Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Als Betroffener möchte ich eine Expertise zum neue Lehrerdienstrecht in das Begutachtungsverfahren einbringen.

 

Ich bin Administrator, Lehrer für Biologie, Physik und Chemie und Kustos für Biologie am Akademischen Gymnasium Salzburg. Daneben lehre ich an der pädagogischen Hochschule in Salzburg und bin als aktiver Wissenschaftler (Botanik/Lichenologie) sowie als wissenschaftlicher Berater z. B. beim Umweltbundesamt und beim Nationalpark Kalkalpen Oberösterreich tätig. Das bunte Feld meiner beruflichen Tätigkeiten ermöglicht mir die kritische Betrachtung des Entwurfs zum neuen Lehrerdienstrecht aus verschiedenen Blickwinkeln. Sollten auch nur Teile des geplanten neuen Dienstrechts in der geplanten Form vom Parlament beschlossen und umgesetzt werden, wird dies massive Schäden am österreichischen Bildungswesen nach sich ziehen und das Bildungsniveau der nächsten Generation massiv senken.  Dies sei durch einzelne, exemplarische Einwände begründet:

 

Es ist eine Tatsache, dass der Beruf des Lehrers zu den Berufen mit der größten psychischen Belastung gehört. Dies ist auch daran erkennbar und statistisch belegt, dass es in nur wenigen Berufen so viele Fälle von medizinisch eindeutig diagnostiziertem Burnout oder anderen Erkrankungen mit psychischer Überlastung als Ursache gibt. Warum das neue Lehrerdienstrecht eine Erhöhung der Lehrverpflichtung beinhaltet ist vor diesem Hintergrundwissen nicht nachvollziehbar. Der Tatsache, dass die Erhöhung der Lehrverpflichtung ein weiteres Ansteigen psychischer Überlastungserkrankungen mit sich bringen wird, ist nichts entgegenzusetzen. Diese Tatsache inklusive dem damit verbundenen menschlichen Leid und dem volkswirtschaftlichem Schaden nimmt das neue Dienstrecht offenbar sehenden Auges in Kauf.

 

Die Führung eines Kustodiats ist eine in der Öffentlichkeit (oft sogar im eigenen Betrieb) wenig bekannten und jetzt schon schlecht abgegoltenen Tätigkeiten im Schuldienst. Sowohl Aufbau als auch Pflege und Modernisierung einer Lehrmittelsammlung ist mit großem Arbeitsaufwand und persönlichem Einsatz verbunden. Der chronische Mangel an finanziellen Mitteln ermöglicht es üblicherweise nicht, moderne Unterrichtsmittel aus dem Lehrmittelhandel zu beziehen. Es ist also immer Phantasie, Engagement und oft stundenlange Arbeit gefragt, um zeitgemäße Lehrmittel auch in kostengünstiger bzw. meist kostenneutraler Form selbst zu schaffen. Ein Bsp.: Moderne Kapitel der Genetik lassen sich schlecht in zeitgemäßer Form unterrichten, wenn die Lehrmittelsammlung aus etwa 5 – 10 Gipsmodellen von menschlichen Organen aus den 1920er-Jahren besteht. Mit dem entsprechenden Knowhows lässt sich aber DNA aus einer Tomate auch mit Hilfe von Spülmittel und Haushaltschemikalien extrahieren. Nach zahlreichen Experimenten und großem Zeitaufwand funktioniert die Methode shließlich auch und der Unterricht zum Thema Genetik wird am Standort ein kleines Stückchen anschaulicher.

Im neuen Dienstrecht ist die bisher schon deutlich unterrepräsentierte Abgeltung von Kustodiaten nicht mehr vorgesehen. Sie können davon ausgehen, dass Lehrmittelsammlungen in Zukunft nicht mehr gepflegt und modernisiert werden. Es wird sich niemand finden, der freiwillig mehr Arbeit für weniger Geld verrichtet. Sollte die Tätigkeit dann per Weisung vom Dienststellenleiter vorschrieben werden, wird diese wohl kaum mit dem dafür nötigen persönlichen Engagement verrichtet werden. Die Folge einer schlecht gepflegten Lehrmittelausstattung ist ein wenig anschaulicher, ausschließlich frontaler Unterricht mit minimalem Lernerfolg. Besonders die langzeitige Speicherung des erworbenen Wissens ist dadurch vielfach nicht mehr möglich. Die genauen wissenschaftlich belegten Hintergründe dafür entnehmen sie der Fachliteratur (Fachdidaktische Publikationen der letzten 20-30 Jahre und früher).

 

Der tägliche Unterricht an einer Schule steht und fällt besonders ab einer bestimmten Betriebsgröße mit der Koordination der Lehrer und Klassen durch die Administration. Das System Schule ist zu komplex, als dass tägliche Abläufe ohne permanente Steuerung möglich wären. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich belegen, dass kaum ein Schultag Abläufe rein nach Dienstplan mit sich bringt. Fast jeder Schultag bietet temporäre Abweichungen vom Dienstplan (Stundenplan, Raumplan…), die nicht mehr koordinationslos von den Lehrern selbst ausgeglichen werden können. Der überwiegende Teil der Tätigkeit in der Administration erfordert auch in der Öffentlichkeit wenig beachtete große  pädagogische Kompetenzen. Bsp.: Natürlich kann die Vertretungsplanung auch durch pädagogisch nicht ausgebildetes Personal rein technisch durchgeführt werden. Das vom BMUKK bereitgestellte Unterrichtsverwaltungsprogramm Untis bietet sogar die Möglichkeit einer automatischen Vertretungsplanung. Anfallende Vertretungsstunden sind dann aber nur mehr reine Aufbewahrung der SchülerInnen. Dabei kann auch eine sinnvoll eingeteilte Vertretung pädagogisch wertvollen Unterricht und bieten und trotz Entfall des planmäßigen Unterrichts zur Weiterentwicklung der Bildung der SchülerInnen führen.

Fast alle Tätigkeiten des Administrators bringen bei Berücksichtigung pädagogischer Aspekte eine enormen Aufwertung des Unterrichts der gesamten Schule und des Lernerfolgs der Schülerinnen. Der Preis dafür ist schon jetzt ein enormes Engagement des Administrators. Die zeitliche Mehrbelastung im Vergleich zur normalen Unterrichtstätigkeiten inklusive Vor- und Nachbereitung des Unterrichts und Korrekturtätigkeit ist enorm und wird keineswegs durch Zulagen und administrative Belohnungen ausgeglichen. Das Verhältnis Arbeitszeit zu Verdienst ist in der Administration deutlich schlechter als bei normaler Lehrtätigkeit. Bei nur geringfügiger Verschlechterung dieses Verhältnisses werden viele Administratoren zur normalen Lehrtätigkeit zurückkehren. Das neue Dienstrecht sieht aber massive Verschlechterungen sowie die gänzlich Abschaffung der Administratoren in kleineren Schulen vor. Sollten die entsprechenden Pläne zum neuen Dienstrecht umgesetzt werden, würde das zum plötzlichen Ausscheiden vieler Administratoren und somit zum sofortigen Kollabieren sämtlicher Tagesabläufe in den betroffenen Schulen führen. Auch die in der Praxis nicht vorstellbare Übernahme der Tätigkeiten durch anderes Personal, letztlich auch zwingend durch die Direktoren, würde nicht funktionieren, da die Übernahme der Tätigkeit zeitaufwendig ist und nur gleitend passieren könnte. Das neue Dienstrecht provoziert in der geplanten Form einen plötzlichen Kollaps des Systems auf Kosten der SchülerInnen!

 

Die Änderungen für die LehrerInnenausbildung, die im Entwurf zum neuen Lehrerdienstrecht vorgesehen sind, zeigen, weisen enormen Ferne zur Praxis und zur Berufsrealität auf: Es ist vorgesehen, dass Junglehrer in ihrer Induktionsphase (derzeit Unterrichtspraktikum) mit einer vollen Lehrverpflichtung erfüllen müssen - aus Sicht der Lehrerausbildung völlig undenkbar! Im derzeitigen erfolgreichen System des Unterrichtspraktikum wollen wir Junglehrer begleitet durch einen erfahrenen Lehrer mit einer minimalen Unterrichtstätigkeit (1 Klasse in jedem Fach) an die neue Tätigkeit mit gewissenhafter Unterrichtsvornereitung, die beim Berufseinstieg besonders wichtig und hilfreich ist, an den Berufsalltag heranführen. Jede Unterrichtsstunde muss in diese Phase der Ausbildung noch neu vorbereitet werden, weil kein persönlicher Vorrat an Vorbereitungen vorhanden ist. Unterrichtspraktikanten kommen in manchen Fächern damit schon an die Grenzen der Belastbarkeit, will Strategien zum Umgang mit Stress und arbeitsintensiven Phasen des Schuljahres erst entwickelt werden müssen. Nach den Plänen des neuen Lehrerdienstrechts werden Junglehrer von allem Anfang an zur mangelhaften Vorbereitung und damit zu qualitativ schlechtem Unterricht gezwungen, weil alles andere zeitlich nicht machbar ist.

Aus Sicht der Administration ist es hingegen undenkbar, woher die Stunden für die Kandidaten der Induktionsphase kommen sollen. Ein System, das nach diesen Vorgaben funktionieren soll, kann nicht funtionieren und wird keine fertigen Junglehrer produzieren, weil diese Ihre Ausbildung nie abschließen können! Mit diesen Vorgaben können sie Junglehrer nur ausbilden, wenn sie Lehrer, die bereits mehrere Jahre im Dienst stehen zeitweilig entlassen, um Stunden für die Kandidaten des Induktionsphase frei zu machen.

 

Der Niedergang der Hauptschulen in Österreich in den letzten 20 Jahren hat viele Ursachen. Eine davon ist die oftmals mangelnde Qualität des Unterrichts durch den ubiquistischen Einsatz der Lehrer anstelle der ausschließlichen Diensteinteilung der Lehrer entsprechend der Qualifikation laut Ausbildung. Nun sollen auch an den Gymnasien Lehrer in allen Unterrichtsfächern eingesetzt werden können. Dass auf diesem Weg nicht mehr das für die AHS übliche höhere allgemeinbildende Niveau erreicht werden kann, ist die logische Schlussfolgerung. Mit welcher Motivation solche qualitätssenkende Änderungen im neuen Lehrerdienstrecht eingebaut sind, erschließt sich meinem qualitätsorientiertem Zugang zum Bildungswesen nicht.

 

Es ließe sich hier eine lange Liste von Elementen im neuen Lehrerdienstrecht anführen, die bildungsschädliche Wirkung für die SchülerInnen nach sich ziehen werden oder die Funktionsfähigkeit des Schulsystems überhaupt unmittelbar gefährden. Da der derzeit vorliegende Entwurf für das Lehrerdienstrecht aber in großem Umfang keinesfalls umsetzbar ist, beschränke ich mich auf die angeführten Beispiele.

Die gesamte Richtung, in die das Lehrerdienstrecht mit dem vorliegenden Entwurf weiterentwickelt werden soll, ist auf jeden Fall ein bildungspolitisch dramatischer Rückschritt und bring keinesfalls irgendwelche Reformen im Sinne von Verbesserungen mit sich. Vielmehr muss ein neues Lehrerdienstrecht einen neuen Anreiz für junge motivierte Lehrer werden, welcher sich auch durch eine finanzielle Aufwertung des Berufsstandes und eine Verbesserung Ressourcen am Arbeitsplatz zeigen muss.

 

Ich mahne daher größtmögliche Distanzierung vom vorliegenden Entwurf zum neuen Lehrerdienstrecht ein!

 

Dr. Wolfgang Mayer