenklich. Der EGMR stellt nämlich bei der Geringfügigkeit einer Strafe nicht auf die verhängte Strafe sondern auf die Strafdrohung im Gesetz ab. Vgl etwa das Urteil des EGMR vom 8. 4. 2010,Gurepka v Ukraine (no 2) Nr 38789/04 und die dort zitierte weitere ständige Rechtsprechung des EGMR, wonach der Ausschluss eines Rechtsmittels gegen die Verhängung einer Geldstrafe (dort in der Höhe von € 20,--) als Verletzung des Rechts, eine gerichtliche Verurteilung wegen einer strafrechtlichen Handlung von einem übergeordneten Gericht überprüfen zu lassen, angesehen worden ist, weil die angewendete Strafbestimmung – alternativ zu einer Geldstrafe – die Verhängung einer Freiheitsstrafe vorsah. In jenen Fällen, in denen die angewendete Strafbestimmung – auch – eine Primärstrafe (zB Strafbestimmungen in den Landespolizeigesetzen) vorsieht, ist Abs 4 des Entwurfes verfassungswidrig. Auch in allen übrigen Fällen, in welchen die Strafdrohung eine Ersatzfreiheitsstrafe vorsieht, ist die Bestimmung im Hinblick auf Art 2 7. ZP-EMRK verfassungsrechtlich bedenklich, weil die Androhung einer Ersatzfreiheitsstrafe jedenfalls für Personen, bei welchen eine Geldstrafe uneinbringlich ist, als „nicht geringe“ Strafe im Sinne des Art 2 7. ZP-EMRK angesehen werden muss.

Gerade zu diesen bedenklichen Absätzen 2 und 4 des § 25 a fehlen jegliche Erläuterungen.

2.      § 30 Wirkung einer Revision: Die Erläuterungen zur B-VG-Novelle sprechen davon, dass das Revisionsmodell nach dem Muster der ZPO eingeführt werden soll. Nun haben aber zugelassene Revisionen nach § 505 Abs 3 ZPO aufschiebende Wirkung. § 30 des Entwurfs besagt das Gegenteil. Die Grünen fordern aber unter Berufung auf die ZPO eine aufschiebende Wirkung der Revision. Allenfalls könnte dem Verwaltungsgericht die Möglichkeit eingeräumt werden, auf Antrag der revisionsgegnerischen Partei die aufschiebende Wirkung einer zulässigen Revision auszuschließen, wenn dies aus zwingenden öffentlichen oder privaten Gründen notwendig ist damit keine wesentliche Gefährdung der mit der Revision verfolgten Interessen verbunden ist. Nach § 30 Abs 3 soll der VwGH die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das Verwaltungsgericht außer im Fall wesentlich geänderter Voraussetzungen nur zum Vorteil des Revisionsgegners ändern dürfen. Dies widerspricht dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und Waffengleichheit im Verfahren (Art 6 MRK). Daher sollten die Worte „nicht gegeben findet“ durch die Worte „anders beurteilt“ ersetzt werden. Auf die bereits bei Art 1 Zif 4 zitierte EGMR-Judikatur wird verwiesen.

3.      § 30 a Einstweilige Verfügungen: Die Ermächtigung zur einstweiligen Verfügung wird ausdrücklich begrüßt. U.a. aus folgenden Gründen: Auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts nicht daran gehindert werden darf, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen (vgl. etwa das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juni 1990, in der Rechtssache C-213/89, Factortame, Slg. 1990, I-2433, und auch die Urteile vom 21. Februar 1991, in der Rechtssache C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen u. a., Slg. 1991, I-0415, vom 9. November 1995, in der Rechtssache Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH u.a. C-465/93, Slg. 1995, I-3761, und vom 17. Juli 1997, in der Rechtssache KrügerGmbH & Co. KG, C-334/95, Slg. 1997, I-4517; vgl. auch das Urteil vom 8. Februar 2000, in der Rechtssache Emesa, C-17/98) ist hinzuweisen.§ 30 Abs. 2 VwGG und § 85 Abs. 2 VfGG ermächtigen dazu, einer Beschwerde mit Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und damit zur Aussetzung des Vollzuges des angefochtenen Bescheides, wobei der Begriff "Vollzug" in einem weiten Sinn zu verstehen ist und sämtliche Rechtswirkungen des angefochtenen Bescheides erfasst. Diese Bestimmungen ermächtigen jedenfalls nach ihrem Wortlaut nicht ausdrücklich zur Erlassung von einstweiligen Verfügungen oder zur Zuerkennung von vorläufigen Rechten, mit denen mehr als die Suspendierung der Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit verfügt werden soll. Zur Problematik etwa Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht: Die Anwendung des Europarechts im innerstaatlichen Bereich, 1988, 121 ff. und Hoehl, Vorläufiger Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter besonderer Berücksichtigung des Europarechts, 1999.

