1 Präs. 1615-1269/13y

 

 

 

Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zum Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausbildungs- und Berufsprüfungs-Anrechnungsgesetz, das Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, das EIRAG, das Gebührenanpruchsgesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz, das Gerichts­gebührengesetz, die Notariatsordnung, das Notariatsprüfungsgesetz, die Rechtsanwaltsord­nung, das Rechtsanwaltsprüfungsgesetz, das Sachverständigen- und Dolmetschergesetz, das Übernahmegesetz, das Verwertungsgesellschaftengesetz 2006, das Bundesgesetz über die Gebühren für Verwahrnisse der gerichtlichen Verwahrungsabteilungen und das Strafvollzugsgesetz geändert werden (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz - Justiz - VAJu)

 

1. Mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 und dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 wird die Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit umgesetzt. Der nunmehr in Begutachtung stehende Gesetzesentwurf (VAJu) enthält umfangreiche Anpassungen von Materiengesetzen, die in den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit fallen. Zwei der vorgeschlagenen Änderungen werden in den Vordergrund der Stellungnahme gerückt.

2. Änderung des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter

2.1. Derzeit ist in § 46 DSt vorgesehen, dass Erkenntnisse des Disziplinarrats mit dem Rechtsmittel der Berufung und Beschlüsse des Disziplinarrats mit dem Rechtsmittel der Beschwerde an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (OBDK) angefochten werden können. Mit dem Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 wird nun die OBDK aufgelöst.

Nach dem Gesetzesentwurf soll in Zukunft der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung über die in § 46 DSt vorgesehenen Rechtsmittel berufen sein. Für die Berufung an den Obersten Gerichtshof sollen die für die Berufung gegen Urteile der Bezirksgerichte vorgesehenen Regeln nach den §§ 463 ff StPO gelten, soweit nicht das DSt eigenständige Verfahrensregeln vorsieht, die der StPO als leges speciales vorgehen, wie etwa in Bezug auf die Neuerungserlaubnis (§ 49 Satz 2 DSt neu).

2.2. Vor allem im Hinblick auf die enge Einbindung der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter - ebenso wie der Notare - in die Struktur der ordentlichen Gerichtsbarkeit tritt der Oberste Gerichtshof einem Rechtszug in Disziplinarsachen dieser Berufsgruppen zu den ordentlichen Gerichten und (letztlich) zum Obersten Gerichtshof nicht entgegen. Die folgenden Aspekte dürfen aber nicht außer Acht gelassen werden:

Der Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegt der Gedanke der Zweistufigkeit der gerichtlichen Instanzen zugrunde; dem entspricht auch das gerichtliche Verfahren in Strafsachen. Die vorgeschlagenen Änderungen würden diesem Modell dann folgen, wenn es sich beim Disziplinarrat (§§ 5 ff, §§ 20 ff DSt) ebenfalls um ein „Tribunal“ nach dem Verständnis des Art 6 EMRK handeln würde. Den dem Ministerialentwurf beigefügten Erläuterungen (502/ME 24. GP 4) ist zu entnehmen, dass die im Rahmen der Vorbereitung des Entwurfs gemeinsam mit Vertretern des Obersten Gerichtshofs und der österreichischen Rechtsanwaltschaft erwogenen Überlegungen, den Disziplinarrat weiter in Richtung „Tribunal“ im Verständnis des Art 6 EMRK auszubauen und korrespondierend dazu das Rechtsmittelverfahren in Disziplinarsachen an das Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde nach der StPO anzulehnen, im Entwurf nicht weiter verfolgt werden, weil einem solchen Ausbau verfassungsrechtliche Bedenken entgegen stehen.

2.3. Angesichts dessen liegt es - ganz im Sinne der der Schaffung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zugrunde liegenden Erwägungen - nahe, auch in Disziplinarsachen der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter ein zweistufiges gerichtliches Verfahren vorzusehen, mit einem Rechtszug

– mittels Berufung oder Beschwerde vom Disziplinarrat zum Oberlandesgericht und

– mittels einem der Nichtigkeitsbeschwerde angenäherten Rechtsmittel vom Oberlandesgericht zum Obersten Gerichtshof. Dieses Rechtsmittel sollte zwecks Gewährleistung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Disziplinarsachen auch die Bekämpfung der Disziplinarstrafe umfassen, die doch mit gravierenden Auswirkungen für den Disziplinarbeschuldigten verbunden sein kann (zB Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft und Streichung von der Liste nach § 16 Abs 1 Z 3 und 4 DSt).

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es in Disziplinarsachen der Notare nach §§ 170 ff NO nach wie vor bei einem zweistufigen gerichtlichen Instanzenzug (Oberlandesgericht, Oberster Gerichtshof) bleibt.

2.4. Für den Fall, dass der Gesetzgeber dem vorgeschlagenen Modell folgt, ist zu der im Vorblatt enthaltenen „Wirkungsorientierten Folgenabschätzung“ Stellung zu nehmen. Dieser Aufstellung ist zu entnehmen, dass die Neuschaffung der Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs in berufs- und disziplinarrechtlichen Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter einen zusätzlichen Personalbedarf beim Obersten Gerichtshof im ungefähren Ausmaß von zumindest einer R3-Planstelle bedingt. Diese Einschätzung wird grundsätzlich geteilt.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs bestünde alternativ die Möglichkeit, den entstehenden Mehraufwand durch zusätzliche Planstellen (R2) im Evidenzbüro des Obersten Gerichtshofs abzudecken. Mit dieser Maßnahme kann die – bei anderen Höchstgerichten im In- und Ausland selbstverständliche, beim Obersten Gerichtshof derzeit aber nur in geringem Umfang vorhandene – Unterstützung der Richter durch besonders qualifizierte richterliche Mitarbeiter ausgebaut werden. Eine – beim Obersten Gerichtshof vorzusehende – Systemisierung dieser Planstellen in R2 brächte den Vorteil, dass vor allem für „Nachwuchshoffnungen“ ein Anreiz geschaffen wird, eine Bewerbung ins Evidenzbüro des Obersten Gerichtshofs eher ins Auge zu fassen als nach dem bisherigen Modell der Zuteilung von R1-Richterinnen und Richtern, die an einem anderen Gericht als dem OGH (meist dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien) ernannt sind. Der durch die Änderungen im anwaltlichen Disziplinarrecht, im Übernahmerecht und im Immaterialgüterrecht bedingte – Personalmehrbedarf beim Obersten Gerichtshof ist dabei mit drei R2-Planstellen anzusetzen.

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass in der Darstellung der finanziellen Auswirkungen der entstehende Mehraufwand auf der Ebene des nichtrichterlichen Personals nicht erfasst ist. Nach § 65 DSt in der derzeit geltenden Fassung führt der Österreichische Rechtsanwaltskammertag die Kanzleigeschäfte der OBDK. Auch in Zukunft sollen die beim Obersten Gerichtshof im Rahmen des Tätigwerdens in berufs- und disziplinarrechtlichen Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter erwachsenden Kosten vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag zu tragen sein. Der diesem Kostenersatz zugrunde liegende Aufwand ist in den Erläuterungen nicht berücksichtigt. Gerade mit der im Gesetz vorgesehenen Erhebung von Tatsachen ist ein erhöhter Personalaufwand im Bereich des nichtrichterlichen Personals verbunden. Die zu erbringenden Tätigkeiten sind mannigfaltig; sie reichen (beispielhaft) von der Zustellung von Ladungen an Verfahrensbeteiligte und Zeugen über die Bestimmung von Zeugengebühren bis hin zum Schreiben von Protokollen und Entscheidungen. Der zusätzliche Aufwand im Kanzleibereich kann grob mit einer v3-Planstelle eingeschätzt werden. Unter Einbeziehung des Mehraufwands, der durch die organisatorischen Änderungen im Bereich des Immaterialgüterrechts und des Übernahmerechts bedingt ist, kann voraussichtlich mit zwei zusätzlichen v3-Planstellen das Auslangen gefunden werden.

3. Änderung des Strafvollzugsgesetzes

3.1. Derzeit ist in § 16 Abs 2 StVG vorgesehen, dass das Vollzugsgericht (= das in Strafsachen tätige Landesgericht, in dessen Sprengel die Freiheitsstrafe vollzogen wird) Entscheidungen trifft, die in einem engen Zusammenhang mit der verhängten Strafe stehen (zB bedingte Entlassung oder deren Widerruf). Nach dem Ministerialentwurf soll der § 16 StVG um einen Abs 3 erweitert werden, wonach „das Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Sprengel die Freiheitsstrafe vollzogen wird,“ über Beschwerden gegen Bescheide und Verhalten des Anstaltsleiters zu entscheiden hat; gegen die Entscheidung dieses „besonderen“ (vor allem speziell zusammengesetzten) Vollzugsgerichts ist eine Beschwerde an das Oberlandesgericht vorgesehen.

3.2. Bei den in § 16 Abs 3 und § 16a StVG neu vorgesehenen Materien handelt es sich inhaltlich eindeutig um Verwaltungsmaterien, wie auch augenscheinlich die Differenzierung innerhalb des vorgeschlagenen § 16 StVG – nämlich zwischen Abs 2 und Abs 3 – zeigt. Unzweifelhaft sollen die in einem engen Zusammenhang mit der verhängten Strafe stehenden Materien (§ 16 Abs 2 StVG)  weiterhin in die Zuständigkeit des Vollzugsgerichts fallen, nicht jedoch Materien des reinen Strafvollzugs, die auch bisher nicht in der Entscheidungskompetenz der ordentlichen Gerichte standen und in Zukunft in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallen sollen.

In diesem Sinn spricht sich der Oberste Gerichtshof mit Nachdruck dagegen aus, die im vorgeschlagenen Abs 3 des § 16 StVG genannten Angelegenheiten in die ordentliche Gerichtsbarkeit zu übernehmen. Dazu kommt, dass in diesen Angelegenheiten durch die Schaffung eines neuen, für das gesamte Bundesgebiet zuständigen Höchstgerichts (§ 16a StVG) eine Grundrechtskontrolle durch den Obersten Gerichtshof ausgeschlossen wäre, abgesehen davon, dass sie mangels Charakterisierung dieser Angelegenheiten als Teil des Strafrechts gar nicht wahrgenommen werden dürfte.

Aus Anlass der Reform sollten auch die in § 16 Abs 2 Z 1, 4, 5 und 7 StVG idgF geregelten Materien, die materiell dem Verwaltungsrecht zugehörig sind, in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte übernommen werden.

3.3. Die im vorgeschlagenen Abs 3 des § 16 StVG genannten Materien sind inhaltlich nicht mit Disziplinarangelegenheiten der - schon durch die Verfahrensgesetze (vor allem AußStrG, ZPO und StPO) eng in die Struktur der ordentlichen Gerichte - eingebundenen Notare, Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vergleichbar, weshalb ein möglicherweise angedachter „Gleichlauf“ mit Strafgefangenen nicht gerechtfertigt ist. So ist beispielsweise auch im Zusammenhang mit der Eintragung oder Rezertifizierung von Sachverständigen kein Rechtsmittel an ein ordentliches Gericht, sondern eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vorgesehen (§ 11 SDG neu), ebenso in Angelegenheiten der Gerichtsgebühren.

Wien, am 19. April 2013

Dr. Ratz