Textfeld:  1 Jv 4648/13h-02-5

Graz, 17. Mai 2013

REPUBLIK ÖSTERREICH

OBERLANDESGERICHT gRAZ

bEGUTACHTUNGSSENAT

 

 

 

 

Der gemäß §§ 36 und 47 Abs 2 GOG beim Oberlandesgericht Graz gebildete Begutachtungssenat erstattet zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975 und das Strafregistergesetz 1968 geändert werden, (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2013) nachstehende

S t e l l u n g n a h m e :

Sofern zu den einzelnen Bestimmungen nicht Stellung genommen wird, kann davon ausgegangen werden, dass für den Begutachtungssenat keine Bedenken gegen den Gesetzesentwurf bestehen.

Eingangs ist festzuhalten, dass mit dem Gesetzesentwurf nicht unbeträchtliche Änderungen der Strafprozessordnung mit Auswirkungen auf die Belastungssituation der in Strafsachen tätigen Landesgerichte und des Oberlandesgerichtes sowie mit einer budgetären Mehrbelastung vorgeschlagen werden. Kritisch anzumerken ist die Kürze der zur Verfügung stehenden Begutachtungsfrist.

Eine Begutachtung unter Berücksichtigung von Problemen, die sich für die Rechtsprechung auch aus der Gesetzestechnik ergeben könnten, ist daher nicht möglich.

Zu den einzelnen Bestimmungen:

Zu Artikel 1 Z 5, 6, 8 und 9 (§ 50, 56 und 66 StPO):

Die Änderung der Bestimmungen erfolgt in Umsetzung der Richtlinie Dolmetsch aus 2010 und der Richtlinie Rechtsbelehrung aus 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, die verbindlich und zur Statuierung einheitlicher EU-weiter Mindeststandards auf dem Gebiet der Verfahrensrechte und für das Ziel der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen der Strafgerichte unerlässlich sein mag.

Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass die Ausweitung der verpflichtenden Beistellung von Dolmetschern im Sinne des § 126 StPO und nicht wie bisher bloß der Leistung von Übersetzungshilfe für mündliche Übersetzungen sowie die verpflichtende schriftliche Übersetzung wesentlicher Aktenstücke (im Sinne des § 56 Abs 3 neu StPO) zu einem Mehraufwand an Arbeit für Gerichte und Kanzleien, und nicht zuletzt zu einem budgetären Mehraufwand für den Kostenträger führen wird.

Das Oberlandesgericht Graz, in dessen Sprengel Dolmetschleistungen durch die Justizbetreuungsagentur noch nicht üblich sind, wird aus seinem Budget einen beträchtlichen finanziellen Mehraufwand für Dolmetschleistungen zu tragen haben. Ob die dafür vorgesehene Budgetaufstockung von rund 10 Millionen Euro pro Jahr österreichweit bzw. der auf das Oberlandesgericht Graz entfallende Anteil ausreichen wird, um diese Mehrkosten abzudecken, wird zu beobachten sein.

Die Verpflichtung zur Rechtsbelehrung auch über eine geänderte Verdachtslage oder eine geänderte rechtliche Beurteilung des Tatverdachts, zur schriftlichen Übersetzung derselben in eine Sprache, die der Beschuldigte versteht, und zur Dokumentation der Belehrung (§ 50 Abs 1, 2 und 3 StPO) eröffnet ein Feld für Einsprüche wegen Rechtsverletzung, die Befassung des Einzelrichters im Ermittlungsverfahren und für Beschwerden, die zu einer Mehrbelastung der Gerichte führen wird.

§ 56 Abs 4 StPO, der den Ersatz der schriftlichen Übersetzung durch eine bloß auszugsweise Darstellung, durch mündliche Übersetzung oder, im Falle der Vertretung durch einen Verteidiger, durch mündliche Zusammenfassung erlaubt, eröffnet durch die Bedingung der Wahrung der in § 56 Abs 1 StPO statuierten Interessen breiten Raum für Ermessensentscheidungen.

Es wird dem Staatsanwalt, dem Richter im Ermittlungsverfahren oder dem Richter im Hauptverfahren überlassen, im Einzelfall zu prüfen, ob eine kursorische Darstellung oder bloß mündliche Übersetzung ausreicht, die Verteidigungsrechte und ein faires Verfahren für den Beschuldigten bzw. Angeklagten zu gewährleisten (§ 56 Abs 4 iVm Abs 1 StPO).

Ebenso einzelfallbezogen wird zu entscheiden sein, wenn der Beschuldigte weitere konkrete Aktenstücke bezeichnet und ihre schriftliche Übersetzung verlangt (§ 56 Abs 5 StPO). Diese Bestimmungen haben, insbesondere in Großverfahren, erhebliches Verzögerungs- und Kostenpotenzial.

Konfligierende Ansichten über die Notwendigkeit der Übersetzung einzelner Aktenstücke oder des Umfangs der Übersetzung sind ebenso absehbar wie ein erhöhtes Antrags- und Rechtsmittelaufkommen von Beschuldigten bzw. Angeklagten sowie von Opfern, denen die- selben Rechte eingeräumt werden (§ 66 Abs 1 Z 5 StPO).

Eine klarere Regelung mit weniger Ermessensspielraum wäre wünschenswert.

 

Zu Artikel 1 Z 10 und 13 (§ 106 Abs 1 und 107 Abs 1 StPO):

Die durch die Änderung des Artikel 94 Abs 2 BVG ab 1. Jänner 2014 ermöglichte Wiederherstellung des Einspruchs wegen Rechtsverletzung gegen Handlungen der Kriminalpolizei und der vorgeschlagene Ausbau des Rechtsschutzes durch die Pflicht zur Entscheidung auch nach Einbringung der Anklageschrift und durch den Übergang des Einspruchrechts auf Angehörige nach dem Tod des Betroffenen wird mittel- und langfristig zu einer Erhöhung der Arbeitsbelastung der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren und des Oberlandesgerichtes führen.

 

Zu Artikel 1 Z 16 und 17 (§ 171 Abs 4 StPO und § 381 Abs 6 StPO):

Im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Verpflichtung zur sogleich oder unmittelbar nach seiner Festnahme erfolgenden schriftlichen Information des Beschuldigten über seine Rechte (Z 1 bis 5) in einer Sprache, die er versteht, und zur ausnahmslosen Kostentragung des Bundes für die Übersetzungshilfe im Strafverfahren (somit z.B. auch für durch Wahlverteidiger vertretene Beschuldigte und ihren internen Kontakt) wird nochmals auf die dadurch entstehende finanzielle Mehrbelastung der Gerichte hingewiesen.

 

Der Vorsitzende:

Dr. Manfred Scaria

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