In § 30 a Abs 3 sollte es aber wieder im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und Waffengleichheit statt „nicht gegeben findet“ heißen: „anders beurteilt“.

4.      §§ 30 b ff. Vorverfahren zur Revision bei Verwaltungsgericht: Diese Bestimmungen entlasten zwar den Verwaltungsgerichtshof, auf der anderen Seite erhöhen sie für die Rechtsschutz suchenden Bürger/innen den Aufwand bis sie zum Höchstgericht kommen. Das Vorverfahren sollte jedenfalls erst nach einer bestimmten Umstellungsphase (zB 5 Jahre) einer anderen Instanz als dem Verwaltungsgerichtshof übertragen werden.

5.      § 63 Vollstreckung der VwGH-Entscheidungen: § 63 sollte nicht entfallen sondern sinngemäß in das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz aufgenommen werden. Siehe auch Stellungnahme zu Art 8 des Entwurfs.

6.      § x. Vorgehen im Fall dass der VfGH eine Beschwerde an den VwGH abtritt: Diese Frage wird durch den Entwurf nicht gelöst.

 

Art 4 Verfassungsgerichtshofgesetz

Wird nachgereicht.

 

Artikel 6 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz

 

§ 44a Abs 3 letzter Satz Entfall der kundmachungsfreien Zeit beim Massenverfahren. Der vorgesehene Entfall steht völlig im Widerspruch zur Entschließung des Nationalrats betreffend Verfahrensrecht Zif 7, wonach „bürgerfreundliche Verbesserungen der Kundmachungsvorschriften des § 44a AVG in Massenverfahren zu prüfen“ sind. Konkret wurde in den parlamentarischen Verhandlungen zusätzlich eine Fristhemmnis in dieser Zeit, also von 15. Juli bis 25. August und von 24. Dezember bis 6. Jänner gefordert (siehe Antrag der Abg. Brunner, Nr 1258/A(E)). Die Begründung in den Erläuterungen, dass auch die Gerichtsferien in der ZPO gestrichen wurden, kann für das Verwaltungsverfahren, insbesondere eben die Massenverfahren, kein Argument sein.

 

Artikel 7 Verwaltungsstrafgesetz

 

Kritisch festgehalten wird, dass im Zuge der Ausführung der B-VG-Novelle zur Verwaltungsgerichtsbarkeit eine umfassende Novellierung des VStG vorgenommen werden soll, Regelungen die nicht in Zusammenhang mit der Einführung der Verwaltungsgerichte stehen. So werden die Schwellen für die Strafverfügung von € 365,-- auf € 700,--, für die Anonymverfügung von € 220 auf € 500 Organstrafverfügung von € 36 auf 200 € hinaufgesetzt. Die Möglichkeit der Strafbehörden, von der Verfolgung Abstand zu nehmen, werden erweitert, andererseits aber wichtige Punkte wie die Einführung eine Verjährungshemmung im Fall der Unterbrechung des Verfahrens nach § 30 Abs 2 VStG nicht beachtet. Eine gesonderte Vorlage des Novellierungsbedarfs zum VStG jenseits der Einführung der Verwaltungsgerichte wäre daher naheliegend.

 

 Art 8 Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes

 

§ 1 soll derart geändert werden, dass alle Urteile und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte – auch des Verwaltungsgerichtshofes – nach den Bestimmungen des VVG vollstreckt werden sollen. Dies erscheint allerdings angesichts des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung fragwürdig, zumal die Vollstreckung durch eine Behörde nach dem VVG typischerweise die Vollstreckung durch eine Partei des Verfahrens bedeuten würde. Hinzuweisen ist auch auf die Rechtsprechung des EGMR, wonach die Vollstreckung der Urteile jeden Gerichts als integraler Teil des „Verfahrens“ im Sinne des Art 6 EMRK angesehen werden muss (vgl zB Hornsby v Greece, Nr 18357/91, par 40; 8. 12. 2009, Bushati and others v Albania, no 6397/04, par 79 f, 31. 7. 2012, Sholokovh v Armenia and the Republic of Moldova, Nr 40358/056, par 66 ff). Die Vollstreckung zumindest gegen den Bund, ein Land oder Gemeinde sollte daher nach den Bestimmunen der EO oder wie derzeit nach § 63 VwGG erfolgen, vgl auch §§ 167 ff dtVwGO).

 

Mit freundlichen Grüßen

Daniela Musiol e.h.