Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich frage mich, wie das Neue Dienstrecht entstanden ist.

In einer wissenschaftlichen Arbeitsweise müsste man zuerst den Ist-Stand erheben, die Daten auswerten und interpretieren und danach Schlussfolgerungen ziehen. Auf die Schule bezogen, bedeutet das, dass zum Beispiel die Arbeitszeit der LehrerInnen erhoben werden hätte sollen, dass der Wunsch nach Gesamtschule von Eltern, Schülern und LehrerInnen quantifiziert werden hätte sollen. In wenigen Standorten kann man Interventionen durchführen und die Erfolge der Schüler vor und nach der Intervention vergleichen.

Wenn ich mir das Neue Dienstrecht anschaue, vermute ich eher folgende Vorgangsweise der Bundesministerin: möglichst schnell ein Dienstrecht einführen, bei dem der Lehrermangel ausgeglichen wird und die Regierung nach strategisch jahrelangem Lehrer-Bashing viele Bevölkerungsgruppen vor der Nationalratswahl 2013 gewinnt, ohne Nachzudenken, was das für Schüler, Eltern, LehrerInnen bedeutet, ohne Kostenrechnung, ohne Nachhaltigkeit.

 Wieviel LehrerInnen tatsächlich arbeiten und wie viele Menschen die Gesamtschule tatsächlich wollen, wurde von der Bundesministerin absichtlich nicht erhoben.

Zum ersteren eine kleine simple Rechnung:

Ich unterrichte Mathematik und müsste mit dem Neuen Dienstrecht in der Oberstufe 8 Klassen übernehmen (zu je 3 Wochenstunden); Jede Klasse hat 4 Schularbeiten pro Unterrichtsjahr, also 32 Schularbeiten insgesamt. Jede Schularbeit kostet mich ca. 6-8 Stunden Vorbereitungszeit (mit der neuen Matura und deren neuen Konzepte und Prüfungsmodus dauert es länger, ich  nehme aber optimistisch an, dass sich das mit der Zeit einspielen wird). Ebenso lange dauert die Verbesserungszeit pro Schularbeit. Das ergibt alleine 450 Stunden Arbeit. In einem Jahr ergibt das eine Arbeitszeit von ca. 10 Stunden pro Woche. Besonders für so korrekturintensive Fächer wie Sprachen und Mathematik, ist das Neue Dienstrecht eine sehr belastende Veränderung. Zu meinen 24 Unterrichtsstunden kommen 2 Supplierstunden, 1 Sprechstunde und 1 Koordinationsstunde (gibt es an unserer Schule, dient zum Besprechen von einem LehrerInnen-Team einer Klasse, ist sinnvoll). Gemeinsam mit den Arbeitszeiten für die Schularbeiten ergibt das 38 Stunden Arbeitszeit OHNE eine einzige Stunde vorbereitet zu haben, ohne eine einzige Hausübung korrigiert zu haben, ohne Elternabende, Elternsprechtage, Konferenzen, Teamsitzungen, Projektplanungen, Exkursionen, Projekt-tage und wochen, ohne die vielen vielen Besprechungen und noch vieles mehr. Der Arbeitsaufwand erhöht sich um 30% (von ca. 18 auf 24 Wochenstunden) bei schlechterer Lebensverdienstsumme!

Als Lehrer hat man mit verschiedenen Gruppen intensiv zu tun: Schülern, KollegInnnen, Eltern, DirektorIn. Mir fällt nur der Arztberuf ein, der ebenfalls mit Patienten, KollegInnen, Angehörigen und Vorgesetzten zu tun hat. Unter anderem macht dies den Beruf so spannend und gleichzeitig anstrengend. Ich habe mehrere Jahre Vollzeit in der Wissenschaft gearbeitet, zusätzlich Doktorat geschrieben und als Lektorin gearbeitet; es war weitaus weniger anstrengend als nach dem derzeitigen Dienstrecht mit einer vollen Lehrverpflichtung. Ich will jedoch an der Schule bleiben, weil ich viel lieber Lehrerin bin, der Beruf ist so spannend und abwechslungsreich und bleibt immer herausfordernd. Umso trauriger ist es, wenn eine Unterrichtsministerin, uns so in den Rücken fällt. Der Lehrberuf ist physisch und psychisch gleichermaßen fordernd. Sie wissen sicher, wie "erledigt" sie nach einem langen Vortrag sind. In der Unterrichtsstunde kommt hinzu, dass nicht nur die Wissensvermittlung der Stunde zur Aufgabe des Lehrers zählt, sondern auch einen Überblick über die Lernziele bzw. Jahresziele und die Wissensgebiete in größerem Zusammenhang, auch fächerübergreifend zu haben; dies alles bei Anwenden von passender, auch spontan an den Zustand der Klasse angepassten Methode. Auch ein Feedback zum eigenen Unterricht ist sehr wichtig, sowohl von den Schülern, als auch von beobachtenden Kollegen, und natürlich darf man die schriftliche Dokumentation aller Leistungen nicht vergessen. Eine Unterrichtsstunde ist viel Arbeit, sowohl vor, während, als auch nach der Stunde. Die Kinder und Jugendlichen heranwachsen zu sehen, sie zu begleiten, zu ihrem Wissen und auch Wohlbefinden beizutragen, das Feedback der Kinder und Jugendlichen zur eigene Person, lässt mich diesen Beruf so zu schätzen. 

LehrerInnen müssen ENTlastet werden und nicht BElastet. 

Schon bei der Einführung der Zentralmatura konnte ich nur vermuten, dass wenig logisch gedacht wird. Man würde vermuten, dass zuerst Maturastoff, Schulbücher und Konzepte veröffentlicht werden und erst danach die Zentralmatura eingeführt wird. Doch auch hier wurde zuerst die Zentralmatura bestimmt und danach Konzepte, Kompetenzen, Bücher usw. veröffentlicht.

Schade, dass sich die Regierung nicht an Forschungsergebnissen orientiert, von erfolgreichen Ländern lernt und dies mit den Bedürfnissen der Bevölkerung vereint.

Zum Beispiel, wie funktioniert eine Gesamtschule, ohne die Räumlichkeiten für die Essensversorgung, ohne die Räumlichkeiten für die LehrerInnen? Warum wird den Schulen nicht mehr Autonomie verliehen?

Hochachtungsvoll,

Dr. Elisabeth Pernicka

Ich stimme einer Veröffentlichung meiner Stellungnahme zu